Ziegenmeyer | Schatten über Schinkelstedt | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 190 Seiten

Ziegenmeyer Schatten über Schinkelstedt

Fabelwesen reloaded
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-943876-03-1
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Fabelwesen reloaded

E-Book, Deutsch, 190 Seiten

ISBN: 978-3-943876-03-1
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Auguste Fledermeyer ist Jahrgang 1517 und verbrachte ihre Jugend als autodidaktisches Kräuterweib. Nach erfolgreichem Ablegen des Schierlingsdiploms kehrte sie als praktizierende Hexe in ihre Heimat zurück, wo sie mit der lokalen Inquisition in Konflikt geriet. Insgesamt brachte es Auguste dabei auf 37 Verbrennungen, bevor sie eines Frühsommertages plötzlich verschwand. Kürzlich tauchte Frau Fledermeyer, auch zu ihrer eigenen Verwunderung, am Waldrand des harmlosen Städtchens Schinkelstedt wieder auf. Und mit ihr eine ganze Reihe anderer Gestalten, die wir eigentlich nur aus Märchenbüchern kennen. Sie verursachen natürlich ein Chaos. Aber die Katastrophe ist beabsichtigt und wird von den selben Mächten gesteuert, die Auguste einst hinterhältig aus dem Verkehr zogen. 'Wenn ich also zusammenfassen darf: Ihr habt mich gefangen genommen, für Jahrhunderte in eine Höhle gesperrt, um mich dann wieder freizusetzen, damit ich die Leute erschrecke. Und anschließend wolltet ihr dann Helden spielen und damit Eindruck schinden, richtig?' Auguste Fledermeyer Dieses DRM-geschützte eBook ist eine ungekürzte, digitale Version der Printausgabe (ISBN 978-3-940767-08-0) mit ca. 200 Normseiten.

Mit 'Schatten über Schinkelstedt' ist André Ziegenmeyer ein meisterhafter Debütroman gelungen, der in der Fantasy- Landschaft vollkommen neue Akzente setzt.
Ziegenmeyer Schatten über Schinkelstedt jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Der nächste Morgen fand Auguste Fledermeyer noch immer ein wenig zerschlagen. Wie lange sie letztlich geschlafen hatte, wusste sie nicht. Aber zumindest hatte sie einiges über den Komfort von Rastbänken gelernt. Als das zunehmende Licht sie weckte, zögerte sie noch lange Zeit, die Augenlider zu heben. Der Tau hatte sich tief in ihre Kleider gesogen, und alles in allem fühlte sie sich genauso nass und genauso glücklich wie ein ausgewrungener Waschlappen.

Die Hexe hörte singende Vögel in den Bäumen ringsumher, dazu rauschende Blätter. Hin und wieder knackte etwas im Unterholz. Sie versuchte, nicht zu denken. Eine schöne, ungebrochene Stille mit einem Minimum an Bewusstsein schien ihr derzeit das Beste zu sein. Doch leider hielten sich ihre Gedanken nicht daran.

Als man sie aufgriff, war sie unterwegs zu einem Barbier. Er lebte in der nächstgrößten Stadt, war ein guter Kerl, und sie hatte ein Geschenk für ihn – einen Gegenstand, um den er sie vor langer Zeit gebeten hatte. Denn dieser kleine Mann, Porphorius Turtel genannt, hatte ein ausgeprägtes Interesse an der Weiblichkeit und damit seine liebe Not. Das ging vielen Männern so. Doch in einer niederträchtigen Stunde hatte das Schicksal jenen, der sich beständig um die Schönheit anderer Menschen sorgte, selbst mit einem weit weniger einnehmenden Äußeren geschlagen.

Seit längerem schon war Porphorius in eine Jungfer vernarrt, die zum Hof des Grafen Sigismund von Käferstein gehörte. Bei diesem handelte es sich um einen wohlhabenden Landadligen, der offiziell Herr des gesamten Bärensteins war – und dies in amouröser Hinsicht auch sehr persönlich nahm. Der Barbier jedenfalls konnte benannter Jungfer nicht recht habhaft werden. Erstens machte Graf Sigismund selbst gewisse Ansprüche geltend, und zweitens schob die wonnigliche Maid stets dringende Aufgaben vor, sobald sie Porphorius erblickte. Der Arme war darüber außerordentlich betrübt. Am Ende wandte er sich daher an Auguste, und das Ergebnis war ein kleines Spiegelchen.

