E-Book, Deutsch, Band 36, 612 Seiten
Reihe: Das Science Fiction Jahr
Wylutzki / Kettlitz Das Science Fiction Jahr 2021
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-949452-13-0
Verlag: Hirnkost
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 36, 612 Seiten
Reihe: Das Science Fiction Jahr
ISBN: 978-3-949452-13-0
Verlag: Hirnkost
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Science Fiction und Klima: Visionen, Chancen und Dystopien
Das Klima und sein Wandel beschäftigen uns in der Politik, im Alltag, aber auch in der Fiktion. Gerade die Science Fiction hat die Möglichkeit, sich dem Thema auf innovative Art anzunähern und Zukunftsvisionen zu entwickeln. Daher ist es nur naheliegend, "Das Science Fiction Jahr 2021" dem Thema "Klima in der Science Fiction" zu widmen und Autor*innen wie Bettina Wurche, Gary Westfahl oder Wenzel Mehnert zu Wort kommen zu lassen. Weiterhin wird in Essays von Bernd Flessner, Karlheinz Steinmüller, Peter Kempin und Wolfgang Neuhaus der Visionär, Philosoph und Autor Stanislaw Lem gewürdigt, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.
Über die Buchreihe
2021 erscheint die 36. Ausgabe des von Wolfgang Jeschke 1986 ins Leben gerufenen Jahrbuchs über die Science Fiction. Dabei gewährt das Jahrbuch einen umfangreichen Überblick über die Entwicklungen des Genres in unterschiedlichen Medien wie Film, Serien, Gaming, Comics und vor allem dem Buch. Etwa 30 Autor*innen steuern jedes Jahr Rezensionen, Essays und anderweitige Beiträge zu diesem Jahresrückblick bei. Abgerundet wird er mit einer Liste der Genre-Preise, Nachrufen sowie einer Bibliografie der Bücher, die jeweils im Vorjahr erstmals auf Deutsch erschienen sind.
Seit 2019 erscheint DAS SCIENCE FICTION JAHR im Hirnkost Verlag und wird von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz herausgegeben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Wolfgang Both Auf nach Ökotopia! Vom Wachsen des ökologischen Bewusstseins in der Science Fiction In den frühen Utopien spielten Umweltbewusstsein und ökologisches Verhalten noch keine Rolle. Mit der Aufklärung werden sich die Menschen der Natur, ihrer Umgebung, Fragen des Klimas – nicht nur des Wetters – bewusster, was zum einen Ausdruck in der Romantik, zum anderen in rousseauistischen Naturidealen findet. Mit der Industrialisierung nahmen Umweltprobleme zu, die aber erst mit dem Ölpreisschock Anfang der 1970er-Jahre zu einer konkreten politischen Bewegung führten. Diese Entwicklung wirkt sich auch auf die Science Fiction aus, wie die folgenden Beispiele zeigen. Ökologie Der Begriff »Ökologie« ist umfassender als Klima oder Umwelt. Eingeführt wurde er von Ernst Haeckel (1834–1919): »Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle »Existenz-Bedingungen« rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur; sowohl diese als jene sind, wie wir vorher gezeigt haben, von der grössten Bedeutung für die Form der Organismen, weil sie dieselbe zwingen, sich ihnen anzupassen.« (1866) Diese Definition umfasst also das biologische Leben in seiner Gänze und die Wechselwirkungen untereinander sowie zur unbelebten Umwelt. Grundsätzlich wird zwischen der theoretischen und der angewandten Ökologie unterschieden. Inzwischen gibt es zahlreiche Spezialdisziplinen, in denen Methoden aus verwandten Wissenschaften wie Genetik, Statistik, Bodenkunde oder Meteorologie angewandt werden. Und der Begriff hat sich auch auf die Ökonomie ausgedehnt, wenn sich wirtschaftliche und wissenschaftliche Abhängigkeiten und Beziehungsketten in bestimmten Branchen oder Nischen herausgebildet haben, die ein Wirtschaftscluster – ein Ökosystem – bilden. Ökologisches Verhalten des Menschen meint also, eine bewusste