E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: edition pace / Band 26
Bernstein / Bürger Der Friede ist das kostbarste Gut
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7693-4254-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Schriften zum Ersten Weltkrieg - Mit einem Essay von Helmut Donat
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: edition pace / Band 26
ISBN: 978-3-7693-4254-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Im einleitenden Essay zu dieser Sammlung von Schriften zum Ersten Weltkrieg schreibt Helmut Donat: Eduard Bernstein scheute sich nie, unpopuläre Ansichten klar und deutlich zu vertreten oder Irrtümer öffentlich einzugestehen. Zunächst der allgemeinen Kriegsbegeisterung erlegen, bezeichnete er später den 4. August 1914 als den "schwärzesten Tag seines Lebens". Obwohl er sich mit dieser Haltung selbst in sozialdemokratischen Kreisen keine Freunde machte, war die Erkenntnis, dass die deutsche Regierung in hohem Maße für den Ersten Weltkrieg verantwortlich war, für sein weiteres Handeln von überragender Bedeutung. Er fühlte sich von dem Regierungspersonal hintergangen und betrogen, auch von der eigenen Partei, die sich auf die Seite der herrschenden Kreise geschlagen und mit dem "System", dem sie eigentlich keinen Groschen bewilligen wollte, einen "Burgfrieden" geschlossen hatte. "Fast seherisch", so der spätere Reichspräsident Paul Löbe, "muten die Reden Bernsteins an, in denen er auf die verhängnisvollen Wirkungen der deutschen Flottenpolitik hinwies - zuletzt noch im Mai 1914 -, in denen er die deutsche Regierung warnte, sich von der Habsburgischen Politik Österreichs ins Schlepptau nehmen zu lassen." Die Zustimmung der Partei am 4. August 1914 im Reichstag zu den Kriegskrediten sei "ein Unheil für unser Volk, ein Unheil für die Kulturwelt" gewesen. Und bereits Anfang September 1914 erklärte er: "Die deutsche Regierung ist die Hauptschuldige am Kriege, wir sind eingeseift worden, die Bewilligung der [Kriegs-]Kredite war ein Fehler." edition pace. Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 5. Herausgegeben von Peter Bürger.
Eduard Bernstein, geb. 6.1.1850; gest. 18.12.1932 Berlin: Journalist und sozialdemokratischer Politiker, "zählte schon vor dem 1. Weltkrieg zu denjenigen Sozialisten, die aufgrund ihres reformistischen Konzepts die zwischen Sozialdemokratie und Pazifismus bestehenden Schranken zu überwinden vermochten ... Als erster Sozialdemokrat seit 1912 in der Friedens-Warte publizierend, verteidigte er den wissenschaftlichen Pazifismus von A.H. Fried ... Obwohl er den Kriegskrediten zustimmte, erkannte er früh im kaiserlichen Deutschland den eigentlichen Schuldigen am Ausbruch des Ersten Weltkrieges und schloss sich als eines der ersten zehn Mitglieder dem Bund Neues Vaterland (BNV) an. Auch der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) trat er bei. 1915 wurde er Mitglied des 'Internationalen Rates', eines Organs der im Frühjahr in Den Haag gegründeten Zentralorganisation für einen dauernden Frieden. Am 19. Juni 1915 veröffentlichte er mit H. Haase und K. Kautsky in der Leipziger Volkszeitung den Aufruf 'Das Gebot der Stunde', in dem ein sofortiger Verständigungsfrieden gefordert wurde. Als einen der 40 Unterzeichner des Gründungsaufrufes der Zentralstelle Völkerrecht (ZV) wählte ihn deren Gründungsversammlung 1916 in die Geschäftsleitung. 1917, als er sich der USPD anschloss, gehörte er zu den Teilnehmern des Kongresses zum Studium der Grundlagen eines künftigen Friedens in Bern. Im gleichen Jahr entwarf Bernstein eine 'sozialdemokratische Völkerpolitik', deren Ziel ein demokratisch fundierter 'Bund der Völker' sein sollte. - Nach 1918 war Bernstein ... Mitglied der Geschäftsleitung der DFG. Ebenso gehörte er dem Internationalen Ehrenausschuß des ... Bundes für Menschheitsinteressen an und war Mitglied des Präsidiums der Deutschen Liga für Völkerbund (DLV). Bernstein, der unbeirrbar an der Feststellung der Alleinschuld Deutschlands am Krieg festhielt, registrierte - vor allem auf dem im Juni 1919 stattfindenden Parteitag der SPD - enttäuscht den Unwillen der Partei, dieser Forderung zu entsprechen ..." (Lothar Wieland, in: H. Donat/K. Holl: Die Friedensbewegung. Handlexikon 1983)
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Wie ich als Jude in der Diaspora aufwuchs
