E-Book, Deutsch, Band 43, 337 Seiten
Reihe: Pulp Master
Zeltserman Small Crimes
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-927734-84-5
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 43, 337 Seiten
Reihe: Pulp Master
ISBN: 978-3-927734-84-5
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cop Joe Denton wird auf Bewährung entlassen. Sieben Jahre zuvor verletzte er den Bezirksstaatsanwalt der Kleinstadt Bradley schwer und verübte einen Brandanschlag auf dessen Büro. Damals nahm Joe alle Schuld auf sich und deckte den korrupten Polizeiapparat. Inzwischen jedoch liegt der örtliche Mafiaboss Manny Vassey mit Krebs im Endstadium auf Intensiv und der einst attackierte Staatsanwalt versucht seit Wochen, Vassey ins Gewissen zu reden und ihn zu einem umfassenden Geständnis zu bewegen. Das würde weitere zehn bis zwanzig Jahre Knast für Denton bedeuten, etliche andere Beamte ebenfalls belasten und die Cops mit dem Rotlichtmilieu in Verbindung bringen ... Der nihilistische Thriller von Dave Z. steht in der Tradition Jim Thompsons und James M.Cains und entwirft das Bild eines desillusionierten Kriminellen, dem allmählich dämmert, dass er alles nur noch verschlimmbessert. Die Verfilmung von Evan Katz wird weltweit auf Netflix ausgestrahlt, mit Nikolaj Coster-Waldau als Joe Denton.
Dave Zeltserman wurde in Boston geboren und arbeitete dort mehrere Jahre als Software-Entwickler. Er begann zu schreiben und machte mit knallharten Noir Romanen in der Tradition eines Jim Thompson auf sich aufmerksam. Heute zählt er zu den einflussreichsten Krimi- und Horrorautoren der USA. Zeltserman lebt mit seiner Frau in Newton, Massachusetts und widmet jede freie Minute den Martial Arts.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Dave Zeltserman Small Crimes Kapitel 1
Es sollte unsere letzte Partie Dame sein. Für gewöhnlich spielten wir in meiner Zelle; diese letzte Partie jedoch spielten wir in Morris’ Büro. Im Verlaufe der letzten sieben Jahre hatten wir Zehntausende Partien ausgetragen. Jede vierte oder fünfte hatte ich für mich entschieden, bei den übrigen hatte ich Morris über mich triumphieren lassen. Morris Smith leitete das Gefängnis in Bradley. Er war ein großer, beleibter Mann Anfang sechzig, mit weichem, wulstigem Gesicht und kleinen Haarbüscheln, die seinen nahezu kahlen Schädel umrahmten. Ich mochte Morris – zumindest so, wie ich jeden mochte, den ich mochte. In diesen sieben Jahren hätte er mir das Leben schwer machen können; stattdessen behandelte er mich so gut wie irgend möglich. Ich brauchte ein paar Sekunden, um den Spielstand zu analysieren, und sah, dass ich eine Überlegenheit bei den Spielsteinen und den sicheren Sieg herbeiführen konnte, mich aber auch einem gegnerischen Dreifachschlagen hätte aussetzen können. Ein paar Minuten gab ich den in Gedanken Versunkenen und machte dann den Zug, der Morris das Dreifachschlagen ermöglichte. Morris saß schweigend da, seine kleinen Augen spielten pfeilschnell alle möglichen Züge durch. Ich sah ein kurzes Flackern in seinen Augen, als er die Spielkombination für das Dreifachschlagen erkannte, und verfolgte, durchaus belustigt, seine Bemühungen, ein Lächeln zu unterdrücken. Er brachte seinen Stein in Position – mit einer großen, dicken Hand, die zitterte. »Sieht so aus, als hättest du einen Fehler gemacht, junger Freund«, sagte er, seine Stimme ein tiefes Krächzen. Ich verharrte für einen längeren Augenblick, fluchte