Beziehung zu seiner Umwelt einzugehen, sich der Wirkungen des eigenen Handelns im materiellen wie im sozialen Bereich klarzuwerden. Daraus sollte sich zwangsläufig ein schonender Umgang mit der Umwelt ableiten. Vor der Umweltfrage steht die soziale Frage Wie bereits erwähnt spielte in den frühen Utopien die Umwelt, der bewusste Umgang mit der Natur noch keine Rolle. Zwar wird immer mal Naturverbundenheit propagiert. Aber Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit stehen im Vordergrund der Utopien. Auf der Insel Utopia und in anderen Gärten Eden herrscht stets gutes Wetter – oder zumindest ein für die Landwirtschaft hilfreiches. Von Naturkatastrophen bleiben die Menschen verschont, das Wasser aus dem Bergbach ist klar und sauber, alle erfreuen sich guter Gesundheit. Eine natürliche, bäuerliche Lebensweise ohne Obrigkeit und Kirche, Militär und Großgrundbesitzer wird gezeichnet – Schmarotzer gibt es nicht mehr. Diese paradiesischen Zustände finden wir in Utopia von Thomas Morus (1517), ebenso bei Johann Valentin Andreaes Christianopolis (1619), Tommaso Campanellas Der Sonnenstaat (1623) und Francis Bacons Neu-Atlantis (1624). Die Bauernschaft wie die Handwerker sind vom Joch der Fürsten und Grundbesitzer befreit und können in einer Gesellschaft freier und gleicher Bürger ihren Gewerken nachgehen. Noch sind ihre Misthaufen und Abfallgruben überschaubar, nur manch übel riechende Gewerke wurden an den Siedlungsrand abgedrängt wie die Färbergassen oder Gerbergassen. Eine Reise nach Ikarien Bei den Frühsozialisten – von Marx und Engels als utopische Sozialisten diffamiert – standen die sozialen Fragen im Mittelpunkt ihrer Programme. Neben politischen Traktaten versuchten sie auch, die Not der Proletarier durch konkrete Projekte zu lindern. So baute der Unternehmer Robert Owen (1771–1858) die Siedlung New Harmony auf und versuchte, sie als unabhängige Kommune zu etablieren. Andere, wie Charles Fourier (1772–1837), entwarfen vergleichbare Gebilde, »Phalansterien« genannt. Einen utopischen Entwurf hat uns Étienne Cabet (1788–1856) mit dem Roman Reise nach Ikarien (1840) hinterlassen. Auch er betont die Gleichheit aller. Seine politische Schrift verband er mit dem Aufruf: »Arbeiter, auf nach Ikarien! Denkt über euer Los nach und ihr müßt einsehen, daß euch das Elend packt, wenn ihr den Mutterleib verlassen habt, und daß es sich nicht eher von euch trennt als wenn ihr im Sarge ruht. Ihr, Proletarier, Söhne der Proletarier, wandelt in schmutzigen Lumpen einher, darbt am Geist und hungert am Magen.«[1] Und der Aufruf wurde gehört. Im Revolutionsjahr 1848 sammelten sich Aktivisten, die mit Cabet ein solches Gemeinwesen aufbauen wollten. Man fand einen Platz im amerikanischen Bundesstaat Texas und errichtete dort eine ikarische Kolonie. Neben Robert Owens Siedlung New Harmony war dies also eine erste gelebte Utopie, die immerhin sieben Jahre Bestand hatte. Vierzig Jahre später legte der Amerikaner Edward Bellamy (1850–1898) einen Gesellschaftsentwurf vor, bei dem durch schleichende Nationalisierung eine Klassenharmonie erreicht werden sollte. Der Aufschwung der Sozialistenbewegung in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika beförderte dieses Zukunftsbild weltweit auf die Bestsellerlisten, zahllose Übersetzungen erschienen. Hinzu kam, dass der Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887 (1888) ein scheinbar realisierbares Versprechen auf die Zukunft enthielt. Die Erlebnisse von Julian West imaginierten ein Bild vom Zukunftsstaat, das alle Parteitagsreden nicht liefern konnten. Außerdem verlegte er die Umsetzung seines utopischen Gesellschaftsentwurfs nicht auf eine imaginäre Insel, sondern in das Jahr 2000, hoffnungsvoll in