E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Altmann / Andrack / Dusse Wir haben die Wahl
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-97838-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum wir gerade jetzt für unsere Freiheit einstehen sollten
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-492-97838-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Deutschland im Jahr 2017. Donald Trump ist US-Präsident, Marine Le Pen geht in Frankreich auf Stimmenfang. Pegida verbreitet auf der Straße Fremdenhass, und mit der Alternative für Deutschland steht eine Partei zur Wahl, die sich scharfe und ausgrenzende Parolen zunutze macht. In dieser angsterfüllten Stimmung lässt sich kaum noch sagen, ob die politischen und gesellschaftlichen Werte der Demokratie Bestand haben werden – und gerade deswegen, finden die Autoren dieses Bandes, ist es Zeit, die Stimme zu erheben. Sie treten ein für eine offene und vielfältige Gesellschaft und schreiben an gegen die Bequemlichkeit der Unwissenheit, gegen Ignoranz und blinde Wut – damit uns das höchste Gut, die Freiheit, nicht verlorengeht.
Autoren/Hrsg.
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Andreas Altmann
Monsieur Hassan
Wo ich auch hinzog – immerhin schaffte ich drei Kontinente –, suchte ich zuerst ein paar wichtigste Dinge: eine Wohnung mit Bett und Tisch. Ein Kaffeehaus. Und einen Schneider. Der flickt und dafür sorgt, dass ich präsentabel durch die Welt gehe. Mit elegant sitzenden Hosen und Hemden. Viele Schneider habe ich getroffen. Die einen waren Gangster, die anderen super und die Mehrheit so lala. Doch in Paris fand ich ihn, den Schneider aller Schneider, den Meister, den Weltmeister: Monsieur Hassan. Ein Herr aus der Türkei, ein Ex-Flüchtling, der vor Jahren vor einem der zahlreichen Militärregimes seines Landes davonlief. Mindestens einmal die Woche komme ich bei ihm vorbei, und bisweilen hängt an der Tür seines winzigen Ateliers ein Schildchen mit dem Hinweis: Je reviens dans cinq minutes, bin zurück in fünf Minuten. Ah, das ist geschwindelt, denn Hassan, der Muslim, kniet hinter seiner Umkleidekabine. Und betet. Richtung Mekka, vermute ich. Dann warte ich geduldig, und irgendwann sperrt er wieder auf – und lächelt. Ich bin froh, dass er betet. Das klingt bizarr aus dem Mund eines notorischen Atheisten. Doch, das heimliche Murmeln scheint ihn zu wärmen. Selbst wenn ich überzeugt bin, dass Beten – in welche Himmelsrichtung auch immer, im Namen welches Herrn auch immer – nichts als Simsalabim ist. Aber bei Hassan gelingt der Selbstbetrug, auf wunderbar coole Weise: weil er nicht zu predigen beginnt. Weil er mir nicht verspricht, dass ich, der Ungläubige, zur Hölle fahre. Weil er nie einen heiligen Krieg anzettelt. Weil er als Fremder die Spielregeln des Landes bejaht, das ihm Asyl gewährt. Weil er seinen Landsmann Nâzim Hikmet liebt, den Dichterhelden. Und weil er – ganz orientalischer Gastgeber – uns stets zwei Tässchen türkischen Kaffees braut, sich gleichzeitig von mir ausfragen lässt und mich hinterher den »deli« nennt, den Verrückten. Mit Hassan würde ich gerne auf Tournee gehen, als meinem Vorzeigeflüchtling: einer, der sein Handwerk in die Fremde mitbrachte und so von Anfang an das Glück hatte, Geld und Anerkennung zu verdienen. Einer, der ein friedliches Herz besitzt und mit seinem Können und seinem Kichern zur Lebensfreude der Kundschaft beiträgt. Einer, der – so einfach der Mensch Hassan auch sein mag – als Weltmann auftritt: weil er nicht demütig und verdruckst daherkommt, sondern