(Monatsschrift „Der Jude“, Jg. 1917/1918)1 Eduard Bernstein Die Stellungnahme der Menschen zu irgendwelchen Streitfragen wird gewöhnlich durch eine Vielheit von Triebkräften verursacht, von denen ihnen nur ein Teil ins Bewußtsein zu kommen pflegt, wenn sie ihre Entscheidung treffen. Tatsächlich ist es fast niemals bewußtes Denken allein, das unsre Entschlüsse bestimmt. Eindrücke, die der Zeit nach oft weit zurückliegen und über die wir uns daher auch keine Rechenschaft mehr ablegen, haben unserm Denken und Empfinden eine bestimmte Richtung gegeben und wirken als Unterbewußtsein so stark in uns fort, daß wir oft zum großen Teil unter ihrem Einfluß handeln und die Überlegung uns in Wirklichkeit nur die vernunftgemäßen Gründe für eine Entscheidung geliefert hat, die tatsächlich schon da war, ehe wir ans Überlegen herangingen. Als mir die Frage vorgelegt wurde, welche Gründe meine Stellungnahme zur nationalen Bewegung unter den Juden bestimmen, war auch ich zunächst geneigt mich auf die Angabe von Gründen zu beschränken, wie man sie sich durch vernunftmäßige Überlegung bildet. Aber bald sah ich, daß es damit allein nicht ging. Denn welches ist diese Stellungnahme? Ich kann sie nur dahin bezeichnen, daß ich zwar meiner Abstammung von Juden mir bewußt bin und kein Bedürfnis in mir fühle, sie zu verdunkeln, mich, wo Juden um ihrer Abstammung willen zurückgesetzt sind, im Gegenteil solidarisch mit ihnen fühle, daß ich mich aber nicht entschließen kann, irgend einer spezifisch jüdischen Verbindung beizutreten, sondern mich solchen gegenüber, welcher Art sie auch sein mögen, ob rein sozial oder politisch, ob schlechthin zionistisch oder sozialistisch-zionistisch, als einen Fremden betrachten würde.2 Solcher Gegensatz kann aber nicht aus Vernunftüberlegungen allein erwachsen. Im Reiche der reinen Vernunft gibt es keinen Widerspruch. Der Widerspruch kommt in es erst dann hinein, wenn das Gefühl ein entscheidendes Wort mitspricht. Und das Gefühlsurteil erklärt sich bei mir im vorliegenden Falle, wie ich mir sagen muß, in hohem Grade durch die seelischen Einwirkungen der Umstände und der Umgebung, in denen ich aufgewachsen bin. Ich bin in einer Gegend Berlins aufgewachsen, in der nur ganz wenige Juden unter Nichtjuden verstreut lebten. In dem Hause, wo meine Eltern wohnten, bis ich das 13. Jahr zurückgelegt hatte, waren wir längere Zeit die einzigen Juden, und als später noch eine jüdische Familie hineinzog, hatten wir mit dieser, da sie einen andern Flügel bewohnte und nur Kinder im jüngsten Alter hatte, gar keine Berührung. Und ebenso war es in den später von uns bezogenen Häusern. Auch die Schule, die ich bis zum zurückgelegten 13. Jahr besuchte, zählte nur ganz wenige jüdische Schüler, nicht einer davon war mein Mitschüler. Erst als ich dann auf das Gymnasium kam, änderte sich dies, und um dieselbe Zeit wurde ich in den Religionsunterricht der jüdischen Reformgemeinde zu Berlin geschickt, wo Lehrer und Schüler Juden waren. Über die Eindrücke, die ich von ihnen empfing, weiterhin. Wenn wir aber während meiner Kinderjahre ganz unter Nichtjuden lebten, so wurde meinen Geschwistern und mir die Tatsache, daß wir als Juden einem nicht für voll geltenden Volksstamme angehörten, doch von unserer Umgebung oft genug in unangenehmer Weise zum Bewußtsein gebracht. Allerdings fast nur von andern Kindern oder halbreifen Burschen, die uns allerhand, die Juden herabsetzende Spottverse und Spottworte nach- oder zuriefen und uns damit gelegentlich Tränen entlockten. Denn Kinder sind in diesen Dingen sehr empfindlich. Selten oder nie habe ich dagegen zu jener Zeit von Erwachsenen eine gehässige Anspielung auf unser Judentum vernommen. Was allerdings zum Teil dem Beruf meines Vaters und unsrer Lebensweise zuzuschreiben war. Mein Vater war Lokomotivführer bei der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn. Von Hause aus gelernter Klempner, hatte er sich, da ihm der den Juden nachgerühmte kaufmännische Geist vollständig abging, als selbständiger Handwerker nicht halten können und war im Jahre 1843 zum Beruf des Lokomotivführers übergegangen, wozu sich zu jener Zeit, wo die Eisenbahnen in Deutschland noch ganz neu waren, nur erst wenige entschlossen. Vom Standpunkte der Volksmoral jedoch ließ sich gegen den Beruf des Lokomotivführers nichts einwenden, und so ward von den Beamten, Kleinbürgern und Arbeitern im Haus und in der Straße mein Vater als durchaus zum Volk gehörig anerkannt. Daß wir, soweit es das bescheidene Einkommen meines