Bock / Distelmeyer / Schöning | Kellerkinder und Stacheltiere | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: CineGraph

Bock / Distelmeyer / Schöning Kellerkinder und Stacheltiere

Film zwischen Polit-Komödie und Gesellschafts-Satire

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: CineGraph

ISBN: 978-3-96707-520-5
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Im Kino wurde schon immer gelacht. Wann aber der Spaß aufhört und der Ernst beginnt, das haben Filmemacher und Publikum stets aufs Neue ausgelotet.

Das neue CineGraph Buch zeigt, dass sich Kurt Tucholskys Frage "Was darf Satire?" in der Filmgeschichte nicht pauschal mit "Alles" beantworten lässt, sondern die Antwort immer abhängig vom historischen Kontext, insbesondere den jeweiligen Machtstrukturen ist. Anstoß für die satirischen Filmproduktionen gaben gesellschaftliche sowie politische Ereignisse wie der Zweite Weltkrieg, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, der Kalte Krieg, das Wirtschaftswunder, die Entwicklung der Medien oder die kapitalistische Gesellschaft. Das kritisch-unterhaltsame Genre weist ein facettenreiches Spektrum an Filmen auf, von denen einige in den Beiträgen dieses Buches näher betrachtet werden, darunter "Der Maulkorb" (DE 1937/38), "Der Untertan" (DDR 1951), "Animal Farm" (GB 1951–54), die Satire-Serie "Das Stacheltier" (DDR 1953–65), "Wir Wunderkinder" (BRD 1958), "Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" (GB/US 1964) sowie "Er ist wieder da" (DE 2014/15).

Zum Thema des Sammelbandes erschien im November 2019 bereits das cinefest-Katalogbuch "Dr. Seltsam oder: Aus den Wolken kommt das Glück. Film zwischen Polit-Komödie und Gesellschafts-Satire".
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Weitere Infos & Material


- KRITIK, KOMIK UND POLITIK. Gratwanderungen der Politik- und Gesellschaftssatire im Film
- Michael Töteberg: EIN MAULKORB FÜR DEN FÜHRER. Satire im "Dritten Reich": Der Fall Heinrich Spoerl
- Karl Griep: DER UNTERTAN – ROMAN UND FILM
- Heike Klapdor: "MEIN SCHICKSAL IST ROMANTISCH". Der Künstler und die Lächerlichkeit der Autoritäten: "Hin und Her"
- Sandra Nuy: "WER SORGEN HAT, HAT AUCH LIKÖR". Zum Verhältnis von Politik, Film und Satire in den 1950er Jahren
- Frank-Burkhard Habel: VENTIL MIT STACHELN. "Das Stacheltier" – eine satirische Kurzspielfilmreihe der DEFA zwischen 1953 und 1964
- Sigrun Lehnert: GENOSSE MÜNCHHAUSEN, DER AUGENZEUGE UND DER KALTE KRIEG. Satirefilm und Wochenschau als mediale Weggefährten
- Julian Petley: ANIMAL FARM SUBVERTED? George Orwell und die CIA
- Nils Daniel Peiler: DR. MERKWÜRDIGLIEBE ODER: WIE STANLEY KUBRICK LERNTE, DIE SYNCHRONISATION ZU LIEBEN
- Tereza Czesany Dvoøáková: SATIRE VERBOTEN! Satirische Studentenfilme an der FAMU in den 1970er und 1980er Jahren
- Judith Ellenbürger: MIT DEN EIGENEN WAFFEN. Zynismus in der Finanzsatire. Ein Kinobesuch mit Georg Simmel und Diogenes
- Werner C. Barg: MEDIENKRITIK ALS POLITISCHE SATIRE. "Being There" und "Wag the Dog"
- François Danckaert: TRENDIGE HITLER-KOMIK ODER POLITISCHER DENKANSTOSS? Bemerkungen zu David Wnendts "Er ist wieder da"
- Register
- Dank
- Autoren


