E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Anderson City of Thieves
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-423-43281-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller | Spannende Story in Afrika mit starken Themen
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-423-43281-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Natalie C. Anderson lebt mit ihrem Mann in Genf, hält sich aber auch häufig in North Carolina oder in Nairobi, Kenia, auf. Während der letzten zehn Jahre hat sie vor allem für die Flüchtlingshilfe (UN) und hauptsächlich in Afrika gearbeitet. Ihren Master von der Universität Oxford erhielt sie in Politikwissenschaften zum Thema Vertreibung und Zwangsmigration. >City of Thieves< ist das Debüt von Natalie C. Anderson. NATALIECANDERSON.COM
Weitere Infos & Material
3
Regel 3: Diebe haben keine Freunde.
Jeder Dieb hat eine Mutter, manche mit ein bisschen Glück sogar eine kleine Schwester, dagegen lässt sich nichts machen. Es ist auch okay, Leute wie Boyboys Mom zu haben, bei der ich jeden Tag auf dem Heimweg vorbeischaue. Das fällt unter Vertrautsein mit deiner Gegend. Sie verkauft Tee an der Straßenecke und sagt mir, ob sich irgendwo Polizei herumtreibt. Dafür passe ich auf, dass die Goondas ihren Jungen nicht zu hart anfassen. Bekannte darfst du haben. Aber Freunde, also Leute, die dir wichtig sind und denen du wichtig bist … Die bringst du bloß in Schwierigkeiten.
Bevor irgendwer Fragen stellt: Boyboy ist kein Freund.
Er ist mein Geschäftspartner. Ein großer Unterschied. Er kommt auch aus dem Kongo, also muss ich ihm bestimmte Dinge nicht erklären, über die ich lieber nicht rede – wo meine Familie ist, wieso ich nicht richtig schlafen kann, warum mich Männer in Uniform nervös machen. Manchmal kommt er zu mir aufs Dach, wir rauchen eine zusammen und schauen zu, wie die Sonne in den ewigen Smog der Stadt taucht. Das ist alles. Boyboy hat seine Jungs und ich habe Kiki. Mag sein, dass das traurig klingt, aber für mich ist es okay. Außerdem habe ich keine Zeit für Freunde. Es gibt Dinge, die ich tun muss.
Wir fahren in einem Blumentransporter hin. Ketchup ist am Steuer und Bug Eye schreit ihn dauernd an, er soll langsamer fahren und auf die Straße achten. Es ist zwei Uhr morgens und die Bullen würden uns wohl eher hochnehmen und Geld abgreifen, als sich darum zu kümmern, dass wir bei Rot über die Ampel fahren. Aber trotzdem ist es besser, wenn sich später keiner an einen Transporter mit schwarz angezogenen Kids erinnert, die garantiert keine Blumenhändler sind. Je näher wir kommen, desto mehr juckt es mich, endlich mit dem Job loszulegen. Ketchups pausenloses Quatschen macht mich nervös. Er lacht sein Hyänenlachen und sagt eklige Sachen über die Mädels an den Straßenecken, an denen wir vorbeifahren.
Boyboy und ich sitzen still hinten im Wagen und bereiten uns vor. Ich befestige mein Headset und prüfe die Bluetooth-Verbindung zum Handy.
»Lass mal sehen, wie die Kamera überträgt«, sagt Boyboy.
Indem ich ihn anschaue, richte ich die Minikamera im Ohrhörer auf ihn. Sein Gesicht erscheint auf dem Laptop-Bildschirm. »Gut.« Er betrachtet sich selbst, wie er sich die Haare in Form drückt. »Mikroprobe? Sag irgendwas.«
Ich flüstere: »Boyboys Styling ist beschissen«, und der Ohrhörer überträgt meine Worte erst auf mein Telefon, dann auf Boyboys Computer, von wo aus meine Worte nachhallen.
