E-Book, Deutsch, 188 Seiten
Blumenreich Der Selbstmörder
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8496-2312-8
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 188 Seiten
ISBN: 978-3-8496-2312-8
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Kriminalroman aus dem Berlin vor der Jahrhundertwende. Spannend und unter die Haut gehend.
Autoren/Hrsg.
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II.
Die Worte des Alten ergaben eine Flut von Vermutungen. Der junge Brennus hielt sich gewissermaßen verborgen, und das hing offenbar mit Karls Tode zusammen. Vielleicht hatte Frau Hilmar richtig vermutet mit ihrem amerikanischen Duell; vielleicht auch hatte der junge Brennus Karl durch einen Unglücksfall getötet. – Das alles war möglich. In jedem dieser Fälle wünschte Brennus sen. die Richtigkeit der Angaben seines Sohnes zu prüfen und war deshalb bei Hilmar erschienen.
»Nun, ich werde es schon einmal möglich machen, Herrn Brennus zu sprechen,« sagte Bode jetzt; »ich muß und werde die Gelegenheit finden.«
Er wollte gehen.
»Sie irren sich,« sagte der Diener, »Herr Brennus ist nicht so leicht zu sprechen, wie Sie denken. Er ist eine Art von Menschenfeind, hat fast gar keinen Verkehr, und um ihn zu überrumpeln, muß man seine einsamen Spaziergänge im Tiergarten kennen, und so viel ich weiß, kennt diese niemand. Manchmal geht er ans Meer, manchmal ins Hochgebirge, manchmal besucht er auch eine Kunstausstellung, aber das sind immer unberechenbare Zwischenfälle. Auch würde es Ihnen gar nichts nützen, ihn zu überrumpeln, denn er ist ein nervöser, heftiger Mann, und besonders bei dem Worte ›Sohn‹ fährt er auf, wird unwirsch und ganz verschlossen. Das ist so seit dem Tode des jungen Herrn.« »Wieso seit dem Tode des jungen Herrn?« fragte Armin erstaunt. »Ich denke, der junge Herr ist in Rom?«
Der Alte hatte sich verschnappt, aber offenbar redete er noch gerne weiter: wahrscheinlich war er neben seinem Herrn zu lange zur Schweigsamkeit verurteilt gewesen.
»Ich meine unseren Herrn Karl,« sagte er, »den armen Herrn Karl, der sich, zwanzig Jahre alt, erschossen hat. Es war zu schrecklich, kein Wunder, daß Herr Brennus davon etwas verdreht wurde.«
»Ist das dort vielleicht das Porträt des Unglücklichen?« frug Armin.
»Ja, ja, das ist er, der arme Karl. Ich habe ihn auf den Armen getragen, denn ich bin schon seit dem frühen Tode der gnädigen Frau im Hause.«
Armin starrte das Bild an und vergaß fast seinen eigenen, doch mehr eingebildeten Kummer. Dieser schöne Knabe mußte ein schöner Jüngling geworden sein, begabt, mutig, lebenslustig, außerdem in den glücklichsten, vielleicht glänzenden Verhältnissen aufgewachsen. Und mit zwanzig Jahren hatte er sich erschossen.
»Wie konnte das geschehen?« sagte er, ehrlich ergriffen.
Den Alten rührte die Teilnahme des Fremden.