Karl Griep

DER UNTERTAN – ROMAN UND FILM
Im Jahr 1918 erschien erstmals Heinrich Manns Roman »Der Untertan«, den er bereits im Juli 1914 beendet hatte. Es sollte sein berühmtestes Buch werden, vielleicht neben »Professor Unrat« (1905), das Josef von Sternberg mit DER BLAUE ENGEL (1929/30) bereits in der Weimarer Republik filmisch umgesetzt hatte. Im Jahr 1951 hatte in der DDR ein DEFA-Film Premiere, der Manns Roman adaptierte, DER UNTERTAN von Regisseur und Co-Autor Wolfgang Staudte. Beide Autoren, Heinrich Mann wie Wolfgang Staudte, waren unabhängige Geister, die in ihrer Arbeit und ihrem Leben konsequent vertraten, was sie meinten, sich und der Gesellschaft ihrer Zeit schuldig zu sein. Heinrich Mann, geboren 1871, kritisierte die wilhelminische Gesellschaft, bekannte sich nach dem Ersten Weltkrieg ausdrücklich und engagiert zur Weimarer Demokratie. Er war einer der prominentesten Vertreter der expressionistischen Literatur, 1931 wurde er Präsident der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Seine Bücher brannten am 10.5.1933. Im August 1933 wurde er aus dem nationalsozialistischen Deutschland ausgebürgert, bis 1940 konnte er in Südfrankreich bleiben. Danach musste er über Spanien und Portugal in die USA fliehen. Dort, in Santa Monica, verstarb er 1950, kurz nachdem er 1949 zum Präsidenten der ost-berliner Deutschen Akademie der Künste gewählt worden war. Seine Urne wurde 1961 in die DDR überführt und nach einem Festakt in der Akademie der Künste in einem Ehrengrab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt. Wolfgang Staudte, geboren 1906, kam Anfang der 1930er Jahre zum Film, er war die Stimme von Franz Kemmerich in der deutschen Synchronfassung von ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (1929/30, Lewis Milestone, IM WESTEN NICHTS NEUES). Dieser Film soll Staudte sehr geprägt haben. 1933 wurde ihm wegen »progressiver Betätigung« die Arbeitserlaubnis als Schauspieler entzogen, er arbeitete dann als Synchronsprecher und Rundfunksprecher von Märchen und Werbesendungen. Ab 1935 bekam er die Chance, Werbefilme zu drehen. In den 1930er Jahren war er mit über 30 Filmen gut beschäftigt. Er war auch wieder Schauspieler, neben Filmen der leichten Unterhaltung auch in Karl Ritters POUR LE MÉRITE (1938) und Veit Harlans JUD SÜSS (1940), ein Umstand, der ihn Zeit seines Lebens sehr belastet haben soll. Für die Tobis Filmkunst inszenierte er nach zwei internen kurzen »Studio-Filmen« ab 1942 mehrere unterhaltsame Spielfilme. Doch sein dritter Film, die anti-bürokratische Satire DER MANN, DEM MAN DEN NAMEN STAHL, wurde Anfang 1945 verboten. Dennoch bestand Heinrich George darauf, dass Staudte bei seinem Film FRAU ÜBER BORD Regie führte, nur dies verhinderte Staudtes Abkommandierung zur Front. Das Kriegsende erlebte Staudte im Volkssturm. 1945 war er im Auftrag des sowjetischen Filmverleihs für die deutsche Synchronfassung von IVAN GROZNYJ (1943/44, Sergej Eisenstein, IWAN, DER SCHRECKLICHE) verantwortlich. Nach vergeblichen Versuchen bei den westlichen Besatzungsmächten überzeugte er den sowjetischen Kulturoffizier Alexander L. Dymschitz (Dymšic), sein Projekt DIE MÖRDER SIND UNTER UNS! zu fördern. Staudte wurde zu Vorgesprächen der DEFA-Gründung hinzugezogen, arbeitete aber auch in den Westzonen. Seine Filme DIE MÖRDER SIND UNTER UNS! (1946), ROTATION (1948/49), DER UNTERTAN (1951) – alle für die DEFA – sowie ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (1959 für Kurt Ulrich Film GmbH, Berlin/West) entstanden innerhalb von wenigen Jahren in zwei deutschen Staaten und finden sich seit 1995 auf der Liste der 100 wichtigsten deutschen Kinofilme, die vom Deutschen Kinematheksverbund durch eine Umfrage bei Hunderten Filmkritikern und anderen Filmfachleuten ermittelt wurde.1 Seine Filmografie umfasst ebenso viele Fernseh- wie Kinoarbeiten. 