E-Book, Deutsch, Band 201, 64 Seiten
Reihe: Silvia-Gold
Blum Silvia-Gold 201
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7517-5860-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zeit für einen Neuanfang
E-Book, Deutsch, Band 201, 64 Seiten
Reihe: Silvia-Gold
ISBN: 978-3-7517-5860-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
In der Blüte seiner Jahre wird Martin Kerker brutal aus dem Leben gerissen - von einem Auto erfasst und getötet. Ein Schock für Isabell. Der Mann war die Liebe ihres Lebens. Zehn Jahre haben sie Freud und Leid miteinander geteilt.
Isabell glaubt in dieser schweren Stunde nicht, dass sie diesen Verlust jemals verschmerzen wird. Zu groß ist die Lücke, die Martin hinterlässt. Doch plötzlich gerät ihre Welt erneut ins Wanken. Denn sie erfährt, dass ihr Partner jahrelang ein Doppelleben geführt und noch einer anderen Frau seine Liebe geschworen hat.
Nun steht Isabell vollkommen mit leeren Händen da, denn die glücklichen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit entpuppen sich als eine einzige Lüge ...
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Zeit für einen Neuanfang
Ihr Leben liegt in Scherben, da trifft sie eine mutige Entscheidung
Von Felicia Blum
In der Blüte seiner Jahre wird Martin Kerker brutal aus dem Leben gerissen – von einem Auto erfasst und getötet. Ein Schock für Isabell. Der Mann war die Liebe ihres Lebens. Zehn Jahre haben sie Freud und Leid miteinander geteilt.
Isabell glaubt in dieser schweren Stunde nicht, dass sie diesen Verlust jemals verschmerzen wird. Zu groß ist die Lücke, die Martin hinterlässt. Doch plötzlich gerät ihre Welt erneut ins Wanken. Denn sie erfährt, dass ihr Partner jahrelang ein Doppelleben geführt und noch einer anderen Frau seine Liebe geschworen hat.
Nun steht Isabell vollkommen mit leeren Händen da, denn die glücklichen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit entpuppen sich als eine einzige Lüge ...
»Liebe Familie, liebe Trauergemeinde ...«
Die Wolken über dem Friedhofsgelände waren dick und schwarz. Wie eine dunkle Decke legten sie sich über den Himmel, erstickten das Licht und raubten der Welt ihre Farben.
Der Pfarrer sah ernst und mitfühlend in die Traube von Menschen, die sich um das offene Grab versammelt hatten.
»Wir sind heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von einem Mann, der das Leben vieler mit seiner Warmherzigkeit, Fürsorglichkeit und hohem Engagement bereichert hat.«
Rechts von ihm stand Isabell, ganz vorne in der Reihe. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln ging. Nicht einmal gerafft war es, nur der Bateau-Kragen zeigte etwas Schultern. Sie wusste, Martin hätte es gefallen.
»Martin Kerker hinterlässt eine liebende Mutter und Partnerin zurück. Er hinterlässt Kollegen und Freunde, die ihn auf seinem Lebensweg begleitet haben, sein Glück geteilt und seine Sorgen getragen haben.«
Isabell sah hinauf in den Himmel. Die Wolken wirkten schwer und prall gefüllt, doch kein Regentropfen ergoss sich über die sowieso schon vom Vortag feuchte Wiese und dem leicht aufgeweichten Kiesweg. Sie empfand tiefe Verbundenheit mit den Wolken. In ihnen musste es aussehen wie in ihrem Inneren. Irgendwo da drin in ihrem leeren, dumpfen Körper war er, der meterhohe, dicke Staudamm, der die Tränen zurückhielt. Er hinterließ eine gereizte und rote Schicht auf ihren trockenen Augen.
