E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Blumenreich Die höchste Instanz
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8496-2313-5
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-8496-2313-5
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neben seinem Hang zur Kriminalliteratur, wie in diesem Werk wieder vortrefflich geschrieben, war Blumenreich vor allem als Mitbegründer des Theaters des Westens bekannt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Bewußtlos war Gerold an jenem Nachmittag in seine Wohnung geschafft worden. Der Arzt, den man ins Kontor gerufen, hatte einen Schlaganfall konstatiert und der von Anfang an Besorgnis erregende Zustand ging in ein schweres Nervenfieber über.
Francis hatte gerade einen Boten an ihre Zofe geschickt und um einen Koffer mit Wäsche und einfachen Kleidern ersucht – sie müsse auf kurze Zeit verreisen – als man den Kranken brachte. Das verständige Mädchen bedachte sich nicht lange und fuhr mit dem Boten dahin, wo man den Koffer erwartete. Sie mußte ihrer Herrin melden, was geschehen war. Und eine Stunde später trat die junge Frau an das Lager ihres Gatten. Er hatte nicht erfahren, daß sie mit ihrem Fortgehen Ernst gemacht – er wußte nichts davon, daß sie zurückgekommen. Der Tod verschattete seinen Blick. –
Eben kam eine barmherzige Schwester, die der Hausarzt hierher beordert. Francis entließ sie bis aus weiteres. Ihre Pflicht war es, dem Kranken ihre Pflege zu widmen.
Und sie saß an seinem Lager tage-, wochenlang, nur in wenigen Nachtstunden sich halbe Ruhe gönnend. Es war ihr eine Wohltat, ganz und gar in ihrer Aufgabe aufzugehen. In dem plötzlich so still gewordenen Hause schien sie sich jetzt zum ersten Male ganz heimisch zu fühlen, weil sie hier notwendig war.
Es tat ihr wehe und wohl zugleich, wenn der Kranke in seinen Fieberträumen nach ihr rief. Kein anderer Name kam über seine immer trockenen Lippen. Aber nach ihr sehnte sich seine halbwache Seele, für sie hatte er die zärtlichsten Koseworte. Dann trat sie hinter das Kopfende des Lagers und legte ihre kühle, leichte Hand auf seine Stirn. Langsam beruhigten sich seine verzerrten Züge und sein heißer Blick winkte ihr, die er nicht sah, rührenden Dank zu. Ein andermal wieder, wenn er wie ein Kind nach ihr schrie, setzte sie sich im Nebenzimmer an den Flügel und spielte ein Notturno von Chopin oder eine Beethovensche Sonate. Das wirkte Wunder auf seinen Zustand. Immer leiser wurden seine Klagerufe, bis sie ganz verstummten. Aber er war nicht etwa eingeschlafen, sondern er starrte mit großen Augen auf jene halboffene Portiere, hinter der Francis spielte. Es schien dann, als ob er mit den Augen hörte. Nicht die Musik selbst schien er zu vernehmen, sondern etwas, das aus ihr sprach, nur zu ihm sprach. Und er fuhr erschreckt zusammen, wenn das Stück zu Ende war.
Wenn je in ihrem Leben, so hatte Francis jetzt Muße, über sich und ihre Lage nachzudenken. Sie verhehlte sich keineswegs, daß sie die Schuld an Gerolds Zustand trug. Aber wenn auch der Leidende sie aufrichtig dauerte – Reue über ihre Haltung empfand sie nicht. Sie hatte nur eines zu bereuen: daß sie mit ihrer Lebensauffassung die Frau dieses Mannes hatte werden können. Dabei unterschätzte sie durchaus nicht seinen Wert. Er hob sich unter tausenden seiner Art heraus, nicht allein durch Bildung und Veranlagung, sondern auch durch sein Taktgefühl, durch eine gewisse stolz-bescheidene Art, wie er seinen Reichtum, seine Stellung, seine Gattin nahm. Aber dieser Mann hatte andere Ehr- und Rechtlichkeitsbegriffe wie sie – darüber kam sie nicht hinweg. Mit dem Recht, an das sie glaubte, gab es keinen Kompromiß. Entweder hielt man es hoch und heilig und folgte ihm blindlings, wie der Soldat seiner Fahne, oder man verdiente nicht, ein Bürger dieses Rechtsstaates zu sein.
Nur in der ersten Zeit nach der Erkrankung waren Nachfragen und Besucher dagewesen. Jetzt, nach kaum drei Wochen, schien der Mann vergessen, der in seinen Kreisen eine allererste Stellung eingenommen hatte. Nun erst zeigte sich so ganz, wie seine vielfachen und glänzenden Beziehungen im Grunde doch nur rein geschäftliche gewesen. Verwandte Gerolds schien es nicht zu geben und die »Freunde« blieben aus, seit man mit ihm kein Geld mehr verdienen konnte. Und in dieser Welt hatte er gelebt – in ihr würde er sich wieder wohl fühlen, wenn er die Krankheit überwände.
Aber eines Tages meldete sich doch jemand, der ihren Pessimismus Lügen strafen sollte – jemand, den sie am allerwenigsten erwartet hätte: Egbert. Er wußte, wie es mit Gerold stand. Nur mit ihr wollte er sprechen. Und auch das war in zwei Minuten getan.
