E-Book, Deutsch, Band 1, 208 Seiten
Reihe: Paula und Lou
Allert Paula und Lou - Wirbel in der Sternstraße (Paula und Lou 1)
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7607-9845-5
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 208 Seiten
Reihe: Paula und Lou
ISBN: 978-3-7607-9845-5
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Judith Allert wurde 1982 geboren. Seit sie alle Buchstaben gelernt hat, versteckt sie sich sehr gerne und ausdauernd zwischen zwei Buchdeckeln. Während sie in Bayreuth Neuere Deutsche Literaturwissenschaft studierte, veröffentlichte sie ihre ersten Kinderbücher. Heute lebt Judith Allert mit ihrem Mann, Hunden, Katzen, Pferden und Wollschweinen auf einem alten Bauernhof in der oberfränkischen Pampa, wo sie sich beim Unkrautzupfen neue Geschichten ausdenken kann.
Weitere Infos & Material
1.Kapitel,
in dem zur Geisterstunde viel passiert, eine Roboterbande angreift und sich zwei beschnuppern müssen
Der zweite Schlag der Kirchturmuhr klang bis in Paulas Traum. Sie schlief zwei Stockwerke über Muhackl, hinter dem Fenster mit den Papp-Fledermäusen. Drei, vier, fünf… Beim zwölften Schlag machte Paula die Augen auf. Schade, sie hätte so gerne weitergeträumt! Ihr Traum war richtig schön gruselig gewesen: Sie und der Geist wollten Larissa gerade ordentlich eins auswischen!
Natürlich war ihr Geisterfreund kein langweiliges Bettlaken-Gespenst, das nur mit seinen Ketten rasselte, sondern ein Geist. Ein Wiedergänger, der durch Wände gehen konnte und Gegenstände zum Schweben brachte!
Er sah fast aus wie ein ganz normaler Junge, nur seine Kleidung war unheimlich altmodisch. Kniestrümpfe und Hosenträger. Außerdem war er schwarz-weiß, wie auf einem alten Foto.
Nachdem er Paula sein gruseliges Schloss gezeigt hatte, hatte er sie an der Hand genommen und sich mit ihr zusammen unsichtbar gemacht. Und ausgerechnet in dem Moment, als Paulas Erzfeindin Larissa sich vor Bammel fast in ihre Glitzerjeans gemacht hätte, war Paula aufgewacht!
Paula kletterte aus dem Stockbett. Sie schnappte sich ihre Decke und wickelte sich ein wie eine Kohlroulade. Der Mond hatte die Klamottenhaufen und Bücherberge auf ihrem Fußboden in eine Schattenlandschaft verwandelt. Im Slalom bahnte sie sich einen Weg hindurch und machte es sich auf dem Fensterbrett gemütlich. Ein Vogel, der sich mit seinem Ausflug in der Uhrzeit geirrt hatte, flatterte vor der Scheibe einen Bogen und verschwand hinter dem Haus mit der Nummer 9.
Das Dachrinnen-Konzert konnte Paula durch das Fenster nicht hören, aber sie sah, wie die Schatten der Äste über die Hauswand tanzten. Und noch etwas sah sie: Hinter einem der Fenster flackerte ein schwacher Lichtschein und eine dunkle Gestalt bewegte sich durch das Zimmer.
Wie elektrisiert setzte Paula sich auf und starrte gebannt auf das Nachbarhaus. Aber das stand doch leer! Seit einer Ewigkeit! Es war eine stinklangweilige Bruchbude. Paula war zwar schon hundertmal daran vorbeigegangen, aber sie hatte das Haus nie besonders beachtet.
Paula fielen fast die Augen aus dem Kopf: Die schiefe Dachrinne, der bröckelige Putz und die vergilbten Vorhänge hinter den Fenstern, die im Mondlicht fast grün aussahen – na klar! Alles war haargenau wie in ihrem Gespensterbuch, das sie vor dem Einschlafen gelesen hatte! Wie hatte sie das nur übersehen können? Paula lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter und sie zog sich die Decke fester um die Schultern. Für das unheimliche Schauspiel konnte es nur eine Erklärung geben: Im Nachbarhaus spukte es!
