E-Book, Deutsch, 307 Seiten
Alexis Der neue Pitaval - Band 11
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95676-906-1
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 307 Seiten
ISBN: 978-3-95676-906-1
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Willibald Alexis (eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Häring, * 29. Juni 1798 in Breslau, † 16. Dezember 1871 in Arnstadt) war ein deutscher Schriftsteller, der als Begründer des realistischen historischen Romans in der deutschen Literatur gilt. Neben den Romanen verfasste Alexis zahlreiche kleinere Erzählungen und Geschichten, Gedichte und Balladen, Reiseschilderungen und biographische Abrisse (etwa über William Shakespeare und Anton Reiser) und gab mit Hitzig ab 1842 den Neuen Pitaval heraus, eine Sammlung von authentischen Kriminalgeschichten, wobei die Autoren ihren Schwerpunkt auf die Psychologie der Verbrecher legten und durch spannungsgeladene Darstellung unterhalten wollten. (Auszug aus Wikipedia)
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Georges Cadoudal's Verschwörung
1804. Die Augen der Welt waren auf das Riesenlager des ersten Consuls in Boulogne gerichtet. Die Axt- und Hammerschläge der Schiff- und Hafenbauer von der eisernen Küste, wie Franzosen und Britten sie nannten, dröhnten über den Kanal, und in England selbst fing man an, an den Ernst Dessen zu glauben, was vorhin, und zum Theil heute noch, als ein ungeheueres Spiel betrachtet ward, um die Aufmerksamkeit von einem andern ungeheuern Ernste abzulenken. Die Brücke über den Kanal schien durch 2000 bis 3000 flache Fahrzeuge geschlagen, und im Februar 1804 erwarteten Napoleon's Vertraute den Versuch, England seine Meeresherrschaft durch einen Einfall in sein Land, durch eine Eroberung, zu entreißen. Dieses Unternehmen, welches der Welt eine andere Gestalt gegeben, mit unberechenbaren Folgen für ihre Geschichte, wenn es gelungen, scheiterte an einer Verschwörungsgeschichte, an einem Criminalprocesse. Napoleon, dessen Auge überall war, dessen Gegenwart ordnend und belebend den Geist in das chaotische Treiben dieser militairisch industriellen Werkstatt gebracht, war nach Paris zurückgekehrt und hier fesselten ihn bald solche persönliche und politische Sorgen, daß Boulogne und Brest und das eroberte England in den Hintergrund traten. Fouché, den Napoleon dem Volkswiderwillen bei Uebernahme des lebenslänglichen Consulats geopfert hatte, war nicht mehr Minister, aber sein Polizeigeist fand keine Ruhe in der Ruhe. Er konnte nur leben, indem er Entdeckungen machte. Vortrefflich unterrichtet durch die fortgesetzte Verbindung mit seinen früheren Agenten, brachte ihn das fortdauernde Gehen und Kommen verdächtiger Personen, ehemaliger Chouans und Emigranten, auf die Ueberzeugung, daß ein neues Complot gegen die Person des ersten Consuls im Werke sei. Napoleon hielt sich ebenfalls davon überzeugt. Die gewöhnliche Polizei, unter dem Staatsrathe Réal, wußte zwar nichts darüber, aber die Gensdarmerieberichte stimmten mit Fouché's heimlichen Mittheilungen, und er selbst zog die Schlußfolgerung, daß die ihm feindlichen Parteien der Royalisten und Republikaner den Widerausbruch des Krieges als die günstigste Gelegenheit betrachten mußten, neue Versuche zu unternehmen. Mehre Chouans waren verhaftet worden, es regte sich in der Vendée, wo Coscribirte kleine Banden bildeten. Oberst Savary, mit mobilen Colonnen und einigen Mann der Elitegensdarmerie dahin geschickt, vertrieb sie zwar, doch ohne etwas von Wichtigkeit zu entdecken. Der Kern der Bewegung