E-Book, Deutsch, 165 Seiten
Alberts Die Selbstmörder
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95865-057-2
Verlag: 110th
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 165 Seiten
ISBN: 978-3-95865-057-2
Verlag: 110th
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jürgen Alberts lebt als Schriftsteller in Bremen. 1987 wurde er für seinen Roman Landru mit dem »Glauser« ausgezeichnet. 2011 wurde er vom SYNDIKAT mit dem Ehrenglauser ausgezeichnet ('...in Würdigung seines Engagements für die deutschsprachige Kriminalliteratur und für sein bisheriges literarisches Gesamtwerk im Bereich der Kriminalliteratur'). Neben historischen und Reiseromanen (zusammen mit seiner Frau Marita) hat er sich immer wieder dem Krimi-Genre verbunden gefühlt, wie es in dieser 10-Bände umfassenden Bremen-Krimireihe zum Ausdruck kommt. Mehr unter: www.juergen-alberts.de
Autoren/Hrsg.
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Kriminalhauptkommissar Wolfgang Lindow lallte erheblich. Und er hatte allen Grund dazu.
Die Wohnung seines, Freundes Pinneberger war in einem Zustand wüster Fröhlichkeit, auf dem Boden standen leere Flaschen, die zum Slalomgehen benutzt wurden.
Nur Assistent Schlink saß senkrecht am Tisch, um seinen fortgeschrittenen Suff zu verbergen.
Eine private Feier, nachdem der offizielle Teil am Nachmittag so unerträglich war.
Lindow war zurückversetzt worden, endlich, nach Jahren der Pein im Wirtschaftsdezernat, endlich wieder zu den kalten Leichen, die er nicht liebte, aber für ganz handfest hielt, im Gegensatz zu den windigen Ausflüchten der Wirtschaftsverbrecher, die ihre Strafen meist aus der Portokasse zahlen konnten.
Am Nachmittag hatte Kriminaldirektor Lang von sich gegeben, dass jüngere Kräfte in der Wirtschaft gebraucht würden, spezielle Ausbildung vonnöten sei, dass man an ein »Revirement« dieser ganzen Abteilung, denken müsse. Sein grauer Anzug war faltenlos, die grünliche Fliege unter dem runden, rötlichen Gesicht zeichnete ihren Träger aus.
Warum Lindow wieder zur Mordkommission versetzt wurde, darüber hätte Lang nichts verlauten lassen, wenn dieser nicht unumwunden danach gefragt hätte: »Soll ich also mein Gnadenbrot in meinen alten Gefilden fristen?«
»Wie meinen. Sie das?« Lang konterte meist mit einer Gegenfrage, weil ihm das Antworten nie leicht fiel.
»Ich hab noch sechs Jahre bis zur Pensionsgrenze.« Lindow setzte ein böses Lächeln auf. »Da schickt man sogar teure Pferde auf die Weide.«
»Dienst nach Vorschrift«, zischte Lang, »das möchte ich mir ausbedingen.«
»Vorschrift nach Dienst«, erwiderte Lindow, der diesen Fliegenträger nicht ausstehen konnte. Kriminalistisch ein Versager auf der ganzen Linie, aber Weltmeister auf dem Personenkarussell.
Sie verabschiedeten sich ohne Händedruck.
Dafür war ihr Skatabend umso heftiger geworden. Schlink hatte so viel aufgeladen, dass er die Karten nicht mehr festhalten konnte. Und das bei einem Null-Ouvert-Hand, den er ohne Probleme gewonnen hätte.
Fritz Pinneberger war froh, dass Marianne auf Streife war, sonst wären seine trunkenen Freude längst nach Hause geschickt worden. Marianne kannte da seit einiger Zeit kein Pardon.
Der Oberkommissar hatte sich nichts mehr gewünscht, als dass Lindow wieder zur Truppe gehörte. Endlich war Gras über die Sache gewachsen, und Lang hatte ein Einsehen. Die damalige Strafversetzung ins Wirtschaftsdezernat war verjährt. Ganz gleich, warum der Kriminaldirektor sich zu diesem Schritt entschlossen hatte, seine Gründe waren niemals wirklich nachvollziehbar gewesen.
