E-Book, Deutsch, 303 Seiten
Baier Frankfurt Beats
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-911008-24-2
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 303 Seiten
ISBN: 978-3-911008-24-2
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oliver Baier, geboren 1974, lebt schon immer im Rhein-Main-Gebiet. Er ist Physiotherapeut mit eigener Praxis und hat bisher mit einem Autorenkollektiv den Krimi 'Elektroschock' veröffentlicht sowie zahlreiche Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien. Frankfurt/Main ist für ihn die spannendste Stadt Deutschlands. Frankfurt Beats ist sein Debüt. Weitere Infos: www.oliverbaier.eu
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Kapitel 1
Uniklinik Frankfurt/Main
Die offene Tür der Krankenhausapotheke war eine Einladung. Heidi, die Apothekerin, stand draußen auf dem Flur und nippte an einer Tasse mit der Aufschrift Drogenkurier.
Drinnen lief das Radio. „Leute, es ist 11.25 Uhr. Wenn der Regen vorbei ist, kommt heute noch die Sonne. Doch ist ein Sommerregen nicht wunderbar? Joris nimmt euch an die Hand. Tanzt alle in seinem Sommerregen. Radio Citylights ist bei euch. Und auch euer Andi.“ Ein Glockenspiel, der Bass und dann folgte die Stimme des Sängers.
Donnerstags um 11.30 Uhr war Visite auf Station 7a. Auf der Gastroenterologie mit den Magen-Darm-Erkrankungen gab es seit vier Wochen einen neuen Stationsarzt. Heidi fuhr auf diesen Dr. Wohlfarth ab. Das wusste hier mittlerweile jeder. Milan musste in die Krankenhausapotheke rein. Heidi war weit genug entfernt, sie sah ihn nicht.
Da öffnete sich die Tür zum Gang. Wohlfarth betrat die Station genau im richtigen Moment. Milan schlüpfte durch die angelehnte Tür in die Apotheke.
Auf dem Schreibtisch stand Heidis Computer, der Bildschirmschoner zeigte ein Lavendelfeld im Abendrot. Der Schrank für die Betäubungsmittel war immer abgeschlossen, aber da lag der Schlüssel gut sichtbar neben einem Fläschchen mit rotem Nagellack. Chanel, Rouge Puissant.
Daneben sah er die Inventarliste mit allen Medikamenten Abgängen. Milan überflog die letzten Einträge auf der Liste: Station 4b, drei Ampullen Fentanyl, ein starkes Schmerzmittel, darunter hatte die Anästhesieabteilung Forene und Suprane für ihre Arbeit im OP erhalten.
Heidi hatte die Angewohnheit, sich alles in einem kleinen Notizbuch mit Bleistift zu notieren. Sie erwähnte immer, wie vergesslich sie war.
Milan nahm eine große Flasche mit blauer Lösung zur Händedesinfektion aus dem hohen Stahlregal. Ein Alibi, für den Fall, dass ihn jemand erwischte. Die Lösung war immer Mangelware auf Station. In das Notizbuch trug er später noch die Abgänge ein. Heidis Schrift konnte er mittlerweile gut fälschen. Er drehte den Kopf zur halb geöffneten Jalousie des Fensters zum Flur. Die Lamellen klackten metallisch. Er trat einen Schritt näher an die Jalousie und unterdrückte den Impuls, die Staubflusen wegzupusten.
Heidi trug heute hohe Absätze, Gift für ihr problematisches Sprunggelenk. Nachher würde sie ihn wieder fragen, ob er ihr ein Kinesiotape über die schmerzenden Knöchel kleben könnte. Es war immer dasselbe mit ihr: Donnerstag Visite von Dr. Wohlfarth und sie trug dazu natürlich High Heels. Später würden sie zusammen darüber lachen und dann würde Milan ihr Sprunggelenk tapen. Bei Heidi durfte das Tape gern etwas auffälliger, etwas bunter sein, und auf gar keinen Fall durfte er bei ihr dieses Oma-Beige benutzen. Das erinnerte sie an Stützstrümpfe.
