E-Book, Deutsch, Band 1, 158 Seiten
Reihe: Neue Erde 2400
Anders Erdaufstand
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7575-9724-5
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 158 Seiten
Reihe: Neue Erde 2400
ISBN: 978-3-7575-9724-5
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Johannes Anders, geboren 1959 in Frankfurt, studierte Informatik und Psychologie und arbeitete als Software-Entwickler und Projektleiter. Er hat zwei Töchter und war schon immer ein großer Science-Fiction-Fan. Seine literarischen Vorbilder sind Philip K. Dick, Isaac Asimov, Ray Bradbury, Harry Harrison und William Voltz.
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*
Samanta beugte sich zur Seite, um zwischen den sechs Gestalten vor ihr einen Blick durch die Frontscheibe zu erhaschen. Die Regenzeit neigte sich dem Ende entgegen, aber die Erde war noch schlammig. Das Mondlicht ließ den Verlauf der Nebenstraße erahnen. Es warf gespenstische Schatten auf den brüchigen Asphalt. Sie wandte ihren Blick und beobachtete durch das Seitenfenster, wie sich die Spinnenbeine des Stridemasters lautlos hoben und senkten und dabei alle Unebenheiten und Schlaglöcher so perfekt ausglichen, dass es sich anfühlte wie ein Dahingleiten. Die Bäume am Straßenrand huschten vorbei wie schattenhafte Wächter und ihre Äste bewegten sich im Wind, als wollten sie den Reisenden geheime Botschaften übermitteln.
Samantas Hände zitterten. Einen Einbruch zu planen war etwas ganz anderes, als ihn durchzuführen. Sie spürte eine Enge in ihrer Brust. Nichts von ihrer Courage war übrig.
Im Inneren des Gehzeugs leuchteten die Armaturen so schwach, dass die schwarz gekleideten Insassen von der Dunkelheit verschluckt wurden. Hin und wieder war der Hauch eines Gesichts zu sehen. Samanta vermochte nicht zu unterscheiden, ob es zu einem Menschen gehörte oder zu einem der beiden humanoiden Roboter, die sie begleiteten. Das leise Summen des Motors füllte den Raum und schien die Insassen miteinander zu verbinden, während sie sich in Gedanken auf die Mission vorbereiteten.
Kerstin saß in der vorderen Reihe und wandte sich nach hinten. „Wir haben die Ortung ausgeschaltet, um nicht selbst geortet zu werden. Könnt ihr schauen, ob die anderen noch dran sind?“
Samanta sah im Rückfenster den Hauch eines Schattens, der ihnen folgte. Die zweite Spinne.
„Ja“, sagte sie. „Alles okay.“
Kerstin nickte beruhigt und setzte sich wieder gerade.
„Das sind keine Spinnen, sondern beinbasierte Gehzeuge vom Typ Stridemaster“, korrigierte Jürgen ihre Gedanken.
„Ach, Jürgen. Für mich sind das Spinnen.“
Es war sicherlich eine gute Idee gewesen, die beiden Spinnen zu stehlen, überlegte Samanta. Sie konnten Absperrungen umgehen, indem sie sich quer über die Felder bewegten. Und nach der Aktion ließen sich ihre Logs leicht löschen.
Es hieß, die Anlagen seien gut bewacht. Deshalb hatten sie Spezialisten dabei, die Überwachungskameras ausschalten, Sicherheitsprogramme hacken und KIs täuschen konnten. Für die meisten aus der Gruppe war es nicht der erste Einbruch. Aber was konnte Samanta beitragen? War sie die Auszubildende, die angelernt wurde, indem man sie Gefahr schnuppern ließ? War es eine gute Idee gewesen, bei der Aktion mitzumachen? Samanta war sich unsicher.