wie jemand, der ahnt, dass wir – wir sieben Milliarden – einander ebenbürtig begegnen sollten. Und weil Monsieur Hassan von seiner Dankbarkeit spricht, in Frankreich leben zu dürfen. Nichts würde ich an ihm ändern wollen, auch nicht sein Französisch, das noch immer zu lang gezogenen Lachsalven verführt. Ich bin ein Glückspilz. Alle Nichtfranzosen in meinem Viertel, mit denen ich zu tun habe – ob nun Flüchtling oder ehemaliger Flüchtling, ob nun aus wirtschaftlichen Gründen oder politischen aus der Heimat davon –, sie alle ähneln mir: Sie träumen von einem guten Leben, sie versuchen, freundlich zu sein, sie haben Angst vor dem Tod und hundert andere Ängste, sie brauchen, nein, sie fordern Anerkennung und Respekt, sie tun ihre Arbeit. »Chacun sa merde«, sagen sie hier, denn auch das haben wir gemeinsam: die Scheißtage dazwischen, die Wut auf die Welt, die Fassungslosigkeit. Und da die meisten aus Nordafrika kommen – la Grande Nation war dort einst Kolonialmacht –, sind sie mehrheitlich Muslime. Und noch nie hat einer von ihnen versucht, mir seinen Herrn Allah einzureden. Keiner zückte je einen Säbel. Und nie fiel mir in ihren Läden ein religiöses Zeichen auf. Was zeigt, dass sie eine der Grundregeln demokratischen Zusammenlebens verinnerlicht haben: Religion hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Um jedes Missverständnis auszubremsen: Natürlich schreckt mich der Islam. Wie jede monotheistische »Offenbarung«. Der christliche Glaubensterror, der jahrhundertelang im Abendland randalierte und schlachtete, soll reichen. Wir Europäer haben unsere Quote an spirituellem Irrsinn bereits erfüllt, wir brauchen keine Neuauflage. So wird hier auch nicht der Text eines Toren stehen, der nicht wüsste um die Herausforderungen, die eine so massive Zuwanderung fremder Frauen und Männer mit sich bringt. Nein, ich rede keinem »angélisme« das Wort, der mit Engelszungen nur vom Wahren und Schönen plappert. Allein nach Deutschland kam eine Million neuer Menschen. Und mit ihnen garantiert ein Prozentsatz geifernder Zeloten, islamistisch verblödeter Krimineller und notorischer Schnorrer. Wie überall auf der Welt. Doch die Mehrheit der Ausgebombten und Geschundenen gehört zur Spezies jener, die guten Willens sind. Ich fantasiere mir hier niemanden heilig, aber wir werden nicht froh auf Erden, wenn wir den »anderen« grundsätzlich als Bestie wahrnehmen. Dass in jedem von uns unberechenbare, so bedrohliche Energien lauern, auch das hat sich inzwischen herumgesprochen. Ich wüsste folglich kein zuträglicheres Serum gegen den Ausbruch unserer – unser aller – Dämonen als Menschenfreundlichkeit, sprich, Achtung, sprich, einen gewissen Vorschuss an Vertrauen. Auch Vertrauen in unser Land. Deutschland hat Kraft und Power und stinkt vor Geld und Erfolg. Kein Salafist wird es aus den Angeln heben. Keine Scharia wird uns terrorisieren. Kein potenzieller Massenmörder wird das Kalifat in Berlin ausrufen. Je souveräner wir auf unsere republikanischen Gesetze pochen (ja, in extremis mit Gewalt), desto eindeutiger das Signal an die Welt: Wir sind Teil von Europa, Teil der so bitter und endlos lang erkämpften Vereinbarung, dass auf diesem Erdteil kein Mufti, kein Guru, kein Pfaffe und erst recht kein »Wort Gottes« kommandieren, sondern dass wir uns auf das grandioseste Talent des menschlichen Geistes verlassen: die Vernunft. Die ebenfalls eingreift, wenn der hauseigene, braun gefärbte Mob – besonderes Kennzeichen seiner Eiferer: urgermanischer Hass auf Ausländer – auf jeden losgeht, dessen Kopf anders aussieht