E-Book, Deutsch, Band 1, 554 Seiten
Reihe: Zeit des Wolfsbanners
Zinßmeister Die Gabe der Jungfrau
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-490-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman: Zeit des Wolfsbanners 1 | Eine junge Frau in den Wirren der Bauernkriege
E-Book, Deutsch, Band 1, 554 Seiten
Reihe: Zeit des Wolfsbanners
ISBN: 978-3-98952-490-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Deana Zinßmeister widmet sich seit einigen Jahren ganz dem Schreiben historischer Romane. Bei ihren Recherchen wird sie von führenden Fachleuten unterstützt, und für ihren Bestseller »Das Hexenmal« ist sie sogar den Fluchtweg ihrer Protagonisten selbst abgewandert. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Saarland. Die Website der Autorin: deana-zinssmeister.de Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin die Australienromane »Fliegen wie ein Vogel«, »Der Duft der Erinnerung« und den dazugehörigen Spin-Off-Roman »Sturm über dem roten Land«, die Pesttrilogie mit den Romanen »Das Pestzeichen«, »Der Pestreiter« und »Das Pestdorf« sowie die Hexentrilogie mit den Romanen »Das Hexenmal«, »Der Hexenturm« und »Der Hexenschwur«, die Hugenotten-Saga mit den Bänden »Das Lied der Hugenotten« und »Der Turm der Ketzerin« und die Wolfsbanner-Reihe mit den Titeln »Die Gabe der Jungfrau« und »Der Schwur der Sünderin«.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Mehlbach, ein kleiner Ort in der Kurpfalz, 1324
Die Luft war eisig und brannte doch wie Feuer in der Lunge der jungen Frau. Das flachsblonde Haar fiel strähnig und feucht auf ihre schmalen Schultern. Scheu schaute sie sich um.
Rauchschwaden hingen wie Nebel über der schneebedeckten Ebene, deren Erde wie mit Blut getränkt schien. Aufgespießte und zerstückelte Leiber von Toten, die ihr Leben auf dem Schlachtfeld ausgehaucht hatten, lagen zu Tausenden im Tal. Verwundete wanden sich schreiend in ihren Schmerzen.
Als die junge Frau eine Bewegung wahrnahm, wandte sie den Kopf zur Seite. Sie sah einen Reiter, der sein Schwert wie zum Angriff über dem Kopf schwang und auf die verwundeten Männer zu galoppierte. Mit gezielten Hieben tötete er die am Boden liegenden Verletzten.
Verzerrt drangen die Schreie der Männer zu ihr herüber, berührten sie jedoch nicht. Gleichgültig wandte sie ihre Aufmerksamkeit von dem Reiter ab und ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen.
Die junge Frau wusste nicht, wie sie an diesen Ort gekommen war und was sie hier sollte – zumal sie die einzig Unbeteiligte zu sein schien.
Als sie weitergehen wollte, glaubte sie auf der Stelle zu treten. Ihre Beine fühlten sich an, als ob sie durch Pfützen aus Blut, das ihr bis zu den Knien spritzte, watete. Sonderbarerweise schien es sie aber nicht zu stören. Auch dass Blut ihr weißes Gewand rot verfärbte, berührte sie nicht. Nur die vielen Toten um sie herum waren ihr unheimlich. Plötzlich stand sie dicht vor einem Totem. Er lag auf dem Bauch, und sie konnte sein Gesicht nicht erkennen.
Ihr Herz raste vor Angst, dass der Tote kein Unbekannter sein könnte. Zögerlich drehte die junge Frau den Leichnam auf den Rücken und blickte in die gebrochenen Augen eines Fremden. Auch das Gesicht des nächsten Toten war ihr nicht vertraut. Sie beugte sich über jeden leblosen Körper, über den sie hinwegsteigen musste – jedes Mal von Furcht erfüllt, dass es ein bekanntes Gesicht sein könnte.
Nachdem sie in zahllose tote Gesichter geschaut hatte, ließ sie den Blick über das Feld schweifen.
Rauch breitete sich aus, und nur noch schwach drangen die Schreie und Stimmen der Sterbenden an ihr Ohr. Erschöpft sank sie mitten hinein in eine Pfütze aus Schneematsch und Blut, was sie aber nicht zu erschrecken schien.