1984 starb er bei Dreharbeiten im Ausland, seine Asche wurde der Nordsee übergeben. Mit dem in den USA lebenden Heinrich Mann hatte die DEFA über die Rechte von »Der Untertan« erfolgreich verhandelt. Ein anderes Projekt der DEFA war die Verfilmung des Romans »Das Beil von Wandsbek« von Arnold Zweig. Falk Harnack bat am 3.8.1950 den DEFA-Vorstand, diesen Film als sein Regiedebüt übernehmen zu dürfen, dem wurde stattgegeben. Staudte hatte an dem Drehbuch gearbeitet und war für die Regie ursprünglich vorgesehen gewesen, er interessierte sich aber auch sehr stark für »Der Untertan«. In der Nachfolge seiner Filme DIE MÖRDER SIND UNTER UNS! und ROTATION – beide gegen Krieg, Willkür und Militarismus argumentierend – wollte Staudte den Roman verfilmen, mit dem Mann schon vor dem Ersten Weltkrieg den preußischen Untertanengeist gegeißelt hatte. Albert Wilkening formulierte, Harnack und Staudte hätten sich in einem Gentlemen Agreement über die Aufteilung der Projekte geeinigt.2 Zusammen mit seinem Vater Fritz entwickelte Staudte das Drehbuch. Die visuelle Umsetzung wurde wesentlich durch den Kameramann Robert Baberske mitbestimmt. Darüber hinaus war die Wahl des Hauptdarstellers, Werner Peters, ein für die Überzeugungskraft des Films überaus positiver Faktor. Staudte lag daran, eine schlüssige Geschichte in der Nachfolge Manns zu schaffen und dennoch die notwendige Verdichtung zu vollziehen, um aus dem in der Erstauflage 529 Seiten starken Buch einen 108-minütigen Film zu machen. Bei der Beschreibung der Varianz der Mittel des filmischen Konzepts Vollständigkeit anstreben zu wollen, wäre vermessen. Aber eine Auswahl von Beispielen aus beiden Werken, dem Roman von Heinrich Mann und dem Film von Staudte, sollte hinreichen, um Gemeinsamkeiten in Auffassungen und Methoden, aber auch die Unterschiede darzustellen, begründet auch durch die unterschiedliche historische Situation während der jeweiligen Entstehung. Als Einstieg in das Thema von Buch und Film ist kaum etwas geeigneter als die Buch-Rezension von Kurt Tucholsky vom März 1919 in Die Weltbühne:3 »Dieses Buch Heinrich Manns, heute, gottseidank, in aller Hände, ist das Herbarium des deutschen Mannes. Hier ist er ganz: in seiner Sucht, zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Roheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolganbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit. Leider: es ist der deutsche Mann schlechthin gewesen; wer anders war, hatte nichts zu sagen, hieß Vaterlandsverräter und war kaiserlicherseits angewiesen, den Staub des Landes von den Pantoffeln zu schütteln. Das Erstaunlichste an dem Buch ist sicherlich die Vorbemerkung: ›Der Roman wurde abgeschlossen Anfang Juli 1914.‹ […] überraschend ist die Sehergabe, so haarscharf ist das Urteil, bestätigt von der Geschichte [… Die] Parallele mit dem Staatsoberhaupt [dem Kaiser] ist erstaunlich durchgearbeitet. Diederich Heßling gebraucht nicht nur dieselben Tropen und Ausdrücke, wenn er redet wie sein kaiserliches Vorbild – am lustigsten einmal in der Antrittsrede zu den Arbeitern (›Leute! Da ihr meine Untergebenen seid, will ich euch nur sagen, daß hier künftig forsch gearbeitet wird.