E-Book, Deutsch, 163 Seiten
Bauditz Der alte Hauptmann
1. Auflage 2016
ISBN: 978-80-268-6870-5
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 163 Seiten
ISBN: 978-80-268-6870-5
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Der alte Hauptmann' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Kunstvoll verwebt der dänische Schriftsteller Bauditz viele kleine, eigenständige Erzählungen um die Person des pensionierten Hauptmanns Riis, der mit Leib und Seele Jäger ist ... Sophus Bauditz (1850-1915) war ein dänischer Pädagoge, Autor und Dramatiker. Er wurde zum Ritter des Dannebrogordens ernannt und erhielt die Verdienstmedaille des Dannebrogordens.
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Wie und wo ich die Bekanntschaft von Hauptmann Riis machte, ist ja im Grunde gleichgültig, im übrigen geschah es auf einer Treibjagd im Terper Walde. Daß ich ihn schon früher dem Namen nach kannte, versteht sich von selbst – wer in Jütland kennt nicht den Hauptmann aus dem Hjortholmer Wald? Jeder Jüte – wenigstens jeder Ostjüte – wußte, daß er mit achtzehn Jahren, im Jahr 48 freiwillig mitgegangen war, sich zum Leutnant heraufgedient hatte, nach der Schlacht bei Fredericia dekoriert worden war, und als Hauptmann den Krieg von 64 mitgemacht hatte. Und dann wußte außerdem jeder, daß er ein Waidmann von Gottes Gnaden war, und ein willkommener Gast, wo er sich zeigte. Mein erster Eindruck von dem Hauptmann entsprach ganz dem, was ich von ihm gehört hatte: eine Hünengestalt war er, mit hoher Stirn, gebogener Nase und einem mächtigen, blonden Schnurrbart; sanfte, klare Augen hatte er, und Lebensfreude strahlte von ihm aus. Er erinnerte im Grunde an einen der mannhaften dänischen Ritter aus der Renaissancezeit, an einen von denen, die in der Zeit der Fehde immer voran waren, und in Friedenstagen Hirsch und Hindin daheim in den Wäldern jagten, um schließlich oben auf dem Epithaphium über dem Familienbegräbnis knieend zwischen mehreren Frauen und vielen Kindern zu enden. Verheiratet gewesen war der Hauptmann nun freilich niemals, und seine Stammtafel war höchst bürgerlich: Der Vater war Förster gewesen und der Großvater Unterförster – »natürlich« in Jütland, wie er selbst zu sagen pflegte. Von seiner Kraft wußte man Sagen zu erzählen. Einmal hatte er zusammen mit dem Jäger aus Skovsgaard friedlich im Vadumer Krug gesessen, als plötzlich vier angetrunkene Individuen auftauchten, ausschließlich um Händel anzufangen. Gutmütig bis zum äußersten, wie der Hauptmann war, hatte er erst versucht, den Unruhstiftern Vernunft zuzureden. Aber es half nichts; sie gingen ihm und dem Jäger zu Leibe, und der Hauptmann hatte dann den ersten von ihnen genommen und niedergeschlagen; er fiel hart, denn er blieb vorläufig liegen. Als der Hauptmann das sah, wandte er sich bedenklich an den Jäger und sagte: »Besorgen Sie die Sache lieber allein, ich bin wohl zu stark!