Er trat wieder an den Schreibtisch. Heidis Schlüsselbund klimperte leise, als er ihn in die Hand nahm. Am gefilzten Pilzanhänger hingen neben dem Autoschlüssel ein Wertchip für den Einkaufswagen und der Schlüssel für den Medikamentenschrank. Er hatte als einziger Kerben am Schaft. Bingo.
Milan drehte sich noch einmal zum Fenster um. Die Jalousie klapperte, obwohl er sie ganz vorsichtig hochschob.
Heidi stand noch immer im Flur. Sie zupfte ein paar Strähnen ihrer toupierten Haare zurecht. Dabei machte sie drei Schritte auf die andere Flurseite, drehte sich aber wieder zum Fenster um.
Milan trat einen Schritt zurück. Bleib von der Jalousie weg. Sie durfte ihn auf keinen Fall sehen.
Die Rollen des Visitewagens schepperten. Heidi wandte sich dem Geräusch zu. Dr. Wohlfahrt wanderte von einem Zimmer zum nächsten. Heidi lachte auf. Sie drehte sich immer wieder in die Richtung des Visitetrupps. Die anderen Ärzte und Pfleger der Visite tuschelten miteinander.
Milan blieben noch fünf Minuten, bis Wohlfarth die Station verlassen und Heidi in ihre Apotheke zurückkommen würde.
Der Medikamentenschrank strahlte ihn an. Die Türen waren leicht geöffnet und die bunten Schachteln lagen sortiert an ihren Plätzen. Da war Heidi genau.
Im obersten Regalfach lag das Tramadol. Das wollte er auf jeden Fall einpacken. Die rot-weißen Schachteln waren neben anderen in weiß-orange gestapelt. Das Ibuprofen darin war nur für leichte Schmerzen. Geschenkt.
Er wollte das harte Zeug. Der kleine Tritt neben dem Regal kratzte über den Boden, als er seinen Fuß daraufsetzte. Auch das noch. Das Geräusch war bestimmt bis auf den Flur zu hören. Wenn die ihn hier erwischen, war es aus. Kurz horchte er. Heidi lachte leise. Alles safe.
Er griff drei Schachteln mit Hartkapseln und zwei Fläschchen mit Tropfen. Sie wanderten in die Taschen seines grünen Kasaks. In seiner Arbeitskleidung war genug Platz für Medikamentenschachteln. Tramadol ging immer. Seine Kunden waren heiß auf das Zeug.
Er stieg vom Tritt und ging zum Stahlschrank auf der anderen Seite des Raums. Mit Heidis Schlüssel entriegelte er den Medikamentenschrank für die Betäubungsmittel. Hier lag alles für Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen, starken Schmerzen oder für die Behandlung nach Operationen. Betäubungsmittel und Opiate, nur vom Feinsten. Das war noch besser als das Tramadol für seine Kunden.
Oder für eine richtig geile Nacht.
Die Menge der Fläschchen, Tropfen und Packungen konnte eine Kleinstadt in einen Rausch versetzen. Hoffentlich war auch wieder von dem Fentanyl genug da. In Form von Membranpflastern, Nasensprays oder Tabletten. Die Menge war nicht immer ausreichend im Schrank und wurde stark kontrolliert. Fentanyl war fünfzigmal stärker als Heroin und ein Hub des Nasensprays reichte, um im Tanzhaus West mit den Farben um die Sonne in seinem Kopf zu tanzen.
Da, es war tatsächlich vorrätig. Drei Packungen Fentanylspray mit 100 mg griff er sich sofort.
Jackpot.
Milan suchte zwischen den Schachteln, bis er die mit den Matrixpflastern zwischen den Fingern hielt. Die Pflegerinnen trugen sogar Handschuhe beim Anbringen, damit sie nicht high wurden.
Durch die Jalousien hindurch checkte er kurz Heidi auf dem Flur. Sie unterhielt sich mit einer Krankenschwester.
