Beyer / Doerry | »Mich hat Auschwitz nie verlassen« | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Beyer / Doerry »Mich hat Auschwitz nie verlassen«

Überlebende des Konzentrationslagers berichten - Ein SPIEGEL-Buch
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-17463-7
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Überlebende des Konzentrationslagers berichten - Ein SPIEGEL-Buch

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-641-17463-7
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die letzten Zeugen von Auschwitz

Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Konzentrationslager Auschwitz. Mehr als eine Million Menschen waren hier von den Nationalsozialisten ermordet worden; nur wenige Gefangene kamen mit dem Leben davon. Diejenigen, die die Lagerhaft überlebten, konnten oder wollten in den Jahren nach der Befreiung meist nicht über ihre Erlebnisse sprechen. Sie fühlten sich außer Stande, über die Exzesse der Entwürdigung, die sie in Auschwitz erfahren mussten, zu reden, oder sie fanden für ihre Erinnerungen kein Gehör.

Weltweit haben SPIEGEL-Redakteure und -Mitarbeiter nun ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers besucht und befragt, Susanne Beyer und Martin Doerry haben diese Berichte in einem Buch zusammengestellt. Die beeindruckenden Schilderungen der letzten überlebenden Zeugen von Auschwitz werden reich bebildert mit Porträts, die die Fotografen Sara Lewkowicz und Dmitrij Leltschuk für dieses Buch anfertigten.

Mit Beiträgen von Nicola Abé, Markus Feldenkirchen, Johann Grolle, Julia Amalia Heyer, Wolfgang Höbel, Karoline Kuhla, Christoph Scheuermann und Jurek Skrobala.
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Einführung

Am 27. Januar 1945 marschierten vermummte Gestalten in langen Mänteln durch den Schnee auf das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zu. Noch am selben Tag befreiten die Rotarmisten der 1. Ukrainischen Front das von der SS aufgegebene Lager, nur ein paar Tausend Häftlinge fanden sie vor, die meisten von ihnen krank und hilflos.

Unter den Überlebenden befand sich auch die damals zehnjährige Frieda, ein jüdisches Mädchen aus Polen, zusammen mit ihrer Mutter. Sie erinnert sich daran, dass das polnische Rote Kreuz den Befreiten zuerst Vitamintabletten gegeben habe: »Ich weiß noch, wie sie aussahen: orange, dreieckig, mit einem glatten Überzug, wahrscheinlich aus Zucker.«

Frieda Tenenbaum sitzt nun, 70 Jahre danach, in der Küche eines Freundes im amerikanischen Cambridge. Sie erzählt dem SPIEGEL-Korrespondenten Johann Grolle von ihrer Zeit als Kind in Auschwitz, von der Befreiung und von ihrem Leben danach. Tenenbaum ist 80 Jahre alt und gehört zu den jüngsten Überlebenden. Kinder wurden in Auschwitz in der Regel sofort vergast, sie habe »Glück« gehabt, so sagt sie.

Für dieses Buch trafen SPIEGEL-Redakteure in Europa, Amerika und Israel 20 Auschwitz-Überlebende, um sie nach ihren Erfahrungen in der Todesfabrik zu befragen. Aus den Gesprächen entstanden umfangreiche Protokolle, die von einer Zeit kaum vorstellbarer Ängste und Leiden zeugen. Elf Frauen und neun Männer erzählen von Hunger und Elend im Lager, von den Gaskammern und Krematorien, von sadistischen Menschenversuchen. Und sie erzählen von dem unwahrscheinlichen Glück, den Holocaust überlebt zu haben.

Veröffentlicht wurden Auszüge dieser Berichte erstmals im SPIEGEL-Titel »Die letzten Zeugen« (Heft 5 / 2015), der mit acht verschiedenen Titelbildern erschien – acht Porträts, die, wie alle übrigen Fotos, von zwei namhaften Fotografen im Winter 2014/2015 gemacht wurden: Sara Naomi Lewkowicz fotografierte die Zeitzeugen in den USA und Israel, Dmitrij Leltschuk die in England, Frankreich, Österreich, Polen und Deutschland.

Die meisten Zeugen der Lagerhaft, die heute noch erzählen können, sind um die 90 Jahre alt. Sie liefern die letzten authentischen Berichte aus einer in der Menschheitsgeschichte einzigartigen Mordmaschine.

