E-Book, Deutsch, 275 Seiten
Alberts Fatima
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95865-710-6
Verlag: 110th
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 275 Seiten
ISBN: 978-3-95865-710-6
Verlag: 110th
Format: EPUB
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Jürgen Alberts studierte nach dem Abitur (1966) in Tübingen und Bremen Germanistik, Politik und Geschichte und promovierte 1973 am Fachbereich Kommunikation und Ästhetik der Bremer Universität zum Thema 'Massenpresse als Ideologiefabrik am Beispiel BILD'. Er arbeitete als freier Mitarbeiter für den WDR und das ZDF und lebt heute als Schriftsteller in Bremen. Er schrieb Drehbücher, Hörspiele und 1969 den Roman NOKASCH U.A. sowie 1980 DIE ZWEI LEBEN DER MARIA BEHRENS, bevor er sich auch mit Kriminalgeschichten zu beschäftigen begann. Gemeinsam mit Fritz Nutzke (Pseudonym für Sven Kuntze) veröffentlichte er 1984 den mit Science-Fiction Elementen durchsetzten Kriminalthriller DIE GEHIRNSTATION und ein Jahr darauf als Alleinautor die Fortsetzung DIE ENTDECKUNG DER GEHIRNSTATION. Nach dem Roman TOD IN DER ALGARVE (gemeinsam mit Marita Kipping) schrieb Alberts den Polizeiroman DAS KAMERADENSCHWEIN, in dem es um den Fall eines Bremer Kommissars geht, der sich gegen die Weisungen seiner Kollegen als Nestbeschmutzer betätigt, weil er hartnäckig in einem Fall von Polizeigewalt gegen einen Verdächtigen ermittelt. In seinen weiteren Romanen DER SPITZEL, DIE CHOP-SUEY-GANG und DIE FALLE befasste sich Alberts in den darauffolgenden Jahren immer eingehender mit dem Innenleben der Bremer Polizei und ihrer Führung, bis schließlich mit KRIMINELLE VEREINIGUNG 1996 der zehnte Roman der später so bezeichneten Serie 'Bremen Polizei' vorlag. 1987 veröffentlichte Alberts den semi-dokumentarischen Roman LANDRU, in dem es um mögliche politische Hintergründe zum Fall des französischen Frauenmörders Henri Desire Landru (1869 - 1922) geht, der zu Beginn dieses Jahrhunderts wegen Mordes an zehn Frauen verurteilt und hingerichtet wurde. 1988 erschien Jürgen Alberts' Kriminalroman ENTFÜHRT IN DER TOSKANA, den er gemeinsam mit Marita Alberts schrieb, ebenfalls mit seiner Frau schrieb er den Griechenland-Krimi GESTRANDET AUF PATROS. Von 1990 bis 1991 und von 2001 bis 2005 war Jürgen Alberts einer der Sprecher der 'Autorengruppe deutsche Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT' Preise: 1988 Glauser - Autorenpreis deutsche Kriminalliteratur für 'Landru' 1990 CIVIS-Preis des WDR und der Freudenbergstiftung für 'Eingemauert' 1994 Deutscher Krimi Preis für 'Tod eines Sesselfurzers' 1997 Marlowe Preis der Deutschen Raymond Chandler-Gesellschaft für 'Der große Schlaf des J.B. Cool'
Autoren/Hrsg.
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1
Löschen Sie das Licht», befahl Augusto Benini, «ich will etwas sehen.»
Nach und nach wurden die glitzernden Kronleuchter ausgeschaltet, die mit goldenen Blättern verzierten Wandlampen erloschen, Glühfäden glimmten nach. Nur die vierzehn hohen Kerzen gaben dem Restaurant ein wenig Helligkeit. Benini überprüfte jede einzelne von ihnen. Befühlte den Mechanismus im Kerzenständer. Langsam glitt sein Zeigefinger den elektrischen Kontakt entlang.
«Senhor Benini, wir können die Gäste nicht mehr länger warten lassen.» Der Oberkellner drängte.
«Ich schon», gab Benini zurück und ließ sich nicht unterbrechen. Nach ein paar Minuten rief er: «Licht an!» Die roten und weißen Blumen, die er auf den runden Mitteltischen drapiert hatte, würden im Laufe der Nacht ihre Farbe ändern. Zwei riesige Sträuße künstlicher Tulpen, die von einem holländischen Handwerker so exzellent gearbeitet waren, dass keiner der Gäste sie nicht für echt hielt. Ihn störte eine Pflanze, die zu gerade herausragte. Mit sicherem Griff bog er sie zurecht.
Vor dem «Tavares» wurde es laut. Das Lissaboner Restaurant in der Nähe der Praça Camões war für diese Premierenfeier geschlossen. Zutritt nur mit der violett umrandeten Einladungskarte. Der Oberkellner, dessen Schnauzbart hin- und her tanzte, kleine Schweißperlen auf der schmalen Nase, sah sich hilfesuchend nach dem Besitzer um, der aufgeregt jede Bewegung des Magiers verfolgte. Sie tuschelten miteinander.
