Axat | Eine vorbildliche Tochter | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

Axat Eine vorbildliche Tochter

Psychothriller
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-30933-6
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Psychothriller

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

ISBN: 978-3-641-30933-6
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Schülerin verschwindet. Selbstmord, sagt die Polizei. Bullshit, sagen ihre Freunde. Camila Jones, prominente TV-Journalistin, macht sich auf die Suche nach der Wahrheit.

Die prominente Investigativjournalistin Camila Jones genießt ihren vorzeitigen Ruhestand. Auf der spärlich besiedelten Insel vor der Küste von North Carolina kehrt endlich die Ruhe in ihr Leben ein, die sie sich gewünscht hat. Eines Mittags aber steht ein Reporter der Lokalzeitung vor ihrer Haustür und bittet sie um Hilfe. In einer Kleinstadt auf dem Festland ist vor einigen Monaten die 14-jährige Sophia verschwunden. Selbstmord, vermutete die Polizei damals. Doch ihre Leiche wurde nie gefunden. Camilas Instinkt ist geweckt: Kann es sein, dass das Mädchen noch lebt?

Federico Axat wurde 1975 in Buenos Aires geboren. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Ingenieur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Bücher wurden in 35 Sprachen übersetzt und stoßen bei Leser*innen und Kritiker*innen auf große Anerkennung. Die New York Times feierte ihn als »einen der besten Thrillerautoren der Welt«. Federico Axat verbrachte einige Jahre in den USA, heute lebt und arbeitet er in Buenos Aires.
Axat Eine vorbildliche Tochter jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


1


In einem anderen Leben hatte Camila Jones zwei Emmys für ihre investigativen Fernsehbeiträge gewonnen, und nun war sie nicht einmal imstande, ein Rote-Bete-Pflänzchen zu ziehen.

Sie betrachtete eine Weile die verkümmerten Blätter und die kaum fünf Zentimeter langen Stängel. Dann holte sie ihr iPhone aus der Schürzentasche und machte ein Foto. »Das sieht übel aus«, schrieb sie auf WhatsApp an Marshall, der sich auf der Insel um die Gärten kümmerte. Der Mann, der in den letzten Jahren das geworden war, was einem Freund am nächsten kam, antwortete mit einem Smiley: »Ich hab’s Ihnen ja gesagt.«

Camila ließ ihren Blick von der Anhöhe erst nach Westen über den Atlantik schweifen und dann über die Kanäle und Sümpfe, die dieses Stück Land mit dem hochtrabenden Namen vom restlichen North Carolina trennten. Es stimmte, dass Marshall sie gewarnt hatte: »Sie können sich noch so viel gute Erde kommen lassen, Ms. Jones, hier vermischt sich die Meeresluft mit der Landluft, und das ist nicht gut.« Marshall pflegte die Gärten der Häuser schon seit über zwanzig Jahren und wusste, wovon er sprach. Wehmütig erzählte er immer von diesen besseren Zeiten, als sich rund dreißig wohlhabende Familien auf der Insel niedergelassen hatten in der Hoffnung, sie würde sich zu einer exklusiven Gegend entwickeln, was aber nie geschah.

Das Haus, das Camila sich nach ihrem Rückzug aus dem Journalismus gekauft hatte, war ein Sinnbild dieser verheißungsvollen Vergangenheit. Das Glashaus, wie die Ortsansässigen es nannten, stand auf dem höchsten Punkt der Insel und war ein modernes zweistöckiges Gebäude mit einem atemberaubenden Ausblick. Die reinste Verschwendung für eine alleinstehende Frau und ihren Hund.

Während Camila kopfschüttelnd dastand, sah Bobby von der anderen Seite des Gartens zu ihr herüber. Der Beagle, der mit hündischem Bedauern den Umzug von einer luxuriösen Wohnung in New York in … hatte erdulden müssen, hatte ein Faible dafür entwickelt, alle botanischen Katastrophen seiner Herrin genauestens zur Kenntnis zu nehmen. Bobby war ein alter Hund – und Bewegung war noch sie sein Ding gewesen –, was ihn aber nicht daran hinderte, jedes Mal aufzutauchen, wenn sich die Gelegenheit ergab, und sie darauf hinzuweisen, dass früher alles besser war.

Camila war gerade zweiundfünfzig geworden, und auch sie vermisste gelegentlich ihr altes Leben.

