Asiowa / Evert | Die unfruchtbare Witwe | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 12, 330 Seiten

Reihe: editionBalkan

Asiowa / Evert Die unfruchtbare Witwe

Roman
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-943941-34-0
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, Band 12, 330 Seiten

Reihe: editionBalkan

ISBN: 978-3-943941-34-0
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die Geschichte spielt in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in einer Kleinstadt im Piringebirge in Südwestbulgarien. Nachdem ihr Mann an der nahen Vardar-Front gefallen ist, wird die junge Witwe Wranitsa von ihrer Schwiegermutter aus dem Haus gejagt, weil sie ihr keinen Enkel schenken konnte. Wranitsa verliebt sich in den Albaner Adem, der in dem Ort eine Art Konditorei führt, und wird von ihm schwanger. Bevor sie ihm sagen kann, dass sie ein Kind von ihm erwartet, ist Adem gezwungen in seine Heimat zurückzukehren, um eine Blutschuld zu zahlen, deretwegen er zwanzig Jahre vorher nach Bulgarien geflüchtet war. Zwar wird er in Albanien nicht getötet, aber ob er zu Wranitsa zurückkehrt, bleibt angesichts der Tatsache, dass er in der Heimat eine Frau mit inzwischen erwachsenem Sohn hat, offen. Die nicht mehr unfruchtbare Witwe wird von ihrer Schwiegermutter wieder aufgenommen. Boika Asiowas Roman porträtiert im Mikrokosmos einer bulgarischen Kleinstadt den Makrokosmos des Balkan. Mit ihren einfühlsamen Beschreibungen von Bulgaren, Türken, Pomaken (muslimischen Bulgaren) und Albanern zeichnet sie ein Bild einer multiethnischen Gesellschaft, die in Frieden, wenn nicht notwendigerweise Harmonie, zusammenlebt und zusammen leidet.

Geboren 1945 in Raslog. Obwohl von Beruf eigentlich Chemikerin, verdiente sie ihren Lebensunterhalt in erster Linie mit Schreiben, darunter als Journalistin bei der Tageszeitung 'Semja'. Seit Boika Asiowa 1985 mit 'Das gute Wort' als Buchautorin debütierte, hat sie acht Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. 'Die unfruchtbare Witwe' erschien 2007 und ist ihr erster Roman.
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Im Elternhaus Mušas oder Rabiyes, wie die meisten sie nannten, hatten sie längst den Altar vernachlässigt. Sie hörten auf, Öl ins ewige Licht zu schütten. Sie hörten auf, Kerzen für Gesundheit und für ein helles Andenken an die verstorbenen Verwandten anzuzünden. Sie tauschten diese ganze Ordnung gegen einen Vortrag am Samstag und das Singen im Chor mit dem Prediger von Gracen. Er kam aus dem Nachbarstädtchen, wo sie zuerst die protestantische Religion angenommen hatten, die vor Jahrhunderten den Ärmelkanal von England zum Kontinent hin überquert hatte, dann über den Atlantik geflogen war, um in Amerika Wurzeln zu schlagen. Das war noch bevor den Leuten die Geschichte von Miss Elena Stone zu Ohren kam. Als sie sich auf den Weg machte, das leidgeprüfte Makedonien zu bereisen, um in dem noch von den Türken unterdrückten Land den Glauben ihrer Kirche zu predigen, geriet sie in einen Hinterhalt. Beim Podprenfels am Gradevskafluß, genau dort, wo der Weg nach Gorna Džumaja von Predel herunterkommt in Richtung des Weilers Baba Cveta, erwarteten die Woiwoden Jane Sandanski und Christo Cernopeev mit ihren Gesellen die Missionarin und ihre Mitreisenden. Goldstücke brauchten sie, die Rebellen. Sie brauchten sie, um Waffen für ihre Sache zu kaufen. Als er in der Klemme wegen des Geldes war, beschloss der König von Pirin, vom amerikanische Konsulat in Konstantinopel Lösegeld für die Freiheit von Miss Elena Stone zu fordern.