Und dann erblickte die junge Frau in der Mitte des Feldes einen jungen Mann. Er war niedergekniet, hatte seine Lanze als Stütze vor sich in den Boden gestemmt und hielt den Blick gesenkt. Sein Körper zitterte, und er blutete aus einer Wunde am Kopf. Obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, schien er ihr auf Anhieb vertraut.
Ein zweiter Mann stand neben dem Jüngling, versuchte ihm aufzuhelfen und redete auf ihn ein.
Zuerst verstand die junge Frau nur undeutlich, was er sagte, doch dann drangen die Worte »Es ist vorbei! Lass uns nach Hause gehen!« an ihr Ohr.
Sie glaubte die Stimme zu kennen, doch sie konnte ihr kein Gesicht zuordnen. Als sie den beiden Männern etwas zurufen wollte, kamen keine Laute über ihre Lippen.
Sie sah, wie der kniende Mann den Kopf schüttelte. Mit gebrochener Stimme sprach er: »Nun werden wir auf fremdem Boden sterben und in fremder Erde beerdigt werden!«
Bei diesen Worten brannten Tränen in den Augen der jungen Frau. Doch dann ergriff sie blankes Entsetzen, denn sie sah, wie der Reiter mit dem Schwert auf die beiden Männer zu galoppierte.
Sie erkannte die Gefahr und wollte die Ahnungslosen warnen, wollte auf sie zulaufen. Doch es war, als trete sie auf der Stelle. Völlig außer sich riss sie die Hände in die Höhe um zu winken, damit die beiden Männer die Gefahr erkennen würden.
Der fremde Reiter kam näher und näher. Erbarmungslos schwang er das Schwert über seinem Kopf. Da endlich lösten sich ihre Füße vom Boden, und sie rannte auf die beiden Unbekannten zu. Doch als sie kurz vor ihnen zum Stehen kam, bemerkte sie, dass die beiden Männer sie nicht wahrzunehmen schienen. Keiner der beiden zeigte eine Regung, gerade so, als sei sie unsichtbar. Dann flüsterte der am Boden Kniende: »Ich werde meine Liebste nie wieder sehen!«, und blickte ihr dabei geradewegs in die Augen. Voller Entsetzen erkannte die junge Frau nun den Verwundeten.
Schon spürte sie das Schnauben des Pferdes im Nacken, als ein Schrei sie aufschrecken ließ.
***
»Anna Maria, wach endlich auf. Herrgott Mädchen, du schreist ja den ganzen Hof zusammen.«
Erschrocken und verwirrt schaute Anna Maria in die weit aufgerissenen Augen von Lena, der Magd.
Ungläubig sah sie an sich herunter. Kein blutverschmiertes Kleid, kein Schlachtfeld, auf dem sie stand. Sie lag in ihrem Bett – daheim auf dem elterlichen Hof. Sie hatte nur einen furchtbaren Traum gehabt.
Doch als sie an die Worte dachte und sich an den Ritter mit dem Schwert in der Hand erinnerte, begann ihr Herz zu rasen. Angst schien ihre Kehle zuzuschnüren.
»Sie sind in Gefahr und ahnen es nicht!«, flüsterte sie. Tränen verschleierten ihren Blick, als sie aufsprang und rief: »Ich muss sie warnen! Sonst werden sie sterben!«
»Wen musst du warnen? Wer ist in Gefahr?«
»Meine Brüder! Peter und Matthias!«
Ungläubig sah die Magd das Mädchen an. »Wie willst du das wissen?«
»Ich habe sie gesehen – mein Traum hat es mir verraten. Ich muss sie suchen.«
Schon war Anna Maria aus dem Bett gesprungen und wollte an der Magd vorbeistürmen. Diese ergriff ihr Handgelenk, um sie aufzuhalten.
»Mädchen, du sprichst wirres Zeug? Es war nur ein Traum!«
»Es war nicht nur ein Traum!«, antwortete Anna Maria mit ernster Stimme.
»Wo willst du sie suchen? Etwa auf dem Schlachtfeld? Als Frau? Anna Maria, das ist dummes Zeug.«
Wütend sah das Mädchen Lena an und wand sich aus deren Umklammerung. Unbeirrt begann es sich anzukleiden.
