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E-Book, Deutsch, Band 7, 432 Seiten

Reihe: Hatje Cantz Text

Zitzlsperger Philipp Zitzlsperger

Das Design-Dilemma zwischen Kunst und Problemlösung

E-Book, Deutsch, Band 7, 432 Seiten

Reihe: Hatje Cantz Text

ISBN: 978-3-7757-4886-5
Verlag: Hatje Cantz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Design-Dilemma gründet auf der Trennungsgeschichte von Design und Kunst seit dem Spätmittelalter. Es beschreibt den Wandel des Designs von einer Kunst- zur Problemlösungsdisziplin. Diese große Divergenz wird einerseits begleitet von Mythen, die Gegensätze von freier Kunst und unfreiem Design, von Aura und Auraverlust oder von Distanz und Berührung konstruieren. Andererseits haben die Avantgarden die Einheit von Kunst und Design vielfach beschworen, die auch Museen oder Marketing heute wieder aufgreifen. Um das Irrlichtern des Designs zwischen Kunst und Nicht-Kunst besser zu verstehen, wird nun erstmals seine 600-jährige Ideengeschichte in den Bereichen der Kunst- und Industriegeschichte sowie der Philosophie des Pragmatismus seit etwa 1900 nachgezeichnet. Besondere Beachtung finden die Ursprungsideen und ihre Überformung durch Technizismus, Kapitalismus, Funktionalismus oder Darwinismus. Sie führen in das Design-Dilemma, das die "Haltung" seiner Akteure prägt.
PHILIPP ZITZLSPERGER (*1965) ist Professor für Kunst- und Designgeschichte und Prodekan für Forschung am Fachbereich Design der Hochschule Fresenius (University of Applied Sciences) sowie Privatdozent am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin.
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Cover
Title
Colophon
Table of contents
Vorbemerkung
Einleitung
1] Kunst – vom Kunstgewerbe zum Design
2] Industrie – vom Design zur Dienstleistung
3] Pragmatismus – Design im amerikanischen Denkstil
Schluss
Anmerkungen
Bibliografie
Register