Augusto Benini wandte sich seiner schwarzen Katze zu. Er holte hinter einem Vorhang das Piedestal hervor. Mit einem gewaltigen Satz sprang die Katze hinauf, drehte sich einmal, zweimal um sich selbst, rollte sich dann ein. Benini wartete geduldig, bis das große Tier richtig lag. Die ausgelassenen Premierengäste verlangten Eintritt. Sie trommelten an die Scheibe. Der Oberkellner faltete die Hände. Langsam erhob sich der Besitzer des «Tavares» und ging auf Benini zu.
«Wird es noch lange dauern, verehrter Meister?», fragte er mit sanfter Stimme Sein Englisch klang wie das Anschlagen einer Harfe.
«La gatta frettolosa fece i gattini ciechi», Benini lächelte, «ich wünsche keine blinden Augenblicke. Noch ein paar Minuten.» Der Besitzer entfernte sich, demütig.
Augusto Benini stand schweigend im hohen Raum, in dem sich die feine Lissaboner Gesellschaft traf. Nur die Decke mit ihrem goldglänzenden Stuck hatte er nicht in seine Dekoration einbeziehen dürfen. Die weißen Tücher, die er für die Ausübung seiner Wassertricks brauchte, waren an langen Stahlseilen aufgehängt. In Gedanken ließ er die nächste Stunde Revue passieren. Das Büfett hatte er mit keinem Blick gewürdigt. Es würde exquisit sein. Die Kerzen, die Blumen, die Spiegel, die eine viertel Stunde später Bilder freigeben würden, die explosiven Stühle, die Katze, die auf ihrem Piedestal schlief:
«Wo ist Jeremy?», fragte er leise.
Der schwitzende Oberkellner zuckte mit den Achseln. Auch der Besitzer schüttelte den Kopf. Sein Manager, der ihn seit mehr als zehn Jahren begleitete, hatte die Eigenheit, die wichtigsten Momente zu verpassen. Nicht dass er seiner Anwesenheit bedurft hätte. Es wird ihm entgehen, wenn die ersten Gäste hereinkommen, wie sie sich umsehen, wie sich ihr Erstaunen ausdrückt, wie sie etwas zu ergründen suchen und doch nicht wissen, wonach sie suchen müssen.
In jedem Land war das Erstaunen verschieden. Die Italiener hielten die Spannung nicht aus, spitze, kleine Schreie, die Deutschen verhielten sich ruhig und applaudierten dann um so heftiger, die Schweden ließen sich nichts anmerken, bis sie ihrer Verwunderung durch exaltiertes Klatschen freien Lauf gaben. Benini hatte in den langen Jahren seiner Karriere eine Typologie des Erstaunens zusammengetragen. Das fast andächtige Zusehen der Belgier, große Gesichter, offene Münder, sich gegenseitig versichernd, dass sie nicht träumten. Das verdutzte Grinsen der Engländer, die bis zum Schluss skeptisch blieben, als hätten sie bemerkt, wie ein Trick funktionierte. Wie würden die Portugiesen sein? Augusto Benini wartete gespannt.
Vor der Tür nahm der Tumult zu.
Der hagere Besitzer des «Tavares» flehte den Magier an, nun doch bitte die Türen öffnen zu lassen. Schließlich stehe draußen, und er sagte das ganz feierlich, die Macht von Lissabon. Er sagte nicht die Mächtigen, nicht die feine Gesellschaft, nicht die Reichen, die sich leisten konnten, soviel für ein Dessert auszugeben, wie ein portugiesischer Bauer im Monat verdiente.
Augusto Benini erwiderte nichts. Er war konzentriert. Überlegte ein letztes Mal die Reihenfolge, den Ablauf seiner zweiten abendlichen Vorstellung. Auf diese Präsentation kam es noch mehr an als auf die Premiere im «Coliseu», die ein vollkommener Erfolg geworden war. Er hielt für die Premierenfeier stets ein Sortiment von Tricks bereit, ein paar handfeste Überraschungen, von denen man noch sprach, wenn er das Land verlassen hatte und schon wieder in einer anderen Hauptstadt auftrat.
Während der Vorstellung im ausverkauften «Coliseu» hatte es einige unsichere Lacher gegeben, die ihm ungewohnt vorkamen, ihn irritierten, er wollte ihnen nachgehen, es war an Stellen gelacht worden, an denen kein Lacher vorgesehen war. Er würde das mit Julia besprechen, seiner portugiesischen Assistentin. Das musste geändert werden. Augusto Benini hob den rechten Arm und verschwand hinter dem Vorhang aus golddurchwirktem rotem Brokat.
