Baretic / Evert Der achte Beauftragte
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-943941-39-5
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 14, 320 Seiten
Reihe: editionBalkan
            ISBN: 978-3-943941-39-5 
            Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 0 - No protection
Geboren 1963 in Zagreb, seit 1983 als Journalist tätig. Seit 1993 lebt er in Split und ist einer der wichtigsten Kolumnisten und meistgelesenen Schriftsteller in Kroatien. 1998 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband 'Rijeci iz dzepova'. Fünf Jahre später erschien sein erster Roman 'Der achte Beauftragte', der mit fünf Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Der Roman erschien in slowenischer, mazedonischer und serbischer Übersetzung. Seine weiteren Romane 'Pricaj mi o njoj', 2006 und 'Hotel Grand', 2008 wurden in Kroatien zu Bestsellern.
Weitere Infos & Material
»Tolle Kumpels hast du!« Dieser Satz war das erste, was Siniša Mesnjak bei seiner Rückkehr unter die Lebenden hörte.
Neben dem Bett in dem kleinen, aber angesichts der Umbruchszeiten im Land ziemlich luxuriösen Krankenhauszimmer saß Željka, seine Kollegin aus dem Parteisekretariat. Genau genommen war Željka nicht nur seine Parteikollegin, sondern mit ziemlicher Regelmäßigkeit auch ein – wie er es für sich selbst gern definierte – »Kollektor für überschüssige Energie«. Manchmal ahnte sie, dass sie für ihn nur das war und nicht mehr, und das war nicht leicht für sie. Während sie ihm jetzt in nicht eben gewählten Worten erklärte, was eigentlich geschehen war, zupfte er unter dem Laken an seinen Schamhaaren herum, um wach zu werden, um diesen Schrecken in einen gewöhnlichen Albtraum zu verwandeln, ähnlich jenem, den er immer wieder träumte und in dem ihn irgendwelche Zöllner bei dem Versuch ertappten, hinter dem Lenkrad eines Riesenschleppers acht Tonnen Schmelzkäse aus Ungarn einzuschmuggeln.
Siniša mied – nicht gerade typisch für einen aufstrebenden Politiker – die Medien, wo er nur konnte. Er verglich sie meist mit der Schaufel eines Totengräbers: Sie heben dich ein bisschen an, nur um dich daraufhin mit einem gezielten Schlag zwei Meter unter die Erde zu rammen. Doch wie sehr er die Medien auch mied, sie wollten ihn nicht meiden.
Vier Tage vor den außerordentlichen Wahlen zum Zagreber Stadtparlament war auf der Titelseite einer rechts-orientierten Boulevardzeitung eine schockierende Collage erschienen: Auf dem größten Foto sah man, wie ein Polizist den bewusstlosen Siniša vom Fahrersitz seines Dienstwagens zog, während auf den kleineren Fotos zwei weitere Polizisten den bekanntesten Befürworter der Legalisierung leichter Drogen sowie eine halbnackte, kaum volljährige anonyme Blondine, »von der man begründet annimmt, dass sie eine Prostituierte weißrussischer Herkunft ist«, aus demselben Auto zerrten. Genauso wie Siniša schienen auch diese beiden um sich herum nichts wahrzunehmen. »Wohin gehst du, Zagreb?!«, stand als Überschrift über dem Artikel, und in einem kurzen Text wurde erklärt, dass »unser Nachtreporter bei seiner Heimfahrt von der skandalösen Modeschau (siehe Seite 16) auf dem Parkplatz in Gajnice den Dienstwagen des angeblich angesehenen jungen Politikers erkannte, der sich in äußerst suspekter Gesellschaft befand. Nachdem er festgestellt hatte, in welchem Zustand Siniša M. (33 Jahre) und seine Beifahrer waren, rief er sofort die Polizei und die Ambulanz herbei, ohne dabei seine journalistische Professionalität zu vergessen.« Neben diesem Text stach eine schwarze Spalte hervor, die die Überschrift trug: »Er liebt all das, was junge Leute lieben?!« Unter dieser Überschrift stand ein Kommentar des Chefredakteurs, der die bisherige politische Karriere von Siniša Mesnjak beschrieb, »dieses Hoffnungsträgers der regierenden Dreierkoalition, dieses billigen Illusionisten, der es – so hoffen wir – nur für kurze Zeit geschafft hat, junge kroatische Wähler zu betrügen und zu verführen. Indem er mit ihrer jugendlichen Revolte und ihrer Ungeduld kokettierte, gelang es ihm, diese jungen Menschen auf die Seite seiner verblühenden Partei und noch verwelkteren Koalition zu ziehen, um sich gleich nach der Eroberung der Macht entspannen zu können und – wie wir hier sehen – sein wahres Gesicht zu zeigen: das Gesicht eines Drogensüchtigen und verlotterten Individuums. Sollten die Bürger der Hauptstadt aller Kroaten bei den Kommunalwahlen am Sonntag tatsächlich Mesnjak und seine Kumpanen aus Partei und Koalition wählen (davon überzeugt, dass von denen nur Mesnjak abartige Neigungen hat – dass wir nicht lachen!), dann bleibt uns allen wirklich nur noch der Aufschrei: Wohin gehst du, Zagreb?!«
Er mochte an seinen Schamhaaren herumzupfen, wie er wollte – die Wirklichkeit sah so aus: Nach den Tageszeitungen von heute zeigte ihm Željka die Abendausgaben der morgigen Zeitungen, die ohne Ausnahme auf den Titelseiten über den Ausbruch des Premierministers auf der außerordentlichen Pressekonferenz berichteten: »Eine Falle der nachrichtendienstlichen Unterwelt!«
»Der Chef sagt, dass du dein Handy und alle Telefone ausschalten sollst, keine Aussagen machen und dich bei niemandem melden, nicht mal bei ihm. Nach dem Motto: Don’t call us, we call you. Bis auf Weiteres bin ich für dich zuständig, und wir haben zwei Bodyguards zugeteilt bekommen, um die Journalisten fernzuhalten«, schloss Željka, faltete die Zeitungen zusammen und warf sie auf den Boden.
