E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Reihe Hanser
Applegate Endling - Die neue Zeit
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-423-43867-4
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Spannende Fantasy für Mädchen und Jungen ab 11
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Reihe Hanser
ISBN: 978-3-423-43867-4
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katherine Applegate lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Nähe von San Francisco. Sie hat schon viele erfolgreiche Bücher veröffentlicht, die regelmäßig auf der >New York Times<-Bestsellerliste landen.
Weitere Infos & Material
3 Ein Versprechen an Khara
An diesem Abend setzte ich mich zu meinen Gefährten an ein Feuer, eins von Hunderten, die unser Lager zu einem funkelnden Spiegelbild der Sterne über uns machten. Die Eshwins ergaben ein zufriedenstellendes Mahl, und wir fühlten uns schläfrig und satt. (Tobble hatte gebratene Grillen mit Madengelee gegessen.)
So umgeben von bewaffneten Wachposten, konnten wir kaum verdrängen, dass sich überall ringsum Krieg zusammenbraute. Dennoch überkam mich eine angenehme Ruhe, als ich zu meinen lieben Freunden hinsah. Meine ursprüngliche Familie, von Truppen des Murdano hingemetzelt, war ersetzt worden von dieser neuen, aus mehreren Arten zusammengemixten Familie. Tobble. Gambler. Sabito. Renzo, der unbekümmerte Menschenjunge, der einen großen Teil seines jungen Lebens als geschickter Dieb zugebracht hatte. Dog, sein sabbernder Hundefreund.
Maxyn, mein Artgenosse, saß neben mir. Als wir damals seine winzige bedrohte, aber noch lebendige Dalkinkolonie entdeckt hatten und ich begriff, dass ich kein Endling war, schien mir das wie eine Art von Sieg. Doch wie sich herausstellte, waren Dalkins noch immer stark gefährdet und standen am Abgrund der Vernichtung.
Auf der anderen Seite neben mir saß Kharassande Donati, inzwischen bekannt als Lady von Nedarra. Khara, meine ehemalige Kidnapperin, meine Retterin, meine Freundin, die Person, für die ich, wenn nötig, mein Leben hingeben würde.
Bei unserer ersten Begegnung hatte sich Khara als Junge ausgegeben und stand in Diensten einer Gruppe von Wilderern. Sie hatte mich gefangen, mir dadurch das Leben gerettet, mich auch danach immer wieder gerettet. Jetzt führte sie eine Armee an, wie sie sich noch nie zusammengefunden hatte: die Friedensarmee.
Nicht um einen Krieg zu führen, hatten wir uns zusammengetan, sondern um einen zu verhindern. Zwei mächtige Tyrannen, der Murdano in meiner Heimat Nedarra und der Kazar Gs’drit nördlich davon in Dreyland, waren entschlossen, ihre Interessen gewaltsam zu verfechten. Beide wollten Krieg, ihre Völker aber wollten einfach nur in Frieden leben.
Es war ein ungewöhnliches, noch nie erprobtes Vorhaben: eine Armee, deren einziger Zweck es war, den Frieden zu bewahren. Etliche unserer Soldaten hatten noch nie ein Schwert in der Hand gehabt. Sie waren Bauern, Bäcker, Kräuterkenner, Buchhalter, Schmiede, Fassbinder, Maurer und Zimmerleute. Manche waren Dienstboten, manche Lehrlinge. Andere waren Leibeigene gewesen, die wir befreit hatten, weil Khara jede Form von Sklaverei ablehnte. Viele, die mit uns marschierten, waren jung und unerfahren. Andere waren so alt, dass dieses Unternehmen mit großer Wahrscheinlichkeit ihr letzter riskanter Einsatz sein würde.
Zum Glück hatten wir auch erfahrene Krieger bei uns, harte Männer und Frauen mit kräftigen Muskeln und scharfer Beobachtungsgabe. Manche hatten Narben aus Kriegen davongetragen. Auch meine Freunde und ich waren in den vergangenen Monaten mehr als genug Gefahren ausgesetzt gewesen.
