E-Book, Deutsch, 188 Seiten
Reihe: Hypnose und Hypnotherapie
Zeyer Hypnotherapeutische Strategien bei akutem und chronischem Stress
2. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8497-8280-1
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 188 Seiten
Reihe: Hypnose und Hypnotherapie
ISBN: 978-3-8497-8280-1
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stress verursacht Kopfschmerzen, Angst lässt das Herz schneller schlagen, Ärger drückt auf den Magen. Versagensängste, Erschöpfungsdepression oder "Burn-out" sind nur einige der bekannteren körperlichen und psychischen Folgen übermäßiger Stressbelastung. Ihre Behandlung stellt Ärzte und Therapeuten vor große Herausforderungen.
Die moderne Hypnotherapie bietet eine Vielfalt an effektiven Methoden zur Bewältigung von Stressbelastungen und deren Folgen. Reinhold Zeyer stellt in diesem Buch bewährte hypnotherapeutische Strategien, Techniken der Stressreduktion und Methoden zur Resilienzförderung vor. Das Spektrum reicht von praktischen Anleitungen für ein symptomorientiertes Vorgehen bis zur detaillierten Darstellung von Methoden, die unbewusste Wissens- und Entscheidungsprozesse nutzen und anregen.
Ein umfassendes Handbuch sowohl für angehende als auch für erfahrene Hypnotherapeuten.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Bewusstseinszustände Hypnose, Psychopharmaka-induzierte Bewusstseinszustände
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie
Weitere Infos & Material
2 Der akute Stress
Im Laufe der Evolution haben sich Mechanismen herausgebildet, die auf Notsituationen exakt zugeschnitten sind. Bei potenzieller Gefahr mobilisiert der menschliche Körper auch heute noch eine besondere Bereitstellungsenergie und ein Reflexsystem, um in kürzester Zeit kampf- oder fluchtbereit zu sein. Dieses allgemeine Anpassungssyndrom löst die körperliche Stressreaktion über die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse aus. Zu den entsprechenden peripher-autonomen physiologischen Prozessen gehören die Erhöhung der Herzfrequenz, der Muskelspannung und des Blutdrucks, die Beschleunigung von Puls und Atmung und die vermehrte Ausschüttung von Adrenalin und anderen ergotropen, d. h. aktivierenden Hormonen. Diese Aktivierung findet auch heute noch bei uns Menschen statt, auch wenn es in der Regel nicht mehr um Leben oder Tod geht. Doch der Abbau der Bereitstellungsenergie findet nicht auf die ursprünglich nützliche Weise durch Kampf oder Flucht statt – auch wenn dem einen oder anderen in seinem Stressalltag innerlich »zum Davonlaufen« ist. In unseren heutigen Stresssituationen erleben wir diese Aktivierung als Energie, die einem je nach individueller Einschätzung die Kraft gibt, sich mit der Situation aktiv auseinanderzusetzen, oder man fühlt sich hilflos und ausgeliefert, und die Energie wird nicht abgebaut. Der Ärger über den Kollegen, den Chef oder den Nachbarn, die Sorge, sich mit der neuen Aufgabe übernommen zu haben oder dass die Kinder die Schulleistungen nicht erbringen könnten: All dies bietet kaum Möglichkeiten zum körperlichen Ausagieren und damit zum Abbau der Bereitstellungsenergie. Was ursprünglich sinnvoll war, wird nun zur Belastung. Menschen unter Stress berichten daher über verstärktes Schwitzen, Kreislauf- und Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Die negative Einschätzung dieser Vorgänge kann zudem die Besorgnis und Aufgeregtheit verstärken und dadurch die Informationsverarbeitung beeinträchtigen. Besorgnis und Aufgeregtheit können sich durch negative Aufmerksamkeits- und Bewertungsprozesse aufschaukeln und das rationale Denken weitgehend blockieren. Das akute Stresssyndrom Akutes Stresssyndrom ist Energie- und Reflexsystem für Flucht (Vermeidung) Angriff (Auseinandersetzung). Stresssyndrom bewirkt Kreislaufprobleme Schwitzen Magenbeschwerden Kopfschmerzen Schlafstörungen Angst (Extremfall: Denkblockade, Blackout) depressive Symptome. Doch was führt bei uns Menschen dazu, dass wir eine Situation als stressig einschätzen? Nach dem allgemein anerkannten transaktionalen Ansatz (Lazarus a. Folkman 1984) entsteht Stress durch individuelle Bewertungsprozesse. Stressentscheidende Faktoren sind demnach: Die Situation wird als bedeutend eingeschätzt. Eine ungünstige Bilanz zwischen eingeschätzten Situationsanforderungen und eigenen Ressourcen wird vermutet. Abb. 1: Stress-Lust-Schaukel Eine Situation ist bedeutend für jemanden, wenn zentrale Ziele und Werte betroffen sind, z. B. Gesundheit, Anerkennung oder Erfolg. Wem harmonische soziale Beziehungen wichtig sind, der leidet mehr unter ständigen Konflikten am Arbeitsplatz oder der Stagnation in der Partnerschaft. Es ist für Therapeuten nicht immer leicht nachzuvollziehen, wenn ein Patient sich offensichtlich in eine Idee verrannt hat, an einer Situation leidet, die augenscheinlich doch harmlos scheint. Erst aus dem Weltbild des Betroffenen kann man seine Betroffenheit nachvollziehen. Auch die Einschätzung der Bewältigungsmöglichkeiten ist immer subjektiv und hängt dabei wieder von Personmerkmalen ab, z. B. davon, welche