Die Stimme der Magd klang nun verärgert: »Deine Brüder kämpfen auf Geheiß eures Vaters bei diesen Aufständen. Er würde nie und nimmer gestatten, dass sie nach Hause kommen, nur weil du glaubst, dass sie in Gefahr sind. Du würdest deinen Vater und auch deine Brüder zum Gespött der Leute machen.«
»Verstehst du nicht? Sie werden sterben, wenn ich sie nicht heimhole!«
»Herrgott, Anna Maria, nimm Vernunft an. Selbst wenn du eine Vorsehung hattest, wie willst du ihnen helfen! Du bist eine Frau und begibst dich nur selbst in Gefahr! Vielleicht sind sie schon tot!«
»Nein, sind sie nicht! In meinem Traum war die Erde schneebedeckt, doch jetzt ist Ende September. Ich muss sie gefunden haben, bevor der erste Schnee fällt.«
Als die Magd Anna Marias entschlossenen Blick sah, wusste sie, dass nichts und niemand das Mädchen aufhalten konnte. Lena wusste, wie sehr Anna Maria ihre beiden Brüder liebte. Schon seit frühester Kindheit hatten die drei immer zusammengehalten. Als die Mutter starb, waren Anna Maria deren Aufgaben und Pflichten zugefallen. Besonders für ihren jüngeren Bruder Matthias fühlte sie sich verantwortlich und mit ihrem älteren Bruder Peter verstand sie sich ohne Worte. Lena ließ Anna Marias Arm los.
Für einen Moment schloss die Magd die Augen und atmete tief durch. Dann sah sie Anna Maria an und sagte: »Nun gut, erzähl mir deinen Traum!«
***
Noch am selben Vormittag suchte Anna Maria ihren Vater in der Stube auf. Daniel Hofmeister stand am Fenster und rief dem Gesinde die letzten Anweisungen zu. Als sie ins Zimmer trat, fragte er überrascht: »Was willst du?«
Seit dem frühen Morgen hatte Anna Maria sich das Gespräch mit dem Vater in Gedanken zurechtgelegt. Sie wusste, wie sie es beginnen und wie sie seine Einwände niederreden wollte. Doch jetzt, als sie vor ihm stand, versagte ihr die Stimme.
Hofmeister baute sich vor seiner Tochter auf, stemmte die Hände in die Hüften und sah sie herausfordernd an. Als noch immer kein Ton über ihre Lippen kam, fuhr er sie an: »Bist wohl in Schwierigkeiten, was?«
Entsetzt schüttelte Anna Maria den Kopf, schwieg aber weiter. Der Bauer verlor nun endgültig die Geduld und raunzte mürrisch: »Verschwinde und mach dich an deine Arbeit!«
Anna Maria wusste, dass sie jetzt etwas sagen musste, sonst wäre die Gelegenheit vertan. Stockend erzählte sie von ihrem Traum und dem Plan, die Brüder zu retten.
Schweigend hörte Hofmeister ihr zu und zeigte keinerlei Regung. Als sie geendet hatte, drehte er sich zum Fenster. Anna Maria stand da und wartete. Nach einer Weile fragte sie leise: »Vater, gibst du mir deinen Segen?«
Er blickte sie wieder an, und seine Augen waren kalt.
»Wie kannst du erwarten, dass ich solch einen dummen Plan billigen würde? Da draußen herrscht Krieg. Gesinde, Bauern und Söldner kämpfen für die Rechte der armen Leute. Glaubst du, dass sie auf ein dummes Mädchen Rücksicht nehmen würden? Wie kannst du Weibsbild glauben, dass du die beiden Burschen finden würdest? Du weißt von der Welt da draußen gar nichts! Dein Platz ist hier auf dem Hof – nirgends sonst!«
Als er sich wieder umdrehen wollte, schrie Anna Maria: »Du hast sie in ihren Untergang geschickt, obwohl ich dich angefleht habe, sie nicht ziehen zu lassen. Sie haben keine Erfahrung und müssen für etwas kämpfen, was du für richtig hältst. Warum bist du nicht selbst gegangen?« Zorn lag in ihrer Stimme.
Bevor Anna Maria in der engen Kammer zurückweichen konnte, war der Vater mit einem Schritt bei ihr und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Ihr Gesicht brannte wie Feuer, doch sie jammerte nicht und fasste sich auch nicht mit der Hand an die Wange. Mit trotzigem Blick sah sie den Vater an.
Hofmeisters Gesichtsausdruck war hart geworden. Anna Maria erkannte, dass...