Während der Mond am Himmel emporstieg, saßen wir eng beisammen, erzählten Geschichten und sangen Lieder. Renzo mit seiner schönen Stimme ließ eine besonders muntere Melodie hören. Darin kam ein Junge vor, der sich in ein launisches Mädchen verliebt hatte, und wenn ich auch nicht alle Feinheiten mitbekam – Menschen sind in puncto Gefühle schrecklich unklar –, merkte ich, wie Khara mehr als einmal die Augen verdrehte und sich das sanfte Braun ihres Gesichts im Schein des Feuers rötete.
Nach einer Weile wurden wir still, und Khara forderte mich mit einem Wink zu einem Gespräch unter vier Augen auf.
»Sehnst du dich nach Gesellschaft?«, fragte Renzo und stand auf.
Khara lachte. »Nein, nein. Es geht um eine Sache zwischen Byx und mir.«
»Tja, wenn du meinst«, sagte Renzo, seufzte theatralisch und machte eine übertriebene Verbeugung.
Kharas Zelt sah genauso aus wie das, das ich mir mit Tobble teilte, wenn auch vor der Zeltklappe ein Wachposten stand, ein stämmiger junger Mann mit einem langen Speer. Er salutierte, als wir eintraten.
Khara zündete eine Kerze an, dann ließ sie sich auf ihrem schmalen Feldbett nieder und sah mich nachdenklich an. Ich setzte mich auf eine umgedrehte Kiste neben dem behelfsmäßigen Tisch, auf dem Landkarten ausgebreitet waren.
»Es gibt da eine interessante Entwicklung«, sagte sie.
»Interessant im Guten? Oder interessant im Schlechten?«
»Ich möchte dich bitten, einen Auftrag zu übernehmen.«
Ich nickte. »Was immer du befiehlst, Mylady.«
»Du bist nicht eine meiner Soldatinnen, Byx. Du bist meine Freundin. Dir befehle ich doch nichts. Ich kann dich nur bitten.«
»Egal, ich werde tun, was du … worum du mich bittest.«
»Ganz sicher bin ich noch nicht, aber für den Fall, dass ich dich brauche: Es könnte gefährlich werden. Es geht um die Natintjes. Sie sind gerade dabei zu überlegen, ob sie die Friedensarmee unterstützen« – Khara machte eine kurze Pause – »oder ob sie sich gegen uns stellen sollen.«
»Kann sein, ich versteh da was nicht richtig. Was haben denn Wasserwesen mit einem Landkrieg zu tun?«
»Gute Frage, Byx, und die Antwort ist, dass ich das selber noch nicht weiß. Die Natintjes sind von allen sechs großen Arten am schwersten zu durchschauen. Aber wenn wir ihre Unterstützung gewinnen, könnten sie allen Plänen des Murdano, auf dem Seeweg in Dreyland einzufallen, ein Ende bereiten.«
»Ich beneide dich nicht darum, das rauskriegen zu müssen«, sagte ich.
»Die Sache ist die, Byx, nicht ich werde es sein, die das herausfindet.« Sie warf mir ein vielsagendes verschwörerisches Lächeln zu. » wirst das sein.«
»Ich?«
Ich glaube, das habe ich damals zu Khara gesagt. Möglich aber auch, dass ich nicht viel mehr als einen Japser zustande gebracht habe.
»Die Natintjes bitten uns darum, einen Botschafter zu schicken. Jemanden, der sich ihre Bedenken anhört.«
»Aber ich bin doch nur … bin nur …«
»Byx, die Zeiten von ›ich bin nur ein einfaches Dalkinmädchen‹ sind vorbei. Wenn ich Lady von Nedarra sein kann, kannst du auch Botschafterin Byx sein.«
»Nein, kann ich nicht!«, rief ich.
