Benjamin | Selbstzeugnisse: Curriculum Vitae, Reisetagebücher, Aufzeichnungen, Protokolle zu Drogenversuchen | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 250 Seiten

Benjamin Selbstzeugnisse: Curriculum Vitae, Reisetagebücher, Aufzeichnungen, Protokolle zu Drogenversuchen

Walter Benjamin war ein deutsch-jüdischer Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Literaturkritiker und unter anderem Übersetzer Balzacs, Baudelaires und Marcel Prousts
Verbesserte Ausgabe
ISBN: 978-80-87664-77-3
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Walter Benjamin war ein deutsch-jüdischer Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Literaturkritiker und unter anderem Übersetzer Balzacs, Baudelaires und Marcel Prousts

E-Book, Deutsch, 250 Seiten

ISBN: 978-80-87664-77-3
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Selbstzeugnisse: Curriculum Vitae, Reisetagebücher, Aufzeichnungen, Protokolle zu Drogenversuchen. Aus Walter Benjamins >Gesammelte Schriften<; Band IV - 2; Revidierte Taschenbuch-Ausgabe: Bände I-VII (in 14 Bänden gebunden); Frankfurt am Main; Suhrkamp Verlag; 1991. Inhalt: Curriculum Vitae Dr. Walter Benjamin Reisetagebücher Tagebuch vom siebenten August neunzehnhunderteinunddreißig bis zum Todestag Aufzeichnungen 1933-1939 Protokolle zu Drogenversuchen (mit 3 Illustrationen)

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Reisetagebücher


TAGEBUCH PFINGSTEN 1911


11.4.11. Überall in Deutschland werden jetzt die Äcker bestellt. – Man sollte auf der Reise doch nicht seinen schlechtesten Anzug anziehen, denn das Reisen ist ein internationaler Kulturakt: man tritt aus seiner Privatexistenz in die Öffentlichkeit. – Ich las während der Fahrt Anna Karenina: Reisen und Lesen – ein Dasein zwischen zwei neuen aufschluß- und wunderreichen Wirklichkeiten. – Ein Thema: Religion und Natur (Naturreligion). Der Bauer muß religiös sein. Alljährlich erlebt er das Wunder, daß er aussäet und erntet. Dem Großstädter geht mit der Natur vielleicht auch die Religion verloren; an ihre Stelle tritt das Sozialgefühl. –

Das sind einige Gedanken, die ich während der Fahrt dachte. Von Halle bis Großheringen genießt man das Saaletal; dann aber nur Äcker, Äcker, die sich schneiden, heben und senken und dazwischen Dörfer mit der breiten Chaussee.

In Fröttstädt hat man plötzlich das Gebirge vor sich. Es lag in durchsichtigen Nebeln in ganz verschiedenen Höhenabstufungen. Von Waltershausen aus geht die Bahn durch schönen Wald.

Steinfeld überraschte mich schon in Reinhardsbrunn. Von da gingen wir eine viertel Stunde bis zu unserer Pension (Koffer). Der Wirt ist anscheinend ein freundlicher, gemütlicher Mann. Er abboniert die »Jugend« und das »Israelitische Familienblatt«. Im Annoncenteil herrschen Solomonsche u. Fäkeles und Würste und Sederschüsseln. [Diese verwendet man zum Passahfest und sie haben verschiedene Abteilungen für Verschiedenes. So sagt Steinfeld.] Nachmittags gingen wir den Herzogsweg – an der Mühle vorbei zum Wasserfall, zurück an Dorothea-Waldemar-Lottchen-August-Ruheplätzen vorbei durchs Dorf. Immer nach Spittelers Rat: nicht die Natur anglotzend, sondern redend, über Berlin, Theater, Sprachverhunzung. Jetzt mache ich Schluß, um den Plan für morgen mit Steinfeld zu entwerfen.

Das Objekt war friedlich.

Vorpostengefechte mit dem 2 ten Backenzahn oben. Ich hoffe…!