Als würde der Schieber eines Bienenkastens geöffnet, strömten die Besucher herein, ungestüm, laut, erregt gestikulierend. Die weißen Pelze der Damen schimmerten, die grünen Uniformen der Militärs mit ihren lackierten Ehrenzeichen, zwei kirchliche Würdenträger in schlichtem Schwarz, mit dicken, rotfunkelnden Ringen.
Sie hatten die Katze entdeckt.
Zeigten mit Fingern auf sie.
Das Piedestal war hoch genug, dass die Premierengäste auf einen Stuhl hätten steigen müssen, um sie zu streicheln. Die schwarze Katze spielte in Beninis Vorstellungen eine wichtige Rolle. Mal war sie auf ihrem Platz, plötzlich verschwunden, dann wieder anwesend. Ein Blick genügte. Ein winziger Blick zu ihr hinauf. Die Zuschauer erschraken. Eine kurze Irritation. Niemand hatte bemerkt, wie sie verschwand. Und niemand bemerkte, wie sie wieder auf ihren hohen Sockel kam. Den Einfall zu dieser Verblüffung hatte Benini bei Lewis Carroll gefunden, die «cheshire cat» aus «Alice in Wonderland». Der Trick, sie unbemerkt von der Bühne verschwinden und wieder erscheinen zu lassen, war sehr simpel, die Wirkung phänomenal.
Augusto Benini genoss die Szene. Sie waren gekommen, um sich illusionieren zu lassen, um dem Magier zu huldigen. Sein internationaler Ruf hatte tagelang vor seinem ersten Auftritt für Schlagzeilen gesorgt. Als Probe seines Könnens war er mit verbundenen Augen durch die Stadt gefahren, in Begleitung des obersten Polizeichefs von Lissabon. Eine Aktion, die er auch schon in anderen Städten durchgeführt hatte. Die Presse berichtete ausführlich.
Auch der Polizeichef, dessen Körpergeruch während der Autofahrt immer süßlicher, penetranter wurde, war zur nächtlichen Feier eingeladen. Der feiste Portugiese hatte im Wagen kein Wort mit ihm gesprochen. Ängstlich. Starr auf die Straße konzentriert. Er rechnete jede Sekunde mit einem Unfall. Mit beiden Händen klammerte er sich an den Elfenbeingriff des Benz. Benini hatte ihn während der kleinen Reise genüsslich beobachtet.
«Wann wollen Sie mit der Vorstellung beginnen?», fragte der Besitzer des «Tavares», als er hinter den Vorhang trat.
«Sie hat schon begonnen», sagte Benini und wies auf die hohen Kerzen, die mit einem kurzen Knall zu metallenen Schwertern wurden. Sofort setzte Applaus ein. Der Besitzer ließ den Magier stehen und verbeugte sich, als gelte der Applaus ihm.
Dann hob er die Stimme zu einer kleinen Ansprache. Eine besondere Freude, in diesem festlichen Rahmen, die ehrwürdigen Gäste, die Tradition des Hauses, der ganz besondere Künstler, der selbstverständlich zum Ehrenmitglied des Restaurants ernannt werde...
In diesem Augenblick explodierte ein Stuhl.
Gelächter, Beifall.
Der Besitzer wirkte leicht verstört.
«Er wird Sie nachher persönlich begrüßen, denke ich», nun stotterte der sonst so selbstsichere Chef des Hauses, «wenn er seine Anwesenheit nicht schon...»
Die Katze war verschwunden.
Die Gäste hatten das Büfett kaum beachtet, die gefüllten Champagnergläser standen unberührt. Niemand wollte auch nur einen Trick verpassen.
Augusto Benini erkannte sie sofort. Die Frau in der rotseidenen Stola. Isabela. Sie war ihm vor vielen Jahren nachgereist. Isabela. Wie kam sie zu einer Einladung? Benini glaubte nicht an Zufälle. Der leichte Silberblick. Die schwarzwelligen Haare. Konnte sein Manager wissen, dass er diese Frau kannte? Isabela. Seit damals war sie noch schöner geworden. Benini hätte beinahe seinen Auftritt verpasst. Mit einer eleganten Begrüßung trat er vor den Vorhang. Er konnte den Blick nicht von Isabela nehmen.
«Ich dachte, Sie wären stumm», sagte eine Dame in gurrendem Ton.
«Nein, nein», erwiderte Augusto Benini, «ich kann sprechen. Nur leider nicht die Landessprache. Aber das wird sich ändern. Ich habe schon begonnen zu lernen. Bemvindo com muito gosto.»
Er verbeugte sich.
So hatte er es immer gehalten, wenn er in ein Land kam, dessen Sprache er nicht beherrschte. Augusto Benini, der stumme Magier, das erhöhte seine Attraktivität. Während der Vorstellung sprach nur seine Assistentin. Der Text war ausgefeilt, exzellent übersetzt, die Pausen in Sekundenlänge angegeben.
«Ach, die Katze», sagte Benini, jetzt wieder in Englisch, «wo...