‹ Und: ›Mein Kurs ist der richtige, ich führe euch herrlichen Tagen entgegen.‹) [… Zwei] Charaktereigenschaften sind an Heßling, sind am Deutschen auf das subtilste ausgebildet: sklavisches Unterordnungsgefühl und sklavisches Herrschaftsgelüst. Er braucht Gewalten, Gewalten, denen er sich beugt, wie der Naturmensch vor dem Gewitter, Gewalten, die er selbst zu erringen sucht, um andere zu ducken. […] Und noch eins scheint mir in diesem Werk, das auch noch die kleinen und kleinsten Züge der Hurramiene mit dem aufgebürsteten Katerschnurrbart eingefangen hat, auf das glücklichste dargestellt zu sein; das Rätsel der Kollektivität. […] Neuteutonen und Soldaten und Juristen und schließlich Deutsche – es sind alles Kollektivitäten, die den einzelnen von jeder Verantwortung frei machen, und denen anzugehören Ruhm und Ehre einbringt, Achtung erheischt und kein Verdienst beansprucht. Man ist es eben, und damit fertig.« Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Heinrich Mann beginnt seinen Roman mit einer Charakterisierung Diederich Heßlings, von der Staudte den ersten Satz und eine Reihe weiterer Zitate wörtlich übernimmt:4 »Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt. Ungern verließ er im Winter die warme Stube, im Sommer den engen Garten, der nach den Lumpen der Papierfabrik roch und über dessen Goldregen- und Fliederbäumen das hölzerne Fachwerk der alten Häuser stand. Wenn Diederich vom Märchenbuch, dem geliebten Märchenbuch, aufsah, erschrak er manchmal sehr. Neben ihm auf der Bank hatte ganz deutlich eine Kröte gesessen, halb so groß wie er selbst! Oder an der Mauer dort drüben stak bis zum Bauch in der Erde ein Gnom und schielte her! Fürchterlicher als Gnom und Kröte war der Vater, und obendrein sollte man ihn lieben. Diederich liebte ihn. Wenn er genascht oder gelogen hatte, drückte er sich so lange schmatzend und scheu wedelnd am Schreibpult umher, bis Herr Heßling etwas merkte und den Stock von der Wand nahm. Jede nicht herausgekommene Untat mischte in Diederichs Ergebenheit und Vertrauen einen Zweifel. Als der Vater einmal mit seinem invaliden Bein die Treppe herunterfiel, klatschte der Sohn wie toll in die Hände – worauf er weglief. Kam er nach einer Abstrafung mit gedunsenem Gesicht und unter Geheul an der Werkstätte vorbei, dann lachten die Arbeiter. Sofort aber streckte Diederich nach ihnen die Zunge aus und stampfte. Er war sich...


Distelmeyer, Jan
Jan Distelmeyer ist Filmwissenschaftler und seit 2002 Lehrbeauftragter der Universität Hamburg und Mitarbeiter von CineGraph, seit 2003 Mitarbeiter beim Deutschen Filminstitut – DIF.

Bock, Hans-Michael
Hans-Michael Bock ist Mitglied im Vorstand des Institut CineGraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung e. V. Publikationen zur deutschen und internationalen Filmgeschichte.

Schöning, Jörg
Jörg Schöning ist Mitarbeiter der internationalen Filmfestspiele Berlin und der Nordischen Filmtage Lübeck.

Hans-Michael Bock ist Mitglied im Vorstand des Institut CineGraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung e. V. Publikationen zur deutschen und internationalen Filmgeschichte.
Jan Distelmeyer ist Filmwissenschaftler und seit 2002 Lehrbeauftragter der Universität Hamburg und Mitarbeiter von CineGraph , seit 2003 Mitarbeiter beim Deutschen Filminstitut – DIF.
Jörg Schöning ist Mitarbeiter der internationalen Filmfestspiele Berlin und der Nordischen Filmtage Lübeck.


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