Arnold / Beust / Holfelder | Schaffen wir das? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: Olzog Edition

Arnold / Beust / Holfelder Schaffen wir das?

Ein Plädoyer für mehr Offenheit in der Flüchtlingspolitik

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: Olzog Edition

ISBN: 978-3-95768-181-2
Verlag: Lau Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Deutschland und der Flüchtlingsstrom – "Wir schaffen das", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die mehr als 20 zumeist prominenten Autoren des Buches setzen sich in nachdenklichen, teils sehr bewegenden und mitfühlenden Texten gedanklich mit dem Neuen und Fremden, den Problemen, Sorgen und Ängsten auseinander. Und zwar den eigenen wie denen vieler Menschen in Deutschland. Die Autoren aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen oder künstlerischen Bereichen sind dabei nicht naiv. Ihnen ist bewusst, dass es Probleme bei der Aufnahme und Integration der vielen Flüchtlinge gibt. Aber sie teilen nach Abwägung von Chancen und Gefahren, von Vor- und Nachteilen die Meinung der Bundeskanzlerin: Wir schaffen das – wenn wir es wollen.

Mit Beiträgen von:

Monty Arnold, Ole von Beust, Vivian Daniel, Till Dunckel, Klaus-Peter Grap, Gregor Gysi, Armin Fuhrer, Dominic Herold, Uwe-Karsten Heye, Wieland Holfelder, Patrick Khatami, Hans-Diedrich Kreft, Marina Lessig, Bruno Merse, Bettina Müller, Farid Müller, Anne Pütz, Anke Rauthmann, Gabrielle Scharnitzky, Arnd Schimkat, Rudolf Seiters, Aarash Dadfa Spanta, Gloria Viagra, Henning Vöpel, Marina Weisband
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Das Lachen der Kinder stirbt zuletzt
Von Armin Fuhrer Abou Hafez will reden. Er muss reden, denn das Reden über das Schicksal, das den Menschen hier am Stadtrand von Saida droht, ist seine letzte verbliebene Hoffnung. Wir stehen in einem dunklen, feuchten Flur im ersten Stock, mit Pfützen auf dem nackten Steinboden. Draußen scheint die Sonne, ein leichter Wind treibt die Schönwetterwolken vor sich her. Man hört Kindergeschrei. Doch hier, zwischen den kahlen Betonwänden hat sich ein eigentümlicher Geruch eingenistet, kein Gestank, eher ein miefiger Modergeruch. Und statt des strahlenden Sonnenlichts herrscht ein Halbdunkel. Vier Stockwerke hoch ist dieses Haus. Es sollte ursprünglich eine Universität werden, doch als den Bauherrn das Geld ausging, wurden die Arbeiten gestoppt und die Arbeiter abgezogen. Sie ließen eine kaum halbfertige Bauruine zurück, irgendwo am Stadtrand von Saida, einer alten Stadt rund 40 Kilometer südlich von Beirut mit 200 000 Einwohnern. Als die Flüchtlinge aus Syrien vor dem Bürgerkrieg flohen und auch nach Saida kamen, mietete das UHNCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, 2011 das unfertige Gebäude. Seitdem leben rund 1300 Menschen hier. „Die Umstände sind schlimm, aber es ist besser, als ein Zeltlager“, sagt Abou Hafez. „Die Menschen in den reichen Ländern müssen sehen, wie es hier aussieht, damit sie verstehen, warum hier so viele wegwollen.“ Deswegen will Abou Hafez reden. Saida ist eine Flüchtlingshochburg im Libanon, dem kleinen, armen Land, das so viele der Fliehenden aufgenommen hat. 180 Familien, wohl um die 1300 Menschen, leben allein in dieser grauen Bauruine, die meisten schon seit vier Jahren. Es ist irgendwie ihr Zuhause geworden, auch, wenn das Haus keine Fenster aus Glas hat, sondern offene Luken, die an Schießscharten erinnern, und es insgesamt ein wenig aussieht wie ein überdimensionaler Schuhkarton. Für einen Europäer wäre dieses unfertige Gebäude einfach unbewohnbar und einen Deutschen mag es an die zerstörten Häuser in Berlin oder Köln oder Hamburg erinnern, in denen viele Menschen unmittelbar nach dem Ende des Krieges 1945 hausen mussten. Doch