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E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Bayer Singvogel

Roman
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-492-96023-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-492-96023-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was sucht eine junge Frau bei einem älteren Mann? Vaterersatz? Und was kann sie finden, wenn er sich von ihrem Charme faszinieren lässt? Freundschaft? Eine Affäre? Liebe? Wer jemals den Fehler gemacht hat, die Liebe für ein Spiel zu halten, wird in diesem Roman eines Besseren belehrt. Aus dem Spiel wird Ernst. Liebe ändert alles.
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2   »Ich könnte bei Tom übernachten«, sagte Fussel beim Frühstück, »dann könntest du mich schon heut abend nach Basel fahren und mußt nicht mitten in der Nacht.«

»Was dir lieber ist«, sagte ich und fühlte mich augenblicklich betrogen. Um den Abschied am Flughafen, um das intime Durch-die-Nacht-Fahren, um meine ritterliche Tat, gegen drei Uhr schon aufzustehen, aber vor allem um meinen Seelenfrieden, denn der famose Tom könnte sie ja lässig in sein Schlafzimmer winken. Aber dazu hatte er nun ohnehin drei Wochen Zeit, das konnte er auch auf Teneriffa tun. Damit mußte ich leben. Kein schöner Ausblick.

»Heut abend ist doch schlauer«, sagte ich, um mir und ihr vorzuspielen, ich sei nicht ängstlich oder eifersüchtig.

Seltsam, in meiner Phantasie war Tom immer der Aktive. Der, auf den es ankam. Wenn er wollte, würde es geschehen. Daß Fussel Toms Avancen ablehnen könnte, kam mir ebensowenig in den Sinn wie, daß sie selbst die Initiative ergreifen mochte. Ausblenden, nahm ich mir vor. Was sie mir nicht sagt, ist nicht passiert.

»Gehst du heut ins Studio?«

»Was denn für ein Studio?«

»Fitneßpalast. Heiner. Erinnerst du dich?«

»Morgen.«

Wenn so ein Laden schon Fitneßpalast heißt, dann kann ein Mann von Geschmack doch da nicht hingehen. Man ißt doch auch nicht in Berti’s Futterluke oder nächtigt im Romantikhotel Stadthalle. Das ist doch wie fertige Salatsoße.

»Ich will den Wagen halt nicht drei Wochen auf dem Flughafenparkplatz stehenlassen«, sagte Fussel, als ginge es darum, mich zu überreden, daß ich sie nach Basel fuhr, »das kostet mehr als der Flug.«

»Ja. Klar«, hörte ich mich sagen, und mein Ton war ärgerlich und arrogant und sorgte dafür, daß wir kein weiteres Wort mehr wechselten.

˜

Keine Post im Briefkasten, außer einem Briefmarkenprospekt und einem Angebot gebrauchter Bundeswehrklamotten. Dafür in der E-Mail die üblichen Arzneimittel, Kredite, Pornolinks und Pseudonewsletter in Massen. Und eine Mail von Jana:

˜

Guten Morgen, C. U., es ist zwar mitten in der Nacht, kurz vor drei, ich bin noch mal aufgestanden, weil ich seltsam geträumt habe und nicht gleich wieder einschlafen will, aber Sie werden die Mail ja erst morgen früh lesen.

Draußen geht ein Sturm durch den Garten und rüttelt an meinen Fenstern, es ist ein bißchen unheimlich und ein bißchen wunderbar. Ich fühle mich hier drin beschützt, aber gleichzeitig bin ich aufgeregt. Ich habe kein Licht, nur zwei Kerzen und den Bildschirm, und weil ich im Erdgeschoß einer Jahrhundertwende-Villa wohne, in der ehemaligen Dienstbotenwohnung, zieht es durch die alten Fenster, so daß die Kerzen flackern und wilde Schatten werfen. Ich habe eine Tasse Kakao vor mir, denn wenn man schon geschlafen hat, schmeckt kein Wein mehr, und ich fühle mich auf eine süße Art traurig und verlassen, die Ihnen, wenn Sie es nachfühlen könnten, sicher ein herablassendes Lächeln und eine süffisante Bemerkung in Richtung Jungmädchenkitsch entlocken würde. Mag sein. Ist aber schön.

Und? Haben Sie an mich gedacht? Sind Sie schon ein besserer Mensch? Aber nein, das will ich gar nicht wissen, es ist Geplänkel, ich interessiere mich für was Wichtigeres: Warum wollen Sie mein Vertrauen nicht? Oder warum wollen Sie es nicht erwerben? Trete ich Ihnen zu nah mit meinem Geplapper? Das will ich nicht. Das täte mir leid.

Aber ich will Ihnen vertrauen. Ich weiß nicht, warum, aber ich weiß, daß es so ist. Vielleicht, weil Sie ein Zuhörer sind, vielleicht weil ich Ihnen Freundlichkeit unterstelle nach dem schönen Film oder weil ich so was wie Wärme aus Ihren Zeilen an mich herauszulesen glaube.

Aber es könnte auch sein, daß es an dem Traum liegt, der mich so durcheinandergebracht hat. Ich habe nämlich von Ihnen geträumt. Ich stand vor dem Spiegel und betrachtete mich selber. Ich war nackt und suchte nach Fehlern, drehte und wendete und bückte und bog mich, reckte meinen Hintern dem Glas entgegen und sah über die Schulter, daß er rund und hübsch und in Ordnung war, machte Verrenkungen, über die Sie lachen würden, und versuchte eine Bestandsaufnahme all meiner körperlichen Fehler. Und auf einmal war ich nicht mehr allein vor dem Spiegel, sondern in einem leeren, hell erleuchteten Straßenbahnwaggon, der durch die Nacht fuhr. Und Sie standen vor mir. Wie ein Arzt oder ein Juror oder ein Regisseur, der mit nüchternem Blick meinen Körper taxiert und nur darauf aus ist, eine Krankheit oder Verwendbarkeit zu entdecken.

Und seltsamerweise war das nicht ekelhaft, sondern angenehm. Ich fühlte mich Ihnen vollständig ausgeliefert und hatte dennoch kein Problem damit. Ich hatte volles Vertrauen in Ihre Augen, es war, als sollten Sie in meinem Auftrag entdecken, was es zu entdecken gab. Und dann sagten Sie: »Der Busen ist zu groß.«

Und nicht einmal das machte mich traurig oder verlegen oder wütend, es war eher wie eine Bestätigung meiner eigenen Ansicht. Und dann stiegen wir aus. Mitten in der Nacht, mitten in der Stadt, ich hatte mich bei Ihnen untergehakt, und wir gingen eine breite Straße hinunter. Kein Mensch war unterwegs. Ich war noch immer splitternackt, spürte den Asphalt unter meinen Fußsohlen, und Sie trugen einen weißen Anzug mit Hut und hatten graue Schläfen. Und ich war glücklich.

Als ich aufwachte, allerdings nicht mehr, denn ich fühle mich Ihnen, einem vollkommen fremden Mann, ausgeliefert, und das ist ein heikler, federnder, unsicherer Zustand, von dem ich nicht weiß, wie er mir bekommt. Mir ist schon klar, daß das doppelzüngig oder dumm von mir ist, denn ich brauchte Ihnen diesen Traum bloß nicht zu erzählen, dann gäbe es kein Ausgeliefertsein. Aber ich will. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht weil ich Ihnen vertrauen will.

Bitte verwechseln Sie das jetzt nicht mit einem Flirt. Es liegt mir fern, Sie irgendwie anzulocken oder vielleicht scharf zu machen, aber vielleicht ist das ohnehin ein Holzweg, denn in Ihrer abgeklärten Gelassenheit könnten Sie auch müde abwinken und sich sagen: Wer interessiert sich schon für nackte Kinder.

Nach Ihren Worten schließe ich jedenfalls auf Gelassenheit, es klang alles so, als wären Sie nicht mehr ausschließlich in Sachen Samenverteilung unterwegs.

Wieso haben Sie einen Freund vergrault? Und wieso reden Sie so leichthin darüber, als wäre das keine große Sache? War er dann ein Freund? Es hat mich befremdet.

Ich bin noch immer in dieser flirrenden Stimmung. Der Sturm hat aufgehört, es regnet jetzt. Vielleicht nehme ich die Kerzen mit und leg mich in die Badewanne. Oder ins Bett. Jedenfalls schick ich diese Mail jetzt ab und hoffe, sie erwischt Sie nicht morgen früh auf irgendeinem falschen Fuß.

Bleiben Sie mir gewogen. Ihre Jana

˜

Was war denn nun los? Wurde es jetzt mystisch? Wir hatten beide das gleiche geträumt. Ich saß minutenlang zusammengesunken vor dem Bildschirm und wußte nicht, was ich fühlte. Rührung? Ärger? Oder war ich nur verblüfft?

Ich sollte ihr sofort antworten und sie darauf hinweisen, daß Themen wie Nacktheit und dem Spiegel entgegengereckte Hintern in unserem Briefwechsel nichts zu suchen haben. Sie war zweiundzwanzig und ich fünfzig. Ich war verheiratet und suchte kein Abenteuer. Sie behauptete, nicht flirten zu wollen, aber was sollte das dann? Wäre ich nicht so allergisch gegen Phrasen, dann würde ich anmerken, sie könnte meine Tochter sein. Das Ganze ging in eine falsche Richtung.

˜

Es gibt wohl nur falsche Füße für Texte dieser Art, mit einer Ausnahme vielleicht, nämlich der, daß wir beide was miteinander anfangen sollten. Aber das kommt nicht in Frage. Ich möchte mir nicht Ihren Hintern, Ihre Brüste, überhaupt Ihren nackten Körper vor dem Spiegel vorstellen …

˜

Das war gelogen. Ich wollte das nicht nur, ich tat es auch schon. Und nichts daran war unangenehm, außer vielleicht meinem schlechten Gewissen. Ich löschte den angefangenen Text und grübelte weiter.

˜

Schicken Sie mir als nächstes ein Foto von sich? Im Bikini? Oder ohne? Auch wenn Sie behaupten, mich nicht anlocken zu wollen, was, denken Sie, wird in meinem Kopf wohl vorgehen, wenn ich mir Sie nackt vor dem Spiegel vorstelle? Und möglicherweise bei Kerzenschein. In meiner Jugend hieß es in solchen Fällen, man sei ja schließlich nicht aus Holz – ein besserer Spruch fällt mir mangels Gelassenheit nicht ein. Ob ich nun noch quirlig und viril hinter der Arterhaltung her bin oder nicht, spielt keine Rolle, ich müßte tot sein, um von den Bildern, die Sie in meinen Kopf projizieren, nicht animiert zu sein. Ich bitte Sie also …

˜

Auch diesen Text löschte ich. Was sollte der grelle Vorwurfston. Meine biologischen Probleme hatte ich ja wohl selber zu lösen, das war nicht Aufgabe einer wildfremden und erstaunlich zutraulichen Architekturstudentin in …, ja, wo eigentlich? Vielleicht wohnte sie um die Ecke. Vielleicht im Haus nebenan.

˜

Ihre Mail trifft mich unbewehrt. Ich hatte den gleichen Traum. Wir waren nicht in der Straßenbahn, sondern in einem Zimmer, und Sie saßen auf einem Stuhl und zogen »nur« Ihre Bluse aus. Und Ihre Brüste waren wunderschön. Sie hatten braunes Haar. Ich bin aus diesem Traum in durchaus unordentlichem Zustand aufgewacht und seither durcheinander.

Ich möchte nicht, daß...


Bayer, Thommie
Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm »Die gefährliche Frau«, »Singvogel«, der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück« und zuletzt »Seltene Affären«.



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