Berndorf Magnetfeld des Bösen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95441-303-4
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 290 Seiten
ISBN: 978-3-95441-303-4
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Magnetfeld des Bösen
Es gibt nur einen Weg. Sein Schwager muss aus dem Weg geräumt werden, damit der Weg an die Spitze der Kölner Firma endlich für ihn frei wird. Zu diesem Zweck entwirft Kraft ein perfektes Konzept. In seinem Schwiegersohn Andreas findet er einen willfährigen Helfer, und schon bald treibt an der Küste Südfrankreichs tatsächlich eine Leiche auf den azurblauen Wellen des Mittelmeers. Doch was bis jetzt nach Plan verlaufen ist, gerät plötzlich aus der Bahn. Und schon bald ist klar, dass es nicht bei dieser einen Leiche bleiben wird …
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1. August
Das Hotel hieß Lion d’or und war ausgezeichnet. Es war nicht neu und nicht alt, eine faszinierende Mischung. Das Hotel lag im alten Teil Nizzas, in einer der Gassen unten am Strand. In dieser Gegend lebte das Völkchen der Nacht, mittags lagen die Mütter in den Fenstern und tauschten über das blaue Pflaster hinweg die Erfahrungen und Geschäftserfolge der vergangenen Nacht aus, oder sie beschimpften sich. Das Lion d’or hatte damit nicht etwa einen zweifelhaften Ruf, im Gegenteil, es genoss unter Kennern eher den Ruf einer exklusiven Insel inmitten der Welt des Lasters, wie es so schön heißt. Das war das Argument, mit dem Kraft mühelos die Bedenken der Frauen beiseitegeschoben hatte. »Ich zeige euch Nizza, wie es wirklich ist.« Sie waren am Samstagabend gekommen und hatten die Tage damit verbracht, in der weißen Sonne herumzuschlendern, zu baden, zu essen. Sie hatten – eine bemerkenswerte Eigenschaft des deutschen Touristen – sofort einen bestimmten Rhythmus in ihr Leben gebracht. Morgens fuhren sie nach einem ausgiebigen Frühstück auf die Uferstraße nach Cannes, folgten ihr etwa acht Kilometer und bogen dann in eine kleine, von dunkelfarbenen, scharfkantigen Felsen umgebene Bucht ein. Die beiden Männer fuhren mit dem Schlauchboot hinaus, um zu tauchen, während die beiden Frauen sich in der Sonne bräunen ließen. Das dauerte bis vierzehn Uhr. Dann verließen sie die kleine Bucht und gingen in ein Lokal landeinwärts, das Chez Barbra hieß. Dort aßen sie und fuhren gegen drei Uhr wieder in das Hotel. Es folgten vier Stunden, in denen beide Paare allein je nach Belieben entweder spazieren gingen oder schliefen oder nach Antiquitäten suchten. Um neunzehn Uhr zogen sie sich zum Abendessen um. Sie aßen abwechselnd im Lion d’or oder aber im Palace Hotel und gingen anschließend bummeln, das heißt, sie tanzten und tranken, wechselten sehr schnell die Lokale und waren gewöhnlich betrunken, wenn sie gegen zwei oder drei Uhr morgens nach Hause zurückkehrten. Das fiel nicht auf, denn die Bordelle hatten in diesen Stunden großen Andrang, die Gassen waren voll mit schwadronierenden Männern. Es braucht nicht hinzugefügt zu werden, dass das der eigentliche Grund ist, weshalb Kraft gerade das Lion d’or ausgesucht hatte. Kraft ließ den schweren Mercedes, den sie gewöhnlich Andreas’ Fiat vorzogen, vorsichtig über die harten Betonrippen der Kellergarage des Lion d’or herunterrollen. Er sagte: »Ich habe Zahnschmerzen. Falls es nicht besser wird, muss ich zum Zahnarzt gehen.« »Ich habe einen Sonnenbrand«, sagte Rita wie ein Kind. »Ich will schlafen.« Andreas und Chris saßen hinten im Wagen. Sie hielten sich an den Händen und lächelten sich an. »Papa«, sagte Chris, »geh doch lieber sofort zu einem Arzt.« Kraft nickte melancholisch: »Ja, ich glaube, du hast recht.« Er hatte keine Zahnschmerzen, er brauchte lediglich einen Vorwand, um sich allein aus dem Hotel entfernen zu können. Nicht etwa, um zu morden, sondern um ein wichtiges Detail seines Mordplanes an den rechten Platz zu bringen. Sie stiegen aus und bewegten sich mit der Mattigkeit von Leuten, die lange in der Sonne gewesen sind. In der Halle, die angenehm kühl und ruhig war, löste sich Kraft von seiner Frau und ging zum Empfang. »Wo finde ich einen Zahnarzt?« Sein Französisch war nahezu perfekt. »Gleich um die Ecke, Monsieur«, sagte der Geschäftsführer mit dem nötigen Bedauern. »Darf ich einen Termin für Sie ausmachen?« »Ja, bitte.