nun ist dieses Zuhause bedroht. Das UHNCR will die Zahlungen über kurz oder lang einstellen. Das Geld geht ihm aus, denn die reichen Industriestaaten sind knauserig geworden, nachdem der Krieg in Syrien partout nicht aufhören will. „Was dann mit den Menschen, die hier leben, passieren wird, ist völlig unklar. Klar ist nur, dass sie auf keinen Fall ihre Unterkunft verlassen wollen“, sagt Abou Hafez. Etwas später, als er ein wenig Vertrauen zu dem Journalisten aus Deutschland gewonnen hat, sagt er, was viele hier sagen: „Wenn unser Haus geschlossen wird, haben wir keine andere Chance mehr – dann gehen wir nach Deutschland.“ Abou Hafez ist nicht sein richtiger Name, den nennt er lieber nicht. Im Libanon wissen geflohene Syrer nie genau, ob sie einem fremden Gesprächspartner trauen können, oder ob der geschickt wurde vom syrischen Machthaber Assad, vom Islamischen Staat oder von wem auch immer. Und das gilt auch für Journalisten aus dem Ausland, selbst für solche aus Deutschland, das auch hier für viele wie ein fernes Paradies wirkt. Abou ist so etwas wie der o?zielle Vertreter der Bewohner. Nicht gewählt, sondern qua natürlicher Autorität. Die Menschen vertrauen ihm, und nun spricht er für sie. Als der Bürgerkrieg 2011 ausbrach in Syrien begab sich der 35-Jährige wie viele Menschen auf die Flucht in den Libanon. Die Regierung des kleinen, selbst schwer gebeutelten Landes wusste nicht, wohin mit all den Hilfesuchenden, und schon bald war ihr alles, was irgendwie als Unterkunft gelten konnte, recht. Auch die Bauruine am Stadtrand von Saida. Kalter Beton, kein Licht, Stromkabel hängen überall abenteuerlich offen herum, und die Pfützen im Treppenhaus des vierstöckigen Gebäudes lassen erahnen, wie es hier aussieht, wenn es regnet. „Der Regen dringt durch die Luken, Sturzbäche setzen die Wohnungen unter Wasser“, berichtet Abou Hafez. Das, was er als Wohnungen bezeichnet, sind tatsächlich kleine Betonlöcher, vielleicht 15 oder 20 Quadratmeter groß und ursprünglich als Büros gedacht. Ganze Familien wohnen darin, nicht selten mehr als eine. Sie schlafen hier, schützen sich im Sommer vor der unbarmherzigen Hitze und im Herbst und Winter vor dem Regen, so gut es eben geht. Manche schlafen auf dem nackten Beton, andere können sich über den Luxus einer total verschmutzten Matratze freuen, die hilfsbereite Menschen aus Saida gebracht oder die Mitarbeiter des UHNCR besorgt haben. Die Kinder hocken auf dem Boden, ihre Hosen, T-Shirts oder Blusen stehen vor Dreck. Wenn man diese menschenunwürdigen Lebensumstände sieht, relativieren sich die Diskussionen über Standards für Flüchtlinge, wie sie in Deutschland mit sehr deutscher Vehemenz geführt werden, sehr schnell. Von der Frage, ob man diesen Menschen helfen soll, ganz zu schweigen. 300 000 Dollar muss die UHNCR für das Gebäude, das einem Investor gehört, jedes Jahr hinblättern. Viel Geld ist das; zu viel nach Ansicht der UHNCR. Sie will all die Menschen, die hier leben, in kostengünstigere Zeltunterkünfte unterbringen. Das klingt ökonomisch sinnvoll. Das Problem aber ist, dass die Betroffenen das nicht wollen. Sie fühlen sich als Solidargemeinschaft. Man hilft sich gegenseitig, legt zusammen, wenn einer schwer erkrankt ist und eine kostspielige ärztliche Behandlung braucht. Oder passt auf die Kinder auf, wenn der Vater nach Deutschland geflohen ist und versucht, das Nachholen der Familie vorzubereiten, während die Mutter unter Lebensgefahr noch einmal nach Syrien zurück ist, um dort bei Verwandten Geld für die Schleuser locker zu machen. Denn ohne einen Schleuser ist es kaum ins gelobte Deutschland zu schaffen. 