Ziffer Ziffer und die Seinen
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-939542-69-8
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-939542-69-8
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ziffer und Jo leben als schwules Paar in Tel Aviv. Abwechselnd beschreiben sie ihr Leben, das von Raketeneinschlägen geprägt ist wie auch von Ziffers Unsitte, neben das Klo zu pinkeln, von anstrengenden Elternbesuchen und Nazi-Alpträumen. Schließlich flüchten sie nach Berlin, in "diese zürnende Stadt". Jo als Hausmann und Ziffer als Kulturmensch verkörpern das unverbundene Nebeneinander großer Ziele und trivialer Ärgernisse, mal schräge Satire, mal bitterer Ernst. Die Ereignisse sind turbulent und nicht immer ganz realistisch – Ziffer liebt es, die ausgetretenen Pfade der Erzählkunst zu verlassen. Große Oper!
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Es war vor ungefähr zwei Jahren. Man hatte Ziffer zu einer Woche «Literarischer Begegnungen» nach Berlin eingeladen. Anfangs bot er mir nicht an mitzukommen, und erst nachdem ich gefragt hatte, ob er befürchte, dass meine Anwesenheit seiner Karriere schaden würde, beeilte er sich zu sagen: «Ach was, Jo, Süßer, klar, dass du auch mitkommst.» Irgendwie verstehe ich ihn, sicher nicht angenehm, vor diesen ganzen offiziellen Nasen zu stehen und mich bei einem Empfang als seinen Freund vorzustellen, nur weil er keine andere Definition für mich hat. Dabei sind die Deutschen noch höflich, die Israelis warten nicht mal ab, bis er sich abgewandt hat, um zu grinsen, und immer ist da einer, der unversehens einen Witz über Schwule zum Besten geben wird, worauf seine Frau ihn unter dem Tisch anstößt und er mittendrin abbricht, die Schmalztolle zurechtstreicht, die ihm die Glatze verdeckt, und feixt, «hab ich was Unanständiges gesagt?». Solche Sachen kommen in Deutschland nicht vor. Kurz und gut, wir hatten es nett zusammen. Lagen stundenlang eng umschlungen im Bett, knutschten herum wie zwei Jungfrauen und Ziffer sagte, dass er mich liebe, etwas, das man ihm nicht so leicht entlockt. Auch in Gesellschaft war er ungewöhnlich charmant und es störte mich nicht, dass er hin und wieder nach den Kellnern im Restaurant oder den Platzanweisern in der Oper schielte. Einmal, in einem Museum, fing er ein Gespräch mit einem kreuzdummen Kassierer an. Sie zeigten dort eine Ausstellung über die Filmschauspielerin Hildegard Knef, und ich fragte den Knaben an der Kasse, ob sie auch eine CD mit ihren größten Hits hätten. Ich hatte gleich gesehen, dass er so einer war, sah auch den Blick, mit dem er Ziffer beäugte, und den Blick, mit dem Ziffer ihn aufspießte, fehlte bloß noch, dass sie sich ausgezogen und in die Waagerechte begeben hätten. Er fragte, woher wir seien, und Ziffer sagte: «Ich bin aus Kroatien und er (sprich: ich) aus Kasachstan.» Irrsinnig lustig. Ich hab zwar nichts gegen Kasachstan, aber warum rechnet er mich einem Volk schmutziger Nomaden zu und sich selbst Europa? Der Knabe an der Kasse fiel drauf rein und fragte ihn über den Krieg in Bosnien aus und dass es nicht okay sei, was sie den Muslimen angetan hätten, um dann über sich selbst zu sprechen, dass er aus Sachsen stamme und keine feste Arbeit habe. Er fragte Ziffer, ob in Kroatien Bedarf an Deutschlehrern bestehe. Ziffer setzte eine Trauermiene auf und sagte, dass ja, weil die Serben sie alle massakriert hätten, und die ganze Zeit über existierte ich nicht, war Luft, ein Schafhirte aus Kasachstan, der irrtümlich in den Tempel der Kunst geraten war. Als wir