E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Zimmer / Dreßler Sonnen-Erwachen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7693-4465-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Facetten des Aufbruchs
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-7693-4465-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach Abwendung einer weltweiten Krise entsteht eine utopische Gesellschaft. Neue Werte, Abwendung vom Kapitalismus, Leben im Einklang mit der Natur sind nun die Ideale. Jahre später fragt die nächste Generation die Älteren: Wieso wandelte sich die Welt vom rücksichtslosen Profitdenken hin zu Solidarität und gemeinsamer Zuversicht? 16 Autor*innen schildern globalen Wandel und Einzelschicksale: Widerstand der alten Systeme weicht neuen Ideen. Mit einem Essay von Alex Rump.
Karl-Heinz Zimmer arbeitet als Softwareentwickler und tüftelt in seiner Freizait am Lieblingprojekt SPBuchsatz, ein auf TeX/LaTeX basierendes Programmpaket zum Buchsatz von Romanen und Anthologien, das er Interessierten zur kostenfreien Nut-zung zur Verfügung stellt. Sein Debut-Roman (ein Steampunk-Abenteuer) ist noch im Entwurfstadium, der kleine Epilog in dieser Anthologie ist seine erste, gedruckte Ver-öffentlichung. Webseite: https://schreibblogg.de/spbuchsatz/ Social Media: https://literatur.social/@khzimmer2
Autoren/Hrsg.
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Niklas von Rhein
Das Feuer der Vergangenheit
Die Flammen des Scheiterhaufens loderten in den Nachthimmel und ich glaubte, durch das Knistern und Fauchen der Lohen die Stimmen zu hören, die das Feuer für immer verstummen ließ. »So viele Bücher«, murmelte Lea Lang neben mir. »Verdammt, ich hätte nicht gedacht, dass es so viele sind!« Ich wandte mich meiner Chefin und Freundin zu und beobachtete, wie sich das orangerote Flackern in ihrer Sonnenbrille spiegelte. Sie hatte diesen Sonnenschutz genau dafür mitgenommen: Um ins Zentrum des Infernos blicken zu können. Und für das Bild, das sie dabei abgab. Lea trug den weißen Mantel der Januarkälte zum Trotz offen – der Scheiterhaufen war ja auch warm genug – und Feuerschein tanzte über ihr hellblondes Haar, ihr blasses Gesicht und ihr weißes Kostüm. Obwohl sie mittlerweile auf die Siebzig zuging, sah sie kaum älter als Fünfzig aus. Und das lag nicht am Make-up, zu dem ihr Wahlkampfteam sie trotz der Dunkelheit überredet hatte, sondern an der Mischung aus Sport, Meditation und gesunder Ernährung. Ein Windstoß traf das Inferno, ließ es auflodern und schleuderte mir eine Hitzewelle entgegen. Ich wandte mich ab und schützte mein Gesicht mit dem Kragen meines dunkelvioletten Mantels. Als ich wieder hinsah, tanzten glimmende Papierfetzen wie Glühwürmchen durch die Nacht und brannten bei ihrer Landung Löcher in den Schnee. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und sprang vor Lea, ihre Sicherheit war schließlich mein Beruf. Aber das Wurfgeschoss galt nicht ihr – natürlich nicht – sondern dem Scheiterhaufen. Das Buch öffnete sich im Flug und die Seiten flatterten im Wind, bevor die ersten Flammen sie erfassten und schwarz färbten. Auf dem Titeleinband las ich »Fahrenheit 451«, unter den Worten stand ein Mann in Feuerwehrmontur inmitten eines Flammenmeers. Dann landete das Buch und das Flammenmeer ging in Flammen auf. »Da hat jemand