1]
Kunst – vom Kunstgewerbe zum Design
Die Geburtsstunde des Designs, so ist es in Geschichtsbüchern zu lesen, sei das Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Die Maschine sei die Mutter des Designs. Sie gebäre Serien- und Massenprodukte, die für viele das eigentliche Design ausmachten und sich vom Unikat eines Kunstwerks kategorisch unterschieden.44 Doch der Industrialisierungsmythos steht auf tönernen Füßen, denn er übergeht, dass es Design schon immer gab. Zum einen ist die Serie nicht sein einziges Kennzeichen. Jenseits des industriellen Produktdesigns gibt es selbstverständlich das designte Einzelstück aus der Maßschneiderei, dem Innenraumdesign, der Goldschmiede-, Glashütten- oder Schreinerwerkstatt. Folglich ist Design im Unikat ebenso enthalten wie in der seriellen Reproduktion. Zum anderen ist die Serienproduktion kein Alleinstellungsmerkmal der Industrialisierung. Es gab sie auch schon davor. Spätestens seit der Antike sind Serienproduktionen zum Beispiel von Devotionalien, Geschirr oder Gebrauchsgegenständen wie Öllampen bekannt. Frühneuzeitliche Sammlungen waren zahlreich bestückt mit industrieller Serienware wie Kleinskulptur aus Terrakotta, Seidenblumen oder Weihnachtskrippen.45 Und die Gutenberg-Bibel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ist eindrückliches Beispiel für die damals neue Reproduktionstechnik des Buchdrucks. Aus diesem Grund scheint es wenig zielführend, die Design-Geschichte mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts beginnen zu lassen, gerade weil die Mechanisierung der seriellen Produktionsabläufe und ihre Maschinen keine Erfindung der Moderne sind. Deshalb spricht man beispielsweise auch von der „industriellen Revolution des Mittelalters“.46 Ihr quantitativer Unterschied zum Maschinenzeitalter der Moderne bleibt unbenommen. Dennoch: Die ästhetischen Eigenheiten des Designs zwischen Unikat und Serie sind so alt wie die Kulturgeschichte der Menschheit. Design gab es schon vor der Moderne, nur gab es da noch keine Unterscheidung zwischen Design und Kunst. Der Design-Begriff ist eine britische Erfindung des 19. Jahrhunderts. Geschichtlich betrachtet ist Design folglich aus der Kunst hervorgegangen, nicht aus der Industrie. Anfangs war es Teil der Kunst, und im Laufe der großen Divergenz sonderte es sich ab beziehungsweise wurde abgesondert, bis der Zustand der Design-Kunst-Dichotomie erreicht war. Die Kunst wanderte ins Museum, das Design in die reine Anwendung. Seitdem huldigt die Gebildetenschicht einer entrückten Kunst, die für die übrige Gesellschaft zum blutleeren Gebilde erstarrt. Das Verlangen der anderen nach Ästhetik außerhalb der Museen richte sich dann leicht auf das Billige und Vulgäre, wie John Dewey 1934 feststellte.47 Nicht selten ist das Billige und Vulgäre gleichgesetzt mit Design, weshalb Dewey versuchte zu zeigen, dass Kunst als Erfahrung die Angewandte Kunst mit einschließt. Das ist Design-Ästhetik, die ihre Konturen erst erhält, wenn sie ins rechte Verhältnis zur Kunstästhetik gesetzt wird. Um dies zu tun, sind im Folgenden ästhetische und institutionelle Ursachen der großen Divergenz zu untersuchen, die teilweise bis weit in die Vormoderne zurückreichen, als man mit der Trennung von Kunst und Handwerk begann, um schließlich das Design von der Kunst zu trennen. Der Kunstbegriff stand und steht vor allem für das Ideal der Autonomieästhetik als Bollwerk gegen ökonomische, unternehmerische oder funktionalistische Inanspruchnahme des Designs. Kunst galt für das Design in der Moderne seit etwa 1800 aber auch als gemeinsame Quelle der Form- und Stilgeschichte, in der alle Kunstgattungen wurzeln. Doch genau dieser ästhetische Einheitsanspruch war nun porös und sanierungsbedürftig geworden, weil in besagter Vormoderne Entwicklungen stattgefunden hatten, die einen Keil zwischen Design und Kunst trieben. Diese Entwicklungen fanden vor der Hochphase der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts statt. Zu ihrer Problemgeschichte zählen drei Bereiche, die in Kapitel 1.1 zu fokussieren sind: die Neusortierung der Sinneshierarchie, eine andere Geschichte der Autonomieästhetik und der kunsttheoretische Anspruch der Mimesis, der figurativen Naturnachahmung. Es sind ästhetische und rezeptionsästhetische Ursachen der großen Divergenz, die auch die Institutionengeschichte beeinflusste, als die Akademien in die Trennungsgeschichte eingriffen und sich zudem das System der Kunstmuseen zum ästhetischen Kontrast der alltäglichen Design-Anwendung auswuchs. Die große Divergenz hatte dann im 19. Jahrhundert ihre Hochphase, die in Kapitel 1.2 eine detaillierte Untersuchung verlangt. Sie wird zeigen, dass in den Diskursen nicht die industrielle Maschine als Problem gesehen, sondern vielmehr ein allgemeiner