E-Book, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 136 mm x 215 mm
Böhm Der verborgene Gast
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-95669-169-0
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 136 mm x 215 mm
ISBN: 978-3-95669-169-0
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Böhm, der im Ruhestand in der Nähe von München lebt, schreibt seit seiner Jugend-zeit. Der erste Teil seiner »Petermann«-Trilogie mit dem Titel »Herrn Petermanns unbedingter Wunsch nach Ruhe« wurde 2014 für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert, im Jahr 2016 er-hielt er die begehrte Auszeichnung für den zweiten Band »Herr Petermann und das Tripty-chon des Todes«. Mit »Quo vadis, Herr Petermann?« schloss Michael Böhm die Reihe im sel-ben Jahr ab. 2018 kooperierte er mit Dieter Hentzschel für den gemeinsamen Kriminalroman »Dinner mit Elch« und widmete sich dann »Träume am Ende des Weges«, einer zauberhaften Galerie gro-ßer Persönlichkeiten. Im Jahr 2020 kehrte er dann mit seinen kriminologischen Gesellschaftsporträts »Die zornigen Augen der Wahrheit« und »Mein Freund Sisyphos« zum Spannungsgenre zurück.
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Der verborgene Gast – Mona
Wie ging es mir schlecht, damals, nach deinem Tod, der für mich so unbegreiflich war, Mona. Total durcheinander stand ich nicht nur einmal neben mir, ich vervielfältigte mich in meiner zügellosen Hysterie. Ich wusste nicht mehr, ob das, was ich wahrnahm, dachte oder mir vorstellte, überhaupt real, oder doch eher das wirre Spiegelbild meines völlig durcheinandergeratenen Geistes war.
Mit einem leichten Schwindelgefühl fing es jedes Mal an, dachte ich an dich. Zunächst nahm ich das nicht richtig wahr, danach nicht richtig ernst. Heimtückisch leise griff diese Verwirrung auf Samtpfötchen an. Ich hatte Angst, diese Unordnung im Kopf könnte so stark werden, dass sie mich plötzlich über die Grenze der Vernunft schieben würde.
Ich musste durchatmen, ruhiger werden, Struktur in mein wirres Gestammel bringen; ich merkte es.
Als Schriftsteller habe ich einen Bekanntheitsgrad, der es mir erlaubt, von meinem Schreiben gut zu leben, und der mir Gelegenheit gibt, immer wieder kreuz und quer durch unser Land zu reisen, um ein neues Buch dem Publikum vorzustellen. Das ist für mich eine willkommene Möglichkeit, mit meinen Lesern in Kontakt zu treten. Und so habe ich dich, Mona, kennengelernt.
Der Verlag brachte meinen ersten Roman in einer neuen, überarbeiteten Auflage heraus und damit war ich auf Lesereise.
Ach, Mona, ich sehe dich auf einmal vor mir, so lebendig, als könnte ich dich mit meinen Händen greifen.
Mona, du bist mir vor allem durch die Modulation und die Klangfarbe deiner Stimme aufgefallen, als du nach der Lesung die intelligentesten Fragen gestellt hast. Im Vorraum bleiben wir stehen und unterhalten uns – du tust mir flüsternd kund, alle meine Bücher gelesen zu haben –, bis der Veranstalter drängt, mit dem noch ein Beisammensein vereinbart ist. Spontan lade ich dich ein, mitzukommen. Noch an diesem Abend erfahre ich, du bist Studienrätin am örtlichen Gymnasium. In der kleinen Gruppe am Tisch ist es nicht möglich, mit dir weiter über mein Schreiben zu sprechen. Später in der Nacht begleitete ich dich bis zu deinem Haus, das im gleichen Viertel wie deine Schule liegt, die du mir im Vorübergehen gezeigt hast. Auch mein Hotel ist nur ein paar Minuten entfernt. In dieser Stadt ist kein Weg wirklich weit. Erst nachdem wir uns die Hand gereicht haben, bittest du mich um meine E-Mail-Adresse. Natürlich unwissend, was sich daraus entwickeln würde, gebe ich dir meine Karte.