»Ich war beim Fürsten Rothenstein – habe ihn vor den Leuten gewarnt, die nun an Deines Mannes Stelle getreten sind ... Du darfst nicht glauben, daß ich das umsonst getan habe. Nein, dazu steckte ich schon zu tief drin! Ich sagte dem Fürsten die Wahrheit – sagte ihm auch, daß ich um meinen Abschied eingekommen bin, weil Du mich einen Schuft geheißen hast ... Und er hat mich an einen seiner Freunde empfohlen, an den Grafen Kinsky, der ein großes Gestüt in Böhmen besitzt. Dorthin reise ich ab, sobald der blaue Brief kommt. Das war es, was ich Dir sagen wollte.«
Sie streckte ihm die Hand hin und sagte einfach:
»Ich werde es Dir danken, Egbert.«
Nachmittags, als der Kranke eben eingeschlafen war, verschwand Francis auf eine Stunde. Sie war in Moabit gewesen und kam sichtlich zufrieden zurück. Sie war Egbert nichts schuldig geblieben. –
Man hatte den Kranken auf Anordnung des Arztes in sein prächtiges, eigenartiges Arbeitszimmer gebracht, das Raum genug bot, um das Bett aufzustellen. Hierher lachte die Morgensonne, hierher drang auch bei offenem Fenster nicht der Staub von den viel befahrenen Wegen der Grunewaldkolonie. Und noch ein Grund mochte den Arzt geleitet haben. Gerold würde, so hoffte er, hier eher zu vollem Bewußtsein kommen. Denn dieses Zimmer war ein Unikum in seiner Art: es war so recht Gerolds eigenste Schöpfung. Nach Zeichnungen des Architekten der Villa, eines excentrischen Künstlers, der dem Westen Berlins seinen persönlichen Stempel aufgedrückt, hatte Gerold sich eine Zimmerausstattung herstellen lassen, die immer wieder volle Bewunderung erregte.
Tapeten und Möbel, die letztern in ihren Holz- und Polsterteilen, waren in zartestem Reseda gehalten, das sich von einem kostbaren seeblauen Teppich wunderbar abhob. Dem Stile nach einem etwa bäuerlichen Rokoko sich nähernd, zeigte das Mobiliar noch in jedem Stück soviel Eigenart, so viel individuellen Formenreiz, daß dem kranken Manne, sobald sich nur die ersten Spuren von Erkenntnis meldeten, sehr bald das volle Bewußtsein kommen mußte. Zwei Wände waren fast in ihrer ganzen Ausdehnung von einem schön gegliederten Bibliothekaufbau eingenommen. Unglaublich leichte, lichtgrüne Seidenvorhänge verdeckten eine ausgewählte Büchersammlung. Ein Teil dieses ingeniös erfundenen, gewaltigen Eckschrankes war für die Aufbewahrung von Bildern und Mappen eingerichtet. Große, in ihrem hellen, harten Lack wie Spiegelflächen glänzende Platten bargen bewegliche Mappen derart, daß deren Fächer sich auftaten, sobald man die Platte mittelst eines leichten Federdruckes nach außen fallen ließ. Vor jedem der Flügelbauten dieser Bibliothek gab es bequeme Sitzarrangements, runde, lichtgrün glänzende Tischchen mit großen tiefen Polstersesseln. Würdig des Bücherschrankes war der billardgroße Schreibtisch, der mit seiner Schmalseite den mächtigen Pfeiler zwischen zwei Fenstern füllte. Hinter dem Schreibenden wiederum ein kleiner, um seine Mittelaxe drehbarer Bücherbehälter für Nachschlagewerke und mit einer besonderen Abteilung für Zeitungen. Vor sich hatte der hier Arbeitende einen zierlichen, kleine Kassetten tragenden Aufbau, der in seiner Mitte von einer großen, ovalen, venetianischen Scheibe durchbrochen wurde. Nach drüben hin schloß sich an den Schreibtisch eine breite Polsterbank, der an der Wand eine zweite, gleichartige gegenüberstand: das Eisenbahn-Coupé nannte der Konsul diesen reizenden Winkel, in dem manches Millionengeschäft zum Abschluß gekommen war. Außer dem großen Rundtisch inmitten des Raumes gab es auch sonst noch Tische, so einen im Eisenbahn-Coupé, der zugleich einen inhaltreichen Zigarrenschrank abgab. Ein kleines Büffet, wie man es neuerdings in englischen Herrenzimmern findet, eine verlockend schwellende Ottomane, über der ein herrlicher Böcklin hing.
Drüben, vor der Bibliothek, stand jetzt Gerolds Bett, und hier, am Schreibtische, saß zumeist Francis, lesend, sinnend, bis der Kranke ihrer bedurfte.
Außer den Besuchen ihrer Mutter, empfing die junge Frau nur noch den Arzt, der ihr täglich wiederholte, daß sie sich selbst zu Grunde richten würde, wenn sie nicht wenigstens einen Teil der Krankenpflege abtrete. Sie lächelte nur dazu. Das war eine gute Vorschule für die Zukunft, was der Medizinalrat für eine Gefahr hielt. Er konnte ja nicht wissen, wie dringend sie solcher Schule bedurfte für ihr künftiges Leben. Um so besser wußte sie es: sie würde gehen, sobald Gerold außer Gefahr wäre. Und da ihre Mutter diesem, ihrem Entschluß kein Verständnis entgegenbrachte, hatte Francis sich brieflich nach England gewandt, an eine dort reich verheiratete Schulfreundin. Sie war fest entschlossen, eine Stellung anzunehmen, sich ganz und gar auf eigene Füße zu stellen.
Freilich, es gab Stunden, in denen sie...