Alexis | Cabanis: Historischer Roman | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 423 Seiten

Alexis Cabanis: Historischer Roman


1. Auflage 2017
ISBN: 978-80-272-2763-1
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 423 Seiten

ISBN: 978-80-272-2763-1
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Willibald Alexis' Roman 'Cabanis' entführt den Leser in die politisch aufgeladene Zeit des napoleonischen Krieges. Der historische Roman zeichnet das Leben des Arztes und Aufklärers Dr. Cabanis nach, der sich nicht nur medizinisch, sondern auch politisch engagiert. Alexis' literarischer Stil brilliert durch feine Nuancen, die die Charaktere zum Leben erwecken und den Leser tief in die Wirren der Französischen Revolution eintauchen lassen. Dieser Roman steht im Kontext der deutschen Romantik und des historischen Romans des 19. Jahrhunderts, der eine Zeit der politischen Umbrüche und historischen Umwälzungen einfängt. Willibald Alexis, selbst ein bekannter deutscher Schriftsteller und Historiker, schöpft aus seinem umfangreichen Wissen, um die Ereignisse dieser Zeit lebendig werden zu lassen. Seine intensive Beschäftigung mit der deutschen und europäischen Geschichte prägt auch sein Werk 'Cabanis', das eine faszinierende Mischung aus Fakten und Fiktion bietet. Für Leser, die an historischen Romanen interessiert sind und sich für die politischen Hintergründe der Französischen Revolution begeistern, ist 'Cabanis' von Willibald Alexis ein absolutes Muss. Dieses Buch bietet nicht nur spannende Unterhaltung, sondern auch einen tiefen Einblick in eine entscheidende Epoche der europäischen Geschichte.

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2. Frau Kurzinne


Es war ein buntes dumpfes Gewoge in der Stadt, an den Ecken standen die Leute und steckten die Köpfe zusammen, der Abend kam, und die Läden wurden nicht geschlossen, die Bürger gingen nicht nach Hause. Feldjäger und Läufer sprengten durch die Straßen, die Karossen fuhren nach dem Schlosse, das Militär stand aufmarschiert, und bei allem diesem Aufruhr war es doch eigentlich still. Mit dem ganzen Troß meiner Kameraden war ich gaßauf, gaßab gelaufen, wo etwas zu sehen war. Man sprach von der Majestät des Königs, der Majestät der Königin, von des Kronprinzen königlichen Hoheit, von der Gruft in der Domkirche, Gott weiß wovon, mir war alles gleichgültig. Ein reichbordierter Leibjäger spornte an mir vorbei, die hängende Peitsche dem Pferde auf die Schenkel legend; dem Reiter rief ein Bürger nach: »Glück zu, Herr Mestag, der Ritt nach Rheinsberg kann Euer Glück machen.« Der Reiter hörte nicht, und ich auch nicht, denn mir summte immer nur Fritzens Frage im Ohr: »Hat er denn ein Recht, dir auf den Kopf zu klopfen?« Er hatte ja kein Recht. Er war nicht mein Vater, nicht meine Mutter, nicht mein Lehrer, nicht Wachtmeister bei der Polizei. Immer noch sah ich den verzogenen weiten Mund, die zwei häßlichen langen Vorderzähne, die blinzelnden grauen Augen, ich hörte das heisere Gelächter, auch das Lachen der Gassenjungen, und wurde blutrot, daß jemand über mich gelacht haben konnte.

Selige Unschuld des jugendlichen Hasses! Ich hätte ihn zerfleischen können in dem Augenblick, und im nächsten jubelte mein Herz auf, und meine Wange wurde rot, nicht vor glühender Scham, sondern weil mir ein alberner Schabernack einfiel. Ich hatte mich von den andern führen lassen ohne Willen, ohne zu wissen, wohin. Da fiel mir am andern Ende einer verlassenen Quergasse plötzlich ein Lichtschein ins Auge. Er kam von der Blechlampe aus einem Eckladen. An dem ovalen Widerschein am grauen Hause gegenüber erkannte ich, wo wir uns befanden, und schrie aus vollem Halse: »Frau Kurzinne steckt ihre Blechlampe an.«