« Aber die dreie hatten schon Reißaus genommen, so daß der Jäger diesen Tag nichts mehr zu tun bekam. Ein anderes Mal, in seinen besten Zeiten, war ein Einspänner-Fuhrwerk auf der Viborger Chaussee durchgegangen und sauste direkt auf ihn los, während er vor dem Ulkenborger Krug stand. – »Aber die Sache lief ganz gut ab,« hieß es, »denn das Pferd stürzte ja freilich, aber der Wagen nahm keinen weiteren Schaden, als daß die Deichsein durchbrachen,« – stark muß der Hauptmann ja gewesen sein! An dem Tage im Terper Walde wurde ich zu der Jagd in Stenkilde für den folgenden Tag eingeladen, und als der Hauptmann hörte, daß ich in Zweifel war, ob ich der Einladung Folge leisten könne, da der Weg nach Stenkilde vom Lyngeter Krug, wo ich im Quartier lag, zu weit war, so bat er mich gleich mit liebenswürdiger Gastfreundschaft, fürlieb zu nehmen und bei ihm zu übernachten. Ich nahm die Einladung mit Dank an, und das war also das erste Mal, daß ich im Waldhäuschen schlief, aber es blieb nicht das letzte, denn allmählich bildete es sich zu einer festen Regel aus, daß ich mehrmals im Jahr zu dem Hauptmann hinüberkam. Wir gingen zusammen auf Jagd und wir plauderten miteinander, und trotz des Altersunterschieds – er mochte wohl zwanzig Jahre älter sein, als ich – kann ich wohl sagen, daß wir nicht nur gute Kameraden, sondern auch gute Freunde wurden. Das »Waldhäuschen« lag mitten im Hjortholmer Wald, und hier hatte der Hauptmann ganz allein gewohnt, seit er bald nach dem letzten Krieg seinen Abschied erhielt. Eine benachbarte Frau, Waldhüters Marie, kam jeden Morgen und machte bei ihm rein und wusch für ihn, sonst besorgte er sich alles allein: er bürstete seine Kleider und schmierte seine Stiefel, machte Feuer an und bereitete das Essen. – »Ich lebe beständig auf Feldfuß,« sagte er, »leider habe ich keine Manöver-Zulage mehr!« Und die hätte der Hauptmann wohl gebrauchen können, denn er hatte außer seiner Pension nur eine kleine Leibrente und freie Wohnung. Trotzdem kam er bei seinen bescheidenen Ansprüchen an das Leben gut aus, und konnte sogar mit geringen Mitteln eine auf ihre Weise unbegrenzte Gastfreundschaft entfalten. Immer war man willkommen bei ihm, und während er im täglichen Leben sozusagen nur Wasser trank, das er aus der kalten Quelle draußen vor dem Haus schöpfte, so fand er, wenn er Gäste hatte, immer irgend eine bestaubte Flasche, die er von einem seiner vielen Freunde geschenkt bekommen hatte. Im voraus schwelgte er dann in dem Bukett und dem Spiel des Lichts im Wein, freute sich, wenn der Gast es verstand, das Geschenk zu würdigen, konnte aber förmlich trauern, wenn dieser gedankenlos den edlen Traubensaft heruntergoß, als sei es Dünnbier gewesen. Ich habe nie ein Haus gekannt, das gemütlicher gewesen wäre als das Waldhäuschen. Klein und strohgedeckt war es, baufällig auch. Aber der eine Giebel war mit Epheu überwuchert, der andere mit wildem Wein, und im Sommer ragte eine Reihe prächtiger Stockrosen vor der »Fassade« auf. Ein kleiner, winzig kleiner Garten gehörte zu dem Haus, und darin war das Hervorragendste eine große Blutbuche, die an Sommertagen mit ihrem hellen Johannislaub auf dem dunkeln Hintergrund einen selten schönen und festlichen Eindruck machte, und von der der Hauptmann behauptete, daß es der schönste Baum in der Welt sei. Unmittelbar an den Garten stieß der Wald, der ihn gleichsam umschloß, und am Rand des Waldes stand die hohle, kronenlose Eiche, in der jedes Jahr eine Schar junger Eulen ausgebrütet wurden – die zählte der Hauptmann zu seinen Haustieren. An Haustieren waren da im übrigen sein Pferd, sein Hund, eine Katze, Hühner und Tauben, die er natürlich alle zusammen selbst versorgte. In der Zeit, als ich ihn kannte, fuhr er mehr, als daß er ritt, aber in seinen jüngeren Tagen war er ein leidenschaftlicher Reiter gewesen, der, die Flinte und die Jagdtasche über der Schulter