E-Book, Deutsch, 282 Seiten
Alexis Der neue Pitaval - Band 15
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95676-907-8
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 282 Seiten
            ISBN: 978-3-95676-907-8 
            Verlag: OTB eBook publishing
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 0 - No protection
Willibald Alexis (eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Häring, * 29. Juni 1798 in Breslau, † 16. Dezember 1871 in Arnstadt) war ein deutscher Schriftsteller, der als Begründer des realistischen historischen Romans in der deutschen Literatur gilt. Neben den Romanen verfasste Alexis zahlreiche kleinere Erzählungen und Geschichten, Gedichte und Balladen, Reiseschilderungen und biographische Abrisse (etwa über William Shakespeare und Anton Reiser) und gab mit Hitzig ab 1842 den Neuen Pitaval heraus, eine Sammlung von authentischen Kriminalgeschichten, wobei die Autoren ihren Schwerpunkt auf die Psychologie der Verbrecher legten und durch spannungsgeladene Darstellung unterhalten wollten. (Auszug aus Wikipedia)
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
 Alibaud
1836 Am 25. Juni 1836 gegen 5 Uhr Nachmittags sah man einen jungen Mann von etwa 26 Jahren auf dem Carrouselplatze in Paris in der Nähe des Triumphbogens umherspazieren. Er schien auf Jemand mit lebhafter Ungeduld zu warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, knüpfte er mit den Schildwachen Gespräche an. In der Hand trug er einen schwarzen Stock, den er immer in der Mitte anfaßte, ohne die Spitze auf das Pflaster zu setzen. Darüber mochte eine Stunde verstrichen sein, als man im Hofe der Tuilerien die Wagen rollen hörte. Der König, der damals sein Schloß Neuilly bewohnte, kehrte, nachdem er einige Stunden in den Tuilerien verbracht, dahin zurück. In demselben Augenblicke brach der junge Mann schroff und kurz sein Gespräch ab, verließ den Carrouselplatz und begab sich ins Innere des Gitters desjenigen Tuilerienhofes, der nach dem Seinequai hinausgeht. Dort setzte er sich auf einen Eckstein und plauderte mit Einigen, welche auf die Durchfahrt des Königs warteten, wahrscheinlich Alle nur aus Neugier. Der königliche Wagen rollte vor. Ein Piquet Nationalgarde zu Pferde und ein Piquet Husaren escortirten ihn. In dem Augenblicke war der junge Mensch aufgesprungen und hatte seinen Stock mit der Spitze auf die Wagenthür des Königs gelegt. Der Stock war nichts Anderes als ein Flintenrohr von neuer Erfindung. Er ließ einen verborgenen Drücker los und der Schuß entlud sich. Auf den König hatte er gezielt, aber der König ward nicht getroffen. Die Kugel des Feuerrohrs ging in den obern Theil der Seitenwand des Wagens, während die noch brennende Patrone auf Louis Philipp's Kopf fiel. Im selben Augenblicke hatte auch schon ein dienstthuender Adjutant den jungen Menschen bei den Haaren ergriffen. Mehre Leute standen ihm bei. Man entriß ihm einen Dolch, mit dem er sich einen Stich versetzen wollte, und schleppte ihn nach dem nächstgelegenen Wachtposten der Nationalgarde. Er verweigerte seinen Namen zu nennen. Durch einen merkwürdigen Zufall befand sich unter dem dienstthuenden Personal der Nationalgarde im Tuilerienhofe an jenem Tage ein Sergeant, der Büchsenmacher und zugleich derselbe Büchsenmacher war, welcher diese neuen Stockgewehre erfunden und eines derselben dem jungen Menschen verkauft hatte. Das Mordgewehr, mit dem Louis Philipp getödtet werden sollte, war von dem Sergeanten gefertigt, welcher zur Bewachung