Als zentraler Schauplatz des Holocaust steht der Name Auschwitz synonym für die Verbrechen des Hitler-Regimes. Die Verwandlung des Konzentrationslagers in ein Vernichtungslager war nicht allein Ergebnis strategischer Planung, sondern eine Folge der Eskalation nationalsozialistischer Kriegführung.

Im Sommer 1940 wurde das Lager in der Nähe der Stadt Oswiecim gegründet. Auf dem Areal standen noch Unterkünfte aus dem Ersten Weltkrieg, die für Saisonarbeiter gedacht gewesen waren. 10 000 polnische Intellektuelle und Mitglieder des Widerstands sollten dort inhaftiert werden. Seit 1941 errichteten große Unternehmen aus dem Reichsgebiet im Umfeld des Konzentrationslagers Fabriken, die dort auf eine wachsende Zahl von Zwangsarbeitern zurückgreifen konnten. Die SS ließ zu diesem Zweck zwei Kilometer vom sogenannten Stammlager entfernt ein weiteres Lager errichten, Birkenau, in dem zunächst etwa 50 000 sowjetische Kriegsgefangene untergebracht werden sollten.

Doch die meisten Gefangenen waren schon auf dem Weg nach Auschwitz verhungert. Stattdessen wurden Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle sowie politische Häftlinge aus ganz Europa deportiert und – seit 1942 – bei der Ankunft in Birkenau einem bis dahin einzigartigen Verfahren ausgesetzt, das die Nazis Selektion nannten: Junge Männer und Frauen kamen zunächst mit dem Leben davon und mussten auf den Baustellen der neuen Fabriken und in diversen Nebenlagern arbeiten; Mütter mit kleineren Kindern, Schwangere, Kranke und ältere Menschen wurden zumeist sofort in den Gaskammern umgebracht.

Die Häftlinge waren regelrecht ausgeraubt worden. Die Befreier von Auschwitz entdeckten in den Tagen nach dem 27. Januar 1945 in den noch intakten Magazinen neben Tausenden Schuhen, Bergen von Brillen, Rasierpinseln und Zahnprothesen 348 820 Herrenanzüge und 836 255 Damenkleider und -mäntel. Außerdem fanden sie sieben Tonnen Haar, das, nach Schätzungen, von 140 000 Frauen stammte. Die Asche der verbrannten Körper wurde auch im Straßenbau verwendet.

Schon am 31. Juli 1941, also wenige Wochen nach dem Angriff auf die Sowjetunion, hatte Reichsmarschall Hermann Göring den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, beauftragt, ein Konzept »für die Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage« vorzulegen. Die ersten Tötungsexperimente mit Zyklon B fanden dann im September 1941 im Stammlager Auschwitz statt. Wenig später setzten die Mörder hinter der Front im Osten Gaswagen ein und erschossen zudem massenweise jüdische Zivilisten. Am 20. Januar 1942 wurde in Berlin auf der erst später so genannten Wannsee-Konferenz ein Masterplan für die Vernichtung der europäischen Juden besprochen.

Zur gleichen Zeit begann in Birkenau (Auschwitz II) die systematische Vergasung der zumeist jüdischen Häftlinge. Die ersten Gaskammern wurden in zwei schon bestehenden Bauernhäusern eingerichtet, später folgten vier große Neubauten mit Krematorien und Gaskammern. Ebenfalls noch 1942 wurde ein drittes Lager eröffnet, Monowitz, das erste von einem Privatunternehmen finanzierte Konzentrationslager (Auschwitz III). Der Chemiekonzern I.G. Farben brachte hier vor allem die Zwangsarbeiter seiner Buna-Fabrik unter, die der kriegswichtigen Produktion von synthetischem Kautschuk dienen sollte.

In den Lagern Auschwitz I, II und III kamen bis Kriegsende mindestens 1,1 Millionen Menschen ums Leben, entweder in den Gaskammern, durch Erschießung, durch Hunger, Krankheiten oder im Verlauf medizinischer Versuche. Seinen Höhepunkt erreichte das Vernichtungsprogramm im Sommer 1944: Innerhalb von zwei Monaten verschleppte die SS etwa 400 000 ungarische Juden nach Auschwitz, um sie – mit wenigen Ausnahmen – sofort zu töten.

Nach ihrer Ankunft und Selektion wurden die Deportierten von der SS direkt zu den Gaskammern getrieben. Entscheidend für den von den NS-Verbrechern erwünschten reibungslosen Ablauf des Massenmords war laut einer Studie des Soziologen Wolfgang Sofsky die »systematische Täuschung der Opfer«.

