E-Book, Deutsch, 617 Seiten
Alexis Der falsche Woldemar
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95676-746-3
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 617 Seiten
ISBN: 978-3-95676-746-3
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W.Alexis, vormals G.Häring, beschreibt seinen jugendlichen Enthusiasmus und Patriotismus mit spürbarer Distanz. Der frühere “Franzosenhasser” wird mit dem wahren Leben konfrontiert. Die meisten Kontakte mit der dortigen Bevölkerung gestalten sich als durchaus angenehm. Dagegen kritisiert er voller Widerwillen das ganze Arsenal der hirnrissigen militärischen Torturen, denen er und seine 'freiwilligen' Kriegskameraden ausgeliefert sind.
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Die alten Zeiten.
Erstes Kapitel. Um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts sah es traurig aus zwischen Elbe und Oder. Der Herr, der Himmel und Erde geschaffen, hat den Sonnenschein verschieden ausgetheilt über die Länder; aber dorthin, wo die deutsche Zunge ausgeht, und die slavische anfängt, fiel die Spende seines Sonnenlichtes kärglich aus. Es hatte nicht Macht, die Sümpfe auszutrocknen, die das Meer zurückließ, noch zu durchglühen die dichten, starren Wälder, noch zu wärmen den Boden, daß er die Geschlechter der Menschen freiwillig ernähre, welche der Strom der Völker dahin verschlug. Diesen Geschlechtern selbst hat der Herr die Aufgabe gestellt, daß sie mit der Natur ringen. Sie sollen den Boden im Kampf mit den Stürmen und Gewässern selber sich machen, der warmen Sonne einen Teppich ausbreiten, drauf sie mit Lust weilen, und ein Land sich schaffen, das ihnen lieb wäre, und den andern ein froher Anblick. Das war eine harte Aufgabe; und, wie viele Jahrhunderte darüber verstrichen, sie ist selbst heute noch nicht zu Ende. Noch immer müssen sie fortarbeiten im Schweiß ihres Angesichts, daß sie den Sand bändigen und festigen, den der Wind unter der Pflugschar fortweht; und es ist nicht mit der Arbeit gethan, die der Arm verrichtet und lenkt; denn dadurch wird die träge Natur nicht zum Leben bewältigt, noch die Sonne gezwungen, daß sie heller scheine auf das errungene Land. Die saure Arbeit ruft den Geist um Beistand auf, daß er erfinderisch neue Mittel schaffe, und ein ander Licht leuchten lasse, wo die Sonne nicht dringt durch die nordischen Nebel. Und wie oft ward diese Arbeit unterbrochen; und gerade dann, wo es den Anschein hatte, als sei die Ernte endlich vor der Thür! Und so schreckhaft und fürchterlich unterbrochen, daß die Furchtsamen verzweifelten, und die Kleinmütigen wähnten, es laste Gottes Zorn auf dem Lande; darum sei es vergebens, seiner Hand zu widerstehen. Aber diese Geschicke waren nicht die Geißelschläge seines Zornes; es waren die Prüfungen und Feuerproben für ein Geschlecht, das da lernen sollte, nie zu verzagen; und wie es mit der Armuth des Bodens und den Elementen gerungen um ein besser Dasein, also solle es auch kämpfen mit den Mißgeschicken und sich stählen zur Selbstständigkeit unter den Schlägen, die den Schwächern allemal am härtesten treffen, wo starke Mächte mit einander streiten. Von den Unglückszeiten zu schweigen, die wir oder unsere Väter noch miterlebt: es hat auch in der Vorzeit wohl kein Land und Volk so viele und schwere Prüfungen überstanden, als das unsere. Das geht weit hinauf, und es hält schwer, daß wir diese bösen Zeiten vergleichen und entscheiden, welche die schlimmste war. Denn wer leidet, meint, ihm ginge es zum schlimmsten, und