Aber bei den Racovs, im Elternhaus von Rabiyes Mutter, hatten sie auch schon vor besagter Geschichte mit Miss Stone der hiesigen Kirche den Rücken gekehrt. Warum die Vorfahren diesen Entschluss gefasst hatten, darüber wurde in der Familie nicht gesprochen. Alle zählten sich schon längst zu den Protestanten und folgten den Regeln dieser übernommenen Religion. Das hinderte Rabiye aber nicht daran, am Samstag dem Clavecin von Frau Jordana im Hause Tulilov zu lauschen, dessen Erdgeschoß den evangelischen Pilgern Obdach gewährte, und sonntags im Kirchenchor der Kirche »Mariä Verkündigung« zu singen. Rabiye hielt es nicht für eine Sünde, dass sie auf verschiedene Art und Weise ein und denselben Gott verehrte. Für den eifrigen Gottesdienst mit den Protestanten und aus gutem Herzen gab ihr Frau Jordana Samen, Blumenzwiebeln und Setzlinge, und mit den Frauen vom Chor der Kirche »Mariä Verkündigung« fuhr sie zu anderen Kirchenfesten in der Umgebung, zum Rilakloster und noch weiter weg. Sie probten zwei Mal wöchentlich kurze Kirchenlieder und Lobpreisungen. Jeden Sonntag beim Frühgottesdienst und an Feiertagen sang Rabiye mit dem Chor »Gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.«

Das ist ein Lobgesang auf die Heilige Gottesmutter. Sie sangen es besonders inspiriert an Mariä Verkündigung, denn das war der Namensgeber der neuen Kirche. Erbaut mit einer Schenkung des reichsten Mannes in der Stadt, und aus diesem Grund trug das Gotteshaus auch den Namen, den er dafür ausgewählt hatte. Unter den Leuten erzählte man sich, dass er viel Geld gegeben habe, nicht nur weil er es besaß, sondern auch weil er in seinen Jugendjahren ziemlich viel Schade angerichtet hatte. Nicht nur, dass er nicht rechtschaffen gelebt hatte, der Halbmond habe auch ziemlich viele Seelen ins Unheil gestürzt, die ihm von seiner sonst wohltätigen Hand gewiesen wurden. Und später glaubte er dann, dass er sich von seinen alten und schweren Sünden mit Geld freikaufen könnte.

Bevor sie an diesem großen christlichen Feiertag in die Kirche ging, putzte Rabiye das ganze Haus von Grund auf. Am Ende nahm sie ein großes Kupferblech, ging durch den Hof und schlug mit der ganzen Hand darauf, wobei sie siebenmal rief: »Flieht, Schlangen und Eidechsen, flieht Flöhe, Mariä Verkündigung vertreibt euch!« Und jeder Ruf endete mit einem durchdringenden, zischenden »Iiiij!«.

Sie erklärte auch noch, dass an Mariä Verkündigung der Herr die Erde erwärmt und die Schlangen deshalb nicht beißen, weil sie Gott für die Wärme dankbar sind.

Zum Festtag für die Brüder aus Thessaloniki wiederum wurde gesungen: »Ihr Weisen, Kyrill und Method, gleich nach dem Geiste mit den Aposteln und Lehrer der slawischen Länder, bittet den Bischof aller slawischen Völker, dass er die Orthodoxie und die Einhelligkeit stärkt, dass er die Welt versöhnt und unsere Seelen rettet.«

Ob Werktag oder Feiertag, ob morgens, während sie Hausarbeit verrichtet, oder abends, wenn sie die Kinder schlafen legt, oder auf dem Feld, Rabiye liebte es, vor sich hin zu singen. Eine schöne Stimme hatte sie. Aber nicht aus der Stimme entsprang das Lied bei ihr. Aus ihrem Inneren holte sie es.

»Mein Herz ist frei«, sagte sie über sich selbst. »Weder ist es voller Neid, noch ist es ein Eiswürfel.«

Sie begann gern mit einem kurzen Kirchenlied für den Montag und endete mit:

Der heilige Georg beschlägt das Pferd

beschlägt das Pferd, sattelt das Pferd,

um aufs Feld zu reiten,

um die gesäten zu besuchen.

Die vom Frühling haben Schosse getrieben,

die vom Herbst haben Ähren angesetzt …

Mitten im Sommer war der Feiertag des Klosters von Obidim. Genauer gesagt einer der Feiertage. Weil das Kloster zwei Namen hatte. Daher auch die zwei Volksfeste, die in ihm stattfanden. Den einen, den des Heiligen Pantelejmon, feierte das größte Dorf. Am siebenundzwanzigsten Juni. »Heiliger Dulder und Arzt Pantelejmon, bitte den barmherzigen Gott, dass er uns Vergebung schenkt für die Sünden unserer Seelen.« Dieses kurze Kirchenlied schwebte durch die kleine Kirche im Hof des Klosters. Dann stiegen dort besonders Lahme, Kranke und Kinderlose hinauf – alle mit der Hoffnung auf Heilung.

