E-Book, Deutsch, 150 Seiten
Reihe: nuggets
Zerres Start-ups und EU-Recht
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-381-13573-8
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was junge Unternehmen im internationalen Geschäft beachten müssen
E-Book, Deutsch, 150 Seiten
Reihe: nuggets
ISBN: 978-3-381-13573-8
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Buch gliedert sich in drei Teile:
Im ersten Teil geht es zunächst darum, einen Überblick darüber zu geben, was EU-Recht überhaupt ist, welche Arten es gibt und welche Akteure auf europäischer Ebene für die Rechtsetzung und die Rechtsprechung zuständig sind.
Im zweiten Teil geht es dann um die zur Schaffung und Aufrechterhaltung eines Binnenmarktes wichtigen 'Grundfreiheiten' sowie um die grundsätzliche Sicherung eines freien Wettbewerbs durch die Regelungen des europäischen Wettbewerbsrechts.
Im dritten Teil werden die für Start-ups relevanten und durch EU-Recht harmonisierten Rechtsbereiche vorgestellt. Dabei geht es um den Datenschutz, das Preisrecht und - ganz aktuell - um die neue KI-Verordnung der EU.
Prof. Dr. Michael Zerres war Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, speziell Marketing, an der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Dienstleistungsmarketing, das Marketingcontrolling und das Marketingrecht.
Prof. Dr. Thomas Zerres lehrt Zivil- und Wirtschaftsrecht an der Hochschule Konstanz. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind das Bürgerliche Recht, das Marketingrecht sowie das Europäische Wirtschaftsrecht.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
4.2 Gemeinsamer Prüfungsrahmen
von Grundfreiheiten
Anwendbarkeit und Schutzbereich
Ob eine bestimmte Maßnahme gegen eine Grundfreiheit verstößt, wird vom EuGH üblicherweise in drei Schritten geprüft, um die einschlägigen Rechtsfragen voneinander trennen zu können. Dieses Schema ist vergleichbar mit der Prüfung des Vorliegens von Grundrechtsverletzungen im deutschen Recht: Anwendungsbereich der Grundfreiheit, Vorliegen einer Beeinträchtigung und Rechtfertigung der Beeinträchtigung. Zunächst geht es um die Feststellung, dass die Grundfreiheit unmittelbar im nationalen Recht anwendbar ist. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob die EU in diesem betreffenden Bereich bereits sogenanntes Sekundärrecht mit dem Ziel einer Rechtsangleichung unter Bezugnahme auf die Kompetenzgrundlage nach Art. 114 AEUV geschaffen hat. Existiert eine solche Norm, zum Beispiel eine Verordnung oder eine Richtlinie, dann ist diese Regelung vorrangig zu beachten. Soweit dies nicht der Fall ist, geht es um die Frage, ob der Schutz- beziehungsweise der Anwendungsbereich der Grundfreiheit betroffen sind. Dabei dient der sachliche Anwendungsbereich der Abgrenzung der Grundfreiheiten untereinander. Zu ermitteln ist der Tatbestand der jeweiligen Grundfreiheit, das heißt also, ob es sich um Waren, Dienstleistungen, Niederlassung usw. handelt. Dabei kommt es auf den wirtschaftlichen Kern der Grundfreiheiten an. Rein karitative Tätigkeiten sind vom Schutzbereich aller Grundfreiheiten ausgenommen. Dagegen schließt ein nichtwirtschaftlicher Bezug einer Tätigkeit, wie zum Beispiel Sport oder Bildung, den Anwendungsbereich nicht aus. Zu beachten ist, dass bestimmte Bereiche vom Anwendungsbereich einer Grundfreiheit ausgenommen sein können. So gilt etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht für bestimmte Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung (Art. 51 AEUV), sofern deren Tätigkeit unmittelbar mit der Ausübung von öffentlicher beziehungsweise hoheitlicher Gewalt verbunden ist. Dieses Merkmal wird vom EuGH allerdings restriktiv ausgelegt, so