der königlichen Person commandirt worden! Der Sergeant, Büchsenmacher Devisme, wohnhaft Rue du Helder, erkannte auch sofort den Mörder. Es war ein junger Kaufmannscommis, der vor einigen Monaten sich bei ihm eingefunden, um seine neuerfundenen Stockflinten zu besichtigen. Der Commis hatte erklärt, daß er sich wol im Stande glaube, ihm einen reichlichen Absatz für dieselben in der Provinz zu verschaffen, wenn er, der Fabrikant, ihm eine kleine Anzahl davon, als Proben, überlassen wolle. Der junge Commis hieß Alibaud und wohnte Rue de Valois-Batave No. 5. Devisme hatte ihm Glauben geschenkt und fünfundzwanzig Stück der neuen Flintenstöcke in seine Wohnung geschickt. Kurze Zeit nachher erhielt aber der Büchsenschmied vierundzwanzig dieser Flinten mit einem Schreiben Alibaud's zurück, worin dieser ihn benachrichtigte, daß es ihm nicht gelungen, einen Absatz für die Gewehre zu verschaffen. Die fünfundzwanzigste Flinte wäre ihm augenblicklich abhanden gekommen; sobald er sie aber wiederfinde, werde er ihm auch diese zurückstellen. Der Gefangene verleugnete nun nicht mehr seinen Namen. Ja, er heiße Alibaud und Alles, was Devisme ausgesagt, sei richtig. Er rief: »Wenn ich im ersten Augenblicke meinen Namen verschwieg, so geschah es nur aus Rücksicht für meine Familie. Denn ich bereue nicht, was ich gethan, und wenn ich frei wäre, würde ich es wieder thun.« Indem er sich zu den Nationalgarden wandte, sagte er: »Ach, Ihr wißt Alle nicht, was eine wahrhafte Ueberzeugung vermag!....Fragt da den Soldaten, die Schildwacht, mit der ich vor einer Stunde plauderte, dort am Triumphbogen, fragt ihn, ob ich nicht vollkommen ruhig war.« Nach der Conciergerie geführt, blieb er in der Rolle, die er bis da gespielt. Auf alle Fragen erklärte er, daß er die That mit vollen Bewußtsein verübt, daß er sie jeden Augenblick wiederholen wolle und würde, wenn ihm die Mittel dazu geboten wären. Mitschuldige habe er nicht. Schon am folgenden Tage, 26. Juni, berief eine königliche Ordonnanz die Pairskammer, um sich als Gerichtshof zur Aburtheilung dieses neuen Attentats zu versammeln. – Der Proceß war kurz; man hatte, aller Bemühungen ungeachtet, keine Mitschuldigen entdeckt. Ebensowenig konnte man in der Instruction mehr von Alibaud selbst entdecken, als was er freiwillig gleich nach seiner Verhaftung ausgesagt. Mit vollkommener Fassung erwartete er den Tag, wo er vor dem hohen Gerichtshofe erscheinen sollte. Er verhehlte sich nicht, was sein Loos sein werde. Man hatte ihn in dieselbe Gefängnißzelle gesetzt, in welcher Fieschi vor ihm gesessen. Er besah sich die Mauern, auf denen sein Vorgänger mit Kohle allerlei trübselige Figuren gezeichnet und Verse und Sentenzen geschrieben hatte. »Dieser Mensch ist völlig zum Dummkopf geworden«, sagte er, die Achseln zuckend. »Und dennoch wird er und ich zugleich auf die Nachwelt übergehen. Aber Sie sollen sehen, wie anders ich mich betragen werde als er. Er war nichts als ein Schwätzer, ein Plappermaul, der wunder was für Wirkung sich versprach mit seinem aufgeblähten Froschgequak, seiner Gespreiztheit und seinen Autographen! Nichts half's ihm, der Kopf ward ihm doch abgeschnitten.