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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Zabel Gelebte Utopie

Performative Straßenkunst in Innsbruck und anderswo. Mit einleitenden Texten von Thomas Hahn

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-7030-6577-4
Verlag: Universitätsverlag Wagner
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Tom Zabel hat seit Anfang der 1980er Jahre als professioneller Straßenkünstler viele Städte Europas bereist und ist dem Theater im öffentlichen Raum bis heute treu geblieben. Das Stadtarchiv Innsbruck gab die Anregung dazu, seine Erfahrungen der letzten vierzig Jahre festzuhalten. Ergebnis dieses Schreibprozesses ist das vorliegende Buch. Neben Einblicken in sein Schaffen gibt Zabel einen Überblick über die vielen Ausdrucksformen darstellender und musikalischer Straßenkunst, sowohl national als auch international. Die Tiroler Landeshauptstadt dient dabei als Fallbeispiel.
Der Bogen spannt sich von den sogenannten Buskern, die mitten im Alltag für ein „Hutgeld“ auftreten, bis zu den Ensembles, wie etwa Royal de Luxe, die ganze Städte bespielen und nur für Veranstaltungen mit einem entsprechend hohem Budget leistbar sind. Vorgestellt werden neben vielen Einzelkünstler*innen auch Gruppen aus Tirol, wie Zirkus Meer, die 3 Herren und du & nichts, aus Österreich, wie Irrwisch, Vis Plastica und die Kompagnie von Willi Dorner, sowie aus ganz Europa, darunter The Natural Theatre Company, Otto & Bernelli und Odin Teatret. Berichte über Festivals wie das Festival der Träume (Innsbruck), Olala (Lienz), Inpuls (Dornbirn), La Strada (Graz), Mimos (Perigueux) und Oerol (Terschelling) runden diesen Teil ab. Daneben werden Einblicke in Organisationen gewährt, die diese Sparte vertreten und fördern, wie den deutschen Bundesverband Theater im öffentlichen Raum, das europäische Netzwerk In Situ oder das afrikanische Ma Rue. Den Abschluss bilden über ein Dutzend Interviews, die Zabel mit einigen der Protagonist*innen geführt hat.
Der in Paris lebende Kulturjournalist Thomas Hahn ergänzt und kommentiert als Kenner der weltweit maßgeblichen französischen Straßenkunstszene den Blick des Künstlers auf sein Metier.
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3. Kontakte und Konflikte Straßenmusik ist Subversion! Die Musik ist das Herzstück und der Ausgangspunkt aller Straßenkunst, angefangen bei den mittelalterlichen MinnesängerInnen. Doch auch ErzählerInnen und Gaukler-Innen gehören zum Repertoire, seit sich die Menschen in Europa in Städten zusammenschlossen. Wenn heute von Straßentheater oder Straßenkunst die Rede ist, meinen wir dagegen eine Bewegung, die in den 1960er und 1970er Jahren entstand, getragen von dem Streben nach künstlerischer und gesellschaftlicher Freiheit. Der Grand Magic Circus, eine Truppe von WanderkünstlerInnen, gegründet von Jérôme Savary (1942–2013), lebte diesen Geist kollektiv in Musik und Gauklertum. Sie traten outdoor auf, obwohl das untersagt war. Das clowneske und musikalische Wandervölkchen wurde zum Epizentrum einer Szene, die auf Gemeinschaft und Vermischung der Kunstsprachen setzte. Die szenische Dimension stand so von Anfang an im Mittelpunkt. Doch Theater war damals noch ausschließlich eine Disziplin von Wort und Text. Nur Brecht hatte Musik integriert. Das Straßentheater kannte dagegen keinerlei Hierarchie zwischen den Disziplinen. Bald gründeten sich auch musikalische Ensembles wie Brass Bands, die szenische Themen, Kostüme und Figuren in ihre Arbeit einflochten. Ein Meister dieses Fachs ist zum Beispiel Ulik (Compagnie Le Snob), der in Stücken wie „Glissendo“ Ton, Form und Bewegung in Einklang bringt. Doch derartig aufwändige Inszenierungen bedürfen der gesamten Infrastruktur professionell organisierter Festivals und verursachen bereits in der Entstehung beträchtliche Kosten, die nur in einem mit Steuergeldern finanzierten System wieder eingespielt werden können. Die ursprüngliche Idee eines Daseins in Freiheit ist damit infrage gestellt. Intensiver wird Autonomie in der Szene der Busker weiter gelebt. Hier zieht man spontan weiter, findet zusammen und geht wieder