Khara beugte sich vor, die Arme auf den Knien. »Ich kann die Armee anführen, Byx. Aber unser Ziel ist es, einen Krieg zu verhindern und nicht, uns an einem zu beteiligen. Dazu ist Diplomatie nötig. Und das heißt, ich brauche deine Hilfe.«
Es war eine so simple Erklärung. Wenn Khara mich brauchte, würde ich ihr helfen, auch wenn es mich das Leben kosten sollte.
Ich musste ja nicht unbedingt glücklich über den Auftrag sein.
»Werde ich allein sein?«, fragte ich und spürte einen kalten Schmerz in der Magengrube.
Khara schüttelte den Kopf, und ihre dunklen Locken glänzten im Kerzenlicht. »Allein? Nein, natürlich nicht. Erstens kenne ich keine Macht der Welt, die dich und Tobble trennen könnte. Ganz klar also, dass unser leicht erregbarer, doch stets höflicher Wobbyk dich begleiten wird. Ich wünschte, ich könnte dir Gambler mitgeben, aber, na ja, Felijagas und Wasser …«
Ich lächelte, als ich daran dachte, wie nervös der großmächtige Gambler durch einen seichten unterirdischen See gewatet war.
»Maxyn ist noch zu schwach für eine Reise. Und Sabito? Wenn Felijagas Wasser nicht mögen, lieben Raptidons es noch weniger.«
»Renzo?«
»Renzo«, wiederholte Khara, und ich hätte schwören können, die Vorstellung, dass er sie verlassen sollte, bedrückte sie. »Ja, ich glaube, er könnte von Nutzen sein.« Sie nickte. »Ja. Renzo. Unbedingt.«
»Wann brechen wir auf?«
»Es sind nur ein paar Stunden bis zum Telarno, wo wir nahe einer am Fluss gelegenen Stadt unser Lager aufschlagen werden. Den Vormittag darauf treffen wir den Gesandten der Natintjes. Er wird dich, Tobble und Renzo mit einem Wasserfahrzeug zum Palast der Natintje-Königin bringen. Du hörst dir ihre Überlegungen an und überreichst ihr als Geschenke den Schild und die Krone der Subdur-Natintjes, die wir uns … hm … ausgeliehen haben.«
Wir hatten diese Dinge weniger ausgeliehen als gestohlen. Allerdings muss fairerweise erwähnt werden, dass wir damals um unser Leben fürchteten.
»Ich werde mein Bestes tun«, sagte ich.
»Das weiß ich«, sagte Khara.
Wir erhoben uns beide, doch als ich gehen wollte, griff Khara nach meinem Arm. »Byx«, sagte sie, »ich habe loyale Generäle und eine treu ergebene Armee. Und ich halte Renzo, Tobble, Gambler und Sabito für die vertrauenswürdigsten Freunde. Aber auf dich zähle ich in den kommenden Tagen mehr als auf sonst jemanden.«
»Auf mich«, wiederholte ich. »Warum auf mich?«
»Weil wir schon so viel miteinander durchgemacht haben. Und weil ich mich darauf verlassen kann, dass du mir immer die Wahrheit sagen wirst.« Khara warf einen Blick auf die zerknitterten Landkarten auf ihrem kleinen Tisch. »Was vor uns liegt, habe ich so gut wie möglich geplant, Byx. Aber eins weiß ich auch: Das Schlachtfeld lacht nur über Pläne.«
Ich brachte ein schwaches Lächeln zustande.
»Wie ich die Sache nun einschätze, stehen wir bei dem Versuch, diesen Krieg aufzuhalten, vor drei wichtigen Herausforderungen. Als Erstes müssen wir dafür sorgen, dass die Natintjes auf unserer Seite sind. Dafür brauche ich dich. Du musst für mich Augen und Ohren sein. Du redest mit der Natintje-Königin, achtest auf jede Spur von Doppeldeutigkeit und bildest dir ein Urteil, ob wir ihr vertrauen können.«
»Das schaffe ich wohl«, sagte ich. Aber ich hörte den Zweifel in meiner Stimme.
»Die nächste Herausforderung wird sein«, fuhr...