Erfahrungen die Person mit ähnlichen Situationen verbindet und als wie kontrollierbar sie die Situation einschätzt. Solche Einschätzungen bzw. Überzeugungen können sich auf einen bestimmten Bereich oder Inhalt beziehen (situationsspezifische Kompetenzeinschätzung). So fühlt sich jemand zum Beispiel in der Lage, ein bestimmtes Problem zu bewältigen oder unter Zeitdruck konzentriert zu arbeiten. Doch bei einem anderen Problem fühlt er sich unfähig oder arbeitet erst auf den letzten Drücker an den anstehenden Aufgaben. Schätzen sich Menschen im Allgemeinen als sehr selbstwirksam und kompetent ein und zeigen auch gewöhnlich weniger Leistungsängstlichkeit (Angst vor Misserfolg), dann erleben sie Situationen generell als kontrollierbarer und nehmen vergleichbare Anforderungen eher im Sinne einer Herausforderung wahr. Die Bewältigung einer Belastung ist vom Zugang zu ganz unterschiedlichen Ressourcen abhängig und erfordert hierfür unterschiedliche Fertigkeiten (z. B. Unterstützung holen, eine weitere Arbeitsbelastung abwehren können, einen Konflikt lösen können; Arbeitsskills dafür, eine Arbeit gut planen und durchführen zu können). Die betreffende Person muss aber auch in der Lage sein, ihre Aufmerksamkeit aufgabenspezifisch zu zentrieren (Fokussierung), andere Wahrnehmungen auszublenden (Dissoziation) und eine physiologisch-emotionale Eskalation zu vermeiden (Distanzierung). Ist eine Person nicht in der Lage, das anstehende Problem zu lösen, bleibt die Stressbelastung bestehen. Kann die Person das nicht anderweitig kompensieren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die akute Stresssymptomatik ausweitet. Doch was genau passiert im Gehirn, wenn die Stressreaktion ausgelöst wird, und wie wertet das Gehirn die Erfahrung damit aus? 2.1 Was passiert im Gehirn unter Stressbedingungen?
Wird eine ungünstige Bilanz zwischen eingeschätzten Situationsanforderungen und eigenen Ressourcen vermutet, kommt es zur beschriebenen neuroendokrinen Stressreaktion und damit einhergehenden Aktivierung limbischer Hirnregionen (in der Amygdala). Der Körper reagiert mit der Ausschüttung von Hormonen. Dabei werden zwei unterschiedliche physiologische Systeme angesprochen: die sympathico-adreno-medulläre Achse mit den Hormonen Noradrenalin, Adrenalin und Testosteron und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse mit den Hormonen ACTH und Glucocorticoiden wie z. B. Cortisol. Die sich ausbreitende unspezifische Aktivierung kennzeichnet die Störung des bisherigen emotionalen Gleichgewichts. Ist die Situation kontrollierbar, wird sie erfolgreich bewältigt und wird das belohnt, wird die Aktivierung der stresssensitiven Zentren wieder zurückgefahren, und das emotionale Gleichgewicht ist wiederhergestellt. Das erfolgreiche Bewältigungsverhalten führt zu einer Bahnung und Stabilisierung der damit verbundenen Verschaltungsmuster (durch kurzfristige Ausschüttung von z. B. Dopamin, Noradrenalin, Vasopressin). Diese mit einer Stressreduktion verbundenen Bahnungsprozesse sind tiefgreifender und nachhaltiger, als wenn sie durch eine stressunabhängige Nutzung entstünden und aufrechterhalten würden. Sie werden allerdings auch rascher und effektiver strukturell verankert und sind später nur schwer durch neue Erfahrungen wieder überschreibbar. Bleibt die Stresssituation länger unkontrollierbar bzw. bleiben die stressigen psychosozialen Konflikte unbewältigbar, führt dies zu einer Destabilisierung der vergeblich angewandten und der bereits etablierten neuronalen Verschaltungsmuster (hier durch langfristig vermehrte Ausschüttung von Signalstoffen, z. B. Cortisol). Dies zeigt also, dass das Gehirn sämtliche mit erfolgreicher Stressbewältigung assoziierten Erlebnisinhalte für die Wiedererkennung und Wiederverwertung speichert. Doch welches sind die Faktoren im Gehirn, die darüber entscheiden, ob eine Stressreaktion gebändigt wird oder eskaliert? 2.1.1 Emotionales Hirn bestimmt rationales Hirn?
Stimmt es, dass das weitaus ältere Gehirn, das limbische System, unser rationales Denken und Planen im Großhirn dominiert? Betrachten wir hierzu die Anatomie und Physiologie unseres Gehirns. Der Mensch trägt neben dem Großhirn (dem kognitiven Hirn) auch die Strukturen aus vorherigen Evolutionsphasen in sich: das limbische System, auch emotionales Gehirn genannt. Es kontrolliert die Körperphysiologie; wie eine Kommandozentrale wertet es die einlaufenden Informationen aus verschiedenen Körperregionen aus und reguliert sie. Es sorgt so für ein dynamisches Gleichgewicht (die Homöostase), das uns am Leben erhält, und es sorgt für eine schnelle Reaktion bei Gefahr. Während im rationalen Gehirn unser bewusstes logisches Denken und Planen stattfindet, entzieht sich das emotionale Gehirn unserer bewussten Kontrolle. Das limbische Gehirn ist primitiver organisiert, und da es sich bei ihm um Überlebensreaktionen handelt, laufen die Entscheidungen hier schneller ab. Obgleich diese beiden Gehirne relativ unabhängig voneinander sind, beeinflussen sie sich in unterschiedlicher Weise. Kooperation oder Konkurrenz? 2.1.2 Kooperation oder...