dann als Beweis für meine Einsicht, dass ich es vermasselt hatte. Einen letzten Kraftausdruck auf den Lippen, machte ich den mir aufgenötigten Zug und beobachtete Morris, der sich auf seinen Spielstein stürzte, sein Mehrfachschlagen ausführte und meine Spielsteine einsammelte. »Das dürfte es gewesen sein«, sagte er. Wir spielten die Partie zu Ende. Mir war klar, welch große Genugtuung Morris empfand, als er den letzten Spielstein vom Brett nehmen konnte. Die Partie war vorbei, er lächelte verhalten und streckte mir die Hand für einen versöhnlichen Handschlag entgegen. »Du bist ein guter Gegner gewesen«, sagte er, »sieht man von diesem einen Fehler ab.«
»Was soll ich sagen? Du hast mir sieben Jahre lang gezeigt, wo der Hammer hängt. Ich muss nun mal anerkennen, dass ich meinen Meister gefunden habe.«
Morris lachte in sich hinein, sichtlich zufrieden mit sich. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Deine Papiere sind fertig. Du bist ein freier Mann. Aber wenn du möchtest, lasse ich uns was zum Lunch kommen und dann könnten wir noch eine Partie spielen.«
»Hätte ich eigentlich nichts dagegen, aber sieben Jahre waren eine lange Zeit. Schon seit einer Weile wünsche ich mir nichts sehnlicher als einen Cheeseburger und ein Bier.«
»Ich kann dafür sorgen, dass man uns das bringt.«
»Nun, ja«, sagte ich zögernd, »aber damit handelst du dir womöglich Ärger ein, Morris. Außerdem wäre es hier drinnen nicht dasselbe. Ist nicht böse gemeint.«
Er nickte, ein wenig Enttäuschung im runden Gesicht. »In den letzten Jahren habe ich durchaus Sympathien für dich entwickelt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das könnte. Nicht nach dem, was du getan hast, um hier zu landen. Darf ich dir einen freundschaftlichen Rat geben?«
»Na klar.«
»Fang irgendwo noch mal von vorn an. Vielleicht in Florida? Ich für meinen Teil ziehe nach Sarasota, sobald ich in Rente bin. Ihre ekelhaften Winter in New England können sie sich an den Hut stecken.«
»Kein schlechter Vorschlag, aber eine meiner Bewährungsauflagen sieht vor, dass ich in Bradley bleibe – «
»Du könntest ein Gesuch einreichen, den Wohnort wechseln zu dürfen.«
»Ja, vermutlich könnte ich das, aber meine Eltern kommen allmählich in die Jahre und ich würde gern Versäumtes nachholen.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich hoffe, du denkst wenigstens mal drüber nach. Ich bin nicht der Ansicht, dass Bradley noch das Richtige für dich ist.«
»Ich bin dir dankbar für deinen Ratschlag. Doch was das betrifft, sind mir die Hände gebunden. Zumindest momentan.«
Wir standen auf und gaben uns die Hand. Ich drehte mich um, nahm meine Reisetasche und Morris fragte, ob ich meine Eltern anrufen wolle, damit sie mich abholten. Ich erklärte ihm, dass ich ein Taxi nähme. Ich telefonierte kurz, unterschrieb, was immer an Papieren zu unterschreiben war, und dann begleitete mich Morris hinaus. Draußen wartete bereits ein Taxi auf mich, doch ein Mann beugte sich hinein und sprach mit dem Fahrer. Das Taxi fuhr davon, und als der Mann aufrecht dastand, erkannte ich ihn sofort. Ich kam gar nicht umhin, so zerschnitten, wie sein Gesicht war, dazu das fehlende Gewebe an seiner Nase. Er war einst ein gut aussehender Mann gewesen ... bevor man dreizehnmal auf sein Gesicht eingestochen hatte. Morris fühlte sich offenbar nicht ganz wohl in seiner Haut. »Nun, äh«, sagte er, »es hat mich gefreut, dass du mein Gast gewesen bist, junger Freund. Solltest du mal für eine Lektion in Sachen Theorie des Damespiels vorbeischauen wollen, nur zu!« Dann ernst: »Halt dir Probleme vom Leib.«
