E-Book, Deutsch, 92 Seiten
Bock / Reimann / Jakobs Mehr Beteiligung wagen - Evaluation des Modellprojekts Strukturierte Bürgerbeteiligung
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7460-8358-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Abschlussbericht
E-Book, Deutsch, 92 Seiten
ISBN: 978-3-7460-8358-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Potsdamer Schriftenreihe Bürgerbeteiligung - ein Streitfeld zwischen Regierungskunst und Basisaktivierung beschäftigt sich mit aktuellen, praktischen sowie theoretischen Fragen der Bürgerbeteiligung und Partizipation im kommunalen Rahmen. Im vierten Band der Reihe des Potsdamer Modellprojekts für Bürgerbeteiligung stellen die Wissenschaftlerinnen des Deutschen Instituts für Urbanistik DIfU, Stephanie Bock und Bettina Reimann, den Abschlussbericht vor. Dieser beschäftigt sich mit der Evaluation der Strukturierten Bürgerbeteiligung von 2013 bis 2016. Die Evaluation konzentrierte sich auf folgende Themen: - Rahmenbedingungen, Entstehungsgeschichte und Auftakt des Modellprojekts, - Strukturen und Organisation, - Ziele und Inhalte, - Prozesse und Zusammenarbeit sowie - Handlungsempfehlungen. Die begleitende und dialogische Evaluation verfolgte den Ansatz, die Theorie und die Praxis miteinander zu verbinden. Die Auswertungen und der Zwischenbericht aus dem Jahr 2015 führten schon während des laufenden Projekts zu Verbesserungen in der Zusammenarbeit, der zweiteiligen Struktur der WerkStadt für Beteiligung - internes und externes Büro - und des Beteiligungsrates. Die Ergebnisse und Empfehlungen des Abschlussberichts helfen bei der Etablierung und Verfestigung der Bürgerbeteiligung als dauerhaftes kommunales Handlungsfeld in der Landeshauptstadt Potsdam.
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2. Strukturierte Bürgerbeteiligung: Ein Blick in Wissenschaft und Praxis
Die Entwicklung und Umsetzung einer strukturierten Form von Bürgerbeteiligung wissenschaftlich zu begleiten, zu analysieren und zu bewerten, setzt eine Einordnung des Modellvorhabens in die vorhandene Praxis der kommunalen Bürgerbeteiligung und in bereits vorliegende Forschungsergebnisse voraus. Im Folgenden werden zunächst in einem knappen Überblick Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis zu Formen der strukturierten Beteiligung in den Städten und Gemeinden vorgestellt. Von Inseln der Beteiligung zur Beteiligungskultur Die Geschichte der Bürgerbeteiligung in den Kommunen ist bewegt und lang, sie soll an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden. Festgehalten werden kann, dass Bürgerbeteiligung an Projekten und Prozessen der Stadt- und Gemeindeentwicklung seit vielen Jahren umgesetzt wird und langjährige Erfahrungen vorliegen. Nicht nur im Rahmen formeller, d.h. gesetzlich verankerter und vorgeschriebener Beteiligung, sondern auch und gerade in der breiten Palette freiwilliger und informeller Verfahren werden Beteiligungsmöglichkeiten angeboten. Frühzeitige Beteiligung, kreativer Methodeneinsatz und transparente Planungsprozesse sind projektbezogen mehr oder weniger Standard, insbesondere bei Entwicklungs- und Beteiligungsprozessen im Quartier (vgl. Deutsches Institut für Urbanistik 2007; 2003; 2002). Beteiligung ist selbstverständlicher Bestandteil der verschiedenen Planungsverfahren; Dialoge zu Konzepten und Leitbildern stehen vielerorts auf der Tagesordnung und in zahlreichen Städten wird die Erarbeitung integrierter Stadtentwicklungskonzepte von intensiven Partizipationsprozesse begleitet. Informelle Methoden wie Zukunftswerkstätten, Workshops oder Planungszellen gehören zu einem „guten“ Planungsprozess