Beinßen | Mord im Santa-Express | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Beinßen Mord im Santa-Express

Kriminalroman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-99701-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-492-99701-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Heiligabend im Zug. Und an Bord eine Leiche ... Am 24. Dezember sitzt Bruno Häusler im letzten ICE des Tages von Hamburg nach München. Während im Dunkeln die Schneelandschaft an ihm vorbeizieht und Mitpassagiere Glühwein und Plätzchen auspacken, denkt er an die Feiertage mit seiner Ex-Frau und den erwachsenen Kindern. Da betritt eine aufgewühlte Frau den Großraumwagen. Der ältere Mann in ihrem Abteil hat gesundheitliche Probleme. Als sie bei ihm ankommen, ist er bereits tot. Hatte er einen Herzinfarkt? Oder war sein Kaffee vergiftet? Was als beschauliche Bahnfahrt beginnt, wird unerwartet zu einem Weihnachtskrimi, der den Frieden der Weihnacht gefährdet.

Jan Beinßen, Jahrgang 1965, ist gebürtiger Niedersachse und lebt mit seiner Familie bei Nürnberg. Der langjährige Journalist der »Abendzeitung« schrieb zahlreiche Kriminalromane, darunter die beliebten Franken-Krimis mit Ermittler Paul Flemming sowie verschiedene Frankreich-Krimi-Reihen unter Pseudonymen.
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HAMBURG HBF


»Last Christmas, I gave you my heart …«

Der alte Wham-Hit drang aus dem Kopfhörer des Mannes, der neben ihm am Bahnsteig stand und wartete. In der riesigen Halle des Hamburger Hauptbahnhofs, wo sie die weit gespannte Decke aus Stahl und Glas vor dem eisigen Regen draußen schützte, glitzerte und leuchtete es aus allen Ecken. Doch weder bunte Girlanden und Lichterketten noch der üppig geschmückte Baum in der Vorhalle konnten Bruno Häusler in weihnachtliche Stimmung versetzen. Ihm war einfach nur kalt, und er konnte es kaum erwarten, sich auf seinen reservierten Platz zu setzen, die Beine auszustrecken und die Augen zu schließen. Vielleicht gelang es ihm sogar, ein Weilchen zu schlafen, während der Zug den Bahnhof verließ.

Müde genug war er, hatte er doch noch bis zum späten Nachmittag in der Praxis gesessen und Abrechnungen bearbeitet. So kurz vor dem Jahresabschluss konnte er den Papierkram ja nicht einfach liegen lassen. Und seit der Trennung von seiner Frau, die ein Händchen für alles Buchhalterische hatte, blieb diese lästige Tätigkeit an ihm, dem Mediziner, hängen.

In den letzten Tagen hatte ihn seine Arbeit so sehr in Beschlag genommen, dass er nicht einmal dazu gekommen war, Geschenke für seine beiden Kinder zu kaufen. Kinder – was für ein unpassendes Wort für zwei fast erwachsene Menschen. Aber egal, in welchem Alter der Nachwuchs auch war, für ihn würden sie immer seine Schützlinge bleiben, deren Lebenswege er mit wohlwollender Kritik begleitete, wenn auch aus großer Distanz. Denn die Scheidung vor zwei Jahren hatte die Familie zerrissen und in entgegensetzte Richtungen getrieben. Er lebte und arbeitete in Hamburg, seine Frau und die Kinder wohnten in München – viel weiter entfernt ging in Deutschland kaum.

Er trat seine Reise also mit leeren Händen an. Was wohl niemanden überraschen würde. Letztes Weihnachten war Bruno Tochter Lisa und Sohn Max ebenfalls ohne Präsent gegenübergetreten, aber er hatte sie stattdessen zu einem gemeinsamen Musicalbesuch eingeladen. Sie fanden es »cool« und unkonventionell, zumindest hatten sie das ihm gegenüber behauptet. Diesmal würde er es ähnlich handhaben. Ihm blieb im Zug ja ausreichend Zeit, um darüber nachzudenken, über was sie sich freuen könnten.