Ich habe die kurze Begegnung mit dir schon aus meinem Gedächtnis verloren, da meldest du dich. Nicht mit einer Mail, du rufst an. Ich erkenne sofort deine Stimme, Mona, noch bevor du deinen Namen nennst. Warum vermag ich mich nicht zusammenzureißen, frage ich mich später, nur für diesen kurzen Anruf? Alles wäre anders gekommen, bin ich mir sicher. Aber nein, ich muss mir Luft verschaffen, sprudle in schnellen Sätzen meine schlechte Stimmung heraus, die ich dir mit Problemen erkläre, die ich mit meinem neuen Roman habe.
Du lachst dein dunkles Lachen, bringst mich völlig aus dem Konzept.
»Komm«, sagst du, »wir gehen wandern. Das hilft immer, pustet nämlich den Kopf durch.«
Wo, Mona?
Schon hast du das Netz ausgeworfen, in dem ich mich verfangen werde.
Du verrätst mir am Telefon nicht, wo wir zusammen wandern werden, nennst mir einen Bahnhof – eine Station vor deiner Stadt –, den Tag und die Stunde. Und dann sagst du zum ersten Mal Ernest zu mir.
Ernest?
Dunkles Lachen. »Hast ihn doch sicher gelesen, deinen berühmten amerikanischen Kollegen, oder?«
Also gut, Mona, wandern wir.
Mir hat unser kurzes Gespräch geholfen, bin nicht mehr allein auf mein geistiges Hemmnis fixiert, kann es, siehe da, auf einmal mit leichter Hand lösen.
Auf der Autobahn, unterwegs zu unserem Treffen, beschäftigt mich die Frage, ob sich hinter dem Wort »wandern« ein unbekanntes Terrain verbergen könnte. Weshalb treffen wir uns nicht im oder zumindest vor dem Haus, das du mir in der Nacht als deines gezeigt hast? Lauert da ein Geheimnis, Mona? Bist du vielleicht verheiratet? Ist das der Grund, dass ich eine frühere Ausfahrt nehme, um zur vereinbarten Bahnstation zu kommen? Wen versteckst du, Mona, dich oder mich, uns beide? Droht da nicht eine Prise Gift bereits im Anfang, der nicht einmal gemacht ist?
Ich lasse den Wagen auf den Kurzzeitparkplatz vor dem alten Bahnhofsgebäude rollen. Du wartest schon auf mich, steigst ein, wirfst mir ein Lächeln aus deinen Katzenaugen zu, das Steine erweichen könnte, streichst mit deiner Hand kurz über meine am Lenkrad. In mir steigt eine bittersüße Wärme auf und auch die Frage nach dieser Geste, einer Nähe ohne Grundlage. Oder ein Versprechen, wie ich später vermuten werde.
Wir fahren aus dem Tal hinaus, die Straßen werden steil. Das Wetter präsentiert sich prächtig, ein Frühlingstag aus dem Reiseprospekt, ganz für eine Wanderung gemacht: Sonne, die Berge mit den Schneekappen vor uns, nicht zu warm, ein schwacher Wind.
Der Wald liegt hinter uns, du weist mich zum Wanderparkplatz, der links der Straße liegt.
Ich ziehe die Wanderschuhe an, setze den Rucksack mit dem Proviant auf, schaue mich um. Wir stehen wie auf einem Balkon, sehen hinunter ins Tal, Spielzeuglandschaft, und zu den zum Greifen nahen graublauen Steinriesen. Weit im Bild rechts, gerade noch zu sehen auf einem bewaldeten Felsvorsprung, die Burgruine, unser Ziel, wie du mir gesagt hast.