und einen Mantelsack hinten aufgeschnallt, halb Jütland abgesucht und die Rittergüter »beschossen« hatte. Das war in jenen Zeiten, wo er oft wochenlang von Haus fort war und selbst niemals wußte, wann er zurückkommen würde; aber als er älter wurde, fuhr er, wie gesagt, mehr, als daß er ritt, und war selten länger als ein paar Tage zur Zeit fort. Seine Hunde – ich habe nach und nach drei Generationen von ihnen gekannt – waren ihm geradezu Kameraden und persönliche Freunde. Er war fest davon überzeugt, daß sie nicht nur alles verstanden, was er sagte, sondern auch wußten, was er dachte, und wenn auch das letztere eine leichte Übertreibung sein dürfte, so steht das doch fest, daß ich nie intelligentere und liebenswürdigere Tiere getroffen habe. Warum er eigentlich Hühner und Tauben hielt, habe ich niemals verstehen können. Er konnte es nämlich nicht übers Herz bringen, eins davon zu schlachten, und wenn sie nicht freiwillig an Altersschwäche starben, bekam Waldhüters Marie deswegen Ordre, während er selbst fort war, die elendesten Exemplare umzubringen, und die wanderten dann in Waldhüters schwarzen Kochtopf. Drinnen im Waldhäuschen, in den kleinen, winzig kleinen Stuben, war alles wie geleckt, aber äußerst einfach. Im »Wohnzimmer« stand die alte Schatulle des Hauptmanns, ein Sofa, das die Hunde in der Regel gepachtet hatten, ein Tisch, auf dem »Mynsters Betrachtungen« immer aufgeschlagen lagen, und einige Stühle. An der einen Wand hingen sein Säbel, seine Pistole, seine Doppelflinte und seine Büchse, an der anderen Wand gerade gegenüber, eine Guitarre, ein Paar lithographierte Schlachtenbilder aus dem ersten Krieg und ein Porträt von General Schleppegrell, das letztere immer mit einem Kranz von Anemonen oder Imortellen. Die Eßstube wurde auch »Bibliothek« genannt, denn hier war die Wand mit lauter gedruckten Versen tapeziert, Ausschnitte aus Gedichtsammlungen, Liederbüchern und Zeitungen, altes und neues bunt durcheinander. – »Poesie muß man um sich haben,« erklärte der Hauptmann, »und wenn einmal mein Auge auf die Wand fällt, dann begegnet es diesem oder jenem, woran ich Freude habe – hier redet die Blüte dänischer Dichtung!« Niemals ward dem Hauptmann die Zeit lang, trotz der Einsamkeit, in der er in der Regel lebte. Er hatte genug damit zu tun, für die Tiere, für das Haus und den Garten zu sorgen; er tischlerte und malte, er machte Perikum- und Walnußbittern, und im Herbst war er ein eifriger Nußpflücker. – »Ich sammle Wintervorrat wie das Eichhörnchen,« sagte er. Immer war er fröhlich. »Wenn ich mich des Abends niederlege,« pflegte er zu sagen, »dann danke ich dem lieben Gott für den Tag, der vergangen ist – man hat immer etwas, wofür man danken kann – und dann freue ich mich auf den nächsten Morgen – man hat auch immer etwas, worauf man sich freuen kann, nicht wahr?« Und in bezug auf den Hauptmann war dies wirklich wahr – ich habe nie einen so glücklichen Menschen gekannt. Daß er das war, räumte er auch willig ein, gewöhnlich mit dem ihm eigentümlichen Ausdruck: »Ja, ich kann wohl lachen: ich habe fast immer den Wind im Rücken gehabt.« Für das größte Glück, das ihm in der Welt beschieden war, hielt er selbst den Umstand, daß er Offizier geworden war. – »Was hätte ich sonst wohl werden sollen,« konnte er ausrufen, »sagen Sie mir das, wenn Sie es können!« – Und dann, daß es ihm vergönnt gewesen war, für sein Land zu...