»Ihre Verbundenheit war stark und tief«, fuhr der Pfarrer fort, »und sie werden ihn für immer in ihrem Herzen tragen.«
Isabell sah hinüber zu ihrer Schwiegermutter. Renate Kerker sah man auch noch im hohen Alter an, wie viel Wert sie auf ihr Erscheinungsbild legte. Das ordentlich frisierte schlohweiße Haar war am Hinterkopf zu einem dezenten Knoten geflochten. Auch sie trug ein elegantes, schlichtes Kleid in Schwarz. Alles an ihr war zierlich und kontrolliert.
Nur unter ihren auffälligen stahlblauen Augen hatten sich dunkle, geschwollene Tränensäcke gebildet, und ihre dünnen Lippen waren zu einem zitternden Strich verzogen. Der Schicksalsschlag hatte seine Spuren hinterlassen. Am Anfang der Rede hatte sie die Tränen noch mit einem Taschentuch diskret weggewischt, doch jetzt rannen sie ihr über die Wangen.
Isabell rückte näher und legte ihr den Arm um die Schultern. Renates Staudamm konnte wohl noch so hoch sein. Wenn eine Mutter ihren Sohn verlor, schien keine Höhe ausreichend, um die immense Wucht dieses dunklen Meeres aufzuhalten.
»Martin Kerker war ein Experte auf seinem Gebiet. Als juristischer Berater liebte er seine Arbeit und ging mit Leidenschaft an jede Aufgabe heran. Sein Engagement und seine Fachkenntnis waren bewundernswert und haben ihm Respekt von Kollegen und Kunden gleichermaßen eingebracht.«
Isabell war froh, dass so viele Menschen ihrem Martin die letzte Ehre erwiesen. Sie sah ihre Nachbarn, die sie immer mal wieder zum Dinner eingeladen hatten. Sie hatten sie bei einem Tanzkurs kennengelernt und dann realisiert, dass sie zufällig im selben Haus lebten.
Sie sah einige von den Kollegen und Kunden, die der Pfarrer erwähnt hatte. Ihr gegenüber vom Grab, etwas weiter hinten, stand Jonas. Sein Kopf ragte über die meisten Anwesenden hinweg, so groß wie er war. Größer als Martin. Sein Körper verschwand in der Masse, also musterte Isabell sein glatt rasiertes Kinn, das zurückgegelte dunkelblonde Haar, die traurigen braunen Augen, die ihren Blick nur kurz erwiderten, um sich dann wieder ganz dem Pfarrer zuzuwenden.
Sie hatte seinen Nachnamen vergessen. Jonas Tolter, Bolter, Solter. Irgend so etwas musste es gewesen sein. Martin und er waren gute Kollegen gewesen, sie hatten in derselben Abteilung gearbeitet. Er war ihr bei Firmenfeiern und Kundenevents, zu denen Martin sie mitgenommen hatte, immer wieder über den Weg gelaufen. Sie hatten stets nett miteinander geredet. Das würden sie jetzt wohl nicht mehr tun.
»Doch er war nicht nur erfolgreich in seinem Beruf, sondern hat auch das Leben genossen«, erhob der Pfarrer seine Stimme. »Er liebte es zu reisen und neue Kulturen zu entdecken. Seine Abenteuerlust kannte keine Grenzen, und er fand stets Freude darin, neue Orte zu erkunden und unvergessliche Erinnerungen zu schaffen. Er hat uns gelehrt, dass das Leben dazu da ist, gelebt zu werden, und dass wir jeden Moment schätzen sollen.«
Es war merkwürdig, diese Rede zu hören. Es stimmte zwar alles, was der Geistliche sagte. Doch es klang so abgedroschen, so unpersönlich. Kurz bereute Isabell es, eine eigene Rede abgelehnt zu haben. Aber dann wurde ihr bewusst, dass auch ihre Worte keinen Unterschied gemacht hätten. Martin war so viel mehr als eine Aneinanderreihung von Sätzen. Keine Rede der Welt hätte ihn greifbarer gemacht. Keine Predigt der Welt vermochte es, ihn wieder zurückzuholen.