eine nur hundert Jahre entfernte Zukunft. Mit dem »Jahr 2000« kreierte er einen Fixpunkt, der Einfluss auf die nachfolgende SF-Literatur hatte. Bei Bellamy herrscht Arbeitspflicht in einer durchorganisierten und automatisierten Industriegesellschaft. Inzwischen sind Landwirtschaft und Bauernstand durch die Industrialisierung als tragende wirtschaftliche Säulen abgelöst. Auch seine Zukunft war noch nicht vom Umweltgedanken geprägt, aber doch vom sinnvollen Umgang mit den Ressourcen: »Eine Überproduktion in einzelnen Industriezweigen, das furchtbare Schreckgespenst ihrer Zeit, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Durch die Regelung der Verteilung und der Produktion richtet sich das Angebot so genau nach der Nachfrage wie der Gang der Maschine nach dem Regulator.« Jeder Bewohner erhielt – Arbeitsdienst vorausgesetzt – zum Anfang des Jahres einen festen Betrag, mit dem er seine Bedürfnisse abdecken konnte: »›Ein solches System ermutigt die Bürger gerade nicht zur Sparsamkeit‹, warf ich ein. ›Das soll es auch nicht‹, lautete die Antwort. ›Die Nation ist reich, und sie wünscht keineswegs, dass sich jemand eine Annehmlichkeit versage.‹«[2] Keiner muss verzichten, es gibt gemeinsame Speisesäle, Großwäschereien, öffentlichen Nahverkehr. Den Gegensatz zur Situation Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt Bellamy in einer Traumsequenz seines Protagonisten. Darin wird Julian West noch einmal in das Boston von 1887 zurückgeworfen. Bellamys Vision elektrisierte seine Leser, es bildeten sich landesweit Bellamy-Klubs, eine politische Bewegung für die Umsetzung seiner Ideen entstand, eine (kurzlebige) Partei ging daraus hervor. Sein Buch ist heute ein Klassiker. Und natürlich fanden sich Gegner, auch im eigenen Lager. So war der englische Sozialist William Morris (1834–1896) über die durchgehende Industrialisierung verärgert und verfasste mit Kunde von Nirgendwo (1889) eine Antiutopie, in der er das bäuerliche Landleben zur Idylle stilisierte. Auf der einen Seite wandte er sich gegen den Tand industrieller Massenproduktion, auf der anderen Seite beschrieb er einen Traum der englischen Middle-Class vom Landleben der Upper-Class. Mit rein handwerklicher Produktion waren die Bedürfnisse einer wachsenden Gesellschaft wohl nicht mehr zu befriedigen. Der neue Traum vom Paradies Die Idylle gemeinsamer Feldarbeit mit Hacke und Sense bei schönem Wetter finden wir nicht nur bei Morris, sondern in der Folge auch in weiteren Utopien. Paradiesische Lebensverhältnisse sind seit jeher ein Menschheitstraum. Die Naturverbundenheit kann so weit gehen, dass wilden Tieren der Jagdinstinkt weggezüchtet wird, Wolf und Lämmchen friedlich nebeneinander leben. Drei junge Männer landen zufällig auf einem abgeschiedenen Hochplateau, auf dem eine reine Frauengesellschaft lebt. Charlotte Perkins Gilman (1860–1935) zeigt in ihrer feministischen Utopie Herland (1915) nicht nur die sich ergebenden sozialen Missverständnisse und Verwerfungen, sondern auch ein eigenes Naturverständnis. Die Eingriffe in die Natur sind massiv und nachhaltig. Die Hochebene ist ein subtropischer Garten ohne Schädlinge und Unkraut, dafür mit reich tragenden Bäumen und Sträuchern. Eine völlig kultivierte Umwelt, ergänzt durch eine Abfallwirtschaft. Nutztiere sind abgeschafft, man ernährt sich rein vegetarisch. Und die Katzen lassen das Mausen. Die Frauen leben in einem vollendeten Kreislauf von Schwesternschaft, Mutterschaft und Natur. Bei Theodor Hertzka (1845–1924) zieht man in Freiland (1889) auf eine afrikanische Hochebene hinter einem Pass, genannt »Edental«. Hier lässt sich eine Kommune nieder, um ihren Traum vom genossenschaftlichen Leben zu verwirklichen. Dieses Buch löste um die...