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E-Book, Deutsch, 259 Seiten

Anzengruber Dorfgänge


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95676-791-3
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 259 Seiten

ISBN: 978-3-95676-791-3
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Ludwig Anzengruber (* 29. November 1839 in der Alservorstadt von Wien, † 10. Dezember 1889 in Wien) war ein österreichischer Schriftsteller. Er gilt als bedeutender Dramatiker des österreichischen Volksstücks in der Tradition Johann Nestroys und Ferdinand Raimunds.(Auszug aus Wikipedia)

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Der gottüberlegene Jakob
Die Frühmesse war vorüber, die Leute drängten aus der Kirche, verloren sich auf verschiedenen Wegen nach ihren Gehöften, oder verhielten sich wohl auch plaudernd, in Gruppen, auf dem großen Platze. Im Gotteshause blieben nur diejenigen zurück, die ein besonderes Anliegen auf dem Herzen hatten. In der letzten Kirchenbank saß, in eine Ecke gedrückt, ein gar schmächtiges Bäuerlein; der große Hut, der neben ihm auf dem Sitzbrette lag, sah danach aus, als könne er sich über das ganze Männchen stülpen, daß nichts hervorsähe als die Schuhspitzen. Durch eine Rosette aus farbigen Gläsern, oberhalb eines Seitenaltares, fiel ein Lichtstreif quer in das Schiff der Kirche und machte die Weste des Beters in brennendem Rot aufleuchten; ein paar tiefe Falten durchfuhren sie, wie sie so schlotterig über seiner eingesunkenen Brust herabhing, und von den kugeligen, bleiernen Knöpfen fehlte einer; bleierne mußten's freilich sein, denn silberne auf einer »Armen-Leut'-Weste« haften nur an Spinnweben. Jakob Wiesner hieß der Mann im Betstuhle. Er zeigte ein schmales, demütiges Gesichtchen, die Lider und Ränder der kleinen, beweglichen, grauen Augen waren gerötet und sahen wie verschwollen aus. Die Stirn war spitz, und über derselben hing ein dichter Schopf, der einer verkümmerten Locke glich: was sonst an Haaren gedieh, war vom Hinterhaupte nach vorn gebürstet, aber es waren ihrer nicht so viele, um den kahlen Wirbel verdecken zu können. Zwischen den Fingern hielt der Wiesner Jakob einen Rosenkranz, und sooft er mit einem Vaterunser zu Ende kam, wo andere Christen beten: »Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel«, murmelte er regelmäßig: »Führe uns nicht in Versuchung, sondern mach mir meine kranke Kuh wieder gesund. Amen!« Eine kranke Kuh ist eben auch ein Übel. Vor der Kirche aber inmitten der größten Gruppe, zu der sich Landsleute von nah und fern versammelt hatten, da sprach nur einer: man hörte ihm andächtig zu, ließ sich abfragen, was er wissen wollte, und gab ihm aus Respekt nur kurze Reden, denn es war der reiche Fehringer. Ja, der kann leicht wohlgemut außer der Kirche stehen, der hat keine kranke Kuh daheim, sondern etwa fünfzig gesunde im Stalle, und würd' ihm auch eine krank, deswegen bemüht er unsern Herrgott gar nicht, sondern schickt zum Kurschmied, und soll sie ihm trotzdem verenden, so schreckt ihn auch der Wasenmeister nicht, wenn er ihm ins Haus kommt! Ja, der Fehringer ist der Reichste, und dafür gibt er sich auch. Was alle Welt von einem weiß, das bleibt ihm selber doch nicht verborgen, und es steht jedem wohl an, wenn er weiß, wer er ist. Er war aber auch leutselig, der reiche Fehringer. Wenn er seinen Spaß hatte mit jemand, den er gut leiden mochte, so stieß er den mit der lockeren Faust in die Seite und klatschte sich dann mit der flachen Hand auf den eigenen Wanst. »So sag' ich. Nun lacht!