Beer | Selbst gerächt | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 114 Seiten

Reihe: Edition Totengräber

Beer Selbst gerächt


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95996-054-0
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 114 Seiten

Reihe: Edition Totengräber

ISBN: 978-3-95996-054-0
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Erschüttert über den Tod einer alten Frau, die nach einer Zwangsräumung einen Herzinfarkt erlitt, beschließen vier Frauen, gegen die kriminellen Machenschaften korrupter Immobiliengesellschaften anzugehen. Des Nachts suchen sie sich besonders böse Immobilienmakler und hängen sie kopfüber im Park auf. Die Opfer können stets schnell gerettet werden und so werden die Parkhenkerinnen zunächst nur belächelt. Doch dann hängt eines Morgens ein Miethai tot im Baum ... Trotz seines ernsten Themas ist 'Selbst gerächt' ein durchaus humorvoller Kurzkrimi, der dafür sorgt, dass man inmitten horrend steigender Mieten, künstlicher Wohnraumverknappung, Zwangsräumungen und Verdrängung noch etwas zu lachen hat.

Juliane Beer wurde 1964 in Bonn geboren. Durch ihren Vater, der im Hotelgewerbe tätig war, wurde ihr eine abwechslungsreiche Kindheit und Jugend beschert. So lebte sie an den unterschiedlichsten Orten in Norddeutschland und sogar London, wo sie schließlich eine Ausbildung zur Wirtschaftsübersetzerin absolvierte. Ab 1986 wurde sie dann aber doch sesshaft, und zwar in Berlin. Neben ihrem Brotberuf als Übersetzerin arbeitete sie außerdem an verschiedenen Off-Theater-Produktionen mit; beispielsweise Heiner Müllers 'Medea Material' und einer Caligula-Fassung nach Albert Camus. Um die Jahrtausendwende fing sie das Schreiben an. Bisher erschienen sechs Romane zum Zeitgeschehen, sowie Kurzprosa in verschiedenen Magazinen und Anthologien. Das Hauptthema der Berliner Autorin ist die Frage nach Lebensentwürfen und dem Arbeitsbegriff in der Postmoderne. Neben dem Scheiben ist sie aktiv in Initiativen für ein weltweites bedingungsloses Grundeinkommen. https://ju3iane.wordpress.com/
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Autoren/Hrsg.


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§

Ida sitzt im Umkleideraum. Ihre nächste Stunde beginnt um 14.00 Uhr. Pädagogisches Turnen für Kinder mit mentaler Retardierung, wie man das heutzutage nennt. Sie wird zum ersten Mal eine Stunde leiten, aber unter fachkundiger Aufsicht. Dennoch ist sie aufgeregt. Es ist zu riskant, jetzt noch in die Kantine zu gehen. Ida möchte auf keinen Fall zu spät zurückkommen. Nein, sie wird hier warten und schauen, ob sie den Kindern beim Umziehen assistieren kann. So werden sie sie gleich kennenlernen. Nicht, dass sie Angst vor der fremden Frau in der großen Halle zwischen all diesen Turngerätschaften bekommen.

Ida trinkt einen Schluck Tee aus der Thermoskanne, isst eine Banane, schaut in die Zeitung von heute.

Hat die Park-Bande erneut zugeschlagen?, wird im Lokalteil getitelt. Oder gibt es Trittbrettfahrer? Neuste Erkenntnis: Die Gesuchten, die genauso wie in den vorherigen Fällen mit äußerster Brutalität vorgingen, wären weiblich, laut Opfer Hera H., 46, Wohnungseigentümerin. Frau H. könne sich allerdings auch irren. Der Schock sitze noch tief. Sie sei wie alle bisherigen Opfer knapp dem Tod entgangen. Eines Fehlverhaltens in ihrer Rolle als Vermieterin sei sie sich nicht bewusst. Ihrer Einschätzung nach handelt es sich bei den Täterinnen um eine Bande kranker Psychopathinnen. Urin sei dieses Mal nicht verwendet worden, wie es weiter heißt. Laut Labor hätte der Eimer, der unter dem Kopf des Opfers platziert worden war, den Sud einer ausgekochten Schweineleber enthalten, die in jedem Supermarkt erworben werden könne. Und so weiter …

Ida stopft die Zeitung in ihre Sporttasche. Knapp dem Tod entgangen, aha! Polizei und Presse setzen jetzt absichtlich auf Dramatisierung, das war zu erwarten.

Wir müssen eine öffentliche Erklärung herausgeben, schießt es Ida durch den Kopf. Am besten noch heute.

Im Flur ertönen Jauchzer und Gelächter. Ida schließt die Augen, atmet tief durch. Ihre Kinder kommen.

§

Hängt ein Mensch unter Aufsicht einer Krankenschwester circa fünf Minuten bis zur Nase in der Pisse, lässt unsere Polizei die Medien das zu einem Akt äußerster Brutalität erklären.