dass im Prinzip nur Tätigkeiten, wie zum Beispiel Polizei, Streitkräfte, Rechtspflege oder Steuerverwaltung, darunter fallen, während staatliche Einrichtungen, die mit der Verwaltung und der Erbringung von Dienstleistungen betraut sind, nicht zur Ausübung öffentlicher Gewalt zählen. Bei den Personenverkehrsfreiheiten ist in diesem Zusammenhang auch der persönliche Anwendungsbereich zu prüfen. Grundsätzlich sind Träger der Grundfreiheiten alle Unionsbürger (Art. 45 Abs. 2, 49, 56 AEUV). Die Niederlassungsfreiheit erstreckt sich nach Art. 54 AEUV (für die Dienstleistungsfreiheit vgl. Art. 62 AEUV) auch auf Gesellschaften, die nach den Vorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihre Hauptverwaltung in der EU haben. Zudem muss der Sachverhalt grenzüberschreitend sein, das heißt, reine Inlandsachverhalte unterliegen nicht den Grundfreiheiten. So müssen zum Beispiel Waren, Personen oder Dienstleistungen eine Landesgrenze innerhalb der EU überschreiten; zumindest muss eine derartige Grenzüberschreitung geplant sein. Vorliegen einer Beeinträchtigung
Zweitens geht es um die Feststellung, ob eine Beeinträchtigung durch Adressaten der Grundfreiheiten vorliegt. Adressaten der Grundfreiheiten sind die Mitgliedstaaten und die Organe der EU. Ausnahmsweise können auch private Akteure den Binnenmarkt beeinträchtigen, wenn deren Handeln dem Mitgliedstaat funktional zuzurechnen ist. So hat der EuGH eine Beeinträchtigung darin gesehen, dass eine GmbH, die vom Staat mit hoheitlichen Aufgaben (hier: Lebensmittelkontrolle) beauftragt worden ist, das deutsche CMA-Gütesiegel vergibt (EuGH, C-325/00, in NJW 2002, 3609). Für die Arbeitnehmerfreizügigkeit hatte der EuGH ausnahmsweise die Schutzwirkung auch gegenüber Eingriffen durch einen privaten Arbeitgeber anerkannt, wobei diese Drittwirkung auf das Diskriminierungsverbot beschränkt worden ist (EuGH, Rs. 281/ 98, Urteil vom 6.6.2000, Slg. 2000, I-4139, EuZW 2000, 468 – Angonese); ebenso wurde eine Bindungswirkung anerkannt, wenn staatliches Recht durch private Regelungen ersetzt wurde, wie etwa die Satzung eines Fußballverbandes (EuGH, Urteil v. 15.12.1995, RS C-415/93, Slg. 1995, I-4921, in NJW 1996, 505ff. – Bosman). Damit sollte gerade im Bereich des Arbeitsrechts verhindert werden, dass verbotene staatliche Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf dem Umweg über privatrechtliche Vereinbarungen ermöglicht werden. In der „Bosman-Entscheidung“ ging es vor allem um die Transferregelungen im Profi-Fußball. Nach den Statuten der europäischen Berufs-Fußballverbände durften damals bei Meisterschaftsspielen nicht mehr als drei Ausländer gleichzeitig eingesetzt werden. Bei einem Vereinswechsel eines Spielers war auch nach Ablauf des Vertrages durch den neuen Verein an den bisherigen Verein eine Ablösesumme zu zahlen (die nicht selten Beträge von mehreren Millionen Euro erreichte). Der Kläger Bosman, der bei einem belgischen Fußballverein unter Vertrag stand, wollte keine weitere Vertragsverlängerung zu geringeren Bezügen und wurde auf die Transferliste gesetzt. Ein Transfer mit einem französischen Fußballverein (aus der zweiten Liga) scheiterte, weil dieser nicht bereit war, die verlangte Ablösesumme zu zahlen und der belgische Verein des Klägers daher keine Freigabe durch den Verband beantragte. Bosman klagte daraufhin gegen diese Beschränkung vor einem belgischen Gericht. Das Gericht legte im Rahmen dieses Verfahrens die Frage der Konformität dieser Statuten mit den Grundfreiheiten dem EuGH zur Prüfung vor. Art. 45 AEUV gilt auch bei privaten Rechtsverhältnissen; Berufssport zählt dabei als wirtschaftliche Tätigkeit. Der EuGH sah sowohl in der Transferregelung