E-Book, Deutsch
Wyndham Griff nach den Sternen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-19165-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-641-19165-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seit Menschengedenken locken uns die Sterne und das unendliche All - und wir konnten diesem Ruf nicht widerstehen. Also brachen die Menschen ins All auf und erweiterten Schritt für Schritt ihr Universum: Erst mit einer Raumstation im Erdorbit, dann Kolonien auf dem Mond und dem Mars. Die jüngste Verlockung am Nachthimmel ist die Venus, und die Raumfahrer, die dorthin fliegen werden, können auf eine lange, ereignisreiche Geschichte zurückblicken ...
John Wyndham Parkes Lucas Beynon Harris wurde am 10. Juli 1903 in der Nähe von Birmingham, England, geboren und besucht im Laufe seiner Schulzeit verschiedene Internate. Nach seinem Abschluss arbeitete er unter anderem als Landwirt, Grafiker und Werbefachmann, bevor er sich ab 1931 dem Schreiben widmete. Er ist einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren Englands und benutzte eine Reihe von Pseudonymen, darunter auch Lucas Parkes und John Beynon. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Verschlüsselungsexperte für das Royal Corps of Signals und nahm an der Landung in der Normandie teil. Nach dem Krieg wandte er sich, inspiriert und angespornt vom Erfolg seines Bruders Vivian Beynon Harris, erneut dem Schreiben zu. 1951 landete er mit Die Triffids einen Bestseller, dem sechs weitere Romane folgten. Zahlreiche seiner Werke wurden verfilmt, darunter auch Die Triffids und Das Dorf der Verdammten. John Wyndham starb am 11.3.1969 im Alter von 65 Jahren in London.
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2
2044 – Der Mond
Es klopfte zweimal an die Aluminiumtür. Der Stationskommandant stand mit dem Rücken zum Raum, blickte aus dem Fenster und schien nicht zu hören. Erst als das Klopfen wiederholt wurde, wandte er sich unwillig um.
»Herein«, sagte er in kaltem, unfreundlichem Ton.
Eine Frau von etwa dreißig Jahren trat ein. Sie war mittelgroß, gut gebaut und einfach gekleidet. Ihre vielleicht ein wenig herbe Erscheinung stand in einem seltsamen Gegensatz zu ihren weichen blaugrauen Augen; sie waren schön und auch intelligent.
»Guten Morgen«, sagte sie munter.
Er wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Man wird dich wahrscheinlich ächten«, sagte er dann.
Sie schüttelte ihren Kopf. »Ich tue nur meine Pflicht«, antwortete sie. »Bei Ärzten ist es etwas anderes. Sie genießen gewisse Privilegien, weil man sie für etwas ungewöhnlich, für nicht ganz menschlich hält.«
Er beobachtete sie und fragte sich wieder einmal, warum sie wohl in den Dienst der Streitkräfte getreten sein mochte. Anderswo hätte sie es ganz gewiss schneller zu etwas bringen können. Immerhin, die Uniform stand ihr nicht schlecht.
»Darf ich mich nicht setzen?«, fragte sie.
»Selbstverständlich darfst du, wenn du willst.«
Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und zog ein Zigarettenetui heraus, ohne ihren Blick von ihm abzuwenden.
»Entschuldige«, sagte er und hielt ihr eine Schachtel hin, die auf seinem Schreibtisch lag. Sie nahm eine Zigarette, ließ sich Feuer geben und schlug ihre Beine übereinander.
»Nun, was ist?«, fragte er mit einem Anflug von Ungeduld.