12.4.11. Heute ist Jontew. Eben habe ich in der Hagadda gelesen. – Beim Essen sagt Herr Chariz immer: »Ja, was soll man an Jontew machen« (d. h. kochen) Man sagt nicht: guten Tag, sondern: gut Jontew. Beim Abendbrot stand ein dreiarmiger Leuchter auf dem Tisch. Gott sei Dank wurde nicht Seder gemacht. Es wäre wohl sehr interessant gewesen und es hätte mich vielleicht auch ergriffen aber es wäre mir für mich wie unheiliges Theater vorgekommen. –

Immerhin, heute Abend bin ich in der Weltgeschichte wohl an 500 Jahre zurückgereist.

Regen und Sturm leiteten den Festabend ein. Wir besuchten Salomon und gingen mit ihm spazieren. Wie genießbar die Menschen allein sind. Und draußen, steht man ihnen auch so selbstständig, überlegen und gleichgestellt gegenüber. (Denn eben wo die Worte fehlen, da stellt ein Paradox … u.s.w.)

Heute vormittag schleifte ich meinen Körper über die Seebachsfelsen zum Spießberghaus. Dann war er brav und wir stiegen mitsammt dem Gottlob auf sein bemoostes Haupt. Unten liegt Friedrichroda, gegenüber ein koketter Berg, der seine Spitze schief aufgesetzt hat (novarum rerum cupidus) und die Ebene mit Dörfern u. Höhenbahn. – Als wir nach Friedrichroda hinuntergingen fröhnte St. seinem Hauptvergnügen, Psychologie an harmlosen Objekten zu treiben. Diesmal wars eine Bauernfrau. In der Riege trug sie leider Käse.

Am Nachmittag fand eine Revolte des Objekts statt. Drei Bananen, die sich auf dem Luftwege zu St. begaben, der im Bett lag, zerschlugen seinen Kneifer. Mein Taschenmesser begab sich auf ähnliche Weise unters Bett, wo es am dunkelsten ist.

Der Zahn erließ Amnestie für ein paar Bonbons. Auch sonst führte er sich lobenswert.


13.4.11. Heute war der Abend die Krone des Tages. Morgen fand nicht statt, da wir uns mit Aufgebot aller Kräfte des Willens und des Intellekts von der Notwendigkeit des Aufstehens erst um 9 ¼ Uhr überzeugten. Zum Kaffee gabs Matze und so wird bleiben. Denn gestern war Jontew und wir leben in der Passahwoche. Dann gings zum Abtsberg. Unten lag die Ebene mit Sonne und Wolkenschatten. Bis zu einer Bank marschierten wir; dann zurück und rechts den Wald hinauf zur Schauenburg. Nichtsahnend vorbei an der Alexandrinenruh und der Gänsekuppe. Es handelte sich um den Novellenschluß des Romans, darin um die Landschaft in der Dichtung. Wenn Steinfeld und ich zusammen sind entsteht eine philosophisch-literarische Spannung. – Statt einer Beschreibung, Charakteristik und Statistik des Mittagsbrots (»Was soll man am Jontew machen«) folgt eine solche des Herren des Hauses:

Ein Spießer, der 9 Jahre in Berlin verlebt hat, nicht soviel Takt besitzt mit seinen Gästen ein Gespräch zu beginnen, sondern seine lange Weile durch leise Pfiffe und Räckeln manifestiert. Gutmütig und, was die Umgebung Friedrichrodas anbetrifft, aufschlußreich. – Nachmittags fanden häusliche Szenen im Bett statt; draußen herrliche große Schneeflocken, drinnen wurde Graphologie gesimpelt. Ich sah Briefe von Steinfelds Eltern.

Dann gingen wir, erstanden den Simplizissimus (auf dem Rückweg eine Kokusnuß) in der Richtung des Bahnhofs über Friedrichroda hinaus. Wege und Wiesen waren naß, alles wundervoll frisch. Ein Stück Chaussee durch so eine sanfte Hügellandschaft, die ich sehr liebe, weil Haubinda da lag, dann einen Waldweg hinauf an einem Bergrücken entlang. Da lag eine Schonung: ganz kleine Tannen und größere Sprößlinge voll welker Blätter. Nach dem Regen war ein wundervoller Sonnenuntergang. Friedrichroda lag in Sonnendunst; der Wald war rot überstrahlt und einzelne Zweige und Stämme am Wege glühten.

Aus Wolkengluten erhebt sich neu

Eine junge Welt;

Purpur umsäumte Nebelberge,

Wollen Riesenleiber gebären

die goldenen Ströme brechen sich Bahn,

Fließen aus dichtem Wolkenhimmel

Durch die abendklaren Lüfte

Nieder zu der stillen Erde.

