Bettauer / edition | Der Frauenmörder | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 127 Seiten

Bettauer / edition Der Frauenmörder

Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7431-1772-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)

E-Book, Deutsch, 127 Seiten

ISBN: 978-3-7431-1772-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Frauenmörder, die aus Begierde töten, üben eine nicht zu unterschätzende Faszination aus, was manchmal selbst für das schwache Geschlecht zu gelten scheint. Auch in Bettauers Krimi "Der Frauenmörder", der im Berlin der 20er-Jahre spielt, taucht im Laufe der Ermittlungen eine junge Dame auf, die anscheinend der Anziehungskraft eines Verdächtigen erlegen ist. Allerdings entwickelt sich die Geschichte ganz anders, als es zunächst den Anschein hat. Wie bei allen Werken der ofd edition wurde die ursprüngliche Textfassung nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst - die bessere Lesbarkeit verhilft zu einer ungetrübten Lektüre.

Maximilian Hugo Bettauer (1872 - 1925), war ein österreichischer Journalist, Schriftsteller und Verleger. Zu seinen erfolgreichsten Romanen zählen "Stadt ohne Juden" (1922) und "Die freudlose Gasse" (1924).
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3. Vier Mädchen ohne Anhang


Während Clusius mit strenger Miene die vier Frauen gleichzeitig einem Verhör unterzog, wühlte Krause in den vier Handkoffern, Taschen und Körben der verschwundenen Mädchen. Was die vor dem tintenbeklecksten Schreibtisch stehenden aufgeregten Weiber erzählten, schien ihn nicht zu interessieren und die nervösen Blicke, die sein Chef zu ihm hinüberschoss, ließen ihn ebenso kalt, wie Dr. Clusius' kräftiges Räuspern.

Vier Bündel und vier Schicksale, dachte Krause. Dieser schäbige schwarze Holzkoffer, diese zerschlissene Tasche aus Segeltuch, dieser zerbeulte Strohkorb, diese Tasche aus Lederersatz sind mit ihrem trostlosen Inhalt an ordinärer Wäsche, verschwitzten Blusen, abgetretenen Schuhen Lebensgeschichten. Die irdischen Reste armer, dummer Mädchen, die in ihrer irren Angst vor dem einsamen Alter und der ungestillten Gier nach Liebe, Zweisamkeit und Mutterschaft dem erstbesten Schurken auf den Leim gehen und sich, bis zum letzten Augenblick voll süßen Sehnens, von ihm irgendwo im Wald oder an einem öden Flussufer abschlachten lassen.

Eben hatte Dr. Clusius das Verhör mit der letzten Anzeigerin, der Witwe Klappholz aus Charlottenburg, beendet, als Krause plötzlich kehrtmachte und eingriff.

„Meine Damen, ich werde jetzt kurz alles das, was Sie mitgeteilt haben, rekapitulieren.“

„Wiederholen", unterbrach ihn der Chef, der Fremdwörter nicht leiden mochte, mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Also nicht rekapitulieren, sondern wiederholen", lächelte boshaft Krause. „Zunächst das Fräulein Trude Müller, das bei Ihnen, Frau Wendler, gewohnt hat. Mittelgroß, schlank, hochdeutsch mit Berliner Betonung, braune Haare à la Cleo de Merode, schöne Zähne, große Augen, deren Farbe Sie nicht genau angeben können. Ein auffallend hübsches und sympathisches Mädchen, scheinbar verliebter Natur. Sie hat Ihnen des Öfteren von Ihrem Bräutigam erzählt. Diesen Bräutigam haben Sie nur einmal gesehen, auch er machte auf Sie einen trefflichen Eindruck und ist ein hübscher, blonder, bartloser Mann mit Kneifer.“ Bei diesen Worten nickten alle vier Frauen und man hörte ein „Jawoll“ in verschiedenen Tonarten.