Sie blickte ihn ruhig an. »Du weißt recht gut, was es ist, Michael. Es ist ganz einfach, dass es so nicht geht.«
Er runzelte die Brauen. »Ellen, es wäre mir lieb, wenn du dich aus der Sache heraushalten würdest. Wenn es in dieser Station einen Menschen gibt, der nicht darin verwickelt ist, dann bist du es.«
»Unsinn, Michael. So einen Menschen gibt es hier nicht. Aber weil ich mit diesen unseligen Spannungen am wenigsten zu tun habe, bin ich gekommen, um mit dir zu sprechen. Jemand muss es tun. Du kannst es dir nicht leisten, in diesem Büro zu sitzen und zu schmollen, wie weiland Achilles in seinem Zelt, während Unzufriedenheit und Druck ständig wachsen.«
»Ein armseliger Vergleich, Ellen. Ich habe nicht mit meinen Vorgesetzten gestritten. Die anderen haben mit ihrem Vorgesetzten gestritten – mit mir.«
»Sie sehen es anders, Michael.«
Er wandte sich ab und ging wieder zum Fenster. Das hell einfallende Erdlicht ließ sein Gesicht bleicher erscheinen. »Ich weiß, was sie denken«, sagte er. »Sie haben es deutlich genug gezeigt. Eine Wand aus Eis steht zwischen ihnen und mir. Der Stationskommandant ist zum Paria geworden. Sie haben alle alten Vorurteile wieder hervorgekramt. Ich bin Ticker Troons Sohn – ein Mann, der durch schnelle Beförderung auf diesen Platz gekommen ist. Aus dem gleichen Grund bin ich mit fünfzig Jahren immer noch hier – fünf Jahre über dem festgesetzten Höchstalter – und hindere jüngere Männer am Aufstieg. Man weiß von mir, dass ich mich mit einem halben Dutzend Politikern überworfen habe und bei vielen einflussreichen Leuten im Raumfahrtministerium schlecht angeschrieben bin. Man glaubt meinem Urteil nicht vertrauen zu können, weil ich ein Idealist bin – mit anderen Worten: ein Mann, der eingleisig denkt. Man hätte mich schon vor Jahren aus dieser Position hinausgeschossen, wenn man nicht Angst vor dem öffentlichen Entrüstungssturm gehabt hätte. Und auch das wieder, weil ich der Sohn des Nationalhelden Ticker Troon bin.«
»Michael«, sagte sie ruhig. »Warum lässt du dich eigentlich zu solchen Gedankengängen hinreißen? Was steht dahinter?«
Er blickte sie scharf und ein wenig misstrauisch an.
»Was willst du damit sagen?«
»Genau das, was aus meinen Worten spricht. Was steckt hinter diesem Gefühlsausbruch? Du weißt sehr gut, dass du nicht hier sein würdest, wenn du dir deinen Rang nicht selbst verdient hättest. Man hätte dir irgendeinen harmlosen Schreibtischposten zugeschanzt, schon vor Jahren. Diese Form von Selbstmitleid passt nicht zu dir. Du hättest dich längst aus dem aktiven Dienst zurückziehen und ein bequemes Leben genießen können, aber das hast du nicht getan. Du hast den Namen, den dein Vater dir hinterließ, in die Hände genommen und eine Waffe daraus gemacht. Es war eine gute Waffe, und sie hat dir natürlich Feinde eingebracht. Aber du weißt so gut wie hunderttausend andere, dass wir heute nicht hier wären, wenn du diese Waffe nicht eingesetzt hättest. Es würde keine englische Mondstation geben, und dein Vater hätte sich umsonst geopfert.«
»Selbstmitleid …«, begann er ärgerlich.
»Falsches Selbstmitleid«, korrigierte sie.
Er wandte sich wieder ab. »Würdest du mir vielleicht sagen, welches Gefühl angemessen ist, wenn Männer, mit denen und für die du gearbeitet hast – Männer, die du für loyal, respektvoll und sogar anhänglich gehalten hast – in einer Krisenzeit plötzlich eisig ablehnend und feindselig werden? Ganz gewiss ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, stolz auf das Erreichte zu sein.«
Sie zögerte kurz. »Wie wäre es mit Verständnis?«, sagte sie dann. »Mit einer etwas größeren Bereitschaft, anderer Leute Ansichten zu würdigen – und vielleicht auch ihren Geisteszustand zu berücksichtigen?« Sie pausierte einige Sekunden. »Wir sind in diesen Tagen alle nicht ganz normal«, fuhr sie fort. »Zu viele Emotionen sind hier auf engem Raum zusammengepresst, als dass jemand die Möglichkeit hätte, unbeeinflusst und vernünftig zu urteilen. Einige leiden darunter mehr als andere. Und wir denken nicht alle in denselben Kategorien und Maßstäben.«
Troon antwortete nicht. Er hatte ihr seinen Rücken zugekehrt und blickte unverwandt aus dem Fenster. Sie stand auf und kam an seine Seite.
