E-Book, Deutsch, 244 Seiten
Berthold / Schmidt Geistliche Gemeinschaften in Sachsen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7519-6529-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Evangelische Kommunitäten, Gemeinschaften und Netzwerke stellen sich vor. Neuausgabe
E-Book, Deutsch, 244 Seiten
ISBN: 978-3-7519-6529-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kommunitäten, Gemeinschaften und Netzwerke innerhalb der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens stellen sich vor. Ihre Texte zeugen von dem spirituellen Reichtum verbindlichen evangelischen Christseins, das in diesen Gemeinschaften gelebt wird. Lange galt es in den Kirchen der Reformation als unvorstellbar, dass evangelische Orden und Lebensgemeinschaften mit einer geregelten Spiritualität überhaupt ein Existenzrecht neben den Kirchengemeinden hätten. Aber es gibt sie nicht nur neben, sondern mit und für die Gemeinden. Die Neuausgabe versammelt in erweiterter und überarbeiteter Fassung nunmehr 23 Selbstvorstellungen von Geistlichen Gemeinschaften in Sachsen. Beiträge von Peter Zimmerling und Jürgen Johannesdotter führen theologisch in Auftrag und Bedeutung evangelischer Kommunitäten ein. Mit Geleitworten von Oberlandeskirchenrat Thilo Daniel und Landesbischof Christoph Meyns.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Peter Zimmerling
Die Bedeutung der Kommunitäten und geistlichen
Gemeinschaften für die evangelische Kirche6
Vorbemerkungen
Im Vatikan gibt es schon lange eine eigene Kongregation für das Ordenswesen. Dieses kirchenleitende Ministerium wacht über die Ausbildung, Verwaltung und Regeltreue der Mitglieder von Orden und Säkularinstituten und kontrolliert die Integration ihres spezifischen Auftrags in die Aktivität der Kirche insgesamt. Päpste, Kardinäle und Bischöfe bringen regelmäßig in öffentlichen Verlautbarungen zum Ausdruck, dass die Orden und neuen geistlichen Gemeinschaften unerlässlich für das Leben der katholischen Kirche seien. Am durchdachtesten hat dies zuletzt 1998 der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger in seiner Rede über den theologischen Ort der geistlichen Gemeinschaften getan.7 Er stellt darin fest: „Ortskirchliche Struktur und apostolische Bewegungen brauchen einander. Wo eines von beiden geschwächt wird, leidet die Kirche als Ganze“. Institutionelle und charismatische Dimension sind gleichermaßen für die Kirche unverzichtbar.
In der Evangelischen Kirche wurden die Geistlichen Gemeinschaften und Kommunitäten erst 1979 durch die Denkschrift „Evangelische Spiritualität“ kirchenamtlich anerkannt. Die Landeskirchen waren von der Entstehung zahlreicher Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften im 20. Jahrhundert mehr oder weniger überrascht worden. Mit der Denkschrift vollzog die evangelische Kirche einen tief greifenden Paradigmenwechsel. Sie brach – vorbehaltlos – mit der aus der Reformationszeit herrührenden Ablehnung monastischer Lebensformen. Die Studie geht davon aus, dass Kommunitäten eine legitime Ausprägung biblisch-reformatorischen Christseins darstellen und würdigt sie als Orte spiritueller Übung und Erfahrung: „In neuerer Zeit sind Kommunitäten und Einkehrhäuser für viele zu ‚Gnadenorten‘ geworden. Diese Entwicklung sollte gefördert werden.“
Die Vorbehalte, ob kommunitäre Spiritualität Heimatrecht im Protestantismus besitzt, sind fast 30 Jahre nach Erscheinen der Denkschrift immer noch weit verbreitet. Das jüngste Wort des Rates der EKD vom Januar 2007 zu Kommunitäten „Verbindlich leben. Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Votum des Rates der EKD zur Stärkung evangelischer Spiritualität“8 hat nichtsdestotrotz – erstmals seit 500 Jahren – die Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften als eine legitime Sozialgestalt der evangelischen Kirche anerkannt.
1. Zum Sprachgebrauch
Der aus dem Französischen und Englischen stammende Begriff „Kommunität“ wird im Deutschen in einem engeren und einem weiteren Sinn verwendet. Im engeren Sinn bezeichnet er evangelische Gemeinschaften, die nach der – häufig modifizierten – Regel der drei monastischen Gelübde auf Dauer zusammenleben: des Gehorsams gegen eine Leitungsinstanz, des Verzichts auf Privatbesitz und auf die Ehe (z.B. die „Communauté de Taizé“ oder die „Communität Christusbruderschaft Selbitz“). Hierher gehören auch die z.T. bereits im 19. Jahrhundert entstandenen Diakonissenmutterhäuser. Im weiteren Sinn findet der Begriff für Schwesternschaften, Bruderschaften und Gemeinschaften von Frauen und Männern Verwendung, deren Mitglieder zwar nach einer verbindlichen Regel ihr Christsein gestalten und auch regelmäßig zu Tagungen und Einkehrzeiten zusammenkommen, ohne sich aber aus Familie und Beruf zu lösen (z.B. die „Evangelische Michaelsbruderschaft“). Es gibt auch Gemeinschaften, die beide Formen umfassen (z.B. die „Jesus-Bruderschaft Gnadenthal“). Eine besondere Form geistlicher Gemeinschaften stellen schließlich die bereits aus der Reformationszeit stammenden evangelischen Damenstifte dar, die ihre Entstehung der Umwandlung vorreformatorischer Klosterkonvente verdanken. Die heutigen Selbstbezeichnungen der Gemeinschaften lassen eine bunte Vielfalt erkennen, die sich meist aus ihrer Eigenart und Entstehungszeit ergibt, aber nicht unbedingt ihre innere Struktur zum Ausdruck bringt (Kommunität, Bruder- und Schwesternschaft, Familie, Ring, Kreis, Gilde, Foyer, Oratorium, Kloster, Konvent, Cella, Priorat, Orden u.a.).
2. Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften als eine legitime Sozialgestalt der evangelischen Kirche
Der Kirchenrechtler Hans Dombois hat überzeugend nachgewiesen, dass vier Sozialgestalten für die Kirche essentiell seien. Sie bildeten sich in den ersten vier Jahrhunderten des Christentums heraus: universale Kirche, partikulare bzw. regionale Kirche, Ortsgemeinde und Orden bzw. Kloster. Ortsgemeinde und universale Kirche sind dabei gleich ursprünglich, was bereits an der Doppelbedeutung des neutestamentlichen Begriffs der Ekklesia im Sinne von Gesamtgemeinde (1Kor 15,9) und Einzelgemeinden (1Kor 1,2) sichtbar wird. Beide Gestalten von Kirche besitzen die gleiche Dignität. Sehr bald entwickelte sich auch die dritte Gestalt von Kirche, die Partikularkirche, die begrifflich neben und sachlich innerhalb der universalen Kirche steht. Ansätze zur Entwicklung von Partikularkirchen finden sich wiederum schon im Neuen Testament. Hier ist z.B. die durch die paulinische Mission entstandene griechisch geprägte Kirche zu nennen (vgl. auch 1Kor 16,1, wo Paulus von „den Gemeinden in Galatien“ spricht). An der Wende vom dritten zum vierten Jahrhundert entstand schließlich eine vierte Sozialgestalt von Kirche, die später unter der Bezeichnung Orden bzw. Kloster begrifflich zusammengefasst wurde.
Unter Orden sind alle selbständigen Gruppen zu verstehen, „die auf Grund besonderer Berufung und freier Wahl ihrer Glieder in bewußter Korrelation zu der grundsätzlich jedem Christen zugänglichen ‚Kirche‘ und ‚Gemeinde‘ stehen, aber eben darum selbst nicht Kirche oder Gemeinde zu sein beanspruchen [...]. Aus dieser bewußten Begrenzung und bejahten Bezogenheit ergibt sich über den präzisen und engeren Begriff des Ordens hinaus der hier gemeinte, für die Struktur der Kirche charakteristische Verbandstypus, dessen weiteste, schon etwas blasse Umschreibung man im Begriff der ‚besonderen Dienstgemeinschaft‘ versuchen könnte“.9
Neutestamentliche Analogien zum späteren christlichen Ordenswesen lassen sich im Zusammenleben der Jünger und Jüngerinnen des irdischen Jesus (Lk 8,1–3), ansatzweise vielleicht auch in der Jerusalemer Urgemeinde finden (Apg 2,42–47). Den Orden kommt wie den drei anderen Sozialgestalten für die Kirche konstitutive Bedeutung zu. Sie sind deshalb nicht ausschließlich durch den Verweis auf außergewöhnliche Entstehungsbedingungen, wie z.B. eine verweltlichte oder reich gewordene Kirche und darauf reagierende besondere asketische Bestrebungen zu erklären. Vielmehr kommt den Orden eine für die drei anderen Gestalten der Kirche auf Dauer unverzichtbare spirituelle und institutionelle Prägekraft zu. Die vier Sozialformen der Kirche stellen nämlich keine isolierten Größen dar, sondern verweisen aufeinander und sind untereinander verbunden. Evangelische Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften sind eine legitime Sozialgestalt auch der evangelischen Kirche.
3. Die Entstehung von evangelischen Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften im Protestantismus – Stationen auf dem Weg
Schon die Reformationszeit zeigt, dass Minderheitsbildungen im Raum der Großkirche anscheinend notwendig zu ihrer Existenz dazu gehören. Es sieht so aus, als bildeten die damals entstandenen täuferischen Gemeinschaften – der sogenannte linke Flügel der Reformation – eine Art Ersatz für das verdrängte Ordenswesen. Im Laufe der weiteren Geschichte des Protestantismus wurde zwar immer wieder versucht, alle Sondergemeinschaften zu unterdrücken. Dennoch kam es spätestens seit dem 18. Jahrhundert im Raum der evangelischen Landeskirchen zur Bildung von geistlichen Gemeinschaften, die die Rolle der Orden übernahmen.
Dabei hätte es schon während der Reformationszeit nicht zwangsläufig zur Auflösung fast aller Orden und Bruder- und Schwesternschaften kommen müssen. Es gibt durchaus positive Aussagen der Reformatoren zum Ordenswesen, aus denen hervorgeht, dass sie nur die Missbräuche abgeschafft wissen wollten, nicht aber die Sache selbst.10
Im Barockpietismus konnten Philipp Jakob Spener, Gerhard Tersteegen und Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf erste Ansätze kommunitären Lebens zum Teil dauerhaft etablieren. Einen weiteren Ansatzpunkt kommunitären Lebens in der evangelischen Kirche stellten im 19. Jahrhundert die an vorreformatorische Tradition anknüpfenden, ganz auf diakonische Aufgaben ausgerichteten Schwestern- und Bruderschaften dar. Die ersten wurden von Johann Hinrich Wichern in Hamburg (1833), von Theodor und Friederike Fliedner in Kaiserswerth (1836) und von Wilhelm Löhe in Neuendettelsau (1853) ins Leben gerufen.
Im 20. Jahrhundert schließlich gab es drei Entstehungswellen...