»Na, Bobby? Du hast Hunger, oder?«

Sie gingen die Anhöhe hinunter und dann den Kanal entlang, der das Grundstück begrenzte. Marshall hatte einmal gesagt, er habe seit Jahren keinen Alligator mehr gesehen, doch Bobby blieb manchmal stehen und starrte aufs Wasser, als lauere unter der Oberfläche eines dieser Reptilien. Diesmal beschränkte er sich darauf, sorglos neben seinem Frauchen herzutrotten.

Gut gelaunt stieg Camila die Stufen zur hinteren Veranda hinauf. Auf der Insel gab es gute Tage und schlechte Tage, und dieser Tag schien einer der guten zu werden trotz der missratenen Rote-Bete-Pflanze. In der Küche stand Camila eine Weile da und überlegte, ob sie Frühstück machen oder in den Keller gehen sollte, um den härtesten Teil ihrer täglichen Routine zu absolvieren. Manchmal erledigte sie es gleich, dann wieder quälte sie sich den ganzen Tag mit dem Gedanken, dass es irgendwann sein musste.

Nie, nicht einmal in ihren dunkelsten Momenten, hätte Camila gedacht, dass es ihr so schwerfallen würde. Als sie die Entscheidung getroffen hatte, ihren Job zu kündigen und aus New York wegzuziehen, war sie überzeugt gewesen, dass es so am besten war. Sie würde ihre Fähigkeit, tief ins Leben anderer Leute einzutauchen, auf ihr eigenes Leben anwenden. Sie glaubte, genügend Erfahrungen gesammelt zu haben, um sich selbst zum Objekt ihrer Nachforschungen zu machen, doch sie hatte unterschätzt, welche Schwierigkeiten dies mit sich brachte. Jahrelang hatte sie sich eingeredet, sie habe nur deshalb keinen Blick auf sich selbst geworfen, weil die Zeit dafür fehlte. Sie hatte es tatsächlich geglaubt.

Als sie sich endlich dazu durchgerungen hatte, hatte sie zu Richard Ambrose, ihrem Produzenten und guten Freund, gesagt, sie brauche eine Auszeit. Eine unbefristete Auszeit. Richard war nicht überrascht gewesen, schließlich hatte er ihr einige Male beigestanden bei ihren Panikattacken und die Folgen abgefedert, die sich daraus ergaben. Er war es auch gewesen, der ihr sein Haus auf Queen Island angeboten hatte, damit sie in Ruhe nachdenken konnte. Zu seiner großen Überraschung hatte Camila ihm vorgeschlagen, das Haus zu kaufen und alles hinter sich zu lassen. »Alex wird bald studieren, der Zeitpunkt ist also perfekt.«

Für Richard bedeutete es eine Erleichterung, sich von dem Haus zu trennen. Nach seinen Erfolgen als Produzent hatte er es aus einer Laune heraus gekauft. Schlimmer wog der Verlust seiner Ankerfrau von , der wichtigsten Investigativsendung landesweit.

Camila war in das Glashaus gezogen und hatte in den ersten Monaten nur eines getan: lesen. Lesen, Filme schauen, Gemüse ziehen, sogar ein bisschen selbst schreiben. Das hatte sie sich verdient. In den vergangenen Jahren hatte sie praktisch durchgearbeitet. Als sie sich schließlich ihren eigenen Geistern hatte stellen wollen, waren die Attacken zurückgekehrt, so stark wie nie zuvor. Vielleicht war sie es zu überstürzt angegangen, hatte sie überlegt. Kurzerhand hatte sie die Zeitungsausschnitte und wenigen Habseligkeiten, die sie noch aus ihrer Jugend aufbewahrte, im Keller verstaut, und schon war es etwas besser geworden.

Sie hatte noch drei weitere Anläufe mit dem gleichen Ergebnis unternommen und war schließlich zu dem Schluss gelangt, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, in ihrer Vergangenheit herumzuwühlen.

Zu Alex hatte sie gesagt, sie habe sich vom Fernsehen verabschiedet, um alte Projekte wieder aufzunehmen, doch sie hatte ihm nie gestanden, dass sie selbst im Mittelpunkt stehen sollte. Ihr Sohn studierte Jura an der Universität von Boston, und einmal die Woche skypten sie. Wenn sie nach diesen Gesprächen das Display zuklappte, brach sie manchmal in Tränen aus. Es lag nicht daran, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit sagte – was hätte das für einen Sinn? –, sondern daran, dass er so weit weg war und sie ihn nicht jeden Tag umarmen konnte. Camila war stolz auf ihren Sohn, den sie großgezogen hatte mit dem schlechten Gewissen, nie genug Zeit für ihn gehabt zu haben. Jetzt hatte sie alle Zeit der Welt und war allein.

