E-Book, Deutsch, Band 1, 300 Seiten
Böhm Die Archive der Seelenwächter: Weg des Kriegers
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-910712-73-7
Verlag: Arkani Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 300 Seiten
Reihe: Die Archive der Seelenwächter
ISBN: 978-3-910712-73-7
Verlag: Arkani Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nicole Böhm wurde 1974 in Germersheim geboren. Sie reiste mit 20 Jahren nach Phoenix, Arizona, um Zeichen- und Schauspielunterricht am Glendale Community College zu nehmen. Es folgte eine Ausbildung an der American Musical and Dramatic Academy in New York, bei der sie ihre Schauspielkenntnisse vertiefte. Das Gelernte setzt sie heute ein, um ihre Charaktere zu entwickeln. Sie lebte insgesamt drei Jahre in Amerika und bereiste diverse Städte in den USA und Kanada, die nun als Schauplätze ihrer Geschichte dienen.
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3. Kapitel
Akil schlug nach der Fliege, die um seinen Kopf schwirrte, rollte sich auf die Seite und wünschte sich gleichzeitig, er hätte es nicht getan. Seine Glieder waren steif von der langen Nacht auf dem harten Boden, und er hatte mal wieder Magenkrämpfe. Er winkelte die Beine an, atmete tief ein und aus. Er musste sich nur genug entspannen, dann hörten sie meistens auf.
Die Fliege setzte sich auf seine Stirn. Er fegte sie davon, was das Mistvieh nur dazu motivierte, sich an einer anderen Stelle niederzulassen. Akil ignorierte sie und konzentrierte sich stattdessen weiter auf seinen Atem. Ein und aus ... Er legte eine Hand auf seinen Bauch, rieb sachte darüber und wartete, bis das Brennen aufhörte. So machte er das jeden Morgen. Meistens half es, aber auf lange Sicht linderte nur eine Sache: Essen.
Akil fluchte, zog die zerrissene Decke über seinen Kopf und schloss demonstrativ die Augen. Er fror, wie immer am Morgen, doch das würde nicht lange so bleiben. Spätestens wenn die Sonne über Madaktu aufging, stiegen die Temperaturen ins Unermessliche.
»Ahriman soll euch holen!«, brüllte er.
»Hey, Akil!«, rief Zareen.
. Der hatte ihm noch gefehlt. Lieber zog er eine Horde Fliegen vor, als sich mit seinem großen Bruder herumzuschlagen.
»Scher dich raus und beschaff was zu essen.«
»Scher dich selbst raus!«
Seit Zareen letzten Sommer eine Hand verloren hatte, war er unerträglich geworden. Dabei hatte er Glück gehabt, dass er das überlebt hatte. In Madaktu starben mehr Menschen an eitrigen Wunden als an anderen Gebrechen. War immer ein nettes Bild, wenn die Fliegen ihre Eier in den offenen Stellen ablegten und man kleine krabbelnde Untermieter bekam.
Akil fuchtelte erneut in der Luft herum.
»Hast du nicht gehört, du Nichtsnutz?« Zareen trat in die Hütte. Sie hatte keinen festen Eingang, nur ein Laken, das als Tür diente. Immerhin war es ein Dach über dem Kopf, und sie hielt die gröbsten Sandstürme fern. »Heute fängt der Markt an. Du wirst uns was zu essen besorgen.«
»Besorg dir doch selbst was. Setz dich an den Straßenrand und bettle. Zeigst ihnen deinen Armstumpf und gut is.«
Zareen stapfte auf Akil zu, riss die Decke herunter, packte sein Ohr und zerrte ihn in die Höhe.
»Au!«
»Los jetzt. Ich werde hierbleiben und mich um Mutter kümmern. Das Fieber ist gestiegen. Sie braucht etwas zu essen und frisches Wasser. Im Kübel ist heute Nacht eine Ratte ersoffen.«
Na toll! Das hieß, Akil durfte den elenden Fußmarsch zum Brunnen auf sich nehmen. Er benötigte einen halben Mittag für die Strecke, und das bei der Hitze.
