E-Book, Deutsch, Band 9, 232 Seiten
Reihe: Paul Flemming
Beinßen Die Schäufele-Verschwörung
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86913-482-6
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paul Flemmings neunter Fall - Frankenkrimi
E-Book, Deutsch, Band 9, 232 Seiten
Reihe: Paul Flemming
ISBN: 978-3-86913-482-6
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jan Beinßen, Jahrgang 1965, lebt in Nürnberg. Er hat zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht. Bei ars vivendi erschienen bisher Dürers Mätresse (2005), Sieben Zentimeter (2006), Hausers Bruder (2007), Die Meisterdiebe von Nürnberg (2008), Herz aus Stahl (2009), Das Phantom im Opernhaus (2010), Lebkuchen mit Bittermandel (2011) und Die Paten vom Knoblauchsland (2012).
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3
Obwohl es inzwischen schon auf einundzwanzig Uhr zuging, herrschte reger Betrieb: Die letzten Berufspendler, Nachtschwärmer und Fahrgäste der Spätzüge drängten sich in der Haupthalle des Bahnhofs, dessen hoch aufragende Kuppel die ohnehin beachtliche Geräuschkulisse um ein hallendes Echo ergänzte und zurückwarf. Einige ältere Herrschaften, die mit ihren Gehhilfen nur langsam vorankamen, bildeten Inseln im schnell fließenden Menschenstrom, ebenso wie eine Mutter mit ihren beiden kleinen Kindern, die sich mit viel zu schweren Koffern abmühten. Arme Schlucker durchwühlten die Abfalleimer nach Pfandflaschen, von grimmig schauenden Wachleuten streng beobachtet. Und mittendrin stand Paul auf der Suche nach den Schließfächern.
Das dauerte seine Zeit, denn der Architekt schien den Ehrgeiz gehabt zu haben, die Staufächer möglichst gut in dem weitläufigen Gebäudekomplex zu verstecken. Ein Blick auf eine Tafel mit Richtungspfeilen und Piktogrammen half schließlich weiter, sodass Paul endlich in einem Raum voller Schrankwände mit mattgrauen Türen stand. Hinter einer dieser Türen vermutete er das Geheimnis, zu dem ihn der Schlüssel führen sollte. Er las noch einmal die aufgeprägte Nummer und verglich sie mit den Zahlen auf den Fächern vor ihm. Zwei Reihen weiter wurde er fündig.
Das Schließfach war verriegelt, was durch ein rotes Lämpchen signalisiert wurde. Sachte ließ Paul den Schlüssel in den Schlitz gleiten. Er passte. Paul drehte ihn um und – bingo! Das Licht sprang auf grün um, die Bolzen des Schließmechanismus schnappten zurück. Mit einem metallischen Klack sprang die Tür auf.
Wie gebannt starrte Paul ins dunkle Innere des Fachs. Zwar hatte er mit nichts Bestimmten gerechnet, war nun aber doch etwas enttäuscht. Zum Vorschein kam nur ein schmaler, mit schwarzem Kunstleder bespannter Aktenkoffer. Die Ecken waren abgestoßen, der silberne Griff abgenutzt und matt. Paul nahm den Koffer heraus und unterzog ihn einer ersten oberflächlichen Untersuchung. Dann winkelte er ein Bein an, legte seinen Fund darauf ab und wollte ihn öffnen. Doch daraus wurde nichts, denn die Schnappverschlüsse waren mit dreistelligen Zahlencodes gesichert.
Pauls Neugierde wuchs, denn nun fragte er sich natürlich, was der unscheinbare Koffer enthalten könnte. Er hob ihn an, um das Gewicht zu schätzen: mittelschwer. Dann hielt er ihn auf Ohrhöhe und schüttelte ihn. Nichts Auffälliges war zu hören, weder das Klappern loser Gegenstände noch das Rascheln von Papier.
Aufs Geratewohl probierte Paul einige Nummernkombinationen aus, um die Verriegelung doch noch zu überwinden. Vergebens. Er überlegte, was er sonst noch versuchen könnte. Doch ihm fiel nichts ein. Am besten war es wohl, wenn er den Koffer erst einmal mit nach Hause nahm.