endlich aufbrachen, redete ich nicht mit Ziffer und dachte bei mir: Jo, gönn ihm nicht das Vergnügen, einen Streit vom Zaun zu brechen. Bis er endlich mein grollendes Schweigen bemerkte und fragte, ob irgendwas los sei, worauf ich nicht antwortete und er nochmals fragte und anfing richtig nett zu sein, was selbstverständlich die ganze Sache im Bett enden ließ, er auf mir drauf und ich «ja, ja» brüllend, so wie er es liebt. Zu Ziffers Auftritt in einem schwulen Buchladen in Berlin kamen ganze Heerscharen. Berlin ist nicht Tel Aviv – Heerscharen, sage ich! Der Moderator stellte Ziffer als die rosa Hoffnung Israels vor, was meiner Meinung nach geschmacklos war. Zu ihm aufs Podium setzten sie einen deutschen Professor für sexuelle Minderheiten, und es begann eine Debatte, ob die Homosexuellen in Israel eine unterdrückte Minderheit seien oder nicht. Ziffer las zwei Passagen aus seinem Buch, hielt dann seinen Vortrag und ich saß im Publikum, nicht zu weit vorne, und wartete auf den Satz: «Im Publikum sitzt mein Lebensgefährte, der langmütig all meine Eskapaden erträgt.» Der Satz stand in seinem Manuskript, ich hatte ihn gesehen, aber aus irgendeinem Grund las Ziffer ihn nicht vor oder ich war taub geworden, denn hinterher behauptete er, er habe den Satz sehr wohl gesagt und ich hätte es bloß nicht gehört. Mal angenommen. Kurzum, ich nutzte die Zeit, um den Gesichtsausdruck des Publikums zu verfolgen, das Ziffers Geschichten über die Verfolgung durch die Polizei und die Gewalt auf der Straße aufsog, ganz zu schweigen von den Äußerungen der israelischen Politiker über uns. Was meiner Ansicht nach nicht fair war, weil man berücksichtigen muss, dass Israel ein Staat im Kriegszustand ist und sich nicht jeden Luxus des Westens erlauben kann. Dann definierte der deutsche Professor – sie hatten extra einen Juden aufgetrieben – Israel als theokratischen Staat und Ziffer, anstatt zu protestieren, nickte zustimmend. Und ich dachte bei mir, wäre Israel nicht stark, würde er nicht auf diesem Podium sitzen. Ich hasse diese Linken, die im Ausland sitzen und uns mit Kritik überziehen, zumal wir irrsinnig scharfe Soldaten haben und alle Homos, die zu dem Abend gekommen waren, sicher dafür gemordet hätten, wenn einer von denen sie ficken würde, all diese Schwestern, bei denen du zu allem Überfluss nicht weißt, ob sie nun Aids haben oder nicht, so athletisch sie auch aussehen mögen. Klar, dass die Geschichten über die Verfolgung von Homosexuellen in Israel Humbug sind, das Problem ist, dass Ziffer die Neigung hat, sich selbst zu ernst zu nehmen und zu glauben, was er sich ausdenkt. Am nächsten Tag, beim Frühstück, fragte er plötzlich, was ich davon hielte, wenn wir in Deutschland Asyl beantragen würden. Ein Bundestagsabgeordneter von den Grünen, der bei der Lesung war, habe ihm geraten, die Schiene zu fahren, und gesagt, es gäbe bereits Präzedenzfälle dafür aus anderen Staaten in der Dritten Welt. Ich sagte gar nichts, ließ ihn selbst wieder runterkommen. Hätte ich etwas gesagt, wäre er noch Jahre später über mich hergefallen und hätte mich daran erinnert, dass ich seine Chancen zunichtegemacht hatte, aus unserem Loch herauszukommen und unsere Lebensqualität zu verbessern. An unserem letzten Tag in Berlin machten wir uns auf die Suche nach dem Ort, an dem sich Heinrich von Kleist mit seiner Freundin das Leben genommen hatte. Der Grabstein ist unscheinbar und man muss im Wald lange danach suchen. Wir gingen, bis wir ein Schild «Kleistgrab» sahen. Folgten dem Weg hinab bis zu einer Terrasse, die