Die unglückliche Frau Kurzinne, deren Name, oder vielmehr ihre Blechlaterne, einen düsteren Racheplan in uns erweckte, hielt den bescheidenen Materialladen an der Ecke, wo auch zuweilen Branntwein geschenkt wurde, schon fast seit Anfang des Jahrhunderts. Das kleine bucklige, rotäugige Weib mit der keifenden Stimme und den großen Händen war der argen Jugend weit umher nicht viel anders bekannt als eine Hexe, über die man lacht und vor der man sich fürchtet. Es war eine rührige Frau, die ihr Geschäft verstand und schon zwei Männer, welche entweder sie oder ihren Branntwein nicht hatten vertragen können, in Ehren hatte vors Tor tragen lassen, aber selbst noch gar keine Lust zeigte, ihnen zu folgen, obgleich ihr dritter es mit ihr und ihrem Aquavit aushielt. Haushälterisch und sparsam in jedem Dinge, war sie nur in einem verschwenderisch, in Worten. Jeder Kunde bekam seine Ladung Klagen auf die schwere Zeit, auf die argen Abgaben, auf das Wetter, es mochte schneien oder die Sonne scheinen, auf die Bosheit der Menschen, bisweilen selbst auf den lieben Gott, gratis in den Kauf. Man meinte, viele Käufer träten nur dieser Gratiszugabe wegen vor ihren Ladentisch, der in Berlin berühmt war.

Ich brauche kaum anzuführen, daß ein Weib, das mit jedermann Lust verriet, anzubinden, nie ihren wirklichen Rechten etwas vergab. Sie war auf dem Rathause zu Hause, und ihre Sachen müssen immer gut gewesen sein, denn sie soll nie einen Prozeß verloren haben. Übrigens hüteten sich die Nachbarn vor einem Rechts-wie vor einem Wortstreite, und sie mochte gegen zehn Jahre ihren immer kochenden Ärger vor keinem grünen Tische ausgeschüttet haben, als der rechte Mann erschien, der ihr völlig gewachsen war. Advokat Schlipalius kaufte nämlich das große, ihrem Laden gegenüber gelegene Eckhaus, und er hatte kaum eine Nacht darin geschlafen, als gegen die verwitwete Kurzinne eine Klageanmeldung von besagtem Advokaten eingereicht wurde. Die Sache verhielt sich so:

Frau Kurzinne steckte Sommer und Winter, sobald es finster wurde, die einzige schon erwähnte Blechlampe in ihrem Laden an. Seit 1701 fiel der Widerschein dieser Lampe auf das Haus gegenüber, und seit 1701 war es keinem Besitzer eingefallen, sich deshalb zu beschweren. Der Advokat aber behauptete, das Licht habe dergestalt gegen die Scheiben seiner Studierstube geblendet, daß er abends keinen Federstrich habe tun können; als er sich darauf an das Fenster begeben, nach der Ursach’ auszuschauen, seien ihm seine Augen völlig geblendet worden, und er habe hierauf die Nacht an beträchtlichen Schmerzen gelitten, die ungewiß machten, ob er ferner den vollen Gebrauch seiner Augen behalten werde. Darauf erging folgenden Tags von seiner Seite eine mündliche Aufforderung durch den Schreiber an die Witwe, des Inhalts: sie solle stehenden Fußes die Lampe umdrehen oder so hängen, daß das Licht gegen die Erde falle. Frau Kurzinne schickte dem Advokaten zur Antwort eine jener derben deutschen Redensarten über die Straße, welche sich in keine andere Sprache übersetzen lassen und auch in unserer Schriftsprache nur durch die Umschreibung ausgedrückt werden kann: »Er solle sich seinen Schaden selbst ersetzen.« Dies tat denn auch, wenngleich nicht auf die von der Witwe angegebene Art, der Advokat, und der Prozeß Schlipalius contra Kurzinne schwebte mehrere Jahre, von beiden Seiten mit allen erdenklichen Schikanen geführt. Ihren Kunden versicherte die Bürgerin oft: der große Herzog Malpruch von England sei, ehe er ins Fürstenhaus logiert worden, in demselben Hause abgestiegen, und dem großen Feldmarschall, vor dem die Franzosen siebenmal gelaufen, sei es nie eingefallen, über die Lampe zu klagen, sondern er habe sie einmal, als sie ihm einen Knicks gemacht, eine gute Frau genannt, und der Tintenkleckser, der vor einer Fledermaus sieben Meilen laufe, der sich zur Ehre schätzen müsse, wenn ihm eine rechtschaffene Frau ins Haus leuchte, wolle sich unterstehen, zu klagen, aber er wäre ja – und nun folgte ein Strom von Ausdrücken von einer donnernden Kraft und Schwere, daß er die Batterien des gemeinten Marlborough und des noch großem Eugen übertönt hätte.