»Viel zu früh bist du von uns gegangen«, sprach der Geistliche hinein ins offene Grab. »Du hinterlässt eine Lücke in unserem Herzen, die nicht zu füllen ist.«
Isabell blinzelte. Sie drückte die zitternde Renate fester an sich.
»Mögen wir uns in unserer Trauer gegenseitig Halt geben und uns an die Liebe erinnern, die Martin uns geschenkt hat. Lasst uns gemeinsam Abschied nehmen und ihn in unserem Herzen weiterleben lassen.«
Er bekreuzigte sich. Dann nickte er den Totengräbern zu, die den Sarg langsam in die Erde hinunterließen.
»Mein Kind, mein Kind«, flüsterte Renate schluchzend an ihrer Seite.
Isabell sagte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie hatte keine Worte. Sie hatte nichts.
Wie in Trance hörte sie die Beileidsbekundungen, spürte die Hände und Umarmungen. Sie hätte nicht sagen können, von wem. Sie kämpfte gegen die Erinnerung an jenen Sonntagmorgen an, an dem Martin ihr gesagt hatte, er werde eine schnelle Runde um den Block drehen. Und dann hatte die Polizei vor ihrer Haustür gestanden.
Nein, dachte Isabell, nein, nicht das.
Zurück damit. Sie musste an etwas anderes denken. Es gab noch so viel zu tun. Noch so viel zu klären. Sie musste klar im Kopf bleiben, einen Schritt nach dem anderen erledigen. Sie durfte jetzt nicht aufhören zu funktionieren.
»Wir essen im Gasthaus ›Zum Walfisch‹. Es ist nur ein paar Gehminuten entfernt. Ihr kommt doch?«, fragte sie also immer und immer wieder die Menschen, die sich vor sie stellten.
Die Angesprochenen nickten, dann wurde die Menschengruppe nach und nach kleiner.
Erleichtert atmete Isabell auf. Ihr wurde leichter ums Herz. Fast niemand war mehr anwesend – bis auf eine Ausnahme. Erst jetzt sah sie die Frau, die etwas abseits vom Grab stand und den Blick gesenkt hielt. Sie sah das gewellte blonde Haar, die ausladenden Hüften und vor allem die zwei Kinder, die sie an den Händen hielt. Nie zuvor hatte Isabell die Kinder gesehen.
Ungläubig wischte sie sich über die Augen, als ihr Blick wieder zu der blonden Frau glitt. Das konnte eigentlich nicht sein. Ein Schwall von Emotionen waberte unter ihrer dumpfen, schweren Trauer.
???
Isabell atmete tief ein und ging dann tapfer auf die andere zu.
»Hallo, Daniela«, sagte sie ruhig an die Frau gewandt, der sie einst das Versprechen abgenommen hatte, ihr nie wieder unter die Augen zu treten.
Daniela sah auf und schenkte ihr ein kleines, trauriges Lächeln.
Sie sah schick aus, fand Isabell. Es war knapp neun Jahre her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten. Sie wusste es fast auf den Tag genau. Sie war etwas älter geworden, die Augenringe vielleicht etwas dunkler, die Falten um die Augen stärker, doch sonst schien sie sich kaum verändert zu haben.
»Mein Beileid«, flüsterte Daniela leise.
Isabell sah hinunter auf die Kinder, die die junge Frau an der Hand hielt, ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen versteckte sich hinter dem Rockzipfel ihrer Mutter.
»Du hast zwei Kinder«, stellte Isabell fest. Es war eine unnötige Bemerkung, und doch bewirkte sie, dass ein wenig Anspannung von Daniela abfiel. Ihr Gesicht wurde offener.
»Ja. Sind sie nicht goldig?«
Isabell sagte nichts. Der Sohn musste um die acht, vielleicht neun Jahre alt sein. Er hatte brünettes Haar und die Augen seiner Mutter. Das Mädchen war wohl etwas jünger. Abgesehen von der Augenfarbe, einem tiefen Azurblau, war sie...