Gerade als er sich zum Gehen wandte, bemerkte er einen Mann am anderen Ende der Schließfachanlage. Dieser sah ihn an, drehte sich aber nach dem kurzen Blickkontakt sofort um. Der Fremde, der ein ausgefallenes, großkariertes Sakko trug und in dessen tiefschwarzem Haar eine Sonnenbrille steckte, machte sich an einem der Fächer zu schaffen und beachtete Paul nicht weiter. Dieser hielt die Begegnung nicht für wichtig, zuckte die Achseln und ging.
In der Haupthalle umströmte ihn wieder die pulsierende Menge der Reisenden. Es war kaum möglich, den vielen Leuten aus dem Weg zu gehen, der eine oder andere rempelte Paul an. Unwillkürlich verstärkte er seinen Griff und hielt den Koffer dicht am Körper.
Kurz vor dem Übergang von der Osthalle ins ICE-Parkhaus drehte er sich noch einmal um, er wusste selbst nicht, weshalb. Er folgte nur einem Impuls – und entdeckte den Mann im karierten Sakko, der ihm mit wenigen Metern Abstand folgte.
Zufall? Vielleicht.
Paul wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen und ging zielstrebig, aber ohne übertriebene Eile zum Parkautomaten. Er zahlte die Gebühr und suchte seinen Wagen, den er auf der dritten Ebene abgestellt hatte.
Er ließ seinen Renault im Schritttempo durch das Parkhaus rollen, kam bis zur Schranke und blickte in den Rückspiegel. Hinter ihm fuhr ein goldbrauner VW Tiguan. Hinterm Steuer saß der Mann mit der seltsam unmodischen Jacke.
Ganz sicher kein Zufall!
Paul bekam ein mulmiges Gefühl. Er steckte die Ausfahrtkarte in den Schlitz und drückte aufs Gaspedal, sobald der Balken nach oben schwenkte. Beherzt fädelte er sich in den noch immer dichten Verkehr auf dem Bahnhofsplatz ein und fuhr bei Gelb über die Kreuzung. Weitere Blicke in den Spiegel ließen ihn aufatmen, denn von dem Tiguan war nichts zu sehen. Dennoch behielt Paul das flotte Tempo bei und legte auf dem Weg nach Hause einige Umwege ein.
Erst als er sich ganz sicher war, den Sakko-Mann abgeschüttelt zu haben, steuerte er seinen Renault in die nächtlich dunkle Wohnstraße an der Kleinweidenmühle. Er parkte den Wagen, nahm den Koffer vom Rücksitz und sah sich abermals um, bevor er die Haustür öffnete.
Erleichtert entledigte er sich seiner Jacke und Schuhe, ging in den ganz im Katinka-Chic eingerichteten Wohn- und Essbereich und deponierte die Aktentasche auf einer Kommode. Von Katinka selbst war nichts zu sehen, nur zu hören: Sie hatte eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, entschuldigte sich »tausendfach« für den vermasselten Kinoabend und schickte weitere Entschuldigungen dafür hinterher, dass sie zu einem spontan angesetzten Geschäftsessen eingeladen worden sei, welches sie unmöglich ablehnen konnte.
Paul zuckte die Schultern. So etwas war er mittlerweile gewohnt. Noch einmal versuchte er sich daran, den Zahlencode zu erraten, und gab diverse Kombinationen ein. Dann fiel sein Blick auf einen Brieföffner mit Edelstahlklinge. Die Kofferschlösser wirkten nicht besonders stabil. Es dürfte ein Leichtes sein, sie aufzuhebeln. Er wog das kühle Metall in der Hand, konnte sich jedoch nicht dazu durchringen, die Schnappverschlüsse mit roher Gewalt zu knacken. Immerhin war die Aktentasche fremdes Eigentum. Er würde sich strafbar machen, wenn er sie beschädigte. Wenn er auf Nummer sicher gehen wollte, müsste er wohl oder übel warten, bis auch Katinka zu Hause war. Doch das konnte dauern.