Boyboy zeigt mir gelassen den Finger und regelt gleichzeitig irgendwas an seinem Equipment. »Kannst du mich gut genug hören?«
»Ja«, sage ich. »Alles klar und deutlich.«
»Das Handy muss nah beim Headset sein. Beim letzten Job hattest du’s in der Hosentasche, da war die Verbindung furchtbar. Wo tust du’s dieses Mal hin?«
Ich schiebe das Telefon in meinen Sport-BH und wedele mit den Händen – .
»Wie süß.«
»Vor allem sicher.«
»Steck das hier in deine Tasche«, sagt er und reicht mir einen winzigen USB-Adapter. »Das ist der Schlüssel zur Schatzkiste – der soll nicht zwischen deinen Möpsen verschwinden.«
»Ha.« Ich habe kaum mehr Busen als meine elfjährige Schwester. Aber ich tue, was er sagt.
Boyboy ist irre gut mit diesem Technik-Kram. Das war er schon immer, seit ich ihn kenne. Er hat mir mal erzählt, dass die großen Jungs ihn als Kind dauernd Schwuchtel genannt und verdroschen haben, also ist er lieber in seinem Zimmer geblieben und hat Handys und Computer zerlegt und wieder zusammengebaut. Neuerdings hackt er sogar Geldautomaten und bringt sie dazu, funkelnagelneue Tausend-Schilling-Scheine auszuspucken. Gar kein Problem für ihn.
Richtig einsteigen bei den Goondas will er nicht, aber mit mir arbeitet er schon. Wenn ich ihn brauche, spielt er das IT-Genie für mich. Dafür klaue ich ihm alle raffinierten Sachen, die er so braucht – Computer, Handys oder auch mal eine Designer-Handtasche. Er sagt, er wäre der beste Hacker in Ostafrika, und soweit ich es mitkriege, stimmt das auch.
Gut so. Er soll uns nämlich gleich den Weg in das bestgesicherte Haus am ganzen Ring freimachen.
Am Ring wohnen alle, die es sich leisten können. Üppig, hügelig und grün liegt er oberhalb von Sangui City – wer hier lebt, kann genüsslich auf uns da unten herabgucken. Die Häuser stehen breit und groß auf sorgfältig getrimmten Rasenflächen, hinter Flammenbäumen, Zäunen und Stacheldraht, geschützt von Hunden und von Wachleuten, die mit AK-47s bewaffnet sind und früher beim Militär waren. Ganze Mercedes-Flotten bringen die großen Männer aus diesen Häusern morgens zur Arbeit runter in die Stadt. Wir nennen solche Typen : die vom Mercedes-Benz-Stamm. Es gibt sie in jeder Größe, Statur und Hautfarbe, sie kommen von überall auf der Welt, aber alle sprechen dieselbe Sprache: Geld. Wenn sie abends in ihre Villen oben am Ring zurückkehren, schimpfen sie über den Verkehr, trinken importierten Whiskey und legen sich früh schlafen in ihre Betten mit den weichen Baumwolllaken. Ihre Frauen führen kleine Armeen von Hauspersonal an und sind so zart besaitet, dass sie von der afrikanischen Sonne Kopfschmerzen kriegen. Ihre Kinder spielen Tennis. Ihre Hunde haben Therapeuten.
Um diese Zeit in der Nacht ist es still am Ring, nur Frösche und Insekten sind zu hören. Hier oben hat es geregnet, die Gegend ist in dichten Dunst gehüllt. Die gruselig vertrauten baumbestandenen Straßen, durch die wir fahren, sind leer. Ein Blumentransporter fällt hier nicht besonders auf. Vielleicht kommen wir ja von einem Bankett oder einer Mega-Hochzeit.
Ich schaue aus dem Fenster. Wir fahren gerade an einer Lücke zwischen den Häusern vorbei und ich erhasche einen Blick auf den Indischen Ozean. Sangui: Stadtstaat auf einem Hügel, Hafen zur Welt und ein verdammt guter Ort, um Geschäfte zu machen. Die Drecksarbeit erledigen diese Typen unten in der Stadt und abends ziehen sie sich zurück auf den Ring.