Die SS, so Sofsky, sei darauf angewiesen gewesen, »dass sich die Menschen bereitwillig selbst entkleideten, ihre Habseligkeiten ordneten und ohne Zögern in die Gaskammern gingen«: Die Gaskammern wurden als Duschräume getarnt, im Umfeld der Krematorien wurden Bäume gepflanzt und irreführende Schilder aufgestellt. SS-Führer hielten Ansprachen, um die Todgeweihten in Sicherheit zu wiegen.

Häftlinge allerdings, die schon länger in Auschwitz gelebt hatten und nun in den Tod geschickt wurden, wussten genau, was sie erwartete. Die Opfer waren jedoch meistens zu geschwächt, um Widerstand zu leisten; vereinzelt kam es vor den Gaskammern zwar zu Angriffen auf SS-Leute, die aber stets niedergeschlagen wurden.

Nur ein größerer Häftlingsaufstand ist überliefert: Im Oktober 1944 griffen Mitglieder des Sonderkommandos, Häftlinge also, die vor allem in den Krematorien arbeiten mussten, ihre Bewacher an, ein Krematorium ging in Flammen auf, drei SS-Leute wurden getötet, mehr als zwölf verwundet. Doch niemand konnte fliehen, fast alle Aufständischen wurden getötet.

Mit dem Heranrücken der sowjetischen Truppen wurden die Vergasungen eingestellt, der Abbau der Gaskammern begann, und Tausende Häftlinge wurden in westlich gelegene Konzentrationslager verschleppt.

Über die Psyche der Täter ist viel gerätselt worden. Wie konnte es geschehen, dass Väter tagtäglich zu Mördern wurden und den Feierabend wieder bei ihrer Familie verbrachten? Was sollte es bedeuten, wenn SS-Führer Heinrich Himmler behauptete, die SS sei beim Massenmord »moralisch anständig« geblieben?

Den Versuch einer Antwort hat die Historikerin Sybille Steinbacher gegeben: Die Ermordung der angeblich »Minderwertigen« habe der eigenen Zukunft im Osten gedient und sei somit »ideologisch gerechtfertigt« worden. »Der häusliche Frieden stand zum beruflichen Alltag der SS-Leute nicht im Widerspruch.« Vielmehr habe er »das Töten im Lager befördert«, wie Steinbacher erklärt, die SS-Männer hätten so »die nötige psychische Stabilität« erhalten.

Auschwitz sah die Vernichtung der Häftlinge vor, die Überlebenden sind Ausnahmefälle. Insofern zeichnen die Protokolle weniger ein Bild dessen, was Auschwitz faktisch gewesen ist, als vielmehr ein Bild dessen, wie sich Erinnerung heute präsentiert, und zwar bei denjenigen, die die Ausnahme gewesen sind. »Mich hat Auschwitz nie verlassen«, berichtet die Überlebende Zofia Posmysz.

Historiker, Journalisten, aber auch Gerichte brauchen möglichst viele Zeugen, um einen Sachverhalt aufzuklären. Jede neue Erzählung vervollständigt das Bild, nach und nach stellt sich heraus, wer die Hauptverantwortlichen gewesen...


Beyer, Susanne
Susanne Beyer, geboren 1969, ist seit 1996 beim SPIEGEL tätig. Sie hat im Kultur- und Wissenschaftsressort sowie im Hauptstadtbüro gearbeitet und war vier Jahre lang stellvertretende Chefredakteurin des Nachrichtenmagazins. Heute ist sie Autorin der Chefredaktion und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt »›Mich hat Auschwitz nie verlassen‹: Überlebende des Konzentrationslagers berichten« (mit Martin Doerry, 2015) und »Die Glücklichen: Warum Frauen die Mitte des Lebens so großartig finden« (2021).

Doerry, Martin
Martin Doerry, geboren 1955, ist promovierter Historiker und arbeitete von 1987 bis 2021 als Redakteur für den SPIEGEL. 16 Jahre lang war er stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtenmagazins. Bei der DVA erschienen von ihm der in 19 Sprachen übersetzte Bestseller »›Mein verwundetes Herz‹. Das Leben der Lilli Jahn 1900–1944« (2002) und »Nirgendwo und überall zu Haus – Gespräche mit Überlebenden des Holocaust« (2006, in Zusammenarbeit mit der Fotografin Monika Zucht). Gemeinsam mit Susanne Beyer hat er den Band »Mich hat Auschwitz nie verlassen. Überlebende des Konzentrationslagers berichten« herausgegeben (2015).



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