Wir marschieren los und es zeigt sich, dass der Weg dir nicht fremd ist. Ich folge ihm mit den Augen und meine Ohren deinen Worten. Vor dem steilen Anstieg zur Burg stecken wir mitten in einer lebhaften Diskussion, die vor den Resten des Zugangs versickert. Im Burghof verlässt du meine Seite, bist mir leicht voran, bewegst dich sportlich, geschmeidig, schön anzusehen. Meine Augen saugen sich an dir fest, meine Fantasie beginnt zu gaukeln. Unerwartet schaust du zurück. Mit einem einfältigen Lächeln sehe ich dich an. Ahnst du, was in meinem Kopf vorgeht?
Dann sitzen wir auf der Burgmauer, schauen in der Weite spazieren, genießen die Ruhe, lauschen der Natur, schweigen zusammen.
Es ist eine schöne Stunde auf der Mauer der Ruine, die mir als völlig unbeschwert im Gedächtnis bleiben wird.
Dann küsst du mich zum ersten Mal. Du nimmst meinen Kopf zwischen deine Hände, legst deine Lippen leicht auf die meinen und lässt deine Zunge spielen.
Was war das für ein Kuss, frage ich mich noch heute?
Spätestens nach dieser Szene hätten alle meine Alarmglocken anschlagen müssen. Obwohl ich mich kenne, will ich die latente Gefahr nicht wahrnehmen. Du wirst mich dir unterwerfen, mich zu deinem gehorsamen Sklaven machen und dein geheimnisvolles Spiel spielen, Mona, zu dem ich die Karten liefere. Ich werde diese Sinnenlust aufregend finden, erregend, diese Art von offener Leidenschaft habe ich noch nicht erlebt.
Später, zurück am Parkplatz, zeigen mir deine Finger und deine begleitenden Worte den Weg in ein Tal zwischen bewaldeten Höhen. Eine schmale Straße, nur ein besserer Weg, führt von der Landstraße ab. Schließlich eine Auffahrt und gleich darauf rollen wir vor eine alte Berghütte, eher eine Landvilla.
Ich sehe dich an, frage mit den Augen, bekomme von dir keine Antwort. Du steigst aus, gehst zum Haus und ich folge dir. Du schließt die dunkle Holztür mit dem aufgemalten Wappen auf und wir betreten das Haus, du voran. Im Flur und im nachfolgenden Wohnraum machst du Licht, lässt mir Zeit, mich umzuschauen.
Nahe dem Kamin stehst du vor mir, küsst sanft meine Lippen und fragst mit unschuldigen Augen, ob ich mit dir duschen wolle.
Was stellst du nur für Fragen?
Deine Schönheit, die sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hat, werde ich stets vor Augen haben, wenn ich an dich denke. So wie dich, Mona, so sollte man sich eine griechische Göttin vorstellen, wie von einem begnadeten Bildhauer geschaffen, wie in Museen zu bewundern, alle Formen in Vollendung.
Eine herrliche Ewigkeit später sitzen wir, in weiße Bademäntel gehüllt, am Tisch seitlich des Kamins und trinken Tee. Weißen Tee.
Das Haus, das Grundstück mit Wald, gehört deinem Bruder, den ich nicht kennenlernen werde. Du hast mir nicht einmal verraten, wie dein Bruder heißt und wo er lebt. Heute frage ich mich, gibt es ihn überhaupt?
Wir gehen nach oben und nach den ersten Stufen lässt du den Bademantel über die Schulter auf die Treppenstufen gleiten, schreitest, als wäre nichts, weiter hinauf. Ich sehe ungläubig, wohl mit offenem Mund, dieser wunderschönen Nackten nach. Du winkst mir mit dem Zeigefinger und ich folge nur zu gerne.
Zum Abend – durch die geschlossenen Läden herrscht bei uns von Anfang an die Nacht – schmausen wir feine Sachen, die du in einer schwarzen Tasche mitgebracht hast: Tomaten, Mozzarella, Oliven, Tiroler Speck, Baguette, trinken Rotwein dazu.
Wir hören Musik. Du liebst die Madrigale von Monteverdi. Ich sage dir, dass ich Richard Wagner verehre.
Nach dem...