»Wir wissen auch das nicht genau,« sagte er. »Allem Anscheine nach war der Herr ein wenig gar zu streng gewesen, der junge Herr war in irgend eine Klemme geraten, eine Geldverlegenheit, hatte Schulden auf Ehrenwort gemacht oder etwas derartiges. Der Papa, unmäßig erzürnt, versagte ihm jede Hilfe; genug, es geschah, und seither ist Herr Brennus so menschenscheu, so nervös geworden. Aber wie gesagt, wir wissen selbst nichts Genaues darüber.«
Armin besann sich nur mit Mühe auf die Gegenwart, auf die Wirklichkeit. Er hatte einen furchtbaren Blick in das Leben getan. Da diese reizende Villa, welche Genuß und Wohlleben auszuatmen schien, und der glückliche Besitzer hatte zwei Söhne. Der eine davon hatte mit zwanzig Jahren ein tragisches Ende genommen, der andere weilte in der Fremde, hatte doch wohl irgend eine Schuld auf sich geladen, genug, er hatte sich unmöglich gemacht für sein Vaterhaus, vielleicht für die Gesellschaft. – Wahrhaftig, das Herz dieses schwergeprüften Vaters mußte man schonen; gewiß, das einfachste Taktgefühl verbot, auf ein Zusammentreffen mit Brennus zu dringen. Der Sohn würde ja auch einmal wiederkommen und dann zu finden sein.
Armin beschloß, das kleine Haus und die Familie im Auge zu behalten. Was ihn selbst betraf, so war es wohl das beste, sich seine törichten Skrupel vorläufig aus dem Sinn zu schlagen. Karl Hilmar war ja doch tot und nichts anderes würde zu erfahren sein, als möglicherweise einige nähere Umstände über jenen Todesfall.
Der Einblick in diese furchtbare Familientragödie ließ Armin in diesem Augenblicke seinen eigenen Kummer wirklich geringfügig erscheinen, und als er jetzt den Kurfürstendamm entlang schritt, der Stadt zu, sagte er sich:
»Du bist ein Tor! – Sei glücklich, greife zu! – Das Leben ist nicht allzu reich an glücklichen Chancen und guten Aussichten. Es ist ja traurig, daß Karl Hilmar tot ist, und daß Dein eigenes Glück sich an diesen Umstand anknüpft, aber Du selbst bist ja ohne jede Schuld daran.«
*
Es war im allerersten Frühling. Im Tiergarten zeigte sich an geschützten Stellen das allererste Grün. Auch der Korso der eleganten Welt hatte begonnen: man führte die ersten lichten Toiletten spazieren; Reihen von Equipagen, Reitern, Bonnen mit Kindern, genug, das allbekannte Saisonbild, wie es in der Großstadt das Erwachen des Frühlings bezeichnet.
Josepha Hilmar hatte einen Besuch bei Verwandten in der Luisenstadt zu machen und zum ersten Male die Trauer abgelegt. Zwar war sie nicht förmlich mit Karl verlobt gewesen, also auch nicht förmlich zur tiefen Trauer verpflichtet gewesen; aber den ganzen Winter hindurch hatte sie sich doch aller Vergnügungen enthalten und nur dunkle Kleider getragen, wenn auch nicht mit der ganzen Strenge, welche sonst die tiefe Trauer nach einem Todesfall auszeichnet.
Heute trug sie ein zartes, hellgraues Promenadenkleid, einen weißen Filzhut mit weißen Federn, die sie zu ihrem dunklen Haar sehr gut kleideten.
Als sie das Haus verließ, war Armin ihr entgegengetreten und erbat von ihr die Erlaubnis, sie abholen zu dürfen.
Papa sei damit einverstanden, es sei ja auch ein weiter Weg. Sie sagte nicht nein und bestellte ihn um sieben Uhr.
Natürlich, als sie Punkt sieben herunter kam, stand er schon vor der Tür, einen Strauß von Veilchen und Maiglöckchen in der Hand.
Wie sie sich freute! Ach, sie hatte sich schon gefreut, als sie noch oben in der Stube saß und die Erzählungen ihrer drei Cousinen anhörte, über die Eroberungen, welche jene gemacht hatten. Ach, sie machten ihre Eroberungen ohne Ende, nur daß sie dabei ledig blieben.
Da stand Armin stramm und stattlich. Ach, sie hatte ja so genau gewußt, daß er da sein würde; sie glaubte ihm, sie vertraute ihm, er war ja die Zuverlässigkeit selbst.