Zu Mariä Geburt kamen die Laien aus den kleineren Dörfern und diese aus dem Nachbarkreis. Dann wurde ein Tier geschlachtet. Es kam zu einem großen Menschenauflauf. Das noch warme Wetter erlaubte es, auch außerhalb des Klostergebäudes zu schlafen, das für die Übernachtung von Laien vorgesehen war. Die Leute brachten sich irgendeine kleine Matte mit und legten sich in den Hof – wenn man den Platz, der sich in Spannen ausmessen ließ, überhaupt Hof nennen konnte. Sie verbrachten die Nacht eng aneinander gepresst, denn wenn jemand beschloss es sich bequem zu machen, dann konnte es passieren, dass er den Hang hinunterrollte und im Fluss durchweichte.

Das Kloster selbst war auf einem kleinen Berg erbaut. Direkt auf dem Gipfel. Darunter windet sich der Fluss Bezbožka, und obwohl er klein ist, kann man ihn nur schwer durchwaten. Im Frühling, wenn der Schnee schmilzt, ist er besonders reißend. Sein Bett ist eng, tief, und die Felsen haben das Wasser von beiden Seiten steil umarmt und beherrschen seine Leidenschaft, so gut sie können.

Die kleine Kirche ist bescheiden. Daneben sind die Gräber der Nonnen, die ihr Leben hier verbracht haben, und das Grab von Georgi Cvetincev. Einem Einsiedler aus Kumanovo, den alle im Landkreis kannten. Ein Wanderer, ein armer Teufel, immer zerlumpt. Aber nicht dumm. Er war durch die Dörfer gezogen und hatte Gelder gesammelt für den Bau des Klosters. Er hatte davon geträumt, dass es an diesem Ort eine vergrabene Ikone gab. Er hatte gegraben und sie entdeckt. Wahrscheinlich Überreste einer alten Kirche. Und er baute das Gotteshaus wieder auf. Später errichteten sie daneben auch ein Wirtschaftsgebäude.

Glockenturm gab es keinen. Die Glocken waren an den alten Nussbaum gebunden. Aufgefädelt auf einen beschnittenen Ast, genau vier. Wie ein verkrüppelter Arm mit abgeschnittenem Handgelenk. Wenn die Kirchendienerin die kleine Kirche durchgefegt hatte, rannte sie hinaus, um die Glocken zu läuten. Wenn sie mit dem Läuten fertig war, rannte sie in die Klosterküche, um beim Opfermahl zu helfen.

Rabiye störte es nicht, alle beide Feiertage des Klosters zu feiern. Was macht es schon, wenn es zu einer fremden Gemeinde gehörte. Es war sogar noch besser, denn weil sie das Kreiszentrum war, gab ihr ihre Heimatstadt die Möglichkeit, beide Kirchenfeste zu begehen.

Soeben war das Fest des Heiligen Pantelejmon im Gange.

Im Gedränge erblickte Rabiye Vranica. »Na da schau einer an«, war sie überrascht. Sie hatte die Witwe nie in einem der Klöster getroffen, und ihre Anwesenheit gerade an diesem Tag verblüffte sie.

Außer für die Kranken und die Heiler war der Heilige Pantelejmon auch der Schutzpatron der Kinderlosen. Hierher kamen Frauen, die schon längst verheiratet waren, aber noch nicht geboren hatten. Um Kerzen anzuzünden und heiße Bitten an den Heiligen zu richten, damit er ihnen hoffentlich den Unterleib löste. Manchmal hörte man, wie der Priester ein Gebet über dem Kopf einer düster dreinblickenden jungen Frau las: »Enthalte ihnen das Kind nicht vor, Herr! Segne sie, gib...


Geboren 1945 in Raslog.
Obwohl von Beruf eigentlich Chemikerin, verdiente sie ihren Lebensunterhalt in erster Linie mit Schreiben, darunter als Journalistin bei der Tageszeitung "Semja".
Seit Boika Asiowa 1985 mit "Das gute Wort" als Buchautorin debütierte, hat sie acht Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. "Die unfruchtbare Witwe" erschien 2007 und ist ihr erster Roman.



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