auseinander, immer dabei, die behördlich gesetzten Grenzen der Freiheit am eigenen Leib zu erfahren. Die von Tom Zabel beschriebenen Episoden und Anekdoten aus seinem Leben als Straßenkünstler sprechen Bände. T. H. Nach einigen Tagen in der Schweiz kommen wir in Paris an und treten dort ein paar Mal im Quartier Latin auf. Nachdem dort jemand vom Balkon einen mit Wasser gefüllten Plastiksack hinunterwirft, der neben uns zerplatzt, brechen wir die Vorführung ab und gehen zum Auto zurück. Dort angekommen, müssen wir feststellen, dass man uns beraubt hat. Es ist ernüchternd, von der Polizei zu hören, dass dies leider an der Tagesordnung sei. Aber bevor wir wieder abreisen, studieren wir noch ausführlich die Szene der StraßenkünstlerInnen vor dem Centre Pompidou. Als nächste Etappe fahren wir zum Festival d‘Avignon, wo wir in der Stadt auftreten. Wir sehen u.a. dort zum ersten Mal die Gruppe Natural Theatre Company, wie sie als eine fingierte Hochzeitsgesellschaft PassantInnen in die Kirche lockt, um dort ihrer grotesken Zeremonie beizuwohnen. Nach einem weiteren Auftritt von uns auf dem großen Kunsthandwerksmarkt schauen wir bei den Vorbereitungen eines kleinen Wanderzirkus zu. Sie nennen sich Circus Hazard und haben uns vorher selbst beobachtet. Sie fragen uns, ob wir mit Musik Werbung für ihre Show machen können, was wir gerne tun. Als sie nach ihrer Darbietung bei den ZuschauerInnen Geld sammeln, beobachtet ein Passant ein Romamädchen, wie es ebenfalls absammelt. Er nimmt ihm den Behälter weg und leert den Inhalt in den Hut der Truppe. Als wir zwei danach beim Tourneebus der Gruppe herumstehen und den anderen beim Einpacken Gesellschaft leisten, tauchen plötzlich einige Männer auf und beginnen, die Truppe zu beschimpfen und zu behaupten, sie hätte dem Mädchen Geld gestohlen. Sie drohen ihnen, wenn sie nicht bis zum nächsten Morgen verschwunden seien, könnten sie für nichts garantieren. Und als sie uns beide sehen, meinen sie nur: „Und das gilt auch für Euch!“ Die Polizei, die wir gleich danach rufen, rät uns, dem Folge zu leisten, da sie auf diese Randgruppe keinen wirklichen Einfluss nehmen könne. So reisen wir gezwungenermaßen mit der Truppe des Circus Hazard weiter. Es werden drei aufregende Wochen, in denen wir mit ihnen gemeinsam auf verschiedenen Plätzen und Festivals in Südfrankreich auftreten. Danach geht es für Juliane und mich weiter nach Italien. In der Nähe von Rom wollen wir ein Seminar der bekannten Colombaioni-Clowns besuchen, zu denen man im Archiv des dänischen Odin Teatret einen Link zu einem Video von 1968 findet. Das Seminar ist leider ausgebucht, aber wir dürfen dort für zwei Tage übernachten, mit den Teilnehmern ein Video eines ihrer legendären Auftritte anschauen und einem der Clowns eine Kostprobe aus unserem Programm vorspielen und um seine Meinung bitten. Ich erinnere mich nur an das Wesentlichste und werde dies auch nie vergessen: „90% der Requisiten benötigt ihr eigentlich gar nicht!“ Ich verstehe durchaus, was er damit meint, brauche aber noch lange, um wirklich zu diesem Punkt zu kommen. Wir treten einige Mal bei der Piazza Navona auf und ein Herr fragt uns, ob er von uns ein Video machen kann. Wir verabreden uns also für den Sonntagmorgen. Kurz vor Ende unserer Darbietung fällt mir ein Fotograf auf, den ich danach anspreche. Er meint, ja, er habe ein paar Fotos gemacht und wenn wir möchten, könnten wir in den nächsten Tagen einmal bei ihm vorbeikommen und sie anschauen, wozu wir einwilligen. Aber zuvor hat uns noch der andere Herr direkt danach eingeladen, bei ihm zuhause den Film anzusehen. Wir gehen also mit ihm, seiner Frau und ihrem Baby zu ihnen. Als wir das Video dann sehen, sind wir einigermaßen enttäuscht, sieht man doch darauf meistens seinen Sprössling, wie er aus dem Kinderwagen heraus in die Kamera lächelt. Dagegen ist der Besuch bei dem Fotografen eine positive Überraschung, denn seine Bilder sind eines schöner als das andere. Dieser Diplomat, der die Fotografie aus großer Leidenschaft betreibt, lebt mit seiner Frau, einer bekannten Stoffdesignerin, in einer wunderschönen Wohnung direkt im Zentrum von Rom. Juliane Spitta und Tom Zabel, Piazza Navona, Rom 1982. 