»Ich muss jetzt gehen!« Schlink stand plötzlich ganz gerade, als sei er an eine Bohnenstange festgebunden.
»Nichts da, hier wird gefeiert bis zum letzten Schluck!« Lindow lag schon auf dem Sofa, ausgestreckt, die Schuhe weggeschleudert. »Ich bestimme, wann wir aufbrechen.«
»Der letzte Schluck ist längst getrunken«, gab Pinneberger von sich, als sei ihm die Aufgabe des Getränkestatistikers zugefallen.
»Dann hol Nachschub, irgendeine Kneipe hat doch bestimmt noch offen«, insistierte Lindow.
In dem Viertel, in dem Pinneberger wohnte, hatten alle Kneipen offen, weil es dort keine Polizeistunde gab. Da waren sogar Kneipen, die erst kurz vor Mitternacht öffneten und die Zecher bis zum frühen Morgen bedienten. Einmal hatte Pinneberger jemand beobachtet, als er zum Dienst fuhr, der auf allen vieren aus einem Kellerlokal herauskroch und laut ausrief: »Mein Gott, ist das hell hier!« Dann drehte er wieder um und verschwand in der Kneipe. Der Taxifahrer fuhr erleichtert davon.
Fritz Pinneberger suchte eine Decke, um seinem Freund auf dem Sofa 'ein Bett zu bereiten. Der schwergewichtige Lindow würde am besten gleich dort einschlafen, auch wenn Marianne bestimmt nicht damit einverstanden war.
Schlink stand immer noch gerade und blickte gleichzeitig in drei verschiedene Richtungen.
»Du kannst gehen, Karl«, sagte Pinneberger leise, »die Tat ist aufgeklärt, und die Tatverdächtigen müssen jetzt schlafen.«
»Ich will aber noch nicht schlafen«, rief Lindow matt. Zehn Sekunden später schnarchte er.
Karl Schlink half seinem Vorgesetzten, die leeren Flaschen einzusammeln. Dabei geriet seine Magenfüllung dermaßen in Bewegung, dass er nur mühsam, mit zusammengepressten Lippen die Brühe bei sich behalten konnte.
»Am besten, du gehst am Flaschencontainer vorbei.« Pinneberger holte eine große Plastiktüte und stopfte die Flaschen mit lautem Getöse hinein. »Was is?« kam es vom Sofa, »hier wird nicht gerülpst.«
Pinneberger beachtete den Hauptkommissar nicht, er war mit Spurenverwischung beschäftigt. Wenn Schlink die leeren Flaschen gleich aus dem Haus schaffte ... So weit konnte er noch denken.
Es dauerte mehr als eine viertel Stunde, bis das Schlachtfeld einigermaßen vorzeigbar war.
Schlink hatte sich ausgekotzt und machte einen fröhlichen Eindruck.
»Wir sehen uns morgen in alter Schwäche.« Er grinste.
»Aber nur, wenn es unbedingt nötig is«, erwiderte Pinneberger, der nicht wissen konnte, wie schnell sie wieder zusammentreffen würden.
Bepackt mit drei gefüllten Plastiktaschen, verließ Schlink die Wohnung in der Feldstraße.
Pinneberger ging zum Eisschrank, öffnete eine Milchtüte und goss einen halben Liter der weißen Lauge in sich hinein. Wozu Journalisten doch gut sein können!, dachte er, denn das Rezept, am Ende eines Besäufnisses mit Milch die überschüssige Magensäure zu neutralisieren, stammte von Klaus Grünenberg. Der war Lokalchef bei den »Weser-Nachrichten.«
Kaum hatte sich der Oberkommissar hingelegt, hörte er, wie der heftig gefeierte Lindow im Wohnzimmer rumorte.