er vergißt im eigenen Schmerz den Schmerz, den Andere leiden und vor ihm gelitten. Ja unser Gedächtniß ist dann so kurz, daß uns das ehedem Erduldete gering vorkommt gegen das Uebel, unter dem wir im Augenblick seufzen. So vergaßen wir, als der Druck der Franzosen auf uns lastete, des Druckes, den die Großväter und Urgroßväter im siebenjährigen Kriege ertragen. Und so hatten Die dazumal auch vergessen, um wie viel schlimmer der dreißigjährige war. Ja dieser Krieg war gräßlich, und wir vermeinen noch bisweilen den Leichengeruch und den Branddunst zu riechen. Und noch furchtbarer und jammernswerther wird er, so wir uns ins Gedächtniß rufen, welche Saaten da zertreten, welche Fruchtgärten und Wälder zerstört wurden, und wie der Fleiß von zwei Jahrhunderten und länger, die Früchte der Hohenzollernherrschaft, schien's, als wär's die Arbeit von zwei Tagen gewesen; die vernichtet man in einer Stunde. Aber drei Jahrhunderte vor dem dreißigjährigen Kriege sah es in den Landen zwischen Oder und Elbe kaum minder wüst und traurig aus. Da lagen die Leichen auch unbegraben an den Landstraßen, und der Aasgeruch lockte die Raben aus den Lüften, die Wölfe aus den Haiden. Nachts sahest du den Himmel geröthet von den Feuersbrünsten, und die Lüfte zitterten vom Wehgeschrei der Beraubten, der in Knechtschaft Fortgeschleppten. Und hin war mit dem Frieden die Sicherheit. Der Nachbar schloß sich vom Nachbar ab; die Gerechtigkeit war flüchtig und die Zwietracht wucherte unter den Edeln und Gemeinen. Es hatte Niemand das Regiment und Niemand den Gehorsam; nur Zweie herrschten allein in der Mark Brandenburg, das war die Furcht und die Gewalt. Dem armen Lande fehlte Alles: ein Fürst und eine Herrschaft, Ordnung und Gesetz; und, was schlimmer, auch der Gemeinsinn war erstorben, welcher die Völker aufrecht erhält, wenn die Zeiten über sie fortstürmen und sie zu verschlingen drohen. Ihnen fehlte auch die Hoffnung. Da, wer so im Strudel ist, hält sich auch an den Schatten eines Strohhalms. Das waren die Zeiten der Baiernherrschaft über die Marken. Vom Jahre 1320 bis um die Mitte des Jahrhunderts, und von denen wollen wir reden. Mit dem glorreichen Woldemar war das Ballenstädtsche Geschlecht der Grafen von Anhalt, wir nennen sie die Ascanier, ausgestorben. Hundert Arme griffen nach der Erbschaft, bis die schwache Hand eines Knaben sie davon trug. Der Baier Ludwig, den sein Vater, der Kaiser, mit der Herrschaft der Ascanier belehnte; aber sie war nur noch ein Schatten, und, was er gewann, ein gefährlich Spielzeug in der Hand eines Kindes. Die Hand war zu schwach. Um ihn her hielt ein jeder Mächtige sich mehr im Rechte; er riß an sich, was seine Faust greifen und der leichtfertige Knabe nicht festhalten mochte, und so zersplitterte ein mächtiges, blühendes Reich. So oft riß der Sturm das Auferbaute nieder; so oft mußte von Neuem angefangen werden, in unserm Vaterlande die Herrschaft deutscher Gesittung und Ordnung zu gründen; und so lange dauerte die Wüstenei dazwischen, daß wir die frohen Zustände vergaßen. Wir wissen es Alle nicht, was die Mark unter den Ascaniern war; aber die Rudera, die sie zurückließen, sind ein Maßstab, nach dem wir ihre Größe und das Glück des Landes hoch anschlagen müssen. In dem slavischen Lande, wo sie zwischen Moor und Seen, in den Brüchen und dem Sande nur wendische Blockhäuser und Lehmhütten gefunden, bauten sie reiche und schöne Klöster, Dome mit gewaltigen Thürmen von Granitquadern und gebranntem Mauerstein; Kunstwerke, so