Wie erstaunte man daher, als eines Morgens Advokat Schlipalius in den Eckladen trat und mit nichts weniger als fürchterlicher Miene einen Schluck wider den argen Nebel forderte. Er trank die Flüssigkeit langsam herunter, hielt das Glas gegen das Licht und versicherte, nirgend ein solches Danziger Magenwasser gefunden zu haben. Innerhalb einer Stunde schlürfte er, den Ellenbogen auf den Ladentisch gestützt, drei Gläser aus, und als er in die Tasche griff, sagte Frau Kurzinne mit aller Freundlichkeit, die ihr möglich war, er solle sich nicht inkommodieren, das würde sich ja schon »alles« finden. Darauf führte sie ihn selbst zur Türe hinaus und wünschte dem Herrn Advokaten über die Straße hinüber einen gesegneten Appetit. Zwei Tage später war dies »alles« in Richtigkeit, und am dritten steckte die Verlobungsanzeige schon am vergoldeten Spiegelrande in meiner Eltern Putzstube. Die alte Susanne hat mir oft von dem seltsamen Brautzuge erzählt, der im weitesten Umwege über die offene Straße ging. Unsere Straßenjungen jubilierten, und der Küster am Werder hatte Mühe, sie nur so weit abzuhalten, daß sie die heilige Handlung nicht störten.

Über die Motive der Heirat gab es verschiedene Vermutungen. Beim Gericht meinte man, der Advokat habe gewittert, daß es mit seinem Prozeß schlecht stand, pfiffigere Leute wollten wissen, er habe in Erfahrung gebracht, daß Frau Kurzinne eine Partie sei, mit der sich eine märkische Gütergemeinschaft ohne Schaden eingehen lasse. In unserem Hause wollte man leider einen ändern Grund ahnen. Die famose Heirat war nicht lange nach der meines Vaters erfolgt, und als der Herr Pate seine Braut der Mutter vorstellte, sagte seine höhnische Miene: »Habe ich Sie nicht bekommen, Frau Muhme, habe ich doch eine andere, und Frau ist Frau.«

Was half es der armen Frau heut abend, daß sie die Gattin des Herrn Advokaten war? Die schwache Frau sollte das Unrecht entgelten, welches wir an dem stärkeren Manne nicht zu rächen imstande waren! Darum jauchzten wir auf beim Schein ihrer Blechlampe, und ich war das Haupt der dunklen Verschwörer, die an der ändern Straßenecke ihre Köpfe zusammensteckten.

Der Eckladen hatte zwei klingelnde Glastüren. Einer von uns sollte nun nach dem andern zur einen Tür eintreten und, wenn die Frau Kurzinne aus der Stube käme, ihr einen guten Abend wünschen und zur anderen sehr schnell wieder hinauslaufen. Das dünkte uns sehr witzig, aber man wollte Variationen. Der eine sollte sich erkundigen, wie sich ihr Herr Gemahl befinde, der andere fragen, wieviel ein Dreier Pfennige hat, ein dritter für einen Heller Kleingeld einwechseln. Ich, als nur zu bekannt, sollte den Vexierreigen schließen. Ich glaube, ich war der dreizehnte und entging denn auch nicht dem Lose, welches nach dem Ammenglauben den dreizehnten trifft.

Alles ging vortrefflich. Der erste, mit schüchterner Stimme sich nach dem Befinden des Herrn Advokaten erkundigend, bekam eine ebenso freundliche Antwort und noch ein Stückchen Zuckerkant auf den Weg, brachte uns aber die nicht ganz angenehme Nachricht, daß statt der Frau Kurzinne nur ihr kleiner Ladendiener gekommen war. Der zweite mit der kalkulatorischen Frage und dem Dreier erhielt zur Antwort, das sei eine dumme Frage, der, dritte mit dem Heller aber schon den Bescheid, er solle sich hinausscheren und nicht wiederkommen. Als nun aber die eine Klingeltür sich öffnete, wenn sich die andere schloß, es klingelte, klappte, stürzte, lachte und man kam und lief, als wäre es eine Feuerprobe, fing auch der kleine Ladenhüter...



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