Wie lächerlich! Niemand war auch nur eine Minute in Gefahr – im Gegensatz zu den Opfern von Zwangsräumungen und Vertreibung.

Wir machen weiter! Schließt euch uns an!

Nennt uns eure PeinigerInnen. Wir verpassen ihnen einen Denkzettel. Macht, dass sie sich nirgendwo mehr sicher fühlen. Versetzt sie in Dauerstress, wie sie euch in Dauerstress versetzen.

Verlangt menschenwürdige Verhältnisse! Das ist euer Recht!“

Nachdem sie ihr Blog auf den aktuellen Stand gebracht und den neuen Text an die Berliner Presse gemailt haben, sitzen Ida und Leyla noch einen Augenblick am Tresen des Internetcafés. Das ist euer Recht!, dieser Satz ging den beiden Frauen schwer von der Hand. Keine hat mit der anderen darüber gesprochen. Vielmehr haben sie sich gegenseitig zugenickt, schweigend, aber mit Nachdruck. So, als müssten sie sich gegenseitig der Richtigkeit dieser Aussage versichern.

Natürlich stimmt der Verstand beider Frauen zu, ja, es ist jedermanns Recht, menschenwürdige Zustände zu verlangen. Aber so viele Menschen verlangen dies nicht. Warum nicht?

Nicht einen dieser Gedanken hat die eine mit der anderen geteilt. Leyla plaudert auf Türkisch mit dem Inhaber des Internetcafés, der die beiden Frauen zu Tee und Süßigkeiten eingeladen hat. Hin und wieder übersetzt Leyla das Gespräch, damit Ida nicht auf heißen Kohlen sitzen bleibt, ob irgendein Hinweis auf ihre Aktionen nach außen dringt.

Nein, es geht um türkische Politik, nur darum. Wer dort seinen Unmut auch nur andeutungsweise äußert, ist schnell weg vom Fenster. Leyla plädiert völlig überzeugend für Vorsicht und überlegtes Verhalten. Der Sicherheit der ganzen Familie zuliebe. Das habe Priorität.

Der Wirt scheint nicht völlig ihrer Meinung zu sein. Aber auch nicht dafür, die Familie zu gefährden. Sein Blick bekommt einen melancholischen Glanz. Schweigen beendet das Gespräch.

Der Wirt holt noch zwei Stücke Baklava für seine Gäste aus der Kühlvitrine. Dann schiebt er eine CD mit fröhlicher türkischer Popmusik in den Player.

§

Eine sozialistische und eine linksliberale Tageszeitung drucken die Erklärung der vier Frauen am folgenden Tag im Lokalteil ab. Die bürgerliche Presse lässt verlauten, man habe eine Erklärung zu den versuchten Hinrichtungen in Berliner Parks erhalten. Vier Frauen aus der Mitte der Gesellschaft hätten sich dazu bekannt. Man werde den Text aber nicht drucken. Zu unglaubwürdig sei er. Psychisch gesunde Frauen, unter denen sich auch noch eine Krankenschwester befände, würden solche Taten nicht begehen. Vielmehr sei anzunehmen, dass linksradikale Chaotinnen sich hier eine bürgerliche Identität verleihen wollten, um Straftaten zu relativieren. Das sei nicht neu. Die Polizei arbeite auf Hochtouren, um die Gruppe dingfest zu machen.

Diese Verlautbarung lässt wiederum eine autonome Gruppe, die mit Kommando G. unterzeichnet, nicht auf sich sitzen. „Dürfen wir Ihrem Geschmiere entnehmen, liebe Journaille, dass Sie uns dieser zugegebenermaßen ganz rührenden Taten bezichtigen?“, heißt es auf Indymedia in einem offenen Brief. „Bei der Gelegenheit ein Grußwort an die Parkhenkerinnen. Eure Aktion ist hübsch aufregend. Für unsere Großmütter wäre das nichts. Vielmehr ist es ein Abenteuer für Berlin-Investorinnen, die Sicherheitsvorkehrungen treffen werden. Ihr solltet ab sofort auf euch aufpassen. Die Damen und Herren Spekulantinnen sind sicher nicht so vorsichtig mit eurer Gesundheit, wie ihr mit deren. Und ab morgen wird weiter zwangsgeräumt.“

§

Frau Schneider, eine Dame von neunundsiebzig Jahren, die morgens recht früh wach wird und dann, noch im Morgengrauen, mit ihrem Rauhaardackel Willi gegenüber in der Parkanlage Weigandufer den ersten Spaziergang des Tages unternimmt, hat ihn entdeckt. Um 5.20 Uhr sei das gewesen, hell war es bereits, sagt sie aus.

Willi habe plötzlich laut gekläfft, obwohl er sonst ein ruhiges Tier sei. Frau Schneider habe zunächst nicht begriffen, warum ihr Willi sich so wild gebärdete. Dann aber, als er auch noch an der Leine zerrte wie toll, habe sie, angesteckt von Willis Aufregung und trotz ihrer Nackenprobleme sich gründlich umgesehen, nach hinten, zur Seite, nach unten, nach oben. Und da sei sie fast vom Schlag getroffen worden.