Paul knabberte nachdenklich auf seiner Unterlippe, nahm schließlich das Telefon zur Hand und wählte die Handynummer seiner Frau.
Diesmal kam er durch. »Hallo, Kati! Wann kommst du denn heim? Und wo steckst du eigentlich? Wieder bei eurem Italiener um die Ecke oder im Lederer?«
»Richtig getippt: Lederer. Hörst du’s nicht am Geklimper und Getuschel im Hintergrund? Es ist wieder mords was los.« Sie seufzte. »Ach Paul, es tut mir echt leid. Wir haben hier noch einiges zu bereden. Du brauchst nicht zu warten.«
»Ich müsste dich aber möglichst bald sprechen«, drängte er und erzählte ihr von dem Koffer. Daraufhin herrschte zunächst Schweigen in der Leitung.
»Bist du noch dran?«, fragte Paul.
»Sag mal, hast du sie nicht mehr alle?« Katinkas Stimme war ruhig, dennoch merkte Paul, dass sie kurz vor der Explosion stand. Es raschelte in der Leitung, wohl weil sie sich schnellen Schrittes vom Tisch der Kollegen entfernte. Dann zischte sie: »Du hast Beweismaterial an einem Tatort unterschlagen?«
»Schnelleisen wollte den Schlüssel ja nicht haben«, verteidigte sich Paul.
»Das ist noch lange kein Grund, ihn einzustecken. Und schon gar nicht hättest du dieses Schließfach öffnen dürfen!«
»Ich hatte vorher ja versucht, dich zu erreichen.«
»Das ist keine Begründung, sondern eine fadenscheinige Ausrede! Wie bist du bloß auf die blödsinnige Idee gekommen, den Koffer eines wildfremden Menschen an dich zu nehmen? Noch dazu, wenn der Inhalt möglicherweise in Zusammenhang mit einem Kapitalverbrechen steht?«
Oje, dachte Paul, jetzt hatte er es wieder einmal geschafft, seine Frau auf die Palme zu bringen.
»Was schlägst du also vor?«, fragte er so sachlich wie möglich, um die gereizte Stimmung nicht noch mehr anzuheizen. »Was soll ich tun?«
»Um Himmels willen gar nichts mehr!«, befahl Katinka. »Lass deine Finger von dem Koffer! Du wartest, bis ich zu Hause bin, dann sehen wir weiter. Ich lasse hier alles stehen und liegen und spring ins Auto. In zehn Minuten bin ich da, okay?«
»Klar. Ich rühr das Ding nicht mehr an. Versprochen«, sicherte Paul ihr zu und legte auf.
Ein wenig ärgerte er sich über Katinkas schroffe Art, mit der sie ihn regelmäßig wie einen dummen Schuljungen dastehen ließ. Doch musste er sich eingestehen, dass sein Verhalten alles andere als überlegt gewesen war. Er mochte sich gar nicht ausmalen, gegen wie viele Paragrafen er in den letzten Stunden verstoßen hatte. Einmal mehr hatte er es an Verantwortungsgefühl sträflich mangeln lassen, erkannte er reumütig.
Von diesem Anflug von Selbstkritik geplagt, schlurfte er zur Küchentheke, um sich ein Glas Wasser einzugießen. In diesem Moment hörte er hinter seinem Rücken ein kurzes, schnappendes Geräusch. Als er sich umsah, wollte er seinen Augen nicht trauen: Ohne jede Vorwarnung war der Mann im karierten Sakko aufgetaucht. Wie aus dem Nichts gekommen, stand er mitten im Raum. Der Mann starrte ihn ausdruckslos an. Seine Beine hatte er leicht abgewinkelt und federte, zum Sprung bereit, in den Knien. Die Arme hielt er weit ausgebreitet – und in der rechten Hand blitzte die Schneide eines Klappmessers.
»Was zum Teufel …?« Pauls Herz schien auszusetzen, während ihm das Glas aus der Hand glitt. Gleich danach jagte ihm das Adrenalin durch den Körper. »Wer sind Sie?«, schrie er den Unbekannten an. »Was wollen Sie von mir?«
Der...