einen besonders zynischen Humor«, kommentierte ich. »Komm, Alice, suchen wir den Verantwortlichen für dieses literarische Massaker«, sagte Lea. Ich hielt mich neben ihr, während wir den Scheiterhaufen umrundeten,den Blick in die Dunkelheit gerichtet. Ein Angriff war unwahrscheinlich, denn bei aller Gewalt gegen Bücher waren die Versammelten letztlich Pazifisten.Aber werweiß, vielleicht glaubte ja doch jemand, in die Geschichtsbücher eingehen zu können, indem er die erste aussichtsreiche parteilose Präsidentschaftskandidatin ermordete. Andererseits: Würde jemand Lea ermorden, gäbe es vielleicht bald keine Geschichtsbücher mehr. »Und, irgendwas Verdächtiges?«, fragte Lea, die meine Blicke bemerkte. »Siehst du die Frau mit dem Hund? Vermutlich ein Kampfhund. Und die Reißzähne sehen vergiftet aus!«, scherzte ich. Lea lachte. »Das ist ein Dackel!« »Manchen Kampfhunden sieht man das gar nicht an!« »Also hat es niemand auf mich abgesehen?« »Ich sehe zumindest niemanden. Was nicht heißt, dass ich es gut finde, dass du ohne Sicherheitsteam unterwegs bist!« »Ich bin mit dir unterwegs. Reicht das nicht?« »Heiße ich Rambo?« »Rambeau ist mir nahe genug dran!«Wir lachten. Manche Witze wurden einfach nie alt. Ein Windstoß wehte uns Rauch ins Gesicht, wir mussten husten und der Moment der Heiterkeit war vorbei. »Manchmal wünschte ich, Thompson wäre wenigstens ein richtiger Schurke«, sagte Lea. »Ein Möchtegern-Diktator, der Bücher verbrennt, um seine Herrschaft zu sichern. Dann wäre es leichter.« »Luther Thompson liegt meilenweit daneben, wenn er denkt, dass diese Feuershow irgendwem hilft!«, fand ich. »Zumindest glaubt er an das, was er tut.« »Das tun auch Schurken!« Lea setzte zu einer Antwort an, da traten uns drei Männer in den Weg. Schwarze Anzüge trotz der Kälte, schwarze Sonnenbrillen trotz der Dunkelheit, schwarze Lederschuhe trotz des Schnees. Schwarze Pistolen trotz aller Anti-Waffen-Reden ihres Chefs. Das Sicherheitsteam von Luther Thompson, dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten für die Vereinigten Staaten von Amerika.Er war Leas einziger Rivale, denn nach dem Trump-Debakel in den Tagen der Heuschrecken würden die Republikaner so schnell keinen Präsidenten mehr stellen. »Mrs. Lang, Mrs. Rambeau«, übertönte ein voller Bass das Knistern der Flammen und Luther schob sich zwischen seinen Leibwächtern hindurch, die daraufhin ein Dreieck um ihn bildeten. Der Demokrat war fast so groß und durchtrainiert wie seine Sicherheitsleute, aber mit einem schwarzen Mantel über dem Anzug, schweren Winterstiefeln und einem Hut gegen den Schnee passender gekleidet. Seine Haut war noch dunkler als meine, seine schwarzen Locken fielen ihm bis auf die Schultern und Flammen spiegelten sich in seinen braunen Augen. Über der rechten Schulter hing eine Stofftasche voller Bücher. Mit einundvierzig Jahren wäre er, sollte er gewinnen, der jüngste amerikanische Präsident aller Zeiten. »Mr. Thompson«, erwiderte Lea seinen Gruß. Ich schwieg, nickte ihm aber zu. »Wie schön, Sie zu sehen.« Luther zeigte sein Wahlplakatlächeln. »Schön und unerwartet. Haben Sie Ihre Meinung nochmal überdacht?« »Ich überdenke meine Meinung ständig«, sagte Lea. »Und komme meistens zu dem Ergebnis, dass ich recht habe!« Luther lachte. »Sie sind also hier, um mich vor meinen Anhängern herauszufordern?