als der vereinstypische Quadratschädel. Die Zahl der (gemeldeten) Übergriffe auf Fremde und ihre Unterkünfte lag 2016 in Deutschland bei über fünftausend (!). Was beweist, dass bei so manchem ein Hirnschrittmacher nottäte und dass die Demokratie, dieser magische Ort, an dem Meinungsverschiedenheiten auf zivilisierte Weise ausgetragen werden (sollten), tagtäglich gefährdet ist. Ich mag mein Land, wenn es Größe zeigt, Großzügigkeit, wenn es sich rühren lässt vom Leid anderer. Und die Flüchtlingskrise stellt uns allen die Gretchenfrage: Mitgefühl oder stillgelegtes Herz? So eins, das mit den Jahren zu klirren anfing vor Kälte, längst eingesargt im eigenen Panzer. Hier ist kein Platz, um Strategien zur Flüchtlingsfrage auszubreiten. Dafür bezahlen wir unsere Volksvertreter. Damit sie Ideen entwickeln, die greifen. Dass Integration das Zauberwort ist für jene, die als politisch Asylsuchende anerkannt wurden, muss ich niemandem erzählen. Eine trockene Wohnung und ein Job, der eine Ahnung von Sinn vermittelt, sind die ersten zwei Pfeiler, die einem Menschenleben Würde verschaffen. Noch schöner wird es, für beide Seiten, wenn der Fremde die fremde Sprache trainiert. Auf dass ihm irgendwann die notwendigen Wörter zur Verfügung stehen, das Zaubermittel, um sich unbekümmert in der neuen Welt zu bewegen. Auch klar, ohne Wenn und ohne Aber: wer die Regeln der Gastfreundschaft missbraucht, wer nicht begreifen will, dass in Europa die Menschenrechte Vorfahrt haben vor jeder Form spirituellem Hokuspokus, nicht begreift, dass Frauen hier nicht als Freiwild unterwegs sind, nicht begreift, dass Lebewesen hier nicht als schwarze Windel verpackt den öffentlichen Raum betreten (das Burkaverbot muss kommen, wie in Frankreich!), nicht begreift, dass wir unwirsch reagieren, wenn hier glutäugige Bartträger »Allah Akbar« brüllend durch die Straßen rennen, wer das alles nicht begreift, nicht begreifen will: Der muss zurück in sein Land expediert werden. Und wenn das nicht funktioniert, da dort Gefahr für Leib und Leben besteht, dann soll ein Richter ihn aus dem Verkehr ziehen. Vielleicht nüchtert er in der Zelle aus und fängt an, sich auf den Weg in die modernen Zeiten zu machen. Wenn nicht, muss er nachsitzen. Das hätten wir geklärt: Ich bin kein radikaler Pazifist, ich bin kein Gutmensch, ich predige Intoleranz gegen Intoleranz. Und ich heiße jeden willkommen, der Hilfe braucht, der Grauenhaftes hinter sich hat und der mit seiner Begabung, seinem Wissen und seinem Anstand bei uns anklopft. Wie sagte es Bert Brecht? »Keinen verkommen lassen, auch nicht sich selbst, das ist gut.« Ich will eine kleine Szene erzählen. Nicht, um mich als glorioses Vorbild herauszuputzen, nein, nur um zu zeigen, mit welch einfachen, schier kostenlosen Gesten – Investition: sechzig Sekunden Zeit und neunzig Cent Geld – man zum Weltfrieden, bescheidener, zur Entspannung und zum flüchtigen Glück von vier Personen beitragen kann: Ich fahre mit der Schnellbahn zum Flughafen Charles de Gaulle. Neben mir ein junges Ehepaar mit seinem dreijährigen (?) Sohn. Das Kind plärrt, die Mutter ist bedrückt, der Vater redet zornig drauflos. Ich bin kein Vater, aber ich weiß, dass solche Erziehungsmethoden nicht taugen. Und tatsächlich, das Gegenteil trifft ein: Es wird noch ein atü schriller, weder der Dreijährige noch der 28-Jährige (?) geben nach. Eine Lawine von Stress fegt jetzt durch den Waggon. Der Vater, dem Aussehen nach wohl Araber, sammelt einen Minuspunkt nach dem anderen. Sein Gesicht bekam inzwischen etwas Hässliches und schwer...