„Von Verwandten in Berlin oder anderswo, von Freunden und Bekannten dieser Trude Müller wissen Sie nichts?“

„Ne", erwiderte Frau Wendler, „das arme Fräulein hat ja nie von sich, sondern immer nur von ihrem Bräutigam, dem Lumpen, den Gott strafen soll, gesprochen, und nu schwimmt ihre Leiche sicher irgendwo im Wasser herum und der Kerl vergnügt sich mit anderen Meechens, die er dann ooch umbringen wird.“

Frau Wendler schluchzte, die anderen drei schneuzten sich, Kapott- und Federhüte flogen aufgeregt auf und ab.

„Bei Ihnen, Frau Zinkenbach, hat nur zwei Tage die verschwundene Grete Möller aus Hamburg gewohnt. Hellbraune Gretchenzöpfe, volle Erscheinung, ausgesprochener Hamburger Dialekt. Auch sie hat von einem Bräutigam erzählt, mit dem sie einen Ausflug nach der Havel unternehmen wolle. Sie wurde auch von dem Bräutigam abgeholt, aber nur der Portier hat ihn gesehen. Lassen wir jetzt den Mann hereinkommen.“

Der Portier, Herr Zimmermann aus der Nürnbergerstraße, trat ein. Krause winkte, als sein Chef das Verhör aufnehmen wollte, ab und fragte selbst.

„Der Herr, mit dem am fünften Juli ein Fräulein, das bei Frau Zinkenbach wohnte, wegfuhr, war blond und hatte einen kleinen Schnurrbart, nicht wahr?“

Zimmermann verneinte heftig. „Ne, soweit Ich mir erinnern kann, war sein janzes Jesicht glatt rasiert, wie es so die dämlichen Engländer an sich haben.“

Krause nickte lächelnd. „Trug er Brille oder Kneifer?“

„Kneifer, wenn ick mir nicht irre.“

„Können Sie sonst etwas über ihn aussagen?“

„Nischt, was von Belang wäre. Schien mir ein jemütlicher Herr zu sein und drückte mir dafür, dass ick dem Fräulein, was nu verschwunden is, die kleine Handtasche beim Einsteigen hielt, fünf Märker in die Hand.“

„Gut, Sie können gehen.“

„Bei Ihnen, Frau Lestikow, hat Fräulein Annemarie Jensen, ebenfalls aus Hamburg, gewohnt. Rötliche Haare, glatt gescheitelt, mager, reines Hochdeutsch. Sie war redselig, hat viel von ihrem Verehrer erzählt, der Naturforscher sei und Ihnen abends vor ihrer Abreise gesagt, sie habe sich verlobt und wolle nun mit dem Bräutigam nach Ketzin, um dort ein Haus zu besichtigen. Sie schildern den Bräutigam genau wie die anderen, so dass wir es ganz ohne Zweifel mit ein und demselben Individuum zu tun haben.

Bei Ihnen aber, Frau Klappholz, hat Fräulein Käthe Pfeiffer, die aus Bayern kam, gewohnt. Sie haben das Mädchen nur zwei- oder dreimal und dann immer nur im Hut gesehen, so dass Sie nicht einmal wissen, ob es blond oder dunkel war. Sie sprach mit süddeutschem Dialekt und hat ihre Abreise in dem uns übergebenen Briefe mitgeteilt.

Und nun, meine Damen, bitte ich Sie, intensiv pardon, eifrig nachzudenken: Ist Ihnen an Ihrer auf so mysteriöse, ich meine geheimnisvolle Weise verschwundenen Mieterin irgendetwas, sei es ein Muttermal, eine bestimmte Geste, ein sonderbares Wort, ein Kleidungsstück aufgefallen?“

Die Frauen schwiegen, bemühten sich ersichtlich, nachzudenken und dann ergriff Frau Lestikow das Wort:

„Jawohl, Herr Inspektor, etwas ist mir, oder eigentlich meiner Minna, die mein Mädchen ist, schon aufgefallen. Fräulein Jensen hat so niedliche, kleine Füße gehabt, wie sie gerade bei Hamburgerinnen eine rechte Seltenheit sind. Einmal hat mir Minna die Schuhe vom Fräulein Jensen, die abends vor die Türe gestellt wurden, gebracht und gesagt: „Madameken, sehen Sie nur eenmal die Schuhchen an! Die reinsten Kinderstiebel.“

„Das Fräulein Müller hat, wenn ich mich recht besinne, auch recht niedliche Füße jehabt", konkurrierte ein wenig erbost Frau Wendler, während Krause langsam die Gegenstände aus der Handtasche, die bei Frau Lestikow zurückgeblieben war, durch die Hände gleiten ließ und scheinbar gedankenlos einen alles andere als eleganten schwarzen Strumpf über die Finger zog und dann einen Halbschuh besichtigte.