« Der Pairshof tagte schon am 8. Juli als Gerichtshof unter Pasquier's Präsidentschaft. Alibaud erschien in einem schwarzen Ueberrock, schwarzer Weste und weißen Pantalons. Sein bleiches, abgemagertes Gesicht war eingeschlossen in einen mächtigen Backenbart, der sowie sein Haar schwarz und glatt wie Ebenholz war. Mit festem Schritte, doch ohne theatralischen Anstand ging er auf den Sessel zu, der ihm hingestellt war. Auf die Generalfragen nannte er sich Louis Alibaud, geboren zu Nîmes, früher Soldat und 26 Jahre alt. Er bekannte Alles, dessen er in der Anklage bezüchtigt ward, und erkannte auch den Flintenstock, der ihm vorgelegt ward, als denjenigen, mit welchem er den König tödten wollen. Desgleichen den Dolch, den man ihm entrissen. Auf die Frage: gegen wen er diese Waffe bestimmt, antwortete er mit fester Stimme: »Für mich.« – Ihr Zweck, indem Sie dieses entsetzliche Verbrechen ausführen wollten, war es nicht, einen vollkommenen Umsturz herbeizuführen und demnächst die Errichtung einer Republik? »Ja, mein Herr.« – Seit wie lange haben Sie diesen furchtbaren Plan genährt? »Seit Philipp I. Paris in Belagerungszustand erklärt hat. Seit Philipp I. hat gouverniren wollen, statt zu regieren. Seit Philipp I. die Bürger in den Straßen von Lyon massacriren lassen und am Kloster Saint-Merry. Seine Regierung ist eine Regierung des Blutes. Die Regierung Philipp's I. ist eine infame Regierung. Darum habe ich den König tödten wollen.« Weiter war nichts von ihm herauszubringen. Er wiederholte, daß er keine Mitschuldigen habe und auch nicht bereue, was er gethan. Unter den vernommenen Zeugen war der wichtigste ein Kaufmann Corbière zu Perpignan. Alibaud hatte ihm viermal aus Paris geschrieben, daß er den Entschluß gefaßt, den König umzubringen. Der Zeuge entschuldigte sich damit, daß er nicht an die Wahrhaftigkeit der Versicherung geglaubt, sondern sie für Renommisterei gehalten. Alibaud hatte bis da diesen Umstand abgestritten. Vor den Pairs räumte er ihn jetzt ein. Andere Zeugen legten ein gutes Zeugniß für Alibaud's Sittlichkeit ab. Zwei bekundeten, daß Alibaud in der Julirevolution als Soldat in Paris stand, daß er sich aber geweigert, auf das Volk zu schießen, und sich darauf entwaffnen lassen. Aber ebenso hatte er sich geweigert, auf den Barrikaden zu kämpfen, weil er dann auf seine frühern Kameraden hätte schießen müssen. Die Advocaten Ledru und Bonjour traten als Alibaud's Vertheidiger auf. Es war eine schwere Aufgabe. Der Erstere schloß seine Vertheidigungsrede mit den Worten: »In dieser Nacht, gequält von der Unruhe, die mich ergriffen, seit mir diese schreckliche Aufgabe geworden, wo ich doch nichts weiß, was ich für diesen Mann sagen soll, wo ich nichts um mich sehe als Abgründe, werfe ich meinen Blick auf ein Buch.... Ich öffne es, es ist Corneille, der große Corneille. Von ihm forderte ich Rath in meiner trostlosen Rathlosigkeit. Ich las darin, meine Herren, daß eines Tages Augustus die Verschwörung Cinna's entdeckt hatte, desselben Cinna, den er mit Wohlthaten überhäuft hatte. »Er ließ ihn kommen: Du willst im Capitol mich morgen niederstoßen,
Am Opfersteine; vor dem heil'gen Opferbrand
Soll ich das Opfer sein von Deiner Mörderhand. »Augustus war das Opfer und der Richter. Er war gnädig.... Seitdem suchte nicht mehr der Dolch der Mörder nach seiner Brust. »Meine Herren, seien auch Sie gnädig gegen Alibaud. Das ist die allersicherste Politik!« Darauf erhob sich Alibaud und zog ein Manuscript aus der Tasche, das er mit Ruhe vorlas. Der Präsident mußte ihn indessen bald unterbrechen, indem er ihm vorstellte, daß er durch diese Art der Vertheidigung, durch so heftige Declamationen seine Lage nur verschlimmere. Alibaud ließ sich dadurch nicht stören: »Mein Herr Generalprocurator, Sie haben durch Ihre Anführungen mein Leben zu brandmarken versucht. Indessen wissen Sie, daß... 