Vaters erlaubte, in verschiedener Hinsicht eher bürgerlich lebten, tat dem keinen Abbruch. Die Bahnarbeiter, Gepäckträger usw. in unserer Straße sahen zwar in meinem Vater einen beruflich über ihnen Stehenden, aber kein Mitglied einer von Grund aus anderen Gesellschaftsklasse. So hätte nur die Religion und die Religionsübung zwischen uns und unsern Nachbarn ernsthaft trennend wirken können. Aber meine Eltern gehörten der jüdischen Reformgemeinde an, die den Sonntag als den allgemein gültigen Ruhetag feiert, und hielten auch die jüdischen Speisegesetze nicht inne, und das war es vor allem, was uns dem Gefühl der Mitbewohner von Haus und Straße näher führte. Was wir glaubten und daß wir etliche jüdische Festtage feierten, kümmerte sie wenig. Daß wir uns im Essen grundsätzlich von ihnen nicht unterschieden und denselben Ruhetag innehielten, darauf kam es ihnen für die Einschätzung unserer Volkszugehörigkeit an. Die Absonderung beim Essen, die Feier eines besonderen Ruhetags werden vom Volk oft als eine Scheidewand empfunden, die ein wahres soziales Zusammengehörigkeitsgefühl sich nicht entwickeln und befestigen läßt. In Einzelfällen mögen Jude und Nichtjude sich über sie hinwegsetzen und trotz ihrer innige Bande der Freundschaft schließen können, im allgemeinen aber wird, wo sie vorherrschen, der Nichtjude im Juden nie rückhaltlos einen Volksgenossen erblicken, und umgekehrt. Weil bei uns dies fortfiel, wurde für meine Geschwister und mich der Verkehr mit nichtjüdischen Altersgenossen durch nichts außer uns selbst Liegendes getrübt. Von Vettern und Kusinen abgesehen, mit denen wir aber, weil sie ziemlich weit entfernt von uns wohnten, nur ausnahmsweise zusammenkamen, hatten wir nur nicht jüdischen Umgang, meine besten Freunde im Knabenalter und in der reiferen Jugend waren stets „Gojim“. Bei meinem ersten Jugendfreunde bildete sich obendrein ein komisches Verhältnis aus, das aber auf die Volksbeziehungen ein bezeichnendes Licht wirft. Die Eltern meines Freundes hatten für mich eine Zuneigung gewonnen und bevorzugten mich oft dem eigenen Sohn gegenüber. Wenn aber mein Freund sich ungebärdig zeigte oder sonst sich etwas zu Schulden kommen ließ, war das Drohwort gewöhnlich: „Der Jude kommt“. Und derselbe Junge, der täglich mit mir spielte, man kann wohl sagen unzertrennlich von mir war, hatte in seinen Kinderjahren in der Tat eine gehörige Furcht vor dem „Juden“. Worunter natürlich nicht ich oder mein Vater, sondern irgend ein mit dem Packen auf dem Rücken wandernder Trödeljude gemeint war. Den Eltern lag nichts ferner als Antisemitismus. Und doch säten sie, ohne es zu wollen, etwas davon in die Seele des Jungen. Verbindet sich bei uns in der Jugend mit einem Begriff eine unangenehme Empfindung, so werden wir dieses Gefühl in späteren Jahren nie ganz los. Bis uns das Leben trennte, d. h. bis die Eltern meines Freundes in das entgegengesetzte Ende Berlins zogen, blieben wir einander herzlich zugetan. Und wenn die Eltern mir besonders ihre Zuneigung kundtun wollten, fehlte selten die Bemerkung: „Ihr Bernsteins seid ja gar keine richtigen Juden.“ Es kam indes ein Alter, wo ich dieses durchaus wohlgemeinte Kompliment eher unangenehm empfand. Meine Eltern waren Reformjuden, aber darum doch Juden. Wie es mit dem Gottesglauben meines Vaters stand, weiß ich nicht genau, ich habe mit ihm nie darüber eingehender philosophiert. Der Bibel stand er als Rationalist gegenüber, ich weiß mich da mancher kritischen Bemerkungen über sie von ihm zu erinnern. Und dieser kritischen Denkweise habe ich es zuzuschreiben, daß ich nicht den Vornamen David erhalten habe. Nach jüdischem Familiengebrauch sollte er mir zufallen, mein Vater hatte aber gegen den König David der Bibel eine ganz besondere Abneigung. Er sei, erklärte er, ein Schuft gewesen, und so wollte er auch keinen Sohn dieses Namens haben. Fromm war er jedenfalls nicht. Aber er verstand sehr viel vom Judentum, wußte die jüdischen Gebräuche zu erklären und kannte alle die alten Gesänge auswendig, die er uns zuweilen vor-trug. Meine Mutter dagegen war zwar auch nicht buchstabengläubig, aber doch eine tief innerlich religiöse Natur, sie hätte sogar, wenn die Verhältnisse es gestatteten, am liebsten aus Pietät den Haushalt jüdisch geführt. Sie widersprach dem Vater nicht gerade, aber teilte seine rationalistische Kühle nicht. Beide Eltern besuchten an den großen jüdischen Feiertagen gern den Gottesdienst...