„Noch etwas, meine Damen: Hat keine von Ihnen gefragt oder sonstwie erfahren, wie Ihre Mieterin zu diesem Bräutigam gekommen ist?“

Wieder war es Frau Lestikow, die Antwort wusste.

„Jawohl, ich habe am Abend, als sie mir von der Verlobung erzählte, gefragt, wo sie den Herrn Bräutigam eigentlich kennengelernt habe. Also, mir kommt es jetzt vor, als wenn Fräulein Jensen ein wenig verlegen geworden wäre. Sie hat gesagt, durch einen ganz komischen Zufall, und dann von etwas anderem gesprochen.“

Rot im Gesicht, erregt und wichtig zogen die vier Damen ab und Dr. Clusius blieb mit Krause allein zurück.

„Nun?“, fragte Clusius gespannt.

Krause ließ nochmals den Blick über die vier vor ihm liegenden Meldescheine und den Brief des Fräuleins Pfeiffer gleiten, steile, aufrechte, naive, gotische oder lateinische, schlecht gekritzelte, undeutliche Buchstaben tanzten vor seinen Augen. Die Fältchen im Gesicht verdichteten, glätteten und verdichteten sich wieder, dann ging er, die Hände in den Hosentaschen, auf und ab und hielt so eine Art Vortrag.

„Wohl der schwierigste Fall, den Sie mir bisher übergeben haben, Herr Doktor. Vier Mädchen verschwinden, von denen jede einen der banalsten und häufigsten Namen hat, den man sonst nur erfinden könnte. Müller, Möller, Jensen, Pfeiffer! Dergleichen laufen im Deutschen Reich zu Zehntausenden umher. Keine hat eine frühere Adresse angegeben, keine von Freunden oder Verwandten erzählt. Ferner: Alle vier scheinen sogenannte bessere, halb oder ganz gebildete Personen, aber keineswegs mit Glücksgütern gesegnet gewesen zu sein. Direkt arm waren sie aber auch nicht, trotz der Armseligkeit ihrer Hinterlassenschaft. Dafür, dass sie nicht ganz arm waren, spricht die Tatsache, dass sie alle vorausbezahlt haben und, wie jede der vier Vermieterinnen erzählt, entweder Ohrringe oder hübsche Fingerringe, die eine eine goldene Uhr mit Kette, eine sogar eine Brillantbrosche besaßen.“

„Zu welcher Schlussfolgerung kommen Sie daraus?“

„Oberflächlich betrachtet, könnte man aus diesen gewissen Gleichartigkeiten auf sonderbare Zufälligkeiten schließen. In Wirklichkeit könnten aber die Gleichartigkeiten, die primitiven Namen, der Mangel an Anhang in Berlin, nicht völlige Mittellosigkeit und bessere Art, die Umstände gewesen sein, die sie eben zu Opfern eines Mordbuben machten.“

„Versteh' ich nicht ganz!“

„Ist doch sehr einfach, Herr Doktor! Der saubere Bräutigam hat sich eben prinzipiell nur mit Mädchen, die hier keine Familie haben, gewöhnliche Namen tragen und etwas Geld sowie Schmuck besitzen, verlobt, weil er bei diesen Mädchen einerseits auf genügende Beute rechnen durfte, andererseits sich vor Entdeckung sicherer fühlte, als wenn er mit Mädchen aus Berliner Häusern angeknüpft hätte.“

„Und was nun, Herr Krause?“

„Die nächsten Schritte, Herr Doktor, werden Ihre Beamten machen müssen. Aufrufe in den Berliner,...



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