Zur gleichen Zeit hatte auch Lou eine Gänsehaut. Der Grund war kein Geist (Lou glaubte nicht an Geister), sondern eine riesige, haarige, eklige, schwarze Spinne, die im Treppenhaus an der Wand saß und Lou anstarrte. Natürlich sah sie nicht die Augen der Spinne, aber angestarrt fühlte sie sich trotzdem. Lou schüttelte sich. Sie wollte gar nicht wissen, was hier noch alles herumkrabbelte. Eine ganze Kellerassel-Großfamilie hatte sie schon gesehen. Außer diesen unerwünschten Haustieren konnte Lou eine Reihe von Sachen aufzählen, die ihr ganz und gar nicht gefielen. Zum Beispiel die Tapeten, die eindeutig aus dem vorletzten Jahrhundert waren. Komische Muster in unmöglichen Farben. Kotzorange oder Faule-Gurken-Grün. Die Möbel in den Gästezimmern sahen aus, als ob ganze Holzwurm-Generationen darin hausten, und die Teppiche waren so fadenscheinig, dass sie schon beim Hinsehen zu Staub zerfielen.
Lou ging die knarzenden Stufen hinunter. Hier oben, im ersten und zweiten Stock, waren die Gästezimmer. Sie hatte nur in ein paar davon hineingelugt und schon genug gesehen. Diese verstaubte Bruchbude sollte ein Hotel sein? Das Haus eignete sich höchstens für ein Kammerjäger-Fortbildungsseminar. Oder als Vorführhaus für Staubsauger-Vertreter!
Dabei hatte sie sich alles so toll ausgemalt. Ein bisschen wie in ihrer Lieblingsserie . Die spielte in einem totschicken Hotel, wo berühmte Filmstars und Schauspieler Urlaub machten. In Lous Vorstellung kam die Hauptdarstellerin Claire Canzoni persönlich zu Besuch. Sie trug ein schillerndes Designerkleid und hatte wie immer ihre Aufpasser dabei. Vier Männer wie Schränke, mit so dicken Muskeln, dass der letzte in der gläsernen Drehtür stecken blieb. Zum Glück hatte Lou in ihrem Hotel alles im Griff. Ein Fingerschnippen genügte, und drei Hotelpagen schoben schnell von hinten nach. – war der Bodyguard wieder frei, ehe der Vorfall Aufsehen erregen konnte. Das war wichtig, schließlich drängelten sich Dutzende Klatschreporter vor dem Hotel. Bei der berühmten Hotelchefin Lou Kleine gingen Stars und Sternchen fast täglich ein und aus.
»Louisa, meine Liebe!« Lou wurde von Claire Canzoni mit zwei Küsschen begrüßt. »Gut siehst du aus!« Anerkennend musterte sie Lous Outfit. Ein lila Minikleid mit einem silbernen Herz vorn drauf. Claire Canzoni nahm wie üblich in der knallroten Sitzecke neben dem Empfangstresen ihren Begrüßungscocktail ein und erzählte Lou dabei den neuesten Tratsch vom Seriendreh.
»Liebste Lou«, begann sie und klimperte mit ihren langen Wimpern. »Es ist schon nach zwölf! Zeit, ins Bett zu gehen!«
»Äh, aber… «, stotterte Lou. Ihre Gedanken stolperten zurück in die Realität – natürlich war das nicht Claire Canzonis Stimme, sondern die von Ronja, Lous Mutter. Schon hatten sich die Designermöbel in Luft aufgelöst und die seidenen Tapeten waren wieder kotzorange.
Klar, Lou hatte nicht wirklich gedacht, dass Claire Canzoni ihr Gast werden würde. Aber zumindest, dass das Hotel irgendwie angesagt sein würde. Und zwar so, dass nach der Schule ihre neuen Freundinnen mit zu ihr kämen. Dann hätten sie sich in eines der Hotelzimmer verzogen, sich vom Zimmerservice Chips und Limo bringen lassen und gemeinsam Strandhotel La Mare geschaut. Aber abgesehen davon, dass Lou noch u¨überhaupt keine Freundinnen hatte, hätte nicht mal Frankenstein freiwillig eine Nacht in dem Hotel verbracht!
