E-Book, Deutsch, Band 2, 300 Seiten
Böhm Die Archive der Seelenwächter 2 - Der geheime Akkord
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-910712-74-4
Verlag: Arkani Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 300 Seiten
Reihe: Die Archive der Seelenwächter
ISBN: 978-3-910712-74-4
Verlag: Arkani Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nicole Böhm wurde 1974 in Germersheim geboren. Sie reiste mit 20 Jahren nach Phoenix, Arizona, um Zeichen- und Schauspielunterricht am Glendale Community College zu nehmen. Es folgte eine Ausbildung an der American Musical and Dramatic Academy in New York, bei der sie ihre Schauspielkenntnisse vertiefte. Das Gelernte setzt sie heute ein, um ihre Charaktere zu entwickeln. Sie lebte insgesamt drei Jahre in Amerika und bereiste diverse Städte in den USA und Kanada, die nun als Schauplätze ihrer Geschichte dienen.
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1. Kapitel
»«
Andrew sah auf den Brief, den Gareth ihm geschrieben hatte. Sein ehemaliger Diener. Sein Freund. Sein Vertrauter. Gestorben vor fast vierhundert Jahren.
Wer hätte je gedacht, dass sie unter diesen komischen Umständen wieder voneinander hören sollten? Andrew in einem Körper, der nicht mehr der seine war, in einer Zeit, die seiner eigenen weit vorausgeschritten war – und Gareth schon lange tot, aber nicht vergessen. Dafür hatte er sich hier in Frankreich ein kleines Imperium geschaffen. Andrew war extra von Kanada nach Annecy gereist und auf die Familie Girard gestoßen. Die Nachfahren Gareths, die über all die Jahre sein Erbe aufrechterhalten hatten und Andrew nun daran teilhaben ließen.
So wie Andrew einen Weg ins Leben gefunden hatte, hatte auch Gareth seine Mittel eingesetzt, um nicht vergessen zu werden. Er hatte in der Nähe von Annecy ein beeindruckendes Heim geschaffen und durch seine Nachfahren einen eigenen kleinen Geheimbund gegründet. Und Gareths Familie hatte all diese Zeit gewartet, bis Andrew zurückkehren würde. Sie war ihm nach wie vor treu ergeben; nach wie vor bereit, alles für ihn zu tun.
Er blickte zu Mary-Ann auf. Sie hatte ihn vorhin in Empfang genommen und ihn bis in den Salon begleitet. In dem antiken Ambiente des Raumes wirkte sie, als wäre sie nur für diese Kulisse erschaffen worden. Sie trug ein maßgeschneidertes Kostüm, ihre blonden Haare saßen perfekt gestylt, nicht eine Strähne verirrte sich. Ihre Aura war dunkel und kühl und versprühte eine distanzierte Erhabenheit, wie Andrew sie manchmal gerne an Gareth gesehen hätte. Seine Nachfahren waren definitiv selbstbewusster als er, vermutlich, weil sie ein großes Erbe auf ihren Schultern trugen.
»Wie viele gibt es in deiner Familie?«, fragte Andrew Mary-Ann.
»Louis, mein Vater, und Romaine, meine Mutter. Außerdem habe ich einen jüngeren Bruder: Fabrice. Er ist im oberen Stockwerk, meine Eltern warten in Paris. Wir wollten dich nicht überfordern, daher wurde ich ausgewählt, um mit dir in Kontakt zu treten.«
»Weil du eine scharfe Frau bist?«
»Das ist sicherlich hilfreich.«
Es war ein merkwürdiges Gefühl für Andrew. Diese Menschen waren Gareths Verwandte, dem Einzigen, dem Andrew blind sein eigenes Leben anvertraut hätte. Gareth hatte beinahe alles über ihn gewusst, auch dass Andrew von Coco verraten worden war.
Und das, obwohl er alles getan hatte: Er hatte sein Versprechen eingehalten und die Harfe beschafft, und als sie sich ein zweites Mal getroffen hatten, hatte Coco Anna zu sich zitiert. Sie hatte sie angeblickt und zu Andrew gesagt, dass er die Gabe in ihr zerstört hatte und alles umsonst gewesen sei. Danach war sie einfach gegangen und hatte ihn zurückgelassen. Er hatte natürlich versucht, die Harfe einzusetzen, auf ihr gespielt, die Saiten abgezogen und wieder aufgespannt, aber es war rein gar nichts passiert – obwohl er sich sicher war, das richtige Instrument zu besitzen. Entweder hatte Coco gelogen, oder ihm ein wichtiges Detail vorenthalten. Dummerweise wurde ihm kurze Zeit danach auch die Harfe gestohlen. Andrew hatte stets Anna verdächtigt, aber er hatte nie das Wissen aus ihr herausbekommen, und Coco war ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt geblieben. Andrew war wieder auf sich alleine gestellt gewesen. Bis schließlich Ananka – eine uralte Heilerin – bei ihm aufgetaucht war und ihm ein zweites Leben angeboten hatte.
