Benvenuti Cotton Reloaded - 26
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7325-0112-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Wolfsmensch
E-Book, Deutsch, Band 26, 110 Seiten
Reihe: Cotton Reloaded
ISBN: 978-3-7325-0112-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Digitale Romanserie. Folge 26. In Washington County wird ein halbnackter und geistig verwirrter Mann aufgefunden. Die Medien finden schnell einen Namen für den Verwahrlosten: Wolfsmensch. Ärzte der New York University School of Medicine untersuchen ihn. Doch der Mann, dessen Hände vollständig verbrannt sind, spricht kein Wort und kann auch nicht durch eine zahnärztliche Untersuchung identifiziert werden. Zur selben Zeit erregt die dritte Leiche einer Raubmordserie Aufsehen in der Stadt. Das geheim operierende G-Team vom FBI wird auf den Fall angesetzt. Die ersten Ermittlungen lassen nur eine Gemeinsamkeit der Opfer erkennen: Alle Leichen wurden in der Nähe der U-Bahnstation Parkchester aufgefunden. Reiner Zufall? Und wann wird der Täter erneut zuschlagen? Special Agent Jeremiah Cotton und sein Team arbeiten mit Hochdruck an dem Fall, während der mysteriöse Wolfsmensch hochkarätige Gäste in die Stadt lockt... COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie und erscheint monatlich in abgeschlossenen Folgen als E-Book und Audio-Download. Nächste Folge: 'Stumme Zeugin' von Peter Mennigen.
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1
Jeremiah Cotton kaute den letzten Bissen seiner kalten Pizza und spülte ihn mit einem Schluck lauwarmen Rührkaffee hinunter.
Ein Frühstück für Champions.
Oder für Singles, die, wie er, zu viel arbeiteten und deshalb praktisch nie zum Einkaufen kamen.
Cotton gähnte, stellte die Kaffeetasse auf den Nachttisch und kletterte widerwillig aus seinem warmen Bett. Der nicht enden wollende Sommer, der sich bis in den Oktober erstreckt hatte, war übers Wochenende, pünktlich zum Novemberbeginn, von einer Kältewelle vertrieben worden, die New York seitdem in ihrem Griff hielt.
Cotton schlüpfte in eine Trainingshose und ein T-Shirt der Burlington Bees, einer Baseballmannschaft aus seinem Heimatstaat Iowa, drehte die Heizung bis zum Anschlag auf und legte »Born to Run« von Bruce Springsteen in das Laufwerk der Stereoanlage.
Während der Boss losrockte, spendierte sich Cotton eine rasche Katzenwäsche und setzte sich anschließend an den Küchentisch, um die Zeitung zu lesen.
Der Wolfsmensch war nach wie vor das Gesprächsthema Nummer eins in New York. Vor einer Woche war in Washington County, an der Grenze zu Vermont, ein halb nackter, geistig verwirrter, völlig verwahrloster Mann um die sechzig aufgegriffen worden, der bis auf die Knochen abgemagert war. Man vermutete, dass er Wochen, wenn nicht sogar Monate in den Wäldern verbracht und sich von wilden Tieren, Insekten und Pflanzen ernährt hatte. Er trug keinen Ausweis bei sich, hatte kaum Zähne mehr im Mund, und seine Hände schauten aus, als wären sie durch Feuer oder irgendeine Art von Säure verbrannt worden, was weder eine Identifizierung durch zahnärztliche Unterlagen noch durch Fingerabdrücke möglich machte.
Obwohl dem Mann Sätze in fast jeder Sprache dieser Welt vorgespielt wurden, sprach er kein Wort. Nur ab und zu stieß er, aus heiterem Himmel, ein Geräusch ähnlich einem Knurren aus. Dieses Knurren, zusammen mit seinem verfilzten Haar und seinem wallenden, fellgleichen Bart, veranlasste die Medien, dem Unbekannten den Spitznamen »Der Wolfsmensch« zu verpassen.
Die Behörden hatten ein Foto des Mannes landesweit veröffentlicht mit der Bitte um Hinweise.
Nun, Hinweise hatten sie bekommen. Und zwar massenhaft. Die Menschen riefen zu Tausenden bei der New Yorker Polizei an und berichteten, bei dem Wolfsmenschen handle es sich um ihren Bruder, ihren Vater oder ihren lange verschollenen Ehemann. Manch einer mutmaßte gar, er sei der wiedergekehrte Erlöser.