als auch in der den Einsatz von Ausländern bei Meisterschaftsspielen beschränkenden Klauseln einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), da es sich hier um eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit handelte. Eine Rechtfertigung, zum Beispiel wegen sportlicher Gründe beziehungsweise berechtigten Interessen der auszubildenden Vereine, hat der EuGH in diesem Fall nicht anerkannt. Damit soll gerade im Bereich des Arbeitsrechts verhindert werden, dass verbotene staatliche Beschränkungen der Freiheit auf dem Umweg über privatrechtliche Vereinbarungen aufgehoben werden und damit der Zugang zum (ausländischen) Arbeitsmarkt versperrt würde. Zudem ist der überwiegende Teil der Arbeitsverhältnisse privatrechtlicher Natur, so dass eine Beschränkung auf staatliche Arbeitsverhältnisse die Arbeitnehmerfreizügigkeit faktisch wirkungslos machen würde. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist als eine Beeinträchtigung jede Maßnahme anzusehen, die Auslandssachverhalte schlechter behandelt als inländische. So dürfen ausländische Unionsbürger oder rechtmäßig hergestellte beziehungsweise in die EU importierte Waren aus anderen EU-Staaten nicht schlechter behandelt werden als inländische Staatsbürger oder inländische Waren. Diese Grundfreiheiten zielen damit quasi auf offene Diskriminierungen ab. Ebenso verboten sind aber auch versteckte Diskriminierungen, denen ausländische Produkte oder Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten typischerweise begegnen; dies gilt zum Beispiel für Wohnsitzerfordernisse oder Transportwege. Eine Beeinträchtigung wäre zum Beispiel eine Regelung, nach der in Deutschland Frischfleisch nur zugelassen wird, wenn die Dauer des Transports von der Schlachtung bis zum Verkaufsort eine Stunde nicht überschreitet. Es handelt sich damit im Endeffekt um eine Ausgestaltung des allgemeinen Diskriminierungsverbots, das auf eine Inländergleichbehandlung abzielt. Der EuGH erweiterte im Rahmen von mehreren Entscheidungen, insbesondere zunächst zur Warenverkehrsfreiheit, den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten, in dem er eine Beeinträchtigung bereits dann annahm, wenn nationale Maßnahmen die Ausübung der Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können. Eine Beeinträchtigung liegt danach nicht nur bei Diskriminierungen vor, sondern auch bei (diskriminierungsfreien) Beschränkungen, das heißt, dass auch vollständig diskriminierungsfreie Maßnahmen einen Eingriff in die Grundfreiheit darstellen können. Zum besseren Verständnis dieser nicht einfach nachzuvollziehenden Rechtsprechung des EuGH sollen daher die grundlegenden Entscheidungen zur Warenverkehrsfreiheit im Folgenden kurz dargestellt werden. Zum Schutz des freien Warenverkehrs sind nach Art. 34 und 35 AEUV mengenmäßige Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen von Waren und „Maßnahmen gleicher Wirkung“ verboten. In seiner Entscheidung (EuGH, Urteil v. 11.07.1974, C-8/74; Slg., 1974, S. 837 ff. – Dassonville) definierte der EuGH den Begriff „Maßnahme gleicher Wirkung“ (Art. 34 AEUV) als „jede Handelsregelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern“. In der Entscheidung ging es darum, dass gegen einen belgischen Händler aufgrund eines fehlenden – nach belgischem Recht notwendigen – Ursprungsnachweises für aus Frankreich eingeführten Whisky ein Strafverfahren eingeleitet wurde; diese Ursprungsbescheinigung der französischen Behörden konnte der Händler nicht vorlegen. Im Rahmen dieses Verfahrens legte das belgische Gericht dem EuGH die Frage vor, ob in der belgischen Regelung eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ zu sehen sei. Nach dieser weiten...