3000 Dollar muss man rechnen, pro Person. Eine ungeheure Summe für diese Menschen. Das Gemeinschaftsgefühl hat aber noch einen tieferen Hintergrund: „Die Leute hier kommen alle aus den selben vier Dörfern, viele kannten sich schon vor der Flucht untereinander“, erklärt Abou Hafez. Das bindet sie zusammen, gibt das Gefühl von Geborgenheit fern der Heimat und dem alten, gewohnten Leben. „Wer diese Gemeinschaft auseinanderreißt, nimmt uns das letzte, das wir noch haben.“ Aybane Moutih Said und die anderen Frauen, die auf dem Boden zusammensitzen und Essen zubereiten, blicken immer wieder auf die Bilder, die über den kleinen, alten Monitor flimmern, der in den siebziger Jahren vielleicht mal aktueller technischer Standard gewesen sein mag. Irgendwelche Bomber bombardieren irgendwelche feindliche Stellungen oder irgendeine Stadt, Panzer kurven durch enge Straßen, Rauch steigt zum Himmel empor, Männer in Zivilkleidung schießen mit ihren Maschinengewehren irgendwohin. Alltag in Syrien. Und Alltag in dem großen Schuhkarton von Saida. In vielen Wohnungen steht ein solcher Fernseher, auch dabei handelt es sich meist um Geschenke von Einheimischen, die ihre alten Geräte ausgemistet haben. Meistens flimmern Bilder aus den syrischen Bürgerkriegsgebieten über den Bildschirm. Für die Flüchtlinge ist das neben den Kontakten zu den Verwandten oder Freunden, die in dem Bürgerkriegsland zurückgeblieben sind, die einzige Möglichkeit, Informationen aus ihrer Heimat zu bekommen. Manchmal gibt es auch Zeichentrickfilme für die Kleinen. Aybanes Mann ist vor ein paar Monaten über die Türkei nach Deutschland geflohen. „Wir telefonieren regelmäßig“, sagt die junge Frau, die schwanger ist, vielleicht im sechsten Monat. „Er ist sehr glücklich in Deutschland“, sagt sie. Er bekomme kostenlose medizinische Betreuung, gut zu essen. Und er lerne fleißig Deutsch. „Wenn er deutsch kann, dann darf er arbeiten. Und dann nehme ich meine beiden Töchter und wir fahren auch nach Deutschland.“ Vom komplizierten deutschen Bürokratismus weiß Aybane nichts, von den Protesten in Deutschland gegen die „Flüchtlingsflut“ aber hat sie gehört und Bilder davon im Fernsehen gesehen. Trotzdem ist sie voller Hoffnung, voller Bewunderung und voller vorauseilender Dankbarkeit gegenüber dem Land im fernen Europa. Deutschland ist ihr einziger Lichtblick, vor allem, wenn sie vielleicht bald fernab ihrer Gemeinschaft aus dem Schuhkarton in irgendeinem Zeltlager leben muss. Ob sie nicht lieber wieder nach Syrien zurück möchte? „Doch, aber das wird noch sehr lange dauern. Und hier im Libanon wird die Situation immer unerträglicher.“ Während die Frauen in den „Wohnungen“ um die Mittagszeit auf dem Steinboden das Essen vorbereiten – die Zutaten wurden kurz zuvor von Mitarbeitern einer islamischen Hilfsorganisation geliefert, die unter dem Dach der UHNCR arbeitet – sitzen die meisten Männer draußen auf dem großen Platz vor dem Haus. Für viele ist das Areal wie ein Gefängnis. Denn viele haben keine o?zielle, von der libanesischen Regierung geforderte Registrierung. Ohne dieses Papier aber können sie sich nur unter Gefahr frei...


Armin Fuhrer arbeitete über 20 Jahre als Politikredakteur und Korrespondent für die "Welt" und den "Focus". Er ist Verfasser zahlreicher Bücher, unter anderem über den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff sowie die jüdischen Attentäter David Frankfurter und Herschel Grynszpan. Fuhrer, geboren 1963, lebt und arbeitet als Journalist und Autor in Berlin.

Christian Nawrocki gründete 2009 die Agentur für Öffentlichkeitsarbeit Nawrocki- PR & Communication. Zu seinen Schwerpunkten gehört die Arbeit als politischer Berater. Der 1978 geborene Bochumer mit brasilianischen Wurzeln war zuvor für verschiedene Fernsehsender und die Nachrichtenagentur DPA im In- und Ausland tätig. Nawrocki lebt und arbeitet in Hamburg.


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