und dienen der Vorbereitung weitreichender und strategischer Entscheidungen – insbesondere über für die Stadtentwicklung bedeutsame Projekte. Kommunale Erfahrungen mit Bürgerinformation und Bürgerbeteiligung liegen entsprechend vielfältig und fundiert vor.1 Aber selbst „in Städten, die seit Jahren für ihre Best Practices bekannt sind, findet sich das Phänomen der auf (zeitliche, sachliche, räumliche, institutionelle und personelle) „Inseln“ begrenzten Teilhabepraxis. Daran haben auch die umfassenden Bemühungen um Verwaltungsmodernisierung und Bürgerorientierung nichts Wesentliches ändern können“ (Selle 2007; S. 66). Die durchaus engagierten und guten Aktivitäten einzelner Verwaltungsressorts werden nur selten verwaltungsübergreifend abgestimmt und koordiniert, so dass die Ansätze bislang zumeist unverbunden nebeneinanderstehen und auch nicht immer den relevanten Fachabteilungen bekannt sind (vgl. Beckmann et.al. 2013; Bock et.al. 2013). Bürger/innen machen die Erfahrung, dass „ihre Stadt“ selten mit einer Stimme spricht, dass eine Abteilung oft nicht weiß, was die andere macht und dass die Suche nach dem richtigen Ansprechpartner oder der Zuständigen innerhalb der Kommunalverwaltung kompliziert ist. Was in einem Beteiligungsprozess durchaus gute und selbstverständliche Praxis sein kann, muss in einem anderen oft mühsam erstritten werden, während zu einem weiteren Vorhaben beispielsweise gar keine Beteiligung vorgesehen ist. Beteiligung gleicht in vielen Städten einem bunten, beinahe zufällig zusammengesetzten Mosaik, in dem Wegweiser fehlen und der Überblick nur schwer herzustellen ist. Von einer umfassenden guten Praxis und einer bundesweit verbreiteten neuen Beteiligungskultur kann, so auch die Ergebnisse einer Untersuchung des Difu (vgl. Bock et.al. 2013), deshalb – zumindest bisher – nicht gesprochen werden. Die Beteiligungspraxis in einzelnen Projekten beantwortet die Forderungen der engagierten Stadtgesellschaft nach transparenter und verbindlicher Mitsprache und -gestaltung nur unzureichend. Die Rufe nach mehr Mitwirkung und einer grundlegenderen Veränderung der Beteiligung können, so zeigen es aktuelle Studien, nicht alleine mit einem erweiterten und verbesserten Angebot an erprobten projektbezogenen Beteiligungsformaten, mit weiteren Einladungen zu Dialog und Austausch sowie mit den zahlreich erschienenen Handreichungen und Leitfäden gelöst werden (vgl. u.a. Bertelsmann-Stiftung 2008a; 2008b; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2012; Stadt Filderstadt o.J.; Stadt Regensburg o.J.). Die Welle des Unmutes, die steigende Unzufriedenheit, aber auch die Abkehr von Mitwirkungsangeboten und das wachsende Desinteresse werden ohne eine tiefergehende kritische Auseinandersetzung mit den bewährten Formen der Mitwirkung und ihrer Weiterentwicklung nicht abebben. Forderungen nach frühzeitiger und umfassender Information und Einbindung, nach niedrigschwelligen und interaktiven Beteiligungsformaten gehen mit dem Anspruch an eine ergebnisoffene Beteiligung und Planungspraxis einher. Beteiligung soll Räume eröffnen für die Entwicklung von Lösungen und Entscheidungsmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Handlungsalternativen. Wenn dies nicht der Fall ist, Planungen bereits feststehen und einmal getroffene Entscheidungen nicht mehr revidierbar sind, reagieren die Akteure der Stadtgesellschaft zunehmend kritisch auf vermeintliche Beteiligungsangebote. Das Diskussionsklima wird angespannter, Kommunikationsblockaden entstehen und die Zahl der Konflikt behafteten Projekte wächst. Nur substanziellere Veränderungen in der Kommunikation und den Möglichkeiten der Mitwirkung werden diese verfahrene Situation auflösen können. Politikverdrossenheit bei gleichzeitigem Interesse an der Mitwirkung: zwei Seiten kommunaler Beteiligung Repräsentativ angelegte Studien zeigen, dass eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung (81 Prozent) sich mehr Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten im politischen Prozess wünscht. 