Eine blecherne Stimme kündigte die Ankunft des ICE 885 »Hans Fallada« an, wenig später sah Bruno die Frontlichter des schnittigen Zuges am Ende der Halle auftauchen. Überpünktlich, wie Bruno mit einem Blick auf die Uhr feststellte. Also würde der ICE planmäßig um 18:01 Uhr weiterfahren, um schließlich gegen 23:40 Uhr am Münchner Hauptbahnhof einzutreffen. Dies war die letzte durchgehende ICE-Verbindung an Heiligabend.

Der Triebwagen rauschte an ihm vorbei, es folgten Waggons der ersten Klasse, dann der Speisewagen mit dem charakteristischen Buckel auf dem Dach und dahinter die zweite Klasse. Als der Zug zum Stehen kam, brauchte Bruno nur ein paar Schritte zu gehen, um seinen Wagen mit der Nummer 9 zu erreichen. Im getönten Glas der Tür fing er für einen Moment sein Spiegelbild auf und erschrak, wie erschöpft er aussah. Lag das allein am Stress der Vorweihnachtstage, oder setzte ihm die Nervosität vor einem der seltenen Familientreffen zu?

Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Tür. Bruno ließ eine ältere Frau aussteigen, dann hob er seinen kleinen Reisekoffer an und nahm die zwei Stufen in den Vorraum des Waggons. Mit ihm stiegen nur wenige andere Reisende ein. Kein Wunder, wer fuhr denn am Abend des 24. Dezember noch mit der Bahn?

Die Glastür vor ihm glitt auf, und Bruno betrat den Großraumwagen der zweiten Klasse. Das Licht war angenehm gedämpft, die Temperatur wohlig warm. Wie er gleich merkte, hätte er sich die Kosten für die Sitzreservierung sparen können, denn außer ihm hielt sich in diesem Waggon kaum jemand auf. Bruno verstaute seinen Koffer im Gepäckfach. Dann wickelte er seinen Schal vom Hals, zog den Mantel aus und legte beides daneben. Er setzte sich und stellte die Sitzposition so ein, dass er sich bequem nach hinten lehnen konnte. Allmählich wurde er ruhiger, und die innere Anspannung ließ nach.

Während er seine Blicke über die Mitreisenden gleiten ließ, dachte er darüber nach, weshalb diese Leute wohl den Spätzug gewählt hatten. Die alte Frau dort zum Beispiel, die so bekümmert wirkte: Hatte sie einfach nur dem Gedränge in den vorweihnachtlichen Zügen entkommen wollen und sich deshalb für den letzten ICE entschieden? Oder war sie verwitwet und wollte der Einsamkeit am Heiligabend entrinnen, indem sie sich durch die winterliche Landschaft fahren ließ? Oder der Fahrgast mit dem Handy am Ohr: Der Kleidung nach könnte es sich um einen Geschäftsmann handeln, der es nicht früher geschafft hatte, zu seinen Lieben nach Hause zu kommen. So emsig, wie er telefonierte und dabei gestikulierte, konnte man annehmen, dass er sogar jetzt noch dienstliche Gespräche führte. Ein junges Liebespaar dagegen, das ein paar Plätze weiter saß, schien nichts von der Welt um sich herum zu bemerken. Den Turteltäubchen, beide um die zwanzig, war es sicher gleichgültig, dass andere um diese Zeit unterm Christbaum saßen und Geschenke auspackten.

Ein Anflug von Wehmut erfasste Bruno, während er das Paar beobachtete. Frisch verliebt zu sein war schon etwas Besonderes, und diesen Zustand der Glückseligkeit an einem solchen Abend erleben zu dürfen, wohl kaum zu übertreffen. Wie gern hätte Bruno die Uhr zurückgedreht bis zu der Zeit, als er selbst bis über beide Ohren verliebt gewesen war. So große Gefühle, lang, lang war das her. Und die Liebe von einst längst erkaltet.

Momenten wie diesen versuchte Bruno meist zu entgehen, denn sie taten ihm weh. Lieber stürzte er sich Tag für Tag in seine Arbeit und widmete sich seinen kleinen Patienten. Seine Profession als Kinderarzt half ihm dabei, denn er empfand diesen Beruf als ungemein erfüllend. Zumindest dann, wenn er sich nicht gerade um die Abrechnungen und den oftmals zermürbenden Briefwechsel mit den Kassen kümmern musste …

Mit einer Folge pfeifender Signaltöne schlossen sich die Türen. Gleich darauf setzte sich der Zug in Bewegung. Bruno schaute aus dem Fenster auf einen fast menschenleeren Bahnsteig. Lediglich ein Speisewagenbelieferer hielt sich noch draußen auf und ein Mann in Jogginghosen und Parka, der Mülleimer nach Pfandflaschen durchwühlte.