Es war von ausgesprochener Schlichtheit und fügte sich nahtlos in das Repertoire eines Barbiers. Doch Porphorius Turtel hätte kaum eine Hexe fragen müssen, wenn der Spiegel nicht eine kleine Eigenheit besessen hätte: Er war nicht dazu auserkoren, selbst benutzt zu werden. Stattdessen musste ihn ein anderer präsentieren. Und wer hineinblickte, erkannte darin keineswegs sich selbst, sondern das Abbild desjenigen, der demütig den Spiegel hielt – und zwar so, wie es sich in seinem tiefsten Inneren verbarg. Ebenso tief drang dieser Blick dann in die Seele des Betrachters und hatte dort Gelegenheit, ein paar Dinge zu korrigieren.

Auguste konnte sich nicht verhehlen, bei der Abbildung des Seelenlebens ein wenig beschönigend eingegriffen zu haben. Doch Porphorius war ein guter Kerl – und sie hätte den Spiegel niemals angefertigt, wenn er für wirklich schurkische Gemüter nicht wertlos wäre.

Letztlich hatte sie allerdings keine Möglichkeit mehr, dem Barbier das Spielzeug zu geben. An einem lauen Junitag machte sie sich auf den Weg. Doch als sie seine knarrende Haustür öffnete, lächelte er ihr bereits traurig aus schweren Ketten entgegen. Und kurz darauf hatte sie, umringt von gräflichen Wachen und Schergen des Inquisitors, sein Schicksal geteilt. Es nagte ein wenig an Augustes Stolz, dass es diesmal so einfach gewesen war.

Die meisten Leute neigten zu ausgesprochen imposanten Vorstellungen, was die Zauberkünste von Hexen betraf. Man traute ihnen praktisch alles zu, solange es nur irgendwie böse oder unsittlich war.

Das Bild nackter Jungfrauen beispielsweise, die sich in mondbeschienenen Nächten auf einem einsamen Berg trafen und dort abenteuerliche Dinge vollführten, schien die Phantasie vieler Menschen eigentümlich zu beflügeln.

Leider wusste Auguste nur zu gut, dass die Wirklichkeit weit nüchterner ausfiel. Und normalerweise brachte ihr ästhetisches Empfinden dagegen keine Einwände vor. Zugegeben: In Gegenwart der Wachen hätte sie gern den einen oder anderen tatkräftigen Dämon beschworen. Bedauerlicherweise aber funktionierte so etwas nicht.

Hexenmagie neigte zu einer gewissen Subtilität. Sie konnte die Wirklichkeit ein wenig in die richtige Richtung schubsen, Dinge zum Wachsen bringen oder davon abhalten. Drastische und prompte Effekte dagegen waren nur sehr eingeschränkt zu haben. Und mit dem Teufel hatte sie überdies recht wenig zu tun.

Letztlich war Auguste nichts anderes übriggeblieben, als sich vor den Inquisitor schaffen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt verband die beiden bereits eine recht lange Bekanntschaft, und die Erinnerung an ihre verschiedenen Begegnungen jagte der Hexe immer wieder ein Schaudern über den Rücken.

Mit den Klosterbrüdern von Bad Brommlingen gab es selten Schwierigkeiten. Solange sie über ihren Büchern saßen und hin und wieder Glocken läuten durften, waren sie zufrieden. Auch mit den einfachen Leuten war alles in Ordnung. Sie kümmerten sich nicht sonderlich um die Hexen, und diese drängten sich ihrerseits nicht auf. Brauchte man doch einmal die Hilfe des anderen, geschah alles in einhelliger Verschwiegenheit.

Mit dem Inquisitor aber lagen die Dinge anders. Theodosius de Vendetta war ein dürrer Mann in langer Robe, der über eisblaue Augen verfügte und immer gewichtig aussehende Dokumente mit sich führte. Wiewohl sein Äußeres recht nüchtern ausfiel, konnte sich Auguste nicht verhehlen, dass er sie zunächst beeindruckt hatte.

Ständig waren seine rastlosen Gedanken auf der Suche nach Sünde. Und wer immer es schaffte, seine Aufmerksamkeit dabei auf sich zu lenken, konnte mit einer knappen und unangenehmen Zukunft rechnen.