Keiner der Hinweise entpuppte sich als richtig.
Die Identität des Wolfsmenschen war nach wie vor ungeklärt. Die Behörden hingen der Theorie an, dass der Wolfsmensch einen Unfall erlitten und das Gedächtnis verloren hatte. Man suchte die Wälder von Washington County und des angrenzenden Vermont nach einem Fahrzeug ab, mit dem der Wolfsmensch eventuell verunglückt war, einem verlassenen Zelt, in dem er vielleicht campiert hatte und von einem wilden Tier angegriffen wurde, einer Kletterausrüstung, mit der er möglicherweise einen der Berge der Gegend hatte besteigen wollen und dabei abgestürzt war.
Ohne Erfolg.
Schließlich beschloss man, den Wolfsmenschen in der New York University School of Medicine unterzubringen und ihn dort von Professor John Salinger, einem der führenden Psychiater des Landes, untersuchen zu lassen. Vielleicht würde es ihm gelingen, die Erinnerung des Wolfsmenschen wieder herzustellen und herauszufinden, wer der geheimnisvolle Mann aus den Wäldern wirklich war.
Cotton legte die Zeitung zur Seite, schüttelte grinsend den Kopf und pfiff leise durch die Zähne. Verdammt, dachte er, was für eine Geschichte!
Der Boss hatte fertig gerockt. Von draußen waren die gedämpften Geräusche des Brooklyner Verkehrswahnsinns zu hören und vermischten sich mit dem Geschirrklappern aus einem der Nachbarapartments.
Cotton schaltete die Stereoanlage aus, legte Halo in die Spielekonsole und machte es sich vor dem riesigen Flatscreen im Wohnzimmer bequem. Als der Vorspann des Ego-Shooters zu Ende war, fragte der Master Chief seine Begleiterin, eine künstliche Intelligenz in holografischer Frauengestalt namens Cortana: »Bereit für einen neuen Auftrag?«
»Und wie«, antwortete Cotton. »Lassen wir’s krach…«
Das Telefon klingelte.
Cotton fluchte, drückte auf Pause, flitzte hinüber ins Schlafzimmer, fischte sein Smartphone aus der Jeans, die auf dem Boden lag, und warf einen Blick aufs Display.
Philippa Decker.
Na großartig! Die überkorrekte, ständig nach Vorschrift handelnde Senior-Partnerin des G-Teams, die sich nach wie vor gerne einen Spaß daraus machte, Cotton auf seinen Rookie-Status hinzuweisen, hatte ihm gerade noch gefehlt.
Er hob ab, fragte: »Was gibt’s?«, und versuchte dabei nicht mal, freundlich zu klingen.
»Wir haben einen Mord«, antwortete Decker kühl.
»Und ich hab heute meinen freien Tag. Den ersten seit Ewigkeiten.«
»Jetzt nicht mehr«, erwiderte Decker.
»Na toll!«
»Falls Sie sich beschweren wollen, wenden Sie sich an Mr High. Von ihm stammt nämlich die Anweisung, Sie anzurufen.«
Den Teufel würde Cotton tun und sich bei Mr High beschweren. Mit dem humorlosen Hünen, der das geheime G-Team des FBI leitete, legte man sich nur an, wenn man unter akuter Todessehnsucht litt.
Schicksalsergeben notierte Cotton sich die Adresse in der Bronx, die Decker ihm durchgab, versprach, in zwanzig Minuten am Tatort zu sein, und beendete das Gespräch, ohne sich zu verabschieden.
Mit einem Fluch legte er das Telefon zur Seite und ging zurück ins Wohnzimmer, wo Cortana ihn vorwurfsvoll vom Flatscreen anzustarren schien.
»Tut mir leid, Darling«, sagte Cotton, »aber die Arbeit ruft.« Dann speicherte er den Spielstand, schaltete Konsole und Fernseher aus und trabte ins Schlafzimmer, um den dicksten Pullover hervorzukramen, den er besaß.
*
Dichter Verkehr sorgte dafür, dass Cotton nicht wie versprochen zwanzig Minuten, sondern etwas länger als eine halbe Stunde brauchte, um an der Ecke Taylor Avenue und Archer Street einzutreffen. Er befand sich jetzt praktisch im Herzen der Bronx.