erhaben, schön und gediegen, wir schauen sie mit Neid und Betrübniß an. Noch heute trotzen sie der Witterung, kaum ihre Spuren verrathend. Da erwuchsen mächtige Städte, mit deutschen Freiheiten und deutschem Gewerbfleiß, deren Handel weit über Land bis über die Meere ging. Die Flüsse starrten von Wimpeln reichbeladener Kähne, die Straßen von Wagen und Karren mit Kaufmannsgütern. Die Wälder wurden gelichtet, die Moorbrüche getrocknet, und die Colonisten aus Friesland, Flandern, Holland, und vom Rheine, die sie ins Land gezogen, verwandelten die Sandheiden in Gärten. Die nackten Höhenzüge schuf der Fleiß um in liebliche Weinberge, und ihrer gab es so viele in den Marken, daß ihr Name, der allein von ihnen blieb, heut als ein neckender Spott klingt. Und mit ihrer Thätigkeit wuchs der Ascanier Macht. Nördlich erstreckte sich ihr Reich über Pomerellen bis Danzig und an die Ufer der Ostsee, südlich umfaßte es die Lausitz, und war ein gefürchteter und geachteter Nachbar dem Böhmenreiche. Auch über die Elbe hin reichte ihr Besitzthum, gen Mitternacht die Altmark umfassend, gen Mittag manche reiche Grafschaft in den sächsischen Gauen. Und wie sie auf ihr Recht fest hielten im Lande, und mit starker Hand, einträchtig unter einander, sich wehrten in Freuden gegen männiglich ihres Guts, so galt ihre Stimme, und tönte klangvoll durch die deutschen Lande. Die Ascanier hielten an dem Hause der Hohenstaufen; sie kümmerten nicht die Blitze, die Rom gegen sie schleuderte. Bis zum Ausgange des Heldengeschlechts hielten sie unwandelbar in deutscher Treue an ihm, und auf den Trümmern des Welfenreiches, das sie mit gestürzt, erhob sich ihre Macht. Da war die Mark Brandenburg das mächtigste Land im deutschen Reiche, seine Grenzburg und sein Schild nach Mitternacht und Morgen. In allen schwierigen Fällen schaute man auf seine Fürsten, und die Wagschaale sank, in die ihre Markgrafen ihr adelig Wort thaten. Die Nachbarlande fügten sich, und die Pommern wagten es nicht, das Lehensband abzustreifen, das Brandenburgs Fürsten in guter Zeit um ihren Nacken geschlungen. Und wie sie herrlich waren, an Tapferkeit, Muth und Weisheit die ersten und edelsten unter den germanischen Edeln und Fürsten, so überhoben sie sich dessen doch nicht in Stolz und Eitelkeit. Nicht Stahl und Waffen allein, noch Mauern und Burgen waren ihr Stolz, vielmehr blüheten schon Wissenschaft und Kunst an ihren glänzenden Höfen; und die im Turnier und in der Schlacht Kränze und Preis errungen, dünkte das höherer Ruhm, als im Wettstreit süßer Minnelieder um den Preis edler Sangeskunst zu werben! Als wie ein Blumenfeld, das zu früh aufschießt im Jahr, und der Winter kommt wieder, und Schnee und Frost begraben die bunte Pracht, so ging das herrliche Fürstenhaus unter. Schnell kam die Nacht nach einem hellen Tage. So reich es war an ritterlichen Prinzen, an weisen Männern, an wohlwollenden, klugen Herrschern, an glücklichen Feldherren, an edlen Frauen und an schönen Fräulein, an Lust, Liebe, Gesang und Ruhm, um so reichere Ernte hatte der Tod. Da waren so viele Prinzen des Hauses Anhalt zu Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts, daß sie auf einem Familientage sorgten, was denn daraus werden solle, wenn es so fortginge! Und nachdem nur neunzehn Mal die Frühjahrssonne des neuen Jahrhunderts das Eis der Havel und Spree geschmolzen, waren die Grüfte voll, und das Haus leer und stand auf zwei Augen; und als die Herbststürme kamen, waren auch die geschlossen, und mit dem blühenden...