Das Schlimmste aber war, dass er die Leute dazu brachte, Angst zu haben. Und de Vendetta besaß Geschick darin, aus dieser Angst die absonderlichsten Blüten zu ziehen. Nicht selten zum Nachteil der Hexen.

Gleich zu Beginn ihrer sonderbaren Beziehung hatte sich jedoch herausgestellt, dass Letztere, zumindest ab einem gewissen Lebensalter, mehr oder minder unbrennbar waren. Ein Umstand, für den Auguste mit der Zeit doch recht dankbar wurde.

Laut dem Handwörterbuch für Hexen und andere fabulare Existenzen, dem so genannten Druden, handelte es sich dabei um eine Eigenschaft, die sie mit den Eibenbäumen teilten. Je älter eine Eibe wurde, desto enger legten sich die Jahresringe um ihren Stamm. Nach außen hin wuchs sie nur ausgesprochen langsam, manchmal war ein solches Wachstum kaum noch wahrnehmbar. Doch im Inneren wurde ihr Holz immer dichter – und härter. Ähnlich verhielt es sich mit Hexen.

Je mächtiger sie wurden und je mehr Jahre ins Land gingen, desto mehr verfestigte sich ihr Wesen. Bis sie letzten Endes so sehr sie selbst, so sehr von ihrer eigenen Essenz durchdrungen waren, dass nicht einmal das Feuer mehr an ihnen haften konnte. Bedauerlicherweise führte dieser Vorgang auch dazu, dass Hexen nicht eben für ihre Kompromissbereitschaft bekannt waren, was seinerseits stets zu neuen Schwierigkeiten führte.

Man schrie nach Leibeskräften, zappelte ein bisschen, und wenn die neugierige Menge schließlich im Wirtshaus saß, machte man sich unauffällig davon. So lief es für gewöhnlich, und wenn der Morgen empor dämmerte, fiel kaum jemandem auf, dass einige Scheiterhaufen verlassen waren.

Irgendwann allerdings musste der Inquisitor dahintergekommen sein. Auguste verlor bald den Überblick darüber, wie oft man sie schon oben auf den Holzstoß gestellt hatte. Rückblickend schien es nur eine Frage der Zeit. Aber weder sie noch eine der anderen Hexen hatte sich darüber Gedanken gemacht. Mochte Theodosius de Vendetta doch wissen, was er wollte – was sollte er tun?

Bis einige von ihnen plötzlich verschwanden. Es begann ganz allmählich, Mütterchen Gunhilda war die Erste. Doch bald gab es immer mehr Hexen, die von ihren Verbrennungen nicht zurückkehrten. Ihre Pfähle waren verlassen wie eh und je. Aber niemand konnte sagen, wohin sie gegangen waren.

Irgendwo in Augustes Kopf begann etwas zu klingeln. Doch bevor sie darauf eingehen konnte, schnitt sich jäh eine Stimme in ihre Gedanken.

„Mama sagt, allein im Wald schlafen bringt Ungeziefer.“

Auguste wusste nicht genau, wie es geschah. Doch binnen eines halben Herzschlags hatte sie sich aufgerichtet – und saß dabei so gerade wie selten zuvor in ihrem Leben.

Vor ihr auf dem Kiesbett stand ein kleiner Junge von etwa fünf Jahren. Er war schlaksig, hatte verstrubbelte Haare, und seine Nase wölbte sich aus einem Meer von Sommersprossen hervor. Sein Gesicht schien prädestiniert für jene Art Grinsen, das treusorgende Eltern über lange Jahre hinweg um den Schlaf bringt. Derzeit wirkte es jedoch eher verschüchtert.

Es dauerte einen Moment, bis Auguste Fledermeyer bemerkte, dass sie aus einem Reflex heraus ihre Hand fest um die Schulter des Jungen geklammert hatte. Nach kurzer Überlegung zog sie sie zurück und schien damit wesentlich zu seiner Erleichterung beizutragen.

In seinem jugendlichen und überaus aufgeschlossenen Gemüt waren für das Wort „Furcht“ bisher nur wenige Kapitel reserviert. Die prompte Reaktion der Frau hatte ihn überrascht. Seine Auffassungsgabe zeichnete sich allerdings durch außerordentliche Flexibilität aus. Derzeit beschäftigte sie sich...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.