mußte anderswo sitzen; die Spuren führten auf Paris zurück und die Entdeckungen einer dunkeln, aber furchtbaren royalistisch-republikanischen Verschwörung folgten sich, langsam, aber überzeugend. Der Criminalfall gehört in seinen Motiven den höchsten Regionen der Geschichte an, die Thatsachen sind längst an ihr Licht getreten; wir dürfen daher bei Aufzählung der Hergänge und Entdeckungen, in den Hauptzügen ihr folgen, ohne uns dabei an die Schranken der actenmäßigen Mittheilungen zu ängstlich zu halten, welche hingegen, wo es Beweisstücke gilt, wieder in ihr volles Recht treten. Ueber Existenz, Zweck, Ausdehnung der Verschwörung sind nach den Eingeständnissen des einen Theils der Angeklagten keine Zweifel, nur das ist weder actenmäßig, noch historisch erwiesen, von wem sie ausging, welche Mächte daran Theil hatten und wie weit dieselben mit den Mitteln und Zwecken der Verschwörer einverstanden waren. Die Emigranten in London hielten alle Mittel für erlaubt, um die alte Ordnung und den alten Besitz wieder herzustellen; die Geschichte führt diese Annahme als Thatsache auf. In wie weit die Häupter der alten Bourbonen den Mordplanen ihrer fanatischen Anhänger zugestimmt oder ein Auge zugedrückt, wird nie zur historischen Gewißheit gebracht werden. Wenn man die Erbärmlichkeit der von uns in einem früheren Theile erzählten Verschwörung von den »vergifteten Mohrrüben,« die in Warschau spielt, ins Auge faßt, darf man ihnen viel zutrauen. Und die Bourbonen in Warschau waren der verständigere Theil der Familie. Aber die französischen Geschichtsschreiber weisen die Schuld auch unmittelbar der britischen Regierung zu. In ihrer Angst, um den drohenden Schlag von sich abzuwenden, habe sie zu allen Mitteln gegriffen, auch zu solchen, welche die Moral wenigsten billigt. Gleichwie sie, während des ersten Krieges, gegen alle Machthaber, die in Frankreich nach einander auftraten, Empörungen angezettelt, alle Anführer der Bendée, der Chouans und der andern Emigranten auch im Frieden besoldet, habe sie auch um die Verschwörung gegen die Person des ersten Consuls, von der wir reden, gewußt, ihr zugestimmt, sie unterstützt und dadurch alle Grenzen des Völkerrechts überschritten. Als Beweise dafür werden angeführt, was wir vorläufig erwähnen: aufgefangene Briefe einiger untergeordneter englischer Diplomaten und Agenten und die großen Geldsummen, welche man bei den Verschwornen fand. Von den bourbonischen Prinzen, konnten dieselben nicht herrühren,da diese erlauchten Personen sich notorisch jener Zeit selbst in der größtenGeldverlegenheit befanden. Die englische Regierung und das englische Ministerium sind nie vor ein Criminalgericht deshalb gestellt worden; sie scheiden für uns deshalb aus diesem Processe aus. Ihre Anklage gehört vor das Weltgericht der Geschichte, wo sie sich pure, oder durch Recrimination, zu vertheidigen wissen werden, und es düfte schwer auch dort der Beweis zu führen sein, daß ein Pit oder Wyndham oder Addington Geld aus dem Staatsschatze hergegeben, in der bewußten Absicht, daß Napoleon damit in die Luft gesprengt oder erdolcht werde. Georges Cadoudal, der furchtbare, talentvolle, einst glückliche, General der Chouans, lebte, nachdem er mit der Republik Frieden geschlossen und Napoleon's Anträge, in der Armee einzutreten, ausgeschlagen, in London. Er lebte in Ueppigkeit von dem Gelde, welches die englische Regierung ihm zufließen ließ für sich und die andern Emigranten. Obgleich Plebejer, Geburt und Gesinnung nach, war er deren Mittelpunkt; auch die Prinzen Artois und Berry suchten seine