In einem Tal vor ihnen tauchte die Dekarbonisierungsanlage auf. Sie strahlte eine Aura der Dominanz aus, als ob sie die Landschaft beherrschen wollte. Mit den drei riesigen Trichtern auf dem Dach, durch die sie die Luft ansaugte, sah sie aus wie ein Ozeandampfer. Die Trichter waren so hoch, dass sie mit Positionslichtern gesichert werden mussten, damit nachts keine Drohnen daran zerschellten. Durch Fenster der Anlage drang Licht nach draußen, es reichte aber nicht aus, die Umgebung zu erhellen.
„Warum ist die Anlage so dunkel?“, erkundigte sich Samanta.
„Da arbeiten kaum Menschen“, antwortete jemand aus der dritten Reihe. „Vielleicht sogar keine mehr. Alles läuft vollautomatisch ab. Deshalb braucht man kein Licht.“
Die Spinnen brachten sie in das Tal hinunter und hielten in einem Waldstück. Samanta und ihre Mitkämpfer setzten Masken auf und stiegen aus. Jemand startete die Drohnen. Die beiden Fluggeräte konnten nicht ferngesteuert werden, weil der Funk in der Umgebung der Anlage gestört wurde. Deshalb waren sie mit Steuerungs-KIs ausgerüstet, die die Wachroboter selbständig vom Checkpoint weglocken würden. Das konnte zwar eine einzelne Drohne erledigen, aber es war gut, eine zweite in Reserve zu haben, falls die erste abgeschossen wurde.
„Los!“, flüsterte Kerstin.
Sie mussten ihre Taschenlampen auslassen, während sie durch den Wald rannten. Samanta spürte, wie ihr Zweige ins Gesicht schlugen, weil sie im Mondlicht vom Weg abgekommen war. Zum Glück schützte sie die Maske vor Verletzungen. Die Handschuhe erleichterten es ihr, die Äste beiseite zu biegen. Kurz orientierte sie sich und lief dann den anderen hinterher. Sie mussten sich beeilen, lange würde der Drohnenzauber nicht wirken.
Die anderen hatten den Wald verlassen und rannten über ein Feld. Die beiden Roboter, Claudia und Robert, hatten trotz der schweren Werkzeuge, die sie trugen, einen Vorsprung. Als Samanta das Feld erreichte, schaute sie zu der Anlage auf. Die Trichter ragten hoch in den Nachthimmel, als wollten sie die Sterne einsaugen und verschlingen. Die Luft heulte durch sie hindurch und wurde vom Grollen der Maschinen im Inneren getaktet. Die wenigen Fenster ließen Umrisse dieser Maschinen erahnen.
Die Vorhut näherte sich dem unbesetzten Checkpoint. Vermutlich hatten die Drohnen gut gearbeitet und die Wächter weggelockt. Claudia und Robert machten sich an einer Eingangstür zu schaffen. Als Samanta atemlos die Gruppe erreichte, sprang die Tür auf. Die beiden Roboter blieben als Wache am Eingang zurück, die übrigen drangen in die Anlage ein.
Samantas Herz klopfte in ihrer Brust, als sie sich ebenfalls dem Eingang näherte. Die Dunkelheit um sie herum verstärkte ihre Unsicherheit und sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass dies ein Fehler war. Ihre Hände zitterten noch mehr als zuvor, als sie ihre Maske zurechtrückte, und sie schmeckte die Angst in ihrem Mund.
Jetzt wurden die Taschenlampen angeschaltet, Schatten huschten über Betonwände. Die Gruppe rannte an einer Seitentür vorbei, ohne ihr Beachtung zu schenken. Samanta hingegen konnte nicht anders, als sich von der Tür angezogen zu fühlen. Was, wenn sich dahinter Wachen versteckten, die ihnen in den Rücken fallen wollten? Verzweifelt blickte sie den anderen hinterher. Sie konnte sie noch einholen, aber dann war die Gruppe ungeschützt und konnte eingekesselt werden.