Der Ausblick war öde und rau. Im Vordergrund eine vollständig kahle Ebene, deren Eintönigkeit nur durch einzelne Felsbrocken und gelegentlich durch den niedrigen Wall eines kleinen Kraters unterbrochen wurde. Krasse Lichtgegensätze strengten die Augen an. Die beleuchteten Flächen reflektierten das Licht im reinsten, kältesten Weiß, während die Schattenpartien in pechschwarzer Finsternis lagen.
Jenseits der Ebene ragten zerrissene, wild gezackte Bergketten in den schwarzen Himmel. Neuankömmlinge reagierten gewöhnlich mit Furcht und Entsetzen auf diese Umwelt. »Eine tote Welt«, pflegten sie zu sagen, und ihre Stimmen klangen dann so beklommen, als sähen sie die gestaltgewordene Vision des Totenreichs.
Ein zu oberflächliches, erdgebundenes Gefühl, dachte Troon oftmals. Dies hier war nur die unpersönliche Wildheit der Natur, zufällig, gefroren und sinnlos, ähnlich dem, was die Griechen unter ihrem Begriff des Chaos verstanden hatten.
Über dem Horizont hing ein fluoreszierendes Viertelsegment der Erde; eine gewaltige, drohende Sichel über den nackten Sägezähnen der Berge. Troon blickte in ihr kaltes weißes Licht und schwieg. Die Ärztin kehrte zu ihrem Stuhl zurück.
»Ich kann mir ungefähr vorstellen«, sagte sie, »was diese Station für dich bedeutet. Du hast um ihre Errichtung gekämpft, und als sie stand, um ihre Erhaltung. Es ist deine Lebensaufgabe gewesen, der Sinn deiner Existenz, der zweite Schritt auf der Reise nach draußen. Dein Vater ist dafür gestorben; du hast dafür gelebt. Du hast ein Ideal bemuttert. Und jetzt musst du lernen – wie es jede Mutter lernen muss –, dass Entwöhnung etwas Notwendiges ist.
Jetzt ist Krieg dort oben. Er wütet seit zehn Tagen, und niemand weiß, welche Opfer er schon gefordert hat und welche er noch fordern wird. Der schlimmste Krieg in der Geschichte der Menschheit, und vielleicht ihr letzter. Millionenstädte sind zu Kratern, ganze Länder zu schwarzen Aschenwüsten geworden. Seen sind verdampft und als tödlicher Regen herabgefallen. Aber immer neue Rauchpilze erheben sich über die missbrauchte Erde, immer neue Feuermeere breiten sich aus, und neue Millionen Menschen sterben.«
Troon ging langsam zurück und setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs. »Jeder Grund, den Krieg zu hassen, ist ein guter Grund«, sagte er. »Aber einige Gründe sind besser als andere. Wenn du den Krieg hasst und abschaffen willst, einfach weil er Menschen tötet – nun, so gibt es auch eine Anzahl höchst beliebter Erfindungen, zum Beispiel das Auto und das Flugzeug, die du aus dem gleichen Grund verdammen und abschaffen könntest. Es ist grausam und gemein, Menschen zu töten – aber ihr Tod im Krieg ist Symptom, nicht Ursache. Ich hasse den Krieg nicht zuletzt, weil er schon seit langer Zeit dumm und sinnlos geworden ist. Aber jetzt ist er zu dumm, zu kostspielig und zu gefährlich geworden.«
»Darin stimme ich dir zu. Und überdies könnte viel von dem, was der Krieg vernichtet und was seine Vorbereitung kostet, besser zur Förderung von Raumprojekten verwendet werden.«
»Gewiss. Hier stehen wir an der Schwelle zum Universum, vor dem größten Abenteuer der Menschheitsgeschichte – und dieses engstirnige Gezänk geht immer weiter. Und jedes Mal, wenn es von neuem aufflammt, bringt es uns dem allgemeinen und totalen Selbstmord der Menschheit näher.«
»Andererseits«, wandte sie ein, »würden wir ohne die sogenannten strategischen Erfordernisse nicht hier sitzen.«
Er schüttelte seinen Kopf.
»Strategie ist vielleicht der am meisten augenfällige Grund, aber nicht der einzige. Wir sind hier, weil unser Zeitalter von dem Verlangen durchdrungen ist, Träume verwirklicht zu sehen....