Gesellschaft. Der Friede auf dem Continente nahm den Prinzen und andern Emigranten, die Hoffnung, mit der bewaffneten Macht des Auslandes wieder in Frankreich einzurücken. Auch von einem Bürgerkriege war nichts mehr zu erwarten; man konnte nur noch auf Complote hoffen. Sie lebten von Illusionen, die sich, in ihren Augen in Wirklichkeiten verwandelten. Der neue Krieg mit England hatte ihre Hoffnungen wieder belebt. Sie träumten von der gesunkenen Popularität des ersten Consuls; die Legitimen sehnten sich von Natur, die Revolutionaire wegen der Tyrannei des neuen Herrschers nach einem Sturze seiner Macht. Das geringste Ereignis mußte nach ihren Begriffen, denselben herbeiführen. Auch wimmele die Armee von Männern, welche auf Bonaparte's Ruhm eifersüchtig, seine Höhe nicht ertragen könnten, und, eben wie die Jacobiner seien die Generale gegen ihn erbittert. Alle diese sollten und konnten nur eine Partei werden, um Bonaparte zu stürzen und – die Bourbonen wiederherzustellen – das waren deren Träume. Die Verschwörung ward in London mit altfranzösischem Ungestüme betrieben. Der Graf Artois ging eifrig und hoffend darauf ein. Ludwig XVIII. in Warschau blieb ihr fern; ebenso die Conde's, die zwar in London lebten, aber ohne Vertraulichkeit mit den Prinzen des älteren Zweiges. Sie galten nicht für Politiker, nur als gute Soldaten, stets bereit, die Waffen zu ergreifen und an ihrem Platze zu stehen. Der Plan war, Bonaparte zu vernichten. Mit ihm stürzte die Consularregierung. Nach Annsicht der Bourbonen blieb für Frankreich dann nichts übrig, als sie selbst. Zu einem offenen Aufstande fehlten die Mittel; die Vendée war erschöpft, entmuthigt, und brauchte es noch des Beweises, daß die Vendée Frankreich nicht umkehren kann? »Eine Höllenmaschine hatte sich als unpraktisch erwiesen, ein vereinzelter Dolchstoß, wenn er glückte, blieb ein Meuchelmord. Aber man fand ein neues Mittel, eine Art ritterlicher That, Bonaparte auf offenem Felde, in offenem Kampfe, Bewaffnete gegen Bewaffnete, zu erlegen. Dieser Gotteskampf mußte nur so eingerichtet werden, daß die Mehrzahl der Kämpfenden auf Seiten der Angreifenden war, um des Sieges gewiß zu sein. Der erste Consul fuhr gewöhnlich auf dem Wege zwischen Paris und Malmaison in Bedeckung von zehn oder zwölf Cavaleristen. Wenn Georges ihn auf diesem Wege mit hundert entschlossenen Männern angriff, konnte er des Sieges gewiß sein und es war doch ein offener ehrlicher Kampf – redete man sich ein. . Aber Georges Cadoudal hatte doch noch, in seinem militairischen Ehrgefühle, Bedenken. Um den Gedanken des Meuchelmords ganz zu entfernen, verlangte er die Gegenwart zweier, wenigstens eines Prinzen. Wenn diese, den Degen in der Hand, an seiner Seite standen, war es gewiß kein Meuchelmord, es war ein Kampf um die Krone ihrer Ahnen. Ein Ueberfall von Hundert gegen Zehn, aber geadelt durch die Gegenwart eines Bourbonen! Georges war ein Meister in der Kunst solcher Ueberfälle; in den Wäldern der Bretagne hatte er sie geübt. Weil er Prinzen zu Mitschuldigen hatte, sagt Thiers, hegte er nicht die Besorgniß, den Werkzeugen gleichgestellt zu werden, deren man sich bedient, um sie nachher wegzuwerfen. Aber wie nachher? – Alle Parteien hatten sich überlebt. Die Macht war nur noch bei der Armee; sie war der Revolution ergeben und haßte die Emigranten, welche so oft in den fremden Armeen ihr gegenüberstanden. Die Armee mußte gewonnen werden und der Mann dazu fand sich in Moreau, der an militairischem Ruhme Napoleon beinahe gleichstand, an Selbstschätzung vielleicht über ihm....