Dieses Leben.
Ananka hatte ihn gewarnt, dass er bald sterben würde und es nie schaffen sollte, sein Lebenswerk zu vollenden. Zumindest nicht in diesem Körper. Andrew wollte auch sie zum Teufel jagen, aber Ananka hatte – wie Coco – sehr gute Argumente vorgebracht, und so hatte er eingewilligt.
Mit Gareth hatte er alle Vorkehrungen getroffen: Andrew hatte eine Kirche in Annecy mitfinanziert, damit dort in der Krypta seine Gebeine sicher verwahrt werden konnten. Gareth und er suchten weiter nach der Harfe, aber Andrews Schicksal sah nicht vor, dass er lange genug leben sollte: Eines Nachts wurde er in seinem eigenen Bett erstochen.
Von Anna. Seiner Ehefrau ...
Zum Glück hatte Ananka, anders als Coco, Wort gehalten. Sie hatte Andrews Seele nach seinem Tod konserviert und diese anschließend in den Körper gesteckt, in dem er nun wohnte. Ein wahres Wunder, das er nicht richtig verstand, obwohl er es hautnah durchlebte.
Andrew streckte seinen Arm aus und betrachtete die junge Hand, die nun die seine war.
Zachary Wolf.
Ein enger Freund von Jessamine Harris, die wiederum bei den Seelenwächtern lebte und direkten Kontakt zu Anna pflegte. Ananka hatte den Wirtskörper weise gewählt. Dennoch wünschte Andrew, er hätte einen bekommen, der nicht so lächerlich infantil wirkte. Zac war ein Schwächling: dürr, untrainiert, jung.
Zum Glück hatte Andrew sich mittlerweile ein paar Muskeln zulegen können. Nicht zu viel, denn es durfte nach wie vor nicht auffallen, dass Zac nicht mehr da war.
Andrew sah auf die Bücher, die vor ihm lagen. Eine Menge Stoff. Fünf Wälzer, voll mit Gareths Handschrift. Er hatte seine Arbeit akribisch festgehalten. Andrew klappte das erste Buch auf und las den Eintrag, der alles einläutete.
»
«
Andrew blickte auf und strich über die Seiten. Der Tag seines Todes. Hautnah. Durch Ananka war er darauf vorbereitet gewesen, und er hatte sich nicht davor gefürchtet. Er hatte sogar versucht, Anna abzuwehren, aber sie war zu schnell für ihn gewesen. Zu stark. Heute wusste Andrew, dass es an ihrer Seelenwächternatur gelegen hatte.
Er musste aufpassen, dass es kein zweites Mal passierte. Denn diese Chance war seine letzte. Ananka würde ihn gewiss nicht erneut zurückholen.
Andrew las weiter. Gareths Eintragungen in den nächsten Tagen waren gefüllt mit Trauer und den Vorbereitungen für Andrews Beisetzung. Er hatte seinen Leichnam erst in Wolveshire Rock aufgebahrt, bis die Kirche in Annecy fertiggestellt gewesen war. Wie Andrew wusste, lagerten seine Gebeine mittlerweile hier im Haus. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in einem neuen Körper zu stecken und den alten in der Nähe zu wissen. Er wollte ihn unbedingt noch sehen, aber erst musste er mehr erfahren.
Andrew überflog die folgenden Einträge, denn sie waren ihm zu emotionsgeladen. Womöglich hatte Gareth auch mehr für Andrew empfunden, als ihm damals klar gewesen war. In seiner Zeit hatte Gareth kein Weib gehabt, vielleicht hatte er auf eine Liebe gehofft, die unerwidert bleiben musste. Andrew sah zu Mary-Ann. Gareths Nachfahrin. Das mit dem Weib hatte er ja dann doch noch hinbekommen.
Andrew blätterte das gesamte Buch durch, aber es blieb weitgehend uninteressant. Vieles drehte sich um den Bau der Kirche in Annecy und wie sich die politische Lage im Land entwickelte. Andrew konnte das mittlerweile auch mit Leichtigkeit im Internet nachlesen, aber Gareth wollte wohl alles so gut wie möglich für Andrew festhalten. Er wusste, wie detailverliebt er war, und er hatte damals schlecht ahnen können, wie rasant sich die Technologie in der Welt entwickelte. Noch ehe er ganz mit dem Buch durch war, schob Mary-Ann ihm das zweite hin.
»«
»Nah dran, Gareth. Nah dran.«
»