Senken sich in Fels und Äcker,

Glühnde Goldesadern ziehen

Durch der Erde schwere Tiefen.

Morgen wird Herbert kommen.


14.4.11. Heute kam Blumenthal. Das Bild ist geändert. Wir gingen mit ihm spazieren, es gab eine vorübergehende Mißstimmung zwischen Steinfeld und mir; der ganze Weg litt, da wir vorher ziemlich intim verkehrt hatten, unter der Gegenwart eines Dritten. Später, zu Hause, sprach ich mit Steinfeld darüber und hoffentlich gleicht sich alles aus.

Von heute vormittag datiert der bis jetzt stärkste landschaftliche Eindruck der Reise. Wir kletterten an einem Bergmassiv herum, kamen zu mehreren Felsen mit schöner Aussicht und auch zu einem, auf den die Sonne sehr heiß schien, der freie Aussicht auf den Inselsberg und in ein schönes Waldtal ließ. Vorher hatten wir uns immer noch losgerissen, aber hier konnten wir nicht gehen. Wir legten uns hin und blieben eine viertel Stunde. Es war 2¼ Uhr, als wir gingen, um ½ Uhr wurde schon gegessen, Blumenthal kam um 3½». Auf dem Rückweg, der durch den »ungeheuren Grund« führte und unerwartet lang wurde, ging ich schließlich voraus und erreichte Herbert an der Post. –

Am Abend sahen wir wieder, in derselben Gegend wie gestern, einen sehr schönen Sonnenuntergang. Folgende Unterhaltung:

Ich: Gestern abend waren wir spazieren und haben auch Dings gesehen.

Herbert: Was, Dings?

Ich: Na, Sonnenuntergang.


15.4.11. Durch nächtliche Gespräche und morgendlichen Schlaf gehen die Vormittagsstunden verloren. Um 11 Uhr gingen wir heute los und gelangten nach längeren Streitigkeiten auf einen Stein am schroffen Abhange eines Tales. Wir stiegen hinunter und kamen durch ziemlich eiligen Marsch noch zu rechter Zeit zum Essen. Nachmittags Bummel in der Umgegend. Schluß: früh zu Bett. Denn morgen gehts auf den Inselberg.

TAGEBUCH VON WENGEN



Ich lege das Tagebuch in Rückblicken an, teils, weil ich erfahrungsgemäß nicht jeden einzelnen Tag zum Schreiben Zeit finde, teils weil der Rückblick schon manches klärt. Also ich beginne mit dem Rückblick auf Weggis. Ort: der Schreibsalon des Hotel Belvédère in Wengen. Links in der Ecke zwei Backfische mit einem etwas albernen Herrn in meinem Alter; sie schreiben eine Karte an ihren Konfirmationspfarrer; draußen im Vestibül ein gespanntes Publikum, worunter sehr viel Kinder, die auf die Vorführungen der musikalischen Medien Prof. Matteo u. Frau Tuoselli (zu verwechseln mit Tosulli!) harren.

Wir reisten über Basel. Um 10 Uhr abends stiegen wir in den italienischen Expreß um, der in einer sehr weiten, einsamen Bahnhofshalle stand. Ein ganz leeres Coupe II schloß der Schaffner für uns auf. Nach ¼ Stunde verließ der Zug die Halle und fuhr in die regnerische, von großen Gaslaternen aufgehellte Nacht hinaus, zwischen Mauern mit Reklameaufschriften. Die Fahrt war schön: Wie von Zeit zu Zeit runde waldige Berge in ganz verschwommenen Umrissen auftauchten. Hier und da Lichter und vor allen Dingen die weißen Landstraßen.

Am nächsten Morgen ein ganz kurzer Aufenthalt an der Luzerner Kurpromenade bei der Musik. Dann im Dampfer nach Weggis. Am Nachmittag ein Spaziergang nach Hertenstein. Papa und ich alleine, denn Crzellitzers und die anderen ruderten. Je heißer die Straße für Papa wurde, um so schöner wurde sie für mich. Man hat, sowie man sich umdreht, den Rigi vor sich. Der schönste Teil der Straße liegt nicht am...



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