Ich muss es ja wissen. Ich habe das alles aus der Nähe gesehen. Auch wenn ich jetzt unten im Schmutz lebe – es gab eine Zeit, in der eine Festung am Ring mein Zuhause war.
Regel 4: Wähl dein Ziel sorgfältig aus.
Alle Wörter für Dieb sind magisch. Sie haben Macht.
Sie auf offener Straße laut auszusprechen, kann Leute das Leben kosten. Ich habe das erlebt. Die Polizei taugt nichts, also neigt man hier dazu, das Recht selbst in die Hand zu nehmen. Und es braucht keiner zu glauben, dass der Dieb irgendwem leidtut, wenn sich der Staub legt und sein Blut in den Boden sickert. Also musst du sichergehen, dass keiner mit dem Finger auf dich zeigt.
Sperr die Ohren auf. Triff eine gute Entscheidung. Wähl das richtige Ziel. Und das ist fast immer das einfache Ziel. Wenn du als Taschendieb unterwegs bist, such Besoffene aus oder Leute, die sich am Handy mit irgendwem streiten. Wenn du irgendwo einbrechen willst, nimm das Haus, wo der Schlüssel oben auf dem Türrahmen liegt. Und wenn du ein Bankkonto leer räumen willst? Versuch’s bei einer reichen alten Lady. Wahrscheinlich hat sie den Namen ihres Hundes als Passwort.
Du hast viel Auswahl. Da wäre es unsinnig, sich das Leben schwer zu machen.
Doch zu jeder Regel gibt es eine Ausnahme.
Das Anwesen von Roland Greyhill ist kein Ziel, das sich anbietet. Seine Tore sind gut verschlossen, alles ist bewacht. Der Mann macht Geschäfte mit Warlords und Armeen und verschiebt dabei Unmengen von Geld. Er weiß, dass er Feinde hat. Er passt schon seit Jahren auf sich auf und vertraut keinem. Nichts an ihm ist einfach.
Aber egal, ob einfach oder schwer: Heute ist er das richtige Ziel.
Wir sind fast da. Ich schlucke die Beklommenheit in meiner Kehle weg und lasse das Fenster ein Stück weit herunter. Die Luft ist feucht und riecht nach Jasmin.
Boyboy neben mir ist still. Ich weiß, dass er mich gern fragen würde, wie es mir geht. Alle sind heute den Plan innerlich immer wieder durchgegangen, aber denke schon seit Jahren über ihn nach. Ich bezweifle, ob ich überhaupt beschreiben könnte, wie es mir im Moment geht. Als ob ich einen Schwarm Bienen verschluckt hätte? Ist das ein Gefühl?
Doch Boyboy weiß, dass er mir besser keine dummen Fragen stellt.
Als nur noch zwei Häuser zwischen uns und dem Ziel liegen, macht Ketchup die Scheinwerfer aus und lässt den Wagen weiterrollen, bis er von selbst stehen bleibt.
»Wir sind da, Mr Omoko«, sagt Bug Eye in sein Handy.
Im Vergleich zu den anderen Häusern in der Straße ist dieses Anwesen locker doppelt so groß. Nur die roten Dachziegel ragen über die hohen Mauern. Was wir nicht sehen, das sind die Wachen – ein halbes Dutzend, jede mit einer AK-47 bewaffnet – und die beiden Schäferhunde, die sich auf dem Grundstück herumtreiben. Aber wir wissen, dass sie da sind.
Wir alle betrachten das Anwesen, in Totenstille. Sogar Ketchup hält die Klappe.
Bug Eye reibt sich die Hände. »Bist du bereit, Tiny Girl?«
Ich fasse mir ans Ohr. Das Headset sitzt sicher. Ich bewege die Schultern und lockere meinen Rücken. Ich muss mich beherrschen, um nicht laut loszubrüllen: