E-Book, Deutsch, Band 77, 197 Seiten
Reihe: Junge Liebe
Beck Queer - ganz normal verrückt
2. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86361-556-7
Verlag: Himmelstürmer
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 77, 197 Seiten
Reihe: Junge Liebe
ISBN: 978-3-86361-556-7
Verlag: Himmelstürmer
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ben versucht verzweifelt, sein Leben in den Griff zu bekommen, das völlig aus dem Ruder gelaufen ist.
Doch auch der Einzug in die betreute WG bringt nicht die erhoffte Besserung, denn die anderen Bewohner schleppen genauso viele Probleme mit sich herum wie Ben. Und Ben scheint das Chaos magisch anzuziehen. Die Situation droht erneut zu eskalieren – wäre da nicht Luka, der Typ aus der Parallelklasse. Luka ist anders. Er ist hübsch, smart und selbstbewusst. Erst durch die Gefühle, die er in Ben weckt, spürt der, was es heißt, zu leben. Aber auch der Weg, den Luka beschreitet, ist manchmal steinig.
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Normalität
Ich wusste, dass sie mich zur Schule schicken wollten. Und das war ja auch ganz gut so. In der Klapse hatten wir auch Unterricht gehabt, aber – meine Güte – was waren das für Lehrer?! Die waren ja selbst verrückter als alle anderen! Irgendwelche Typen, die mit sich selbst ein massives Problem hatten und daher nur die Schüler unterrichten konnten, die in der Klapse waren. Mir war es egal. Ich sollte wieder auf das Gymnasium. Mir fehlten zwar einige Monate, aber das sollte doch für mich kein Problem sein. Mein Gott, ich hatte einen IQ von 145 – das hatten sie in der Psychiatrie herausgefunden. Toll, oder? Konnte ich mir da irgendetwas für kaufen? Ich holte mein Handtuch und wollte duschen. Aber das Bad war besetzt. „Ich muss kacken! Lass mich in Ruhe!“, grölte Niko, als ich die Türklinke drückte. „Sorry“, rief ich. Zum Glück gab es zwei Badezimmer: eins für die Mädels und eins für die Jungs. Ansonsten hätten die sich hier wohl dauernd gezofft. War sicher auch vorgeschrieben für eine Wohngruppe. Niko kam nach ein paar Minuten in mein Zimmer. Er setzte sich auf meinen alten Schreibtischstuhl. „So lange ich hier bin, hat sich noch niemand bei mir entschuldigt.“ Ich sah von meinem Buch auf. „Echt nicht?“ „Sag’ mal, was bist du eigentlich für ein Freak?“ Ich legte das Buch zur Seite. „Wieso Freak? Weil ich mich entschuldige?“ „Nee, so allgemein.“ Ich betrachtete Niko, als wenn ich ihn zum ersten Mal sehen würde: kurze blonde Haare, im Nacken anrasiert, schlank, aber mit beachtlichen Oberarmen, einen etwas zu breiten Mund mit schmalen Lippen, blassblaue Augen – Skater-Klamotten. „Weiß nicht, was du meinst.“ „Warum bist du hier? Was hast du schon so gemacht … und so …“ Ich stand auf. Ich wollte nicht mit ihm reden. „Ich geh’ jetzt duschen.“ Er folgte mir und setzte sich auf den Klodeckel. „Das ist übrigens verboten.“ „Was? Auf dem Klodeckel sitzen?“, fragte ich und zog mich aus. „Nein, zu zweit in die Dusche.“ Er musterte mich neugierig, das fiel mir auf. „Du darfst nur drei Minuten duschen.“ „Was?“ Er grinste. „Sparmaßnahme.“ „Wieso darf man nicht zu zweit in die Dusche?“, fragte ich naiv. Niko machte eine unmissverständliche Handbewegung. „Ist ja schlimmer als in der Klapse“, kommentierte ich. „Wieso warst du da?“, wollte er wissen. Ich seifte mich ein. „Wollte meinen Vater kaltmachen!“ Er starrte mich ungläubig an. „Das glaube ich nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mir doch egal.“ „Was hast du da an den Armen?“ Eine Frage, die mich immer wieder aus dem Konzept brachte. „Narben. – Sieht man doch, oder?“ Niko nahm meinen gereizten Tonfall gelassen hin. „Ursula hat gesagt, wir sollen dich nicht darauf ansprechen.“ Na, wenn sich alle so an Ursulas Vorschriften hielten … Irgendwer klopfte an die Tür. „Hey, wer ist da drin?“ Rainer. „Ich!“, brüllte ich. „Und wer noch?“, wollte er wissen. Ich grinste Niko an. „Keiner. Ich führe Selbstgespräche.“ „Beeil dich ein bisschen, Benjamin. Ihr sollt nicht endlos duschen!“ Endlos? Ha ha … Da vermiesten sie einem selbst die Dusche. Aber ich war die Kontrolle ja gewöhnt. Nach dem Duschen folgte Niko mir wieder in mein Zimmer. Mann, der war ja richtig anhänglich. „Was wolltest du denn mit ihm machen?“ „Mit wem?“, fragte ich und zog mich an. Meine Haare waren so nass, dass mir kleine Bäche den Rücken herunterliefen. „Mit deinem Vater!“ „Hab’ ihn mit seiner Dienstwaffe bedroht“, erklärte ich nüchtern. „Ich wollte ihn echt umbringen, den Bastard!“ „Wow!“ Niko fand das wohl noch irgendwie cool. Für mich war es nur das Ende einer langen und qualvollen Reise gewesen. Es hatte sich so ergeben. Eine Frage von Logik vielleicht. Aber das konnte keiner nachvollziehen. „Wie lange wohnst du schon hier?“, fragte ich, um ihn abzulenken. Das Thema gefiel mir nicht. Er dachte nach. „Seit vier Jahren.“ „Und – deine Familie?“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Kannste vergessen. Meine Mutter hat ständig neue Typen, und ich habe …“, er zählte nach, „… mittlerweile sieben Geschwister!“ „Ich bin Einzelkind“, erklärte ich. „Und meine Eltern haben es trotzdem nicht geschafft.“ Niko sah mich nachdenklich an, dann stand er auf und ging einfach. Ich legte mich mit meinem Buch ins Bett. Noch immer konnte ich mir nicht vorstellen, dass dies hier mein Zuhause für die nächsten Jahre sein sollte. Aber eine bessere Alternative wusste ich auch nicht. Ich fragte mich, ob die Frau vom Jugendamt wirklich nach einer Unterkunft für mich gesucht hatte. Oder hatte sie mir vielleicht nur die erstbeste Möglichkeit vorgeschlagen? Zuzutrauen war es ihr allemal. Ich glaubte nicht daran, dass sie sich engagierte. Warum auch? Was hatte sie schon mit mir zu tun? Vielleicht hatten sie aber auch keine andere WG gefunden, die mich aufnehmen wollte. Immerhin hatte ich versucht, meinen Vater umzubringen. Und Psychiatrie-Nachbereitung machten sie wohl alle nicht so gern. „Hey, Verrückter! Abendbrot!“, schrie Sven von draußen. Ich seufzte leise. Hoffentlich war Ursula nicht wieder da. Sie ging mir jetzt schon auf die Nerven. Aber meine Hoffnungen wurden enttäuscht. Ursula saß mit am Tisch und wachte mit strengem Blick darüber, dass niemand zu viel Aufschnitt aß. War wie im Gefängnis, irgendwie. „Benjamin“, sagte sie, „ich wollte noch mal wegen morgen mit dir sprechen. Da sollst du ja wieder zur Schule gehen.“ Ich nickte und goss mir ein wenig von dem schmackhaften Zitronentee ein. „Ich bringe dich morgen hin. Dann sprechen wir gleich mit deinem neuen Lehrer. Du kannst ja erst einmal schauen, wie es dir dort gefällt.“ Ich sah sie lange an. Und wenn es mir nicht gefiel? Durfte ich dann wieder gehen? Marco und Sven saßen wie auf heißen Kohlen. Wir hatten später als sieben angefangen zu essen, und die zwei wollten ihren Kinderscheiß nicht verpassen, irgendso einen Animationskram. Ursula war da knallhart: Wenn noch gegessen wurde, blieb der Fernseher aus. – Diese zwei kleinen Jungs sollten gleich lernen, wo es langging. Dabei hatten sie in ihrem Leben sicher auch schon mehr Scheiß ertragen müssen, als für Elfjährige gut war. Sie hatten auf so vieles bisher verzichten müssen – hier ging der Verzicht weiter. Soviel war klar. „Du sollst echt auf Ginnasium?“, fragte Yvonne erstaunt. Ich nickte und ignorierte, dass sie das Wort nicht korrekt aussprach. „Bist du so schlau oder was?“ Komische Frage. „Das werden wir sehen“, antwortete ich diplomatisch. „Kommst du nach dem Abendessen in mein Zimmer?“, fragte Niko. Es klang ganz harmlos, und weder Ursula noch Rainer schöpften irgendeinen Verdacht. Doch ich sah, wie die anderen sich heimliche Blicke zuwarfen. Was hatte das nun zu bedeuten? An diesem Abend hatte Niko Küchendienst. Er maulte nicht darüber, und ich blieb in der Küche, um ihm zu helfen. Als Rainer gerade nicht in Hörweite war, fragte ich: „Warum soll ich zu dir kommen?“ Er grinste mich an. „Wirst du schon sehen.“ „Jetzt sag’ schon!“ „Nur, wenn du abtrocknest!“ Ich schob mich von der Arbeitsplatte hinunter, auf der ich gesessen hatte. „Ist übrigens auch verboten.“ „Abtrocknen?“, fragte ich. Er lachte. „Nein, auf der Arbeitsplatte herumhocken. – Du wirst dich noch an einige Dinge gewöhnen müssen.“ Er warf mir ein Handtuch zu und ich trocknete ab. „Du hilfst ihm ja schon wieder“, bemerkte Rainer, der an der Küche vorbeiging, um den Müll nach draußen zu tragen. „Bin halt hilfsbereit“, sagte ich. Und zu Niko: „Also?“ „Wir spielen heute Abend ein Spiel“, flüsterte er. „Wer ist wir?“ „Na, wir alle zusammen. Ist aber geheim! Davon darf niemand was wissen!“ „Und die anderen wissen auch Bescheid?“, fragte ich. Er nickte. Ein Spiel. Na, Niko jedenfalls schien ganz begeistert davon. Ich wollte erst einmal abwarten. Wer wusste schon, was die hier lustig fanden … Aber mir schien eh, als wollten sie mich auf ihre Gemeinschaft einschwören. Später am Abend weihten sie mich dann tatsächlich in ihr „geheimes Spiel“ ein. Flaschendrehen. – Ich fragte mich, was daran so geheimnisvoll war, doch das wurde mir bald klar. Wir saßen alle auf dem Boden in Nikos Zimmer, die...