»Wollen wir nicht durch den Tiergarten gehen?« schlug er ihr vor, nachdem sie das Sträußchen an ihrem Gürtelband befestigt hatte. Natürlich wollte sie.
Nun wanderten sie miteinander zum Brandenburger Tor hinaus, mitten in dem Strom der eleganten, heiteren Spaziergänger. Seit lange, lange fühlte Josepha wieder Jugend und Lebenslust. Das schreckliche Schicksal Karls hatte ja seit Monaten seinen Schatten auf ihr ganzes Leben geworfen. Sie hätte gewiß den Mut gefunden, sich zu freuen, wenn sie es wirklich vermocht hätte. Jetzt aber wuchs wohl das erste Gras auf dem Grabe des Armen, wo immer er auch ausruhen mochte. Die Erinnerung an ihn verblich in dem hellen Frühlingssonnenschein.
Sie erzählte lachend von ihren eroberungssüchtigen Cousinen. Armin hatte sie nie so frei, so heiter gesehen, er lernte sie von einer anderen Seite kennen. Und wie lieblich brach die Heiterkeit hervor aus ihrem sonst ernsten und schüchternen Wesen!
Auch er wurde von dem Frühlingsrausch angesteckt. Er begann sie zu necken, mit ihr zu scherzen, wie er nie bisher gewagt. Wer weiß, wie viel Eroberungen sie schon gemacht, noch machte, sie wollte es nur nicht Wort haben. Aber das war der gefährlichste Typus, die jungen Damen, welche ihre Macht über die Männerherzen verleugneten. Sie kokettiere nur mit den Augen, aber das verstehe sie aus dem Grunde. Nun drückte sie mutwillig die Augen zu und behauptete, so sähe sie doch wohl nicht kokett aus.
Derlei Kindereien trieben sie, und ein drittes, das ihnen zugehört hätte, würde sie wohl recht albern gefunden haben. Aber bekanntlich bedarf die Liebe keiner geistreichen Wendungen, und die beiden liebten einander, ohne es sich selbst einzugestehen. Auch hatten sie heitere Laune und ungebundene Unterhaltung lange genug entbehrt. Es gab ja ein Gespenst im Hause.
So waren sie an die Charlottenburger Chaussee gelangt, von hier links abgegangen und an den großen, von reizvollen, ziemlich einsamen Wegen umsäumten Wasserlauf gelangt. Die Spaziergänger wurden immer spärlicher, das Getöse der großen Fahrstraßen verstummte, hier hörte man die Drosseln schlagen.
Nun wurden die beiden stiller und stiller. Der Frühlingszauber der Natur begann auf die beiden zu wirken. Auch wurde es immer dunkler, und Armin wagte jetzt, Josepha den Arm zu bieten. Errötend nahm sie ihn an, und so schritten sie eine ganze Weile, ohne zu sprechen, weiter. Da auf einmal, ohne daß sie es bemerkten, standen sie vor dem Luisendenkmal.
Die Dunkelheit war nunmehr vollständig hereingebrochen, der Platz war fast ganz einsam. Da stand das hohe Marmorbild, weiß, leuchtend sich von dem dunklen Hintergrunde der Bäume abhebend, und schien ihnen zuzurufen:
»Gedenket!«
Ja, und sie gedachten. Sie gedachten jenes Herbstabends, da sie sich hier zum ersten Male getroffen. Sie glaubte damals Karl zu finden, und sie fand den Fremden, der wie durch eine geheimnisvolle Magie ihr Herz gefangen nahm. Einfältigen Herzens, wie sie war, glaubte sie wirklich an eine Fügung des Himmels. Ja, der gütige Himmel hatte ihr Armin geschickt mit dem Ring und dem letzten Gruß des Verstorbenen. Darum hatte sie sich so vertrauensvoll zu dem neuen Freunde hingeneigt. Ach, und wie sie ihm vertraute!
Und er? Ihm war es wie...