« Er ließ die Büchertasche von der Schulter gleiten und breitete die Arme aus, wie ein übermotivierter Prediger. »Bitte, versuchen Sie es!« Die Umstehenden bemerkten Luthers Geste und schon bildete sich eine Ellipse um ihn und uns, die hinter Lea und mir, wo der Scheiterhaufen loderte, offen war. Zum Feuerschein in unserem Rücken kamen Blitzlichter von der Seite, Reporter zückten ihre Notizblöcke und Schaulustige ihre Smartphones. Vor fünf Jahren, vor den Tagen der Heuschrecken, wäre es undenkbar gewesen, dass sich zwei Präsidentschaftskandidaten einfach unter das Volk mischten und einander spontan gegenübertraten. Aber vor fünf Jahren hatten die Vereinigten Staaten von Amerika auch noch zehnmal so viele Einwohner. Und hundertmal so viele Waffen. »Also, was möchten Sie mir sagen?«, fragte Luther. »Dass ich einen Fehler mache?« »Darauf läuft es hinaus«, sagte Lea. »Bücher zu zerstören, hat noch nie jemandem geholfen! Und diese symbolischen Scheiterhaufen …« Sie schüttelte den Kopf. »Damit stellen Sie sich nicht nur in eine Reihe mit höchst fragwürdigen Vorbildern, sondern verhöhnen auch noch deren Opfer. Denken Sie an all die jüdische Literatur, die für immer verlorengegangen ist. Oder die Werke des Magnus-Hirschfeld-Instituts und was deren Verlust für queere Menschen bedeutet hat!« »Und natürlich graben Sie wieder die Nazis aus.« Luther schüttelte den Kopf.»Ist Ihnen bewusst, wie sehr Sie deren Opfer durch solche Vergleiche instrumentalisieren?« »Bullshit!«, murmelte ich, aber Lea legte mir die Hand auf den Arm und ich ließ Luther reden. »Außerdem sind es nicht die Bücher, die ich zerstöre–weit mehr als nur symbolisch, wenn das amerikanische Volk mich erst einmal gewählt hat!« Ich quittierte Luthers Worte mit einem Schnauben,aber er ignorierte mich und fischte ein Buch aus seiner Tasche. »Es ist das Gedankengut der Vergangenheit. Die Vergangenheit selbst.« Er schleuderte das Buch, es segelte über Lea und mich hinweg und hinter uns fauchten die Flammen, zufrieden über ihre neue Nahrung. »Denn nur, wenn wir die Vergangenheit loslassen, können wir die Zukunft greifen!« »Wir können die Vergangenheit nicht zerstören«, sagte Lea. »Wir können sie nur vergessen. Und dann sind wir gezwungen, sie zu wiederholen!« »Wir kannten die Vergangenheit doch.Wir wussten, was passiert, wenn wir rassistische Spalterwählen, trotzdemkam Trumpan die Macht.Zweimal! Wir wussten, was passiert, wenn Pandemien ausbrechen, trotzdem hielt Corona uns in seinem Griff. Jahrelang! Wir wussten, was passiert, wenn wir uns abschotten und »America first« brüllen, trotzdem haben wir versucht, die Heuschrecken alleine zu bezwingen, bis es fast zu spät war. Und Millionen sind deswegen gestorben! Die Vergangenheit zu kennen, schützt nicht davor, sie zu wiederholen. Im Gegenteil:Wir sind in der Vergangenheit gefangen, weil sie unser Vorbild ist!« »Wir sind nicht in der Vergangenheit gefangen, wir lernen daraus«, hielt Lea dagegen. »Und das gab uns so viel nie dagewesenen Fortschritt! Vor nicht einmal hundertvierzig Jahren haben Frauen das erste Mal eine Staatsregierung mitgewählt. Vor nicht einmal neunzig Jahren haben wirallgemein anerkannte Menschenrechte verfasst. Vor nicht einmal dreißig Jahren hat das erste homosexuelle Paar geheiratet!« »Und keinen dieser Fortschritte möchte ich wegwerfen. Im...