E-Book, Deutsch, 254 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 205 mm
Reihe: Ideen & Argumente
Bleisch Pflichten auf Distanz
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-11-022826-7
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Weltarmut und individuelle Verantwortung
E-Book, Deutsch, 254 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 205 mm
Reihe: Ideen & Argumente
ISBN: 978-3-11-022826-7
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Über 900 Millionen Menschen leiden gegenwärtig weltweit an Hunger. Dieses Buch geht der Frage auf den Grund, was die Bewohner der vermögenden Staaten diesen Menschen schulden. Der Fokus liegt dabei weniger auf der Frage, wie eine gerechte Welt beschaffen wäre, als auf der Frage, was einzelne Individuen angesichts der offenkundigen Ungerechtigkeit und des immensen Leidens zu tun verpflichtet sind. Dabei plädiert das Buch für einen Pflichtenpluralismus, der die Bewohner der Industrieländer sowohl als Bürger als auch als Konsumenten und als moralische Subjekte in die Pflicht nimmt. Entsprechend basiert ihre Verantwortung sowohl auf ihrer Verstrickung in Ausbeutung und Unrecht, die das Leiden der extrem armen Bevölkerung weiter verschlimmert, als auch auf der Tatsache, dass sie in der Lage sind, Hilfsmaßnahmen zu ergreifen. Da das Individuum im Alleingang wenig ausrichten kann und der Pflichtbegriff auf Distanz normative Kraft einzubüßen droht, plädiert das Buch für eine geteilte Verantwortung, institutionelle Strukturen zu schaffen, die einerseits Armut effizient bekämpfen und andererseits das Individuum von seiner individuellen Verantwortung zu entlasten vermögen. Dies führt allerdings nur bedingt zu einer Entlastung des Individuums: Die Pflichten bleiben anspruchsvoll, solange entsprechende Strukturen fehlen.
Zielgruppe
Wissenschaftler, Bibliotheken, Institute / Academics, Libraries, Institutes
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Vorwort;8
2;Inhalt;12
3;1. Einleitung;14
4;2. Pflichten auf Distanz und Grenzen der Moral;30
5;3. Gerechtigkeit auf Distanz;60
6;4. Nichtschädigung auf Distanz;94
7;5. Hilfe auf Distanz;142
8;6. Weltarmut und individuelle Verantwortung;180
9;Anmerkungen;214
10;Literatur;238
11;Personenregister;252
12;Sachregister;254
Bis anhin habe ich dem Individuum zwei Arten von Pflichten zugewiesen: Einerseits die Pflicht, die eigene Regierung dazu zu bewegen, sich für eine gerechtere Weltordnung einzusetzen; diese Pflicht habe ich Bürgerpflicht genannt. Andrerseits habe ich Konsumentenpflichten geltend gemacht, die vom Individuum verlangen, bei seinen Konsumentscheidungen Sorgfalt walten zu lassen, um sich nicht an Ausbeutung und Schädigung zu beteiligen, sowie ungerechtfertigte Gewinne zu restituieren. Müssen wir Personen, die in Zuständen extremer Armut leben, über die Erfüllung dieser Pflichten hinaus helfen?
Diese Frage kann auf zweierlei Arten verstanden werden: Einer ersten Interpretation zufolge lautet die Frage, ob Hilfe überhaupt noch vonnöten ist, wenn die beiden erstgenannten Erfordernisse erfüllt worden sind. Diese Frage ist m.E. zu bejahen: Selbst wenn alle ihren Bürger- und Konsumentenpflichten nachkämen, würde dieses Engagement nicht ausreichen, extreme Armut gänzlich zu beseitigen. Denn wie gerecht unsere globalen Institutionen auch immer sein mögen und wie sehr wir uns bemühen, uns nicht am Unrecht zu beteiligen, wird es immer Situationen geben, in denen die Erfüllung der ersten beiden Pflichttypen hinsichtlich der Not, die es zu beseitigen gilt, nichts ausrichten wird – etwa wenn Naturkatastrophen über Länder hereinbrechen oder wenn machthungrige Diktatoren Bürgerkriege anzetteln, die ihr Volk weiter und langfristig in die Armut drängen. Ausserdem kommen gegenwärtig die wenigsten ihren Pflichten nach, weshalb die Opfer von Unrecht darauf angewiesen sind, dass sich Dritte für sie einsetzen und sie darin unterstützen, die erlittenen Nachteile zu überwinden und sich vor künftigem Unrecht zu schützen.
Allerdings ist fraglich, ob eine solche Hilfspflicht tatsächlich besteht, was der zweiten Interpretation der obigen Frage entspricht: Ist es von den Bewohnerinnen und Bewohnern der reicheren Länder wirklich verlangt, den extrem Armen zu helfen? Im Folgenden soll es um diese Frage und damit um die Begründung von Hilfspflichten den Opfern der Weltarmut gegenüber gehen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei wiederum dem Umstand zukommen, dass es sich bei den fraglichen Geboten um Pflichten auf Distanz handelt.
In einem ersten Abschnitt widme ich mich der Pflichtbegründung. Bei den fraglichen Erfordernissen handelt es sich offenbar um natürliche Hilfspflichten, die Menschen qua Menschen und nicht aufgrund einer Vorgeschichte oder einer Beziehung geschuldet sind. Jede plausible Moraltheorie muss m. E. von der Existenz solcher Unterstützungsgebote ausgehen (5.1). Allerdings scheint Hilfe für Notleidende, die in weiter Entfernung von uns leben, weitaus weniger verbindlich gefordert als die Hilfe, die einem ertrinkenden Kind in unmittelbarer Nähe geschuldet ist. Woran liegt diese unterschiedliche Einschätzung der beiden Situationen, und ist sie gerechtfertigt?