2019 lässt mir Juliane ihre Erinnerung an diese Anekdote zukommen: „Und lustig ist, dass der nette Fotograf in Rom der Direktor der FAO war – Riad Traboulsi. Und der andere Herr, der das Video machte, war der damalige Direktor der Friedrich Naumann Stiftung. Letzterer behauptete, dass er mit Rudi Dutschke zusammen in einer WG gelebt habe. Und jetzt fand er, dass man den Kapitalismus nicht ändern könne, also solle man von ihm profitieren und sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen sichern. Ich fand ihn peinlich und bescheuert. Wir saßen aber viele Abende bei dem Fotografen, mit dem uns eine tiefe Sympathie verband. Er bereitete uns immer leckere, liebevoll angerichtete Speisen und sah uns dann mit einigem Abstand freundlich und still beim Essen zu. Die besten Früchte, Tomaten, Oliven und Käse, die ich kannte. Danach sprachen wir und er zeigte uns seine wunderbaren Schwarzweißbilder. Was für ein Streetphotographer!!! Und was für ein feiner, gebildeter Mann … Leider wohl etwas zu bescheiden, denn man kennt seine Fotos nicht.“ Allerdings hat er mittlerweile ein Buch veröffentlicht und ist auch mit einer Website im Internet vertreten. Dieses Buch von 1982 enthält u.a. eine Sammlung von grandiosen Fotos berühmter Clowns aus 100 Jahren und eine ins Deutsche übertragene fundierte Abhandlung über die Geschichte des Clowns vom Herausgeber. 1983 sind Juliane und ich seit einiger Zeit wieder in Wien und treten draußen beim Festival der Clowns auf der Jesuitenwiese im Prater auf. Der vielseitige Kulturmanager Alf Krauliz hatte es für die Festwochen produziert. Dort sehen wir zum ersten Mal Jango Edwards und Johnny Melville. Bernd Uhlig hat hier Johnny Melville 1982 fotografisch festgehalten. Das Plakat aus demselben Jahr stammt von Gottfried Helnwein. Das Plakat für das Festival der Clowns 1983 gestaltete Jörg Huber, welcher auch zahlreiche weitere Plakate für Zirkusse und Zauberkünstler geschaffen hat. Huber studierte, wie Helnwein an der „Graphischen“, an der ich zu Beginn meiner Zeit in Wien nach der Kunstakademie München ein drittes und letztes Mal als Aktmodell gearbeitet habe. Der stellvertretende Leiter des Wiener Circus- und Clownmuseum Michael Swatosch war so nett und nahm für diese Publikation beide Poster aus dem Rahmen der ständigen Ausstellung und fotografierte sie ab. Wir nehmen sogar an einem Clownwettbewerb teil, wie im Übrigen auch Miki Malör, eine andere Künstlerin und Powerfrau der österreichischen freien Theaterszene. Vier Jahre später traut sich André Heller, die Genregrenzen der teils elitären Bildenden Kunst zu sprengen, in dem er für die Ausstattung „seines“ Vergnügungsparks Luna Luna in Hamburg zahlreiche bekannte zeitgenössische KünstlerInnen (u.a. Roy Lichtenstein, Salvador Dali, Joseph Beuys) einbinden kann. Wenn es darum geht, wer etwas Ähnliches davor bereits gemacht hat, muss Harry Kramer genannt werden. Auch Herbert Waltl bittet nach der Jahrtausendwende für das Festival der Träume in Innsbruck mit Oswald Oberhuber einen der bekanntesten Tiroler bildenden Künstler, ein...


Tom Zabel, geboren 1956, Gasthörer an der Kunsthochschule HdK in Kassel bei Harry Kramer (1979), Studium an der Hochschule für angewandte Kunst bei Peter Weibel und Bernhard Leitner in Wien (1983–1989). Weiterbildung in Tanz, Clown und Theater bei renommierten internationalen Lehrern. Seit 1982 als professioneller Performer im In- und Ausland tätig. Konzipierte eine Vielzahl an Programmen und Darbietungen, vorwiegend für den öffentlichen Raum, darunter viele Darbietungen und Programme für Kinder, einiges für Menschen jeden Alters und manches nur für Erwachsene. 1997 gemeinsam mit zwei Kollegen Gründung der Theatergruppe „du & nichts“, die international Erfolg hat. Von 1974 bis heute auch als bildender Künstler mit Schwerpunkt Performancekunst aktiv. Unter anderem Kurator und Organisator von zwei internationalen (1996 und 2007) und einem nationalen (2005) Festival zum Thema „Performancekunst“. Daneben Vermittlungsarbeit in Workshops und Vorträgen.


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