Bobby sah sie an. Camila hatte sich gehen lassen. Manchmal hatte die Einsamkeit diese Nebenwirkung.

Camila stellte Bobby das Fressen hin und ging dann in Richtung Kellertür. Es war schon merkwürdig, wie das Universum tickte. Sobald sie diese Tür öffnen wollte, zog irgendetwas draußen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Auch jetzt wieder, als sie gerade noch den Mann bemerkte, der mit einem Stapel Aktenordner in den Händen den Vorgarten durchquerte. Er war um die dreißig und hatte lange Haare. Camila kannte ihn nicht.

Es klingelte, und Camila überlegte ernsthaft, ihm nicht zu öffnen. Sie mochte keine Besuche, schon gar keine unerwarteten.

Missmutig machte sie die Tür auf. Der junge Mann spürte offenbar, dass sie schlecht gelaunt war, denn sein Gesicht fiel in sich zusammen, und die Worte stürzten ihm regelrecht aus dem Mund.

»Guten Tag, Ms. Jones, ich bin Tim Doherty, Journalist und Direktor des , der Zeitung von …«

»Ich kenne das Lokalblatt.«

Ein nervöses Lächeln zuckte um seinen Mund.

»Ich muss mit Ihnen über das Verschwinden von Sophia Holmes sprechen. Ich muss …«

»Woher wissen Sie, wo ich wohne?«

Der Journalist wollte antworten, als er bemerkte, dass einer der drei Aktenordner gleich herunterfallen würde. Schnell stellte er sich auf sein linkes Bein und schob mit dem rechten Knie den Aktenordner an seinen Platz zurück. Camila betrachtete das Manöver mit einem gewissen Mitgefühl.

»Wir von der Zeitung haben gute Quellen«, antwortete Tim schließlich. »Wir wussten vom ersten Tag an, dass Sie hier wohnen. Wir haben es nur nie gestreut.«

Camila nickte nur.

Tim holte Luft.

»Ich finde, Sie sollten sich mit dem Fall Sophia Holmes beschäftigen«, sagte er mit einem feierlichen Ernst, der einstudiert wirkte. Dann tippte er mit dem Kinn auf den obersten Aktenordner. »Niemand hat so ausführlich dazu recherchiert wie ich, Ms. Jones.«

Camila warf einen kurzen Blick auf den Ordner. Die Ausschnitte waren unterschiedlich groß, also handelte es sich vermutlich um Zeitungsartikel, Notizblätter, Fotos und Kopien mit relevanten Informationen. Camila gehörte zur alten Schule, daher erregte ein solcher Aktenordner automatisch ihr Interesse. Sie fragte sich, ob Doherty dies geahnt und sie deshalb mitgeschleppt hatte. Er hätte sie auch gut im Auto lassen können.

»Ich werde mich an keiner Recherche beteiligen«, sagte sie schließlich. »Tut mir leid, dass Sie den Weg hierher ganz umsonst gemacht haben.«

Tim seufzte.

»Sind Sie in dem Fall auf dem neuesten Stand?«

Tatsächlich wusste Camila nur wenig darüber. Sie hatte absichtlich kaum etwas dazu gelesen, weil sie sich nur zu bewusst war, dass der Fall Sophia Holmes alle Zutaten enthielt, um sie zu packen. Sie wusste, dass Sophia mit einigen Freunden ins Kino gegangen war und ihnen kurz vor Beginn des Films gesagt hatte, sie habe noch etwas zu erledigen, und dann nicht wieder zurückgekehrt war....


Strobel, Matthias
Matthias Strobel, geboren 1967, übersetzt aus dem Spanischen und Englischen, u.a. Alfredo Bryce Echenique, José María Arguedas und Guillermo Arriaga. 2014 wurde er mit dem Europäischen Übersetzerpreis Offenburg ausgezeichnet (Förderpreis), 2017 gehörte er zu den Finalist*innen des Internationalen Literaturpreises. Er lebt in Berlin.

Axat, Federico
Federico Axat wurde 1975 in Buenos Aires geboren. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Ingenieur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Bücher wurden in 35 Sprachen übersetzt und stoßen bei Leser*innen und Kritiker*innen auf große Anerkennung. Die New York Times feierte ihn als »einen der besten Thrillerautoren der Welt«. Federico Axat verbrachte einige Jahre in den USA, heute lebt und arbeitet er in Buenos Aires.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.