Er klopfte mir leicht auf den Rücken, winkte dem anderen Mann zu und verschwand im Gebäude. Der Mann stand mit einem Lächeln da, das seine Augen nicht erreichte. Sein Anblick hatte etwas vom Anblick einer Klapperschlange mit geöffnetem Maul. Ich begrüßte ihn mit einem Nicken. »Ich will keinen Ärger, Phil.«
Phil Coakley grinste mich an, seine Augen hart wie Glas. Phil war unser Bezirksstaatsanwalt. Dass man dreizehnmal auf sein Gesicht eingestochen hatte, wusste ich, da es die Anzahl Stiche war, von denen man mir gesagt hatte, ich hätte sie seinem Gesicht zugefügt. Das war der maßgebliche Grund, weshalb ich sieben Jahre im Gefängnis zugebracht hatte. »Was passiert ist, tut mir leid«, sagte ich und blieb auf Abstand. Phil winkte mich zu sich heran, sein Grinsen unberührt, seine Augen noch immer ohne Regung. »Ich will auch keinen Ärger, Joe«, sagte er. »Wenn’s nach mir ginge, hättest du deine Schuld an der Gesellschaft abgetragen, und was geschehen ist, ist geschehen. Ich will nur was klären, will sichergehen, dass nichts zwischen uns steht. Komm doch näher. Lass uns kurz reden.«
Es gefiel mir nicht, aber ich hatte nicht das Gefühl, vor einer Alternative zu stehen. Als ich mich auf ihn zubewegte, konnte ich die Vernarbungen in seinem Gesicht deutlicher erkennen, und es war das Einzige, was mich abhalten konnte wegzuschauen. Von Nahem betrachtet war die Verwüstung noch dramatischer. Man hätte meinen können, jemand habe Tic-Tac-Toe in seinem Gesicht gespielt. Als handele es sich bei ihm um eine groteske Karikatur aus einem Dick-Tracy-Comic. Partien seines Gesichts bildeten mit anderen Partien keine Einheit, und dann dieses Gewebe, das an seiner Nase fehlte – du lieber Himmel! So hart es auch war, ich blickte ihm geradewegs ins Gesicht. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, Joe«, sagte er, »aber ich habe den Taxifahrer gebeten, später wiederzukommen. So können wir uns ein paar Minuten unterhalten.«
»Klar, das geht schon in Ordnung.«
»Ich habe fast eine Stunde hier draußen gewartet. Deine Haftentlassung war eigentlich für den Mittag angesetzt.«
»Du kennst doch Morris. Er lässt sich bei allem Zeit.«
Phil nickte träge. »Sieh dich nur an«, sagte er. »Joe, ich habe den Eindruck, Gefängnis kann dir nichts anhaben. Dein Bierbauch ist weg. Verdammt, du siehst besser aus als noch vor Jahren. Ich befürchte nur, du kannst das Gleiche nicht von mir behaupten.«
»Gäbe es eine Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen und es ungeschehen zu machen, was ich getan habe – «
»Ja, ich weiß, mach dir deswegen keinen Kopf. Was passiert ist, ist passiert.« Er hielt inne, sein Grinsen wurde wieder härter. »Ich habe mich oft gefragt, wie es dir gelungen ist, deine Zeit in einem normalen Gefängnis abzusitzen. Brandstiftung, versuchter Mord, Verstümmelung eines Bezirksstaatsanwalts, und du sitzt am Ende in einem normalen Gefängnis. In den letzten sieben Jahren habe ich alles darangesetzt, deine Verlegung in ein Hochsicherheitsgefängnis zu erwirken, doch mir scheint, du bist ein Glückskind. Selbst noch Craig Simpson als Bewährungshelfer an Land zu ziehen ... «
Ich sagte nichts. Er zuckte unbeeindruckt mit den Schultern, grinste noch immer. »Doch das gehört alles der Vergangenheit an«, fuhr er fort. »Du hast deine Schuld beglichen, wenngleich...