»Warum hast du nicht das Brett draufgelegt?«
»Hab ich, und stell mich gefälligst nicht infrage!« Zareen gab Akil einen Schubs und trat ihm zum Nachklang ins Kreuz. Als würde sein Rücken nicht schon genug schmerzen. Bestimmt hatte der Idiot das Brett absichtlich runtergenommen, damit Akil frisches Wasser holte. Nach ein paar Tagen schmeckte es ekelhaft, aber er sah nicht ein, ständig zum Brunnen zu latschen, nur weil Zareen zu faul war. Dabei konnte er auch mit einer Hand Wasser holen.
»Muss ich dir erst den Hintern versohlen?«, fragte Zareen und drohte den nächsten Schlag an.
»Du kannst mich mal.« Akil lief um die Trennwand in das angrenzende Zimmer. Dort lag seine Mutter auf einer alten Decke und stöhnte leise. Ewa hatte seit drei Tagen Fieber. Sie hatte sich in den Finger geschnitten, als sie eine Ratte ausnahm, um sie zu braten. Akil ging langsam näher. Sie murmelte Wörter im Schlaf und strömte einen leicht fauligen Geruch aus. Fliegen surrten von ihrer Hand hoch und schwirrten Akil ums Gesicht. Er wedelte sie davon und wusste jetzt schon, dass sie sich erneut auf die Wunde stürzen würden, sobald er weg war.
Zaghaft strich er über Ewas Wange. Sie war heißer als gestern. Entweder sie nahm bald die Kurve zurück ins Leben, oder sie würde den Göttern gegenübertreten. Akil seufzte. Er kannte seine Mutter fast nur liegend. Entweder weil ihr die Füße schmerzten, oder weil sie unter irgendeinem Kerl die Beine breitmachte. Diese Frau hatte ihn zur Welt gebracht und sich danach einen Dreck um ihn geschert. Genauso wenig wie sie sich um eins ihrer anderen zahllosen Kinder scherte.
So hatte Akil es Zareen zu verdanken, dass er überhaupt so alt geworden war und bereits fünfzehn Sommer zählte. Naja, vielleicht auch schon sechszehn oder erst vierzehn. So genau wusste das niemand. Genauso wenig wusste er, wer seine anderen Geschwister waren. Entweder trieben sie sich draußen auf den Straßen Madaktus herum, oder sie waren tot.
»Du bist ja immer noch da!«, blaffte Zareen und lehnte sich an die Trennwand.
»Meinst du, Mutter stirbt?«, fragte Akil und klang dabei so gefühllos, dass er sich selbst darüber wunderte. War es ihm wirklich egal?
»Kann sein.«
Akil wedelte ein weiteres Mal die Fliegen davon, die sich schon wieder über den schmutzigen Verband an Ewas Finger hermachten, und stand auf.
»Komm nicht ohne Essen zurück«, sagte Zareen.
Akil rollte die Augen. »Natürlich nicht, Eure Hoheit. Heute Abend werden wir fürstlich speisen und trinken. Wir werden uns fett und rund essen, bis wir platzen!« Das wollte Akil schon immer machen. Essen, bis nichts mehr reinpasste, und sehen, ob man wirklich davon platzen konnte.
Er sah zurück zu Ewa. Sie keuchte und schmatzte, als hätte sie etwas besonders Leckeres im Mund. Wäre sie noch da, bis er zurückkehrte? Ganz sicher. Selbst wenn sie sterben sollte, würde Zareen sie nicht raustragen und beerdigen. Das würde Akils Aufgabe sein. Er zögerte, lief zurück, beugte sich über sie und küsste ihre heiße Stirn. »Leb wohl, Mutter.«
Zareen schnaubte ungeduldig. Akil warf ihm einen verächtlichen Blick zu, stand auf und holte das Messer von der Kochecke. Es war nicht erlaubt, Waffen mit auf den Markt zu nehmen, aber Akil wurde selten durchsucht. Er wischte die Schneide an seinem Hosenbein ab, steckte es in den Bund und trat hinaus.