»Keine Umstände«, rief er so laut, dass auch die beiden Nachbarwohnungen von seinem Zustand erfuhren, »ich mach mich nach Hause. Auf so einem modernen Sofa kann ja kein Hund schlafen.«
Dann hau ab!, dachte Pinneberger und schlief ein.
Der festliche Abend der Firma ABP im Parkhotel schien ein voller Erfolg zu werden.
Die Smoking-Direktoren hatten die üblichen Drei-Minuten-Witz-Reden vom Stapel gelassen. Zur dezenten Musik einer englischen Tanzcombo bewegten sich linksgestrickte Kid-Mohair-Pullis mit nicht alltäglichen Kombinationen aus Sakkos und mutigem Karomuster und Streifenhosen aus festem, männlich-rustikalem Stoff.
Die Firma ABP mochte es nicht, wenn die Mitarbeiter in die formelle Kleiderordnung deutscher Festlichkeit eingezwängt wurden.
Es galt: amerikanisches Management, amerikanische Offenheit, amerikanisches Lets-have-some-fun.
So waren nur die Führungsspitzen als deutsche Kleiderständer erschienen, allerdings in weißen Smokingjacken.
Beim flotten Foxtrott kamen, sich das wuschelweiche Abendkleid und der schnittige Fischgrätanzug näher, und auch das kurze Jersey-Kleid, für Sexy-girls auch ohne Hose zu tragen, verschwand mal kurz mit dem Chikago-Sakko hinter den gewaltigen Stoffvorhängen.
Die Firma ABP liebte es an ihren Mitarbeitern, dass sie wussten, wie viel Offenheit ein jeder vertrug.
Fred F. Neusser hatte in seiner launigen Ansprache gesagt: »Wir von American Business Products haben immer nur ein Ziel vor Augen, wir wollen die Besten sein. Zweite Plätze gibt es nicht. Nur die Spitze ist für uns gerade gut genug. Und ich kenne viele unter Ihnen, die sich nicht mit weniger zufriedengeben.«
Der Beifall der Sakkos in Stratoblau und der witzigen Wuschelrollies war überwältigend. Selbst für diesen weißen Smoking, der seit zwei Jahren die Personalabteilung leitete.
»Wir von American Business Products haben uns nie gescheut, den anderen ein Schnippchen zu schlagen, wie man in Deutschland sagt; sie vom Markt zu verdrängen, wenn wir die Spitze erreichen wollten. Wir haben nie vor- nehme Zurückhaltung gewahrt, weil wir überzeugt waren, es gebe so etwas wie freie Marktwirtschaft.«
Neusser machte eine Pause und sah in die Runde. Die Firma ABP liebte es, ihre Mitarbeiter zu schockieren. THINK BIG war einer der Wahlsprüche, TH1NK FAST ein anderer.
»Wir sind die Haie, im Hechtteich, und wir bleiben bissig, wenn es darum geht, unsere Spitzenposition zu verteidigen. Wir sind die einsamen Berglöwen, die um jedes Stück Beute kämpfen, wir sind die Klapperschlangen, wenn es um die Werbung geht: giftig, verschlagen, gerissen. Aber nun genug der Tierwelt - ich weiß, der letzte Satz meiner Rede ist immer am beliebtesten: Das Buffet ist eröffnet!«
Neusser nahm die Ovation stehend entgegen. Sogar die drei Smoking-Direktoren waren für diesen Beifall aufgestanden.
Aber erst als Neusser die letzten Sätze in den Sprachen der ausländischen Business-Partner wiederholt hatte, stürzten die Mitarbeiter zum Buffet.
Die Auswahl, die das Parkhotel für diesen Abend anbot, war überwältigend: isländischer Lachs, afrikanisches Reh, argentinisches Steak. Die ganze Dritte Welt stand dieser Firma zur Verfügung. Nicht nur, wenn es ans Buffet ging.
Die Harris-Tweed-Jacke gab artig dem quergestreiften Stehkragenpullover eine Portion von dem russischen Beluga-Kaviar. Ein lindgrüner Taillenrock probierte die köstlichen...