»Ich komme schon!« Lou seufzte. Nicht mal Träumen klappte in diesem Haus! Sie nahm die letzten Stufen und schlurfte den Gang entlang. Unten, im Erdgeschoss, war die Empfangshalle. Nun ja, war übertrieben. Es war gerade mal Platz für ein paar staubige Sessel, eine potthässliche Standuhr und die Rezeption. Hinter der war eine Tür. war darauf zu lesen.
»Herzlich willkommen in unserem Vier-Sterne-Hotel, Madame Kleine!« Ronja kam aus der Tür. Sie trug Gummihandschuhe, eine staubige Latzhose und hatte Spinnweben in ihren blonden Locken. »Ich hoffe, der Rundgang durch unsere Gemächer hat Ihnen gefallen. Wenn ich Sie nun in die Prinzessinnen-Suite bitten dürfte?«, fragte sie mit einer eleganten Verbeugung.
Lou runzelte die Stirn. Die Prinzessinnen-Suite, also die enge Büro-Wohnung, bestand aus einem Tisch, ein paar Stühlen, einer Kochecke und einem schmalen Bett. Auf dem konnte man allerdings nicht schlafen, weil es mit Kartons und Koffern vollgestellt war. Außerdem gab es ein winziges Badezimmer, in dem der Wasserhahn klemmte. Genau wie der in der Küche.
»Für unsere Gäste bieten wir nur das Beste. Wie dieses elegante Schlafgemach«, fuhr Ronja fort und deutete auf die beiden Schlafsäcke und die Isomatten, die sie auf dem schmuddelig-braunen Teppichboden ausgebreitet hatte. »Wenn die Dame wünscht, kann sie es sich gerne bequem machen. Für die Zahnpflege habe ich bereits einen Schluck edelstes Bergquellwasser bereitgestellt. Von den Hängen des Himalaja von Hand geerntet.« Bei diesen Worten deutete Ronja auf eine Flasche Mineralwasser.
»Wasser, das man erntet? Im Himalaja?« Lou konnte sich nur schwer ein Grinsen verkneifen.
Ronja nickte. »Aber ja! Dies und viele weitere unserer Annehmlichkeiten werden Sie gewiss im Nu verzaubern, sodass Sie hier nie mehr abreisen möchten!«
»Man wird sehen«, antwortete Lou.
»Wohnen auf Probe« hatte Ronja nämlich den Umzug in das Hotel genannt. Wenn es Lou hier nicht gefiel, war das Experiment gescheitert. Und was Lou anging, hatte sie in den letzten Stunden eindeutig genug geprobt. Sie konnten gerne sofort wieder in ihre alte Wohnung fahren, die Kisten auszupacken lohnte sich gar nicht. Selbst Kläuschen, Mamas Exfreund, hätte Lou dafür in Kauf genommen. Kläuschen hieß eigentlich Klaus und war einer der Gründe, warum Lou jetzt hier war (neben den Tatsachen, dass Ronja das alte Hotel von ihrem Großonkel Hugo geerbt hatte und sich bei ihrer Arbeitsstelle hatte beurlauben lassen). Kläuschen hatte Lou bei ihrer ersten Begegnung eine Babypuppe geschenkt. So eine, die man oben füttern konnte und dann lief es unten in die Windel. Das war kurz nach ihrem achten Geburtstag gewesen! Jedenfalls vermisste Lou Kläuschen nicht besonders. Aber angesichts dieser Ungeziefer-WG wäre der vielleicht sogar das kleinere Übel.
Lou sah ihre Mutter an und schluckte ihre Einwände herunter, denn Ronja grinste vom linken bis zum rechten Ohrläppchen. Und das war in den letzten Wochen viel zu selten vorgekommen.
»Jetzt schau nicht so, Süße.« Ronja gab Lou einen Knuff und drückte sie sanft auf einen Stuhl. Er knarzte warnend unter ihrem Po. »Augen zu!« Lou lauschte, wie ihre Mutter in einer Tasche...