60 Prozent der Befragten sind bereit, in Form von Bürgerbegehren, Diskussionsforen oder Anhörungen aktiv an der Entscheidungsfindung mitzuwirken (vgl. Bertelsmann Stiftung 2011). Allerdings erklärt nur jeder Zehnte, bereits an solchen direkten Verfahren teilgenommen zu haben. Ausgeprägt ist das Interesse der Bürgerschaft an großen Infrastrukturmaßnahmen wie etwa Bauprojekten: 68 Prozent der Bürger würden bei derartigen Projekten gern mitentscheiden. Der erklärte Wunsch und das Interesse von Bürger/ innen, sich stärker in die lokalen Politik- und Planungsprozesse einbringen zu wollen, scheint somit nicht ganz zu dem gleichzeitig beobachteten Rückgang der Wahlbeteiligung und dem sinkenden Interesse an einer Mitarbeit in politischen Parteien – beides diskutiert unter der Überschrift der Politikverdrossenheit – zu passen. Erkennbar ist ein (vermeintlicher) Widerspruch zwischen der wachsenden Unzufriedenheit der Bürger/innen mit den etablierten Formen politischer Teilhabe auf der einen Seite und, auf der andern Seite, einer verstärkten Bereitschaft der Menschen, sich für die eigene Nachbarschaft und die eigene Stadt einzusetzen und für konkrete Projekte zu kämpfen. Strukturierte Bürgerbeteiligung: Ansätze und Formen Wirft man einen etwas genaueren Blick in die aktuellen Veröffentlichungen zum Thema kommunale Bürgerbeteiligung und betrachtet zudem die weitgefächerte Beteiligungspraxis vor Ort, werden nicht nur deutliche Unterschiede zwischen den Ansätzen und Intensionen der jeweiligen Beteiligung sichtbar, sondern es zeigt sich auch, dass mit dem – auch in Potsdam gewählten – Begriff der strukturierte Bürgerbeteiligung an eine aktuelle Diskussion zur Erneuerung von Partizipation angeknüpft wird. Strukturierte Bürgerbeteiligung soll die bisherige Praxis der „Inseln guter Beteiligung“ in den Kommunen um einen systematisierenden Ansatz erweitern. Mit diesem Ansatz soll gleichzeitig die beobachtbare Distanz vieler Menschen zum Handeln von Kommunalverwaltung und -politik aufgegriffen und zu einer neuen Kommunikation eingeladen werden. Im Folgenden sollen diese Ansätze und Kriterien strukturierter Beteiligung skizziert werden, um den Ansatz der „Strukturierten Bürgerbeteiligung in Potsdam“ in den weiteren Ausführungen einordnen zu können. Mit der Bezeichnung „Strukturierte Bürgerbeteiligung“ wird für die Potsdamer Bürgerbeteiligung hervorgehoben, dass es sich nicht um ein einzelnes Projekt handelt, sondern um eine breiter und strukturiert angelegte Maßnahme. Strukturiert lässt an Regeln, Konzepte, Systeme und Organisation denken. Strukturierte Bürgerbeteiligung ist durch diese Ergänzung mehr als die Addition von (guten) Beteiligungsprojekten und verweist auf einen systematischen Aufbau und eine verbindliche Struktur der Bürgerbeteiligung in einer Stadt als Ganzes. Damit steht der Potsdamer Ansatz in einer direkten Verbindung zu einer Reihe anderer aktueller Formen der Beteiligung, die unter Begriffen wie Kommunale Leitlinien Bürgerbeteiligung (vgl. Fuhrmann, Brunn 2016), institutionalisierte Bürgerbeteiligung (Wiesemann 2016), systematische Bürgerbeteiligung (Klages 2015) oder Beteiligungskultur (Beckmann et.al. 2013; Bock/Beckmann 2012; Reimann 2012; Roth 2016) firmieren....