« Da lachte er, und die andern lachten mit. Das Rosenkranzgebet ist eine fromme Übung, wobei man ein gut Stück Zeit dem lieben Himmel opfert, vorausgesetzt, daß man überhaupt sonst etwas zu verrichten hat, aber über Schwätzen und Abhandeln, Abfragen und Zutragen, Anbieten und Abhandeln kann man sich wohl eben so lange verhalten: so geschah es, daß der Wiesner Jakob seinen Rosenkranz abgebetet hatte und über den Platz daherkam, als der Fehringer just auf sein Wägelchen steigen wollte. Wie der reiche Bauer des Alten ansichtig wurde, blieb er mit einem Fuße auf der Erde, mit dem andern stand er schon auf der Radnabe, um sich auf den Kutschbock zu schwingen. »Na. Stiegelsteiger«, sagte er, »was ist's? Werden wir nie handelseins werden? Was macht die braune Lies'l?« Es war das die einzige Kuh Wiesners. »Dank' der Nachfrag', uns allzusamm' geht's gut!« »Ist recht. Aber die Lies'l mußt mir doch noch einmal verkaufen. Die ist ganz braun und hat einen weißen Stern auf der Stirn, akkurat so hab' ich eine schwarze daheim, da mit dem weißen Tupfen« – er wies dabei die Stelle an seiner eigenen Stirn, und zwar mit so anschaulicher, dazwischen deutender Gebärde, als respektiere er auch da Hörner zu beiden Seiten –, »die zwei möcht' ich nebeneinander sehen, überleg's. Was ich schon einmal ausgesprochen hab', leg' ich dir bar auf die Hand, sobald die Kuh in meinem Stall steht. Magst sie heut oder morgen oder ein andermal hinführen, das gilt mir gleich.« Er schlug an seinen Geldgurt. Der Wiesner Jakob lachte einfältig, wie eben ein Bauer, wenn er nicht ja oder nein sagen will, und wie er noch immer getan, wenn zwischen ihm und Fehringer die Rede auf die bewußte Kuh kam, und das geschah, sooft die beiden zusammentrafen: denn auch der Fehringer, als Bauer, meinte manches nicht oft genug sagen zu können, und geschäh' es auch mit den nämlichen Worten. Er stand noch abwartend. »Nun was?« fragte er. Der Wiesner fuhr sich mit den dürren Fingern unter den Hut, kraute sich seinen Haarschopf und sagte langsam: »Es möcht' schon wohl einmal sein können!« »Ist auch recht.« Der Fehringer stieg auf und fuhr davon. Eine Zeitlang starrte Wiesner dem Wägelchen nach, dann ging er seines Weges. Er schüttelte öfter den Kopf oder nickte vor sich hin. Es fiel ihm schwer auf das Herz, daß er den Handel mit Fehringer nicht beizeiten eingegangen war, aber bisher tat er sich nicht wenig darauf zugute, daß er dem reichen Fehringer etwas weigern konnte: doch jetzt liegt die »Lies'l« krank und wenn sie gar umsteht, so ist es der sträflichste Leichtsinn gewesen, sie nicht früher verkauft zu haben. Darum hat er gegenüber dem Fehringer so »rechtschaffen« gelogen, daß es allen gut gehe, um sich ein schadenfrohes Wort oder eine verweisende Lehr' zu ersparen. An zwei Stunden war er gegangen, da änderte sich plötzlich die Gegend: bis dahin lagen, so weit man sehen mochte, Felder an Felder und Wiesen an Wiesen, so gerade und eben wie die Straße, die sich durch sie hindurchschlängelte, nur in der Ferne blauten hohe Berge; nun begann sich Hügel an Hügel aufzubauen, und der Weg wand sich hinauf und hinab. Wieder lag Feld an Feld und Wiese an Wiese, aber jedes Feld und jede Wiese war von einem lebenden Zaune umgeben, schmale