Irgendwo musste noch das Ritalin sein. Er wühlte weit hinten im Regal. Verdammt, die Zeit wurde knapp. Ein Päckchen Ritalin rutschte ihm aus der Hand und fiel auf den Boden. Er stieg vom Tritt herunter und hob es auf. Jetzt war es auch genug.
„Eins mehr oder weniger“, flüsterte er.
Jemand hustete hinter ihm.
Die rot lackierten Zehennägel vor ihm blinkten aus offenen Peeptoes. Definitiv kein Rouge Puissant. Die schlanken Beine steckten in einer dunkelblauen Hose. Weiße Bluse, klassisch geschnitten, sicher keine Discounterware. Eine Perlenkette hing in einem Ausschnitt auf gebräunter Haut.
Milan richtete sich auf. „Also, ich, also, ich wollte nur nach dem Sterilium schauen.“ Er hatte nicht mitbekommen, dass jemand in die Apotheke gekommen war. Die Frau musste sich reingeschlichen haben. Das war ihm noch nie passiert. Bisher war immer alles glatt gelaufen.
Die Frau schaute auf den Medikamentenschrank und auf seine Hände. Sie lächelte, doch ihr rechtes Augenlid zuckte. „Sterilium? Ah ja, ich wollte nach Station 6 fragen. Da habe ich mich wohl in der Tür geirrt. Entschuldigung. Wo ist denn das Stationszimmer? Das ist nicht die Station von Dr. Ariane Karstens?“ Sie starrte auf seine Hände mit der Schachtel Ritalin.
Er legte die Schachtel wieder zurück in den Schrank. Die Frau war nur zufällig in den falschen Raum geraten. Er lächelte. „Nein. Also ... das ist doch kein Problem. Wo wollten Sie hin? Zu Frau Dr. Karstens?“
„Ganz genau. Auf die Station 6, Neurologie.“ Sie fuhr sich durch die Haare.
„Die ist eine Etage weiter unten, also im 6. Stock.“ Milan zog die Türen des Schrankes zu.
„Danke. Viel Erfolg noch bei der Suche nach dem Sterilium. Auf Wiedersehen.“ Ihr Gesicht war erstaunlich glatt. Gute Gene oder viel Wasser. Vielleicht war sie eine Pharmavertreterin oder vom Qualitätsmanagement. Die kontrollierten immer wieder die Abläufe und Zahlen in den Kliniken.
Die Frau mit der Perlenkette drehte sich um, trat in den Flur und schloss leise die Tür. Von außen schaute sie durch einen Spalt in der Jalousie. Ihre Blicke trafen sich. Sie schüttelte leicht den Kopf.
Ihre Absätze klackten auf dem Flur. Eine Pause. Der Griff einer Tür quietschte, Momente später fiel sie schwer ins Schloss. Das war die Tür zum Treppenhaus.
Knapper ging es nicht. Und er hatte sich bescheuert angestellt. Die Frau hatte nicht so gewirkt, als habe sie seine Erklärung mit dem Sterilium geglaubt. Eher belustigt. Aber sie kannte sich hier nicht aus. Sie hatte nicht kapiert, was er wirklich in der Apotheke gemacht hatte. Zum Glück konnte sie nicht in seine Kasaktaschen hineinsehen. Viel schlimmer, wenn Heidi jetzt aufkreuzen würde. Das wäre der Super-GAU.
Die Visite zog draußen im Flur an der Apothekenjalousie vorbei. Milan lehnte sich an die Wand. Die Luft war trocken und wenn er auch noch anfangen musste zu husten, konnte er gleich selbst die Polizei anrufen. Er musste raus hier. Heidi folgte der Karawane, sie humpelte schon leicht in den schicken High Heels. Er hatte alles, was er wollte, schloss den Medikamentenschrank wieder ab und legte den Pilz-Schlüsselbund zurück neben die Computertastatur. Leise zog er die Tür hinter sich zu und ging von der Apotheke in Richtung des Fahrstuhls. Nur schnell weg.
„Milan!“
Mist. Aus und...