« Kraft wandte sich um und grinste: »Geht nur hinauf, wir treffen uns zum Abendessen. Ich will es hinter mich bringen.« Er sah den dreien nach, wie sie langsam und erschöpft die breite Treppe hinaufstiegen, und er lächelte leicht, als Rita ihm zurief: »Du bist ein Held!« Er nahm eine Zeitung und setzte sich in einen Sessel, während der eifrige Geschäftsführer sich lautstark und gestenreich bemühte. »Es geht sofort, Monsieur Kraft. Sofort! Der Doktor heißt Malraux. Malraux, wie der Dichter.« »Aha«, sagte Kraft. »Ich danke Ihnen.« Der Zahnarzt war ein schmaler Mann, vielleicht vierzig Jahre alt. Er trug eine sehr starke Brille und schien in einer Wolke von Pernod zu schweben. Er begrüßte Kraft lärmend und freundlich und sprach überraschend gut Deutsch. »Was fehlt uns?« »Rechts unten«, sagte Kraft. Er zog sein Jackett aus, als sei er täglich bei einem Zahnarzt und setzte sich in den Behandlungsstuhl. »Hm«, Malraux hantierte irgendwo im Hintergrund mit Instrumenten. »Haben Sie seit langem Schmerzen?« »Etwa seit drei Tagen.« »Ständig?« »Nein. Wenn ich genügend Wein getrunken habe, sind sie verschwunden.« Malraux lachte. »Wollen Sie einen Pernod?« »Natürlich«, sagte Kraft. »Mit Vergnügen.« Sie tranken. Kraft bekam ein Wasserglas zu einem Viertel gefüllt, der Arzt trank die doppelte Portion. »Es ist heiß heute.« »Ja, sehr. Machen Sie den Mund auf.« Kraft sah das zerstörte Gesicht dicht vor sich, und es ekelte ihn an. »Ist es der?« Kraft schüttelte den Kopf und wartete mit dem Zusammenzucken, bis der Arzt den äußersten Backenzahn beklopfte. Er schloss die Augen und verkrampfte sich. »Aha!« »Was heißt das?« »Ich werde extrahieren müssen. Ist Ihnen das recht? Sie werden sonst immer stärkere Schmerzen bekommen. Und Sie wollen doch Ihren Urlaub genießen, nicht wahr?« »Großer Gott«, sagte Kraft amüsiert. »Also los!« Was immer man gegen Malraux haben konnte, eines musste man ihm lassen – er konnte hervorragend ziehen. Kraft verspürte nicht den geringsten Schmerz. Er spuckte das Blut eine Weile in den Napf, ließ sich die Wunde austupfen und spülte dann mit Wasser. »Kann ich den Zahn mitnehmen?« »Natürlich. Hier ist er. Sieht eigentlich gesund aus, aber Zähne sind hinterhältig.« Kraft spuckte wieder. Dann fragte er resigniert: »Was kostet das?« Als er auf der Straße stand, waren nicht mehr als dreißig Minuten vergangen. Er hielt ein Taxi an. »Fahren Sie mich in eine Kneipe, in der Fischer verkehren. Keine Touristen, verstehen Sie? Fischer.« »Oui, Monsieur.« Der Fahrer war jung und gelangweilt. »Und fahren Sie schnell.« »Oui, Monsieur.« Kraft schluckte eine der Tabletten, die Malraux ihm mitgegeben hatte, und von Zeit zu Zeit spuckte er diskret Blut in sein Taschentuch. Die Kneipe war eigentlich nichts als ein Weinlager mit einigen roh gezimmerten Tischen und Fässern statt Stühlen. Sie war voll besetzt und wirkte sehr schmutzig. Kraft drängte sich vor bis an die Theke. »Anis.« »Oui, Monsieur.« »Trinken Sie mit?« »Merci, Monsieur.« Der Wirt war unglaublich fett und schmierig, aber sein Gesicht war klug und voller Lachfalten. Als er Kraft das Glas vollgoss, fragte er: »Deutscher?« »Sieht man das?« »Ein wenig.« »Das ist schlimm.« Der Wirt lachte, und sie tranken. Das taube Gefühl in den Mundpartien begann zu weichen, die Wunde schmerzte leicht. »Ich komme vom Zahnarzt«, sagte Kraft. »Es war scheußlich.« »Ich spendiere einen«, sagte der Wirt. »Zahnarzt ist Scheiße.« »Richtig.« Kraft drehte sich herum und sah in den dunklen Raum. Er entdeckte keinen einzigen nüchternen Mann. »Sind das alles Fischer?« »Alles, Monsieur.« »Sind sie immer betrunken?« »Meistens. Fangen sie gut, betrinken sie sich vor Glück, kommen sie leer zurück, trinken sie aus Kummer. Nur ein paar ganz junge trinken nicht, aber sie werden noch kommen mit den Jahren.« »Ich brauche einen Tintenfisch«, sagte Kraft. Er sah den Wirt lächelnd an. »Lebend, verstehen Sie?« »Wozu, Monsieur?« Kraft wurde verlegen. »Ich tauche«, erklärte er. »Und meine Frau will, dass ich so ein Biest heraushole. Aber ich habe noch keins gefunden, verstehen Sie?« Der Wirt begriff sofort und begann schallend zu lachen. Er klopfte Kraft auf die Schulter und stieß dabei mit dem Bauch beide Schnapsgläser um. »He! Jean-Pierre! Komm her!« Dann zu Kraft: »Jetzt ist er besoffen, aber nachts...