Fußsteige durchschnitten sie der Quere nach, und wo ein Acker abschloß, stieß man immer auf etliche Stufen, die man entweder hinan oder hinab zu steigen hatte, um auf den benachbarten zu gelangen, je nachdem der höher oder tiefer lag, selbst bei den Grundstücken, die an der Straße lagen, fehlten die Stufen nicht. Auf diesen Fußsteigen hatte man oft stundenlang nach einem Gehöft zu gehen, und es ist kaum zu berechnen, welche Höhen und Tiefen einer dabei durchmaß. Darum hießen die hier Ansässigen »Stiegelsteiger« – wie der Fehringer den Wiesner angerufen hatte – oder auch »Treppelhupfer«. Es war hoch am Mittag geworden, als der Wiesner das Grundstück erreichte, das vor seinem Anwesen lag, die vorletzten Stufen hinankeuchte und die allerletzten hinabstolperte. Es war eine gar ärmliche Hütte, auf welche er zuschritt, sie hatte bloß zwei kleine Fenster, dafür aber drei Türen: die eine neben den beiden Fenstern lag nach dem Wege zu und führte in die Küche, geradeüber, an dem Herde vorbei, gelangte man durch die andere in den Hof, die dritte öffnete sich linker Hand nach der Stube, in der hatte der Bauer nichts zu suchen, er trat in den Hofraum. Da stand die Vroni, seine Tochter, sie zählte erst fünfzehn Jahre, aber man konnte sie leicht für zwanzig halten. Sie war gar nicht sonntäglich gekleidet, denn sie hatte nichts am Leibe als das Hemd und einen bunten Rock; sie wiegte sich in den breiten Hüften und schlenkerte den derben, runden Arm gegen die Hühner, denen sie ein paar Brotkrumen vorwarf. »Grüß Gott, Vater«, sagte sie. Wiesner nickte. Er kam an dem Hofhunde vorüber, der an ihm hinanspringen wollte, von dem nahm er gar keine Notiz und ging nach dem Stalle. Bei seinem Herankommen trat sein Weib unter die Tür. »Grüß dich Gott, Jakob!« »Grüß Gott«, sagte er und sah sie fragend an. Sie hob die Schürze nach den Augen und sagte: »Es wird nur allweil schlimmer!« Der Bauer trat in den Stall, da lag die »braune Lies'l« auf der Streu, stöhnte und sah mit den großen Augen gar beweglich zu ihm auf. »Jesus, Maria!« Er schlug die Hände ratlos ineinander. »Und ich hab' doch einen ganzen Rosenkranz gebetet!« Sie gingen nach der Stube. Das Essen ward aufgetragen, das Tischgebet gesprochen, aber »es war heut alles zu viel gekocht worden«; die beiden Alten nahmen geringe Bissen und taten dazwischen schmermächtige Seufzer, nur die Vroni hielt es damit umgekehrt, denn sie wollte – wie sie sagte – nichts verderben lassen. Gleich nach der Danksagung ging der Wiesner hinaus und sah wieder im Stalle nach. Der Rosenkranz hatte nicht gewirkt. Er trat in den Hof zurück und hob die Augen zum Himmel, als sähe er ihn darauf an, wie er es wohl mit ihm meine! In der Tat, es hatten sich rings Wolken heraufgezogen, und es sah da oben ganz grau und recht verdrießlich aus. Ob nun das mithalf oder nicht, den Bauer kleinmütig zu machen, wer weiß es? Gewiß ist, daß er sich den hellen Schweiß von der Stirn wischte und murmelte: »Mir scheint, der Herrgott will mir dem Vieh nichts zuliebe tun!« Er ging langsam nach dem Werkzeugschupfen, setzte sich dort auf die Schnitzbank und begann Späne zu spalten, eine Arbeit, die man sonst für den Winter aufspart und welche er wohl nur vornahm, um sich da »im Stadel« ungestört allein aufhalten zu können. Nun brannte er seine Pfeife an, damit er auf Gedanken komme. ...



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