An der großen Kastanie hing kopfüber und völlig reglos ein Mensch.

Weiter gibt die alte Dame zu Protokoll, dass sie daraufhin sofort nach Hause gelaufen sei, so schnell es ihr möglich gewesen wäre. Es wäre ja sonst noch niemand im Park gewesen und so ein tragbares Telefon besäße sie nicht. Zu Hause habe sie sofort die Polizei verständigt.

Keine zehn Minuten später waren Polizei und Krankenwagen vor Ort.

Ein Sanitäter untersuchte den Mann und stellte den Tod fest. Kurz darauf traf ein Gerichtsmediziner ein, der dies bestätigte. Der Tote wurde vom Baum geschnitten, in einen Leichensack gepackt, auf eine Bahre gelegt und in einen der Wagen geschoben. Der Wagen fuhr ohne Sirenen fort.

Frau Schneider, die man gebeten hatte, in ihrer Wohnung zu bleiben und dort auf die Beamten zu warten, stand am Küchenfenster Weigandufer 35 und beobachtete mit klopfendem Herzen die ganze Szenerie. Willi saß auf der Fensterbank und war ganz still.

Erst als es klingelte, fuhr wieder Leben in ihn. Frau Schneider setzte ihren Hund auf den Küchenboden. Sofort sauste er zur Tür, um die Polizei zu begrüßen.

Man befragt sie zur Nacht. Ob ihr etwas aufgefallen sei. Doch Frau Schneider kann dies nur verneinen. Auch Willi habe nicht angeschlagen.

Das Opfer, Michael W., dreiundfünfzig Jahre, war Immobilienmakler. Bei der Flüssigkeit, in der er bis zur Nasenwurzel hing, handelt es sich den Laborergebnissen nach um ausgekochte Schweineleber. Der Tod sei laut Obduktion nicht durch das kopfüber Hängen am Baum, sondern durch vorherige Strangulation eingetreten. Davor habe man Michael W. mit Hilfe von Chloroform betäubt. Der Verdacht, dass es sich um ein weiteres Verbrechen aus der linksradikalen Szene handele, erhärte sich.

§

Dani, Grace, Ida und Leyla sind bestürzt. Nein, mit einem Mord haben sie nicht gerechnet. Und was bedeutet das jetzt? Geht der Mord mit auf ihr Konto?

„Wir hätten damit rechnen müssen“, schluchzt Ida. „Geht’s noch naiver?“

Die Kellnerin bringt die Getränke. Die Freundinnen schweigen, bis vor jeder eine Tasse steht, Ida in ein Papiertaschentuch schnäuzt und die Kellnerin weiter eilt.

„Wir müssen uns stellen“, sagt Ida.

„Auf keinen Fall!“, wirft Leyla sofort ein. „Uns stellen? Das wäre ein Schuldeingeständnis. Und das ausgerechnet für eine Tat, die wir nicht begangen haben.“ Leyla rührt unaufhörlich in ihrer Teetasse, obwohl sie weder Milch noch Zucker hineingegeben hat. „Sobald die Ermittlungen ins Stocken geraten, kämen wir wie ein Bauernopfer gerade richtig. Eine Islamistin und eine Hutu-Rebellin morden sich durch Berlin. Prima Schlagzeile. Dafür sitzen wir lebenslänglich!“

„Und zwei Deutsche …“, murmelt Dani. Als sie Leylas Blick sieht, fügt sie kleinlaut hinzu: „Ich meine ja nur … ganz bescheiden.“

Vor Graces Augen dreht sich alles. Gedankenfetzen, die Anspannung der letzten Wochen, Angst. Um ihre Tochter. Was wird ihre Tochter in einigen Jahren über...


Beer, Juliane
Juliane Beer wurde 1964 in Bonn geboren. Durch ihren Vater, der im Hotelgewerbe tätig war, wurde ihr eine abwechslungsreiche Kindheit und Jugend beschert. So lebte sie an den unterschiedlichsten Orten in Norddeutschland und sogar London, wo sie schließlich eine Ausbildung zur Wirtschaftsübersetzerin absolvierte.
Ab 1986 wurde sie dann aber doch sesshaft, und zwar in Berlin. Neben ihrem Brotberuf als Übersetzerin arbeitete sie außerdem an verschiedenen Off-Theater-Produktionen mit; beispielsweise Heiner Müllers „Medea Material“ und einer Caligula-Fassung nach Albert Camus. ?Um die Jahrtausendwende fing sie das Schreiben an. Bisher erschienen sechs Romane zum Zeitgeschehen, sowie Kurzprosa in verschiedenen Magazinen und Anthologien. Das Hauptthema der Berliner Autorin ist die Frage nach Lebensentwürfen und dem Arbeitsbegriff in der Postmoderne.
Neben dem Scheiben ist sie aktiv in Initiativen für ein weltweites bedingungsloses Grundeinkommen.

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