Am nächsten Tag wurde Siniša heimlich von der Intensivstation in die Lungenabteilung verlegt und von dort am Nachmittag in einen unscheinbaren Golf verfrachtet, mit dem man ihn nach Dubrava brachte, in ein kleines gepflegtes Häuschen; dass es sich im Immobilienbestand der Partei befand, hatte er bisher nicht gewusst. Am Sonntag, dem Wahltag, übergab er sich siebenmal, das letzte Mal eine halbe Stunde nach Mitternacht, als im Fernsehen verkündet wurde, dass seine Partei weniger Stimmen bekommen hatte, als selbst die pessimistischsten Prognosen vorausgesagt hatten.
Am Montagmorgen, während Željka noch tief in dem aufgeklappten Sessel schlief, immer noch in der Kleidung von gestern Abend, zog Siniša sich leise an. Er beabsichtigte, in die Parteizentrale zu gehen, um dort alles aufzuklären und weitere Schritte auf kommunaler und staatlicher Ebene vorzuschlagen. Im Hof des Nachbarhauses krähte ein Hahn wie auch schon an den vorherigen drei Tagen – laut und verzweifelt, als wäre es sein letztes Mal. Kurz bevor Siniša die Türklinke berührte, jagte ihm eine Stimme aus der Küche einen Schreck ein:
»Herr Mesnjak, wir haben schon genug Probleme. Sowohl Sie als auch ich.«
Ein großer, dünner Typ mit zerfurchtem Gesicht lehnte mit seinem Hintern an der Spüle, sah ihn irgendwie mitleidig an und reichte ihm einen länglichen Umschlag mit dem Logo der Partei.
»Das ist für Sie, vom Chef.«
»Halt die Füße still. Beweg dich nicht vom Fleck und warte, bis ich mich melde. Und jetzt gib Zvonko diesen Zettel brav zurück«, so lautete die Nachricht, die zweifellos vom Premierminister persönlich geschrieben worden war. Wie hypnotisiert gab Siniša dem Dünnen, der schon mit aufgeklapptem Zippo darauf gewartet hatte, den Zettel zurück. Der Typ stand unbeweglich da, bis das Feuer seine Finger erreichte, legte dann das verkohlte Papier in die Spüle und drehte den Wasserhahn energisch auf.
»Herr Mesnjak, lassen Sie es mich bitte wissen, wenn Sie etwas brauchen«, stieß Zvonko durch die Zähne und tat freundlich.
»Sagen Sie mal, was bin ich hier denn eigentlich? Eine verdammte Geisel oder was?«, versuchte Siniša es auf die harte Tour.
»Nein, Herr Mesnjak, aber wenn das ihr Wunsch ist, so sagen Sie es nur, ich bin hier, um alle ihre Wünsche zu erfüllen.«
Die harte Tour schien hier nicht zu fruchten.
»Ich brauche einen Collegeblock und drei feine Filzstifte, rot, blau und schwarz.«
»Ist bereits in ihrem Nachtschränkchen. Es ist auch ein grüner dabei.«
»Danke.« Sinišas Stimme nahm einen dienstlichen Ton an. Auf dem Weg zum Zimmer blieb er plötzlich stehen, lächelte hämisch und drehte sich um. »Und ich möchte Cevapcici von Rahman aus Podsused.«
»Große oder kleine Portion?«, erwiderte Zvonko, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Cevapcici zu grillen.
»Äh … Zweimal die große.«
»Zwiebeln? Ajvar?«
Hätte an diesem Morgen jemand den am eindeutigsten geschlagenen Menschen auf der Welt gesucht, er hätte ihn in Dubrava gefunden, vor einem ausgeklappten Sessel, von dem sich gerade eine verschlafene junge Frau in zerknitterter Kleidung erhob, die Spitze einer Haarsträhne aus dem Mundwinkel zog und fragte:
»Geht es dir gut?«
Ein Flur, eine weiße Tür und ein Sessel davor. Eine weiße Tür. In seinen jüngeren Jahren, als Siniša sich noch für das Theater und schöne Worte begeistern konnte und sogar Gedichte schrieb, war eine weiße Tür am Ende eines Flurs eines seiner häufigsten Motive gewesen. Die weiße Tür, die die Welt verschließt, die weiße Tür, hinter der sich richtige und falsche Diagnosen verstecken, Urteile, Intrigen, Ermittlungen …
Die nächste Botschaft des Premierministers war erst am Freitagmorgen gekommen:
»Morgen, 12 Uhr, Zentrale. Gib Zvonko den Zettel zurück.«
Vor dieser weißen Tür in diesem Flur hatte er...