den See überblickt. Der Grabstein ein grauer Steinquader, auf dem ein Vers des Dichters eingemeißelt ist. Wir saßen auf dieser Terrasse im Wald und blickten auf den See. Ziffer nahm meine Hand und sagte: «Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.» Und nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: «Nie werde ich es schaffen.» Ich denke, er wollte sagen, dass er niemals so groß sein würde wie Kleist. Um ihn zu trösten, sagte ich: «Ich könnte hier den ganzen Tag sitzen, du nicht?» Plötzlich tauchte auf dem Weg eine Gruppe von Schulkindern auf und verteilte sich wie ein Schwarm Enten über das eingefriedete Grabplateau. Die Lehrerin brachte sie zum Schweigen und gab Anweisungen, sie sollten sich im Halbkreis um den Grabstein setzen. Einige Mädchen sahen uns an, flüsterten sich gegenseitig etwas ins Ohr und kicherten. Ich weiß nicht, warum, aber in jenem Augenblick sagte ich zu ihm: «Du musst schreiben, um Erfolg zu haben. Wir müssen zurück nach Hause. Ich bin ein hoffnungsloser Fall, ich werd nichts mehr aus mir machen, aber du, wenn du nicht schreibst, geht alles verloren. Wir müssen nach Hause.» Zur Situation der Homosexuellen in Israel
Ein von Ziffer in Berlin gehaltener Vortrag Im Mai 1981 griff eine Gruppe von Homosexuellen einen Streifenwagen der Polizei an, der im Unabhängigkeitspark in Tel Aviv patrouillierte. Unter dem Vorwand, sie suchten nach Arabern aus den besetzten Gebieten, die sich illegal in der Stadt aufhielten, umstellten die Polizisten ein großes Gebüsch und forderten alle auf, die darin fickten (so brüllten sie durchs Megafon), die Hosen hochzuziehen und mit erhobenen Händen herauszukommen. Die Polizisten stellten die Betreffenden in einer Reihe auf, leuchteten ihnen mit Stablampen ins Gesicht und verlangten von allen, Ausweispapiere vorzuzeigen. Einer der Männer lehnte es ab, sich auszuweisen, und sagte: «Wir sind keine Araber, lasst uns in Ruhe.» Als einer der Polizisten auf ihn losging und ihn am Kragen packte, brach der Tumult los. Ein Muskelprotz namens Jossi, Lkw-Fahrer und Stammgast im Park, rammte einem der Polizisten seine Faust ins Gesicht. Ein anderer Polizist wurde durch zwei bekannte Gesichter aus der Szene, einen Jeschiwastudenten und einen Architekten aus Haifa, gegen einen der Bäume gepresst. Vier Tunten drohten, den Streifenwagen umzukippen, und schrien «Warschauer Gettoaufstand». Die im Streifenwagen gefangene Polizistin flehte, aussteigen zu dürfen, bis die Sirene eines zweiten, zu Hilfe gerufenen Streifenwagens ertönte. Letztendlich sollte sich herausstellen, dass die ganze Polizeihetzjagd nichts anderes als ein Spaß durch Freiwillige der Bürgerwehr war, ein bitterer Scherz, der durch die Medien totgeschwiegen werden würde. Aber für uns wurde diese Nacht zu einem historischen Datum, das als «Gettoaufstand» in die Annalen der community einging, als israelischer «Christopher Street Day». Das Gerücht von dem Aufstand verbreitete sich wie ein Lauffeuer und einige Tage lang blieb der Park verwaist, aus Furcht vor einer Überreaktion der Polizei. Aber wie sich bald zeigen sollte, waren gar keine Razzien geplant und der unerwartete Protest bestärkte sie erst recht darin, alles zu tun, damit sich die Wogen wieder glätteten. Wir hatten gesiegt! Als Jossi, der Lastwagenfahrer, der zum Held des Aufstands geworden war, an Aids erkrankte und starb, wurde seine Beerdigung zu einer Demonstration des Stolzes. In seiner Trauerrede sprach der Vorsitzende des Vereins für Bürgerrechte davon, wie demütigend es für die...