Geschmacksverfall durch die große Divergenz diagnostiziert wurde. Und in Kapitel 1.3 ist schließlich die Design-Kunst-Dichotomie zu einer ästhetischen Synthese zu führen, indem der begriffsgeschichtliche Weg vom „Disegno“ zum „Design“ nachgezeichnet wird. Er erinnert an den eigentlichen Ursprung des Designs in der Entwurfszeichnung, der heute bisweilen aus dem Blickfeld gerät, wenn der Design-Begriff beispielsweise für Strategien oder Planungsprozesse steht. Deshalb ist für die Analyse der Design-Kunst-Dichotomie die Unterscheidung von Entwurf, Planung und Produktion wichtig. Denn während der Entwurf (Disegno) Ideen sinnlich werden lässt und verborgene Möglichkeiten eröffnet, zeichnet sich die Planung als organisierter Prozess zweckrationaler Entscheidungs- und Handlungsketten aus, denen schließlich die Produktion folgt. Planung und Produktion betreffen die institutionelle Umsetzung als (meist arbeitsteilige) Dienstleistung.48 Im Mittelalter bildeten die Design- und die Kunst-Disziplin eine Einheit. Deshalb war die Bauhütte für moderne Design-Bewegungen wie das britische Arts and Crafts Movement romantischer Sehnsuchtsort. Und das „Bauhaus“ in Weimar und Dessau ist in der Titelgebung ein wörtlicher Bezug auf die Bauhütte. Sie galt als der Ort, an dem die angewandten und freien Künste ohne Hierarchien arbeitsteilig zusammenkamen.49 Das Bauhausmanifest von 1919 forderte: „Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte!“ Wie die Bauhütten waren auch Künstlerwerkstätten im Mittelalter und in der Frühneuzeit ohne „hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern“ strukturiert. Die Werkstatt Cennino Cenninis (um 1370–1440) produzierte Gemälde, bemalte Fahnen, Schilder, Truhen, lieferte Vorzeichnungen für Sticker und Zeugdrucker und kümmerte sich um das kunstgerechte Schminken der Frauen.50 Vormoderne Künstler waren für die Ästhetisierung aller Lebensbereiche der gesellschaftlichen Eliten zuständig; sie malten, skulptierten, dekorierten und erforschten die dafür notwendigen Techniken. Leonardo da Vinci (1452–1519) wird ohnehin als der erste Künstlerdesigner gewertet, dessen Angewandte Kunst Staudämme, Flugobjekte, Waffen oder Kostüme für den Mailänder Sforza-Hof umfasste. Michelangelo (1475–1564) schuf die Pietà in Marmor, malte die Sixtinische Kapelle aus, leitete die Bauhütte von Neu-St.-Peter in Rom und entwarf Uniformen der Schweizer Garde. Auch die Bologneser Bildhauerin Properzia de’ Rossi (um 1490–1530) agierte zwischen Kunst und Kunsthandwerk, schuf Porträtbüsten, Altarwerke oder Kleinstskulpturen aus Steinobstkernen. Gianlorenzo Bernini (1598–1680) baute in Rom den Petersplatz, meißelte „Apoll und Daphne“ für Kardinal Borghese und produzierte Stühle und Kerzenständer für Kirchen und Paläste. Der französische Hofmaler Charles Le Brun (1619–1690) und nach ihm François Boucher (1703–1770) – beide heute vor allem bekannt durch ihre Historienmalerei – zeichneten verantwortlich für die Vorlagen der Gobelin- und Porzellanmanufaktur unter Ludwig XIV. und XV. Sie hatten die künstlerische Leitung der königlichen Manufakturbetriebe inne, die Produktionsketten mit ökonomisierter Arbeitsteilung im Stil industrieller Großbetriebe längst kannten. Der vormoderne Künstler war – in der modernen Begrifflichkeit – auch Designer. Dabei trat er meist als Entwerfer auf, während die Herstellung oft andere besorgten. Diese interdisziplinäre Einheit der verschiedenen Kunstgattungen brach dann langsam auf. Zuerst entledigte sich die Kunst des Handwerks, um sich schließlich in der Moderne des Designs zu entledigen. Die vorindustrielle Ästhetikgeschichte ebnete den Weg in die Industrialisierung, als die Design-Akteure die große Divergenz erst bemerkten. Da war es schon fast zu spät, das Ruder noch herumzureißen, als etwa Gottfried Semper (1803–1879) um 1850 den ästhetischen Einheitsanspruch heftig verteidigte, ebenso wie nach ihm William Morris (1834–1896) oder Charles Rennie Mackintosh (1868–1928). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Positionierung des Designs zwischen künstlerischer Autonomie und unternehmerischer Heteronomie bis in höchste politische Kreise umstritten. Wenn etwa 1908 der Werkbund-Vorsitzende Theodor Fischer (1862–1938) auf der Jahrestagung in München feststellte, ästhetische Fragen seien von Künstler-Individuen und nicht von Organisationen oder Unternehmen zu beantworten,51 zeigte diese „Haltung“ den Krisenmodus an, in dem sich das Design befand. Fischer versuchte, die Kunst im Design zu halten und gegen andere Lager und Interessengruppen zu verteidigen. Doch die anderen Lager setzten sich nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Design und Kunst wuchsen sich nun zu institutionalisierten Gegensätzen...


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