Er parkte seinen Dodge Challenger am Straßenrand, stieg aus und verschaffte sich einen kurzen Überblick.
Die Taylor Avenue war mit Trassenband versperrt, hinter dem drei Streifenwagen mit blinkenden Lichtern quer über der Fahrbahn standen. Vor der Absperrung hatten sich einige dick gegen die Kälte vermummte Schaulustige eingefunden. Ein halbes Dutzend Uniformierte wuselte auf einem brachliegenden Grundstück voller Bauschutt umher, das sich einige Yards die Straße hinunter befand und von beiden Seiten von niedrigen, braunen Häusern flankiert wurde.
Der Tatort, vermutete Cotton.
Er zeigte seinen Ausweis einem Uniformierten an der Absperrung, trug sich in die Anwesenheitsliste ein und trabte hinüber zu Philippa Decker, die auf dem Gehsteig neben dem Grundstück stand und sich gerade mit einem Mann um die fünfzig in einem ausgebeulten grauen Mantel unterhielt. Mit ihrer eng anliegenden schwarzen Hose und der silbern funkelnden taillierten Jacke wäre die hochgewachsene Blondine auch unter den Schönen und Reichen im Aspen nicht unangenehm aufgefallen.
»Ah, Agent Cotton«, sagte sie mit einem spöttischen Grinsen, »schön, dass Sie es doch noch geschafft haben.«
Cotton verkniff sich die bissige Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, nickte stattdessen knapp zur Begrüßung und vergrub seine Hände in den Taschen seines Anoraks. Ihm war arschkalt.
»Das hier ist Detective Hart«, sagte Decker und deutete auf den Mann im ausgebeulten Mantel.
Detective Hart musterte Cotton beiläufig aus müden Augen, presste ein knappes »Hi« zwischen den Zähnen hervor und reichte Decker eine Geldbörse.
»Ist das die des Opfers?«, fragte Decker.
Hart nickte.
Cotton, der in der verfluchten Kälte unruhig von einem Bein aufs andere trat, sagte: »Ich will ja nicht stören, aber vielleicht kann mir mal jemand erklären, worum es hier eigentlich geht.«
Detective Hart deutete hinüber zum Grundstück und sagte: »Ein Spaziergänger, der seinen Hund Gassi führte, hat heute Morgen einen jungen Mann hinter einem Haufen Bauschutt dort hinten gefunden. Erstochen.«
»Das ist tragisch«, sagte Cotton, »aber die Bronx ist eben nach wie vor eine gefährliche Gegend. Ich versteh nicht, warum das ein Fall fürs FBI ist.«
»Innerhalb von vier Wochen wurden zwei Menschen in dieser Gegend Opfer eines Raubmörders«, erklärte Decker. »Und da der neue Bürgermeister großen Wert auf den Kampf gegen das Verbrechen legt, hat er den Commissioner angewiesen, ihn über den Fall auf dem Laufenden zu halten.«
Cotton zuckte fragend mit den Schultern. »Und?«
»Heute Morgen wurde ein drittes Mordopfer gefunden, das mit ziemlicher Sicherheit auf das Konto desselben Täters geht.«
»Lassen Sie mich raten«, unterbrach sie Cotton. »Der junge Mann auf dem Grundstück dort drüben.«
Decker nickte und fuhr fort: »Und da die Mordkommission nach wie vor keine konkrete Spur hat, wurde Mr High vom Bürgermeister persönlich mit den Ermittlungen beauftragt. Und deshalb ist das jetzt ein Fall fürs FBI.«
»Ich bin sicher, wir würden den Mistkerl auch ohne die Hilfe der Feds schnappen«, sagte Detective Hart mit verkniffenem Gesicht.
»Tja, das werden wir wohl nie erfahren«, entgegnete Decker mit einem kühlen Lächeln.
Cotton deutete auf die elegante Geldbörse in Deckers Hand und fragte: »Ist da ein Ausweis drin?«
»Ja«, antwortete Hart. »Der Tote heißt Travis Rutledge, siebenundzwanzig Jahre alt. Er war Anwalt.«
»Hatte er die Geldbörse...