Als der Zug die schier endlose Bahnhofshalle verließ, wurden Bruno und seine Mitreisenden von der winterdunklen Nacht umhüllt. Er betrachtete die regennasse Stadt, auf deren Straßen sich die Lichterketten spiegelten.

»Guten Abend, hier spricht Ihr Zugchef.« Die Durchsage ließ Bruno aufhorchen. Eine freundliche Stimme hieß alle zugestiegenen Fahrgäste willkommen, wies auf das reichhaltige Angebot im Speisewagen hin und kündigte den nächsten Halt in Hannover an. Bruno hörte nur mit halbem Ohr zu und widmete sich wieder dem, was er draußen noch erkennen konnte.

Mit Ausnahme einiger Taxis und Busse waren keine Fahrzeuge mehr unterwegs. Er sah die Fassaden von verwaisten Bürogebäuden und die Schaufenster von Geschäften, die längst geschlossen hatten. In der Ferne blitzten die Lichter der Kräne an den Kaianlagen auf. Das sonore Dröhnen eines Signalhorns drang an sein Ohr und kündigte das Auslaufen eines Schiffs an. Es gab also doch mehr Menschen, die wie er nicht Heiligabend zu Hause unter dem Christbaum feierten.

Ein Lachen ließ ihn aufhorchen. Er wandte sich um. Das Pärchen hatte mit dem Knutschen aufgehört und amüsierte sich über einen weiteren Passagier. Auch Bruno huschte ein Lächeln über die Lippen, handelte es sich bei diesem doch um keinen Geringeren als den Weihnachtsmann höchstpersönlich. Das karminrote Kostüm hatte zwar nicht ganz seine Größe: Der Weihnachtsmann trug Hochwasserhosen. Auch die Zipfelmütze wirkte ein paar Nummern zu klein, dafür saß der weiße Rauschebart perfekt und ließ vom Gesicht nur die Augenpartie erkennen. Der Weihnachtsmann verteilte aus einem grauen Leinensack kleine Schokonikoläuse, über die sich die Verliebten sofort hermachten, indem sie sich gegenseitig damit fütterten.

Bruno hatte Zweifel daran, ob der Weihnachtsmann im offiziellen Auftrag der Deutschen Bahn handelte, dafür sah seine Aufmachung einfach zu laienhaft aus. Trotzdem nahm auch er die geschenkte Schokolade an, als der großzügige Spender gleich darauf an seinem Platz vorbeikam. Eine nette Geste, fand Bruno und wickelte die Folie von der Schokolade. Mit zwei Bissen war der süße Snack verspeist.

Der ICE geriet ins Schaukeln, als er das Gleis wechselte. Bruno, der gerade aufgestanden war, um sich ein Buch aus dem Koffer zu holen, musste sich festhalten. Dann zog er den Roman aus einem Seitenfach des Koffers und setzte sich wieder.

Als Reiselektüre hatte sich Bruno für einen Klassiker entschieden: Agatha Christies Mord im Orientexpress. Während der Zug die Hamburger Außenbezirke passierte, schlug er das Buch auf und vertiefte sich in die Geschichte. Der Schmöker, den er bisher nur in der verfilmten Version von Sidney Lumet kannte, zog ihn schon im ersten Kapitel in seinen Bann. Während der kalte Regen gegen die Scheibe klatschte und schattenhaft Hausfassaden und Brückenelemente an ihm vorbeihuschten, tauchte er tief ein in den Zauber der Fahrt im legendären Orientexpress. Vergeblich versuchte er, sich zu erinnern, wer das spätere Opfer war und aus welchen Motiven der oder die Täter gehandelt hatten.

Doch schon nach wenigen Minuten wurde er unterbrochen. »Ihren Fahrschein bitte«, sagte ein Mann in der dunkelblauen Uniform eines Schaffners. Der Stimme nach zu urteilen handelte es sich allerdings um den Zugchef, der vorhin die...



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