„Jürgen, mach auf, bitte!“
„Dazu bin ich nicht autorisiert. Außerdem wäre das zu gefährlich für dich alleine.“
„Ich will da rein.“
„Das ist unvernünftig. Du spürst es doch selbst, du hast doch Angst!“
„Dann bin ich eben unvernünftig und habe Angst. Ich will da rein. Also, was machen wir?“
„Kerstins KI hat alle Schlüssel, die wir besorgt haben.“
„Dann nimm Kontakt mit ihr auf!“
„Okay, erledigt, ich habe den Schlüssel.“
Sekunden später sprang die Tür auf. Samanta spürte, wie das Blut durch ihre Adern raste. Aber hinter der Tür befand sich nur ein leerer Raum ohne Fenster.
„Es ist ein Überwachungsraum“, erklärte Jürgen.
„Warum ist er nicht in Betrieb? Kannst du ihn einschalten?“
Überwachungsmonitore tauchten auf. Einer zeigte maskierte Gestalten in schwarzen Anzügen, die durch einen Gang huschten und in einen Raum eindrangen. Zwei von ihnen blieben als Wachen im Gang zurück. Die Gruppe hatte ihr Ziel erreicht.
„Los, wir müssen da hin!“
Samanta stürmte auf den Gang zurück, um zu den anderen aufzuschließen. Als sie den Raum betrat, sah sie durch ein Fenster in eine riesige Kammer, in der die angesaugte Luft erhitzt wurde, um die Treibhausgase herauszufiltern. In einem zweiten Schritt wurden sie tief in den Boden gepresst, um dort für immer zu lagern. Ansaugen, erhitzen, in den Boden pressen – das war wie der Herzschlag eines schlafenden Giganten, den man lieber nicht wecken wollte. Wie jeder wusste, verschlang der Prozess viel Energie. Energie, die man im Grunde nicht hatte, die bei der Versorgung der Bevölkerung fehlte. Kerstins behandschuhte Hand flog über Bedienelemente, um zusammen mit ihrer KI die gesuchten Effektivitätsdaten herauszukitzeln.
„Das läuft wie am Schnürchen“, freute sich Jürgen.
„Fast kommt es mir zu einfach vor“, unkte Samanta.
„Wie meinst du das?“
„Ich habe ein schlechtes Gefühl.“
„Aber warum?“
„Eben, weil alles wie am Schnürchen läuft. Warum sind wir so einfach hereingekommen? Warum war der Überwachungsraum ausgeschaltet? Die Kameras müssen Alarm ausgelöst haben, warum sind noch keine Sicherheitsroboter aufgetaucht? Das ist alles zu schön, um wahr zu sein!“
„Es muss nicht immer etwas schiefgehen.“
„In den Filmen, die ich gesehen habe, ging bei Einbrüchen immer etwas schief, und wenn der Plan noch so schlau ausgeheckt wurde.“
„In Filmen muss das so sein, sonst kommt keine Spannung auf. Aber wir sind hier nicht in einem Film.“
„Ja, sind wir nicht. Oder doch? Schalte alle Einblendungen aus!“
Die Daten und Konsolen verschwanden ebenso wie das Fenster zur Filterkammer. Mitglieder der Gruppe standen in einem leeren Raum und fuchtelten mit den Händen in der Luft herum, um unsichtbare Instrumente zu bedienen. Samanta sah sich um und wunderte sich. „Was sind das für kleine Kästen an den Betonwänden?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Jürgen. Er blendete sich ein und inspizierte ein Exemplar der fraglichen Geräte. Es war rund und hatte einen Durchmesser von etwa zehn Zentimetern.
Samanta spürte, wie sich eine dunkle Wahrheit in ihr erhob. Sie stieg aus ihrem Bauch empor. Noch verstand sie diese Wahrheit nicht vollständig, wollte sie sie nicht an sich heranlassen, verschloss sie ihren Verstand gegen diese Ungeheuerlichkeit.
„Raus hier!“, flüsterte sie mit bebenden Lippen. Aber die Überwachungskameras sahen alles und ihre Mikrofone hörten alles. Flüstern nützte nichts.
„Raus hier!“, schrie sie. „Überall sind Bomben!“
Sie stürmte los. Im Gang drehte sie den Kopf und sah...