Die Sonne schob sich über die Häuser. Die meisten waren aus Lehm oder Bruchstücken vom Felsen gebaut worden. Wild übereinandergestapelte Behausungen, die nur einen Zweck erfüllten: vor der Witterung zu schützen. Wenigstens einigermaßen. Manche besaßen Türen und Fenster, andere nur drei Wände und als Dach eine alte Decke.
Akil bog nach links ab und machte sich auf den Weg zum Marktplatz. Madaktu war mit einer Mauer geschützt, die in Kreisform um die Grenzen verlief. Die Straßen waren so angelegt, dass alle Wege zum Zentrum führten, man konnte sich also nicht verirren, auch wenn man es versuchte. Aus den Häusern strömten die Bewohner, niemand wollte sich den Markt entgehen lassen. Die perfekte Gelegenheit um Fremde auszunehmen, Essen zu klauen oder sich bei der nächsten Karawane einzuschmuggeln.
Das Positive an diesem Ort war nämlich seine Lage. Jeder, der in die nächstgrößere Stadt Susa reisen wollte, musste in Madaktu Halt machen, um seine Vorräte aufzufüllen. Das hieß, es kamen jede Menge Fremde, die sich nicht auskannten.
Akil lockerte seine Schultern, während er lief. Heute würde ein anstrengender Tag werden. Mit dem Markt stieg zwar das Angebot, aber auch die Kontrollen. Die Wachen wussten natürlich, dass die Straßengangs unterwegs waren, um zu klauen. Ramin verdoppelte in der Zeit seine Leute. Wenn er einen erwischte, wurde man – je nach Vergehen – einen Kopf kürzer gemacht. Das waren immer die besten Spektakel in Madaktu. Blutig und ekelhaft. Zareen hatte damals echt Glück gehabt, dass Ramin ihm nur die Hand abhackte.
Konnte man den Wachen schließlich entwischen, ging die richtige Arbeit los. Man musste das Diebesgut loswerden. Beim letzten Markt hatte Akil einen Beutel mit glitzernden Steinen geklaut. Er hatte sie Zareen gezeigt, der sie ihm um die Ohren gehauen hatte. Man konnte sie nicht essen, und als Zahlungsmittel waren sie in Madaktu unbrauchbar. Also schenkte Akil sie Banu. Einem Mädchen, das einen Sommer älter als er war und zwei Straßen weiter wohnte. Sie mochte die Glitzerdinger sehr und hatte sich sogar für Akil ausgezogen. Er hatte Banu überall anfassen dürfen, und dann hatte sie ihn angefasst. Allein bei dem Gedanken daran, wie er in ihr ... er schüttelte den Gedanken ab. Es war Akils erstes Mal gewesen, und er wusste jetzt schon, dass er mehr davon brauchte. Viel mehr! Das hieß, er benötigte mehr Glitzersteine. Für Banu würde er sogar den Mond vom Himmel holen. Ha! Wie poetisch. Er sollte ihr das sagen.
»Hey, Akil!«
Er drehte sich um. Azam rannte um die Ecke und blieb vor ihm stehen. Woher er die Energie zu rennen nahm, wusste Akil nicht. Vermutlich weil Azam mehr zu essen bekam als er. Seine Familie kümmerte sich gut um alle. Azams Vater ging regelmäßig raus in die Wüste, um zu jagen, was verboten war – und er war ziemlich erfolgreich.
Akil und Azam hatten sich vor fünf Sommern getroffen und waren seither unzertrennlich. Vor einem Sommer kam schließlich Mihra dazu, die mit ihrer Tante hergezogen war. Akil hatte bis heute nicht verstanden, wie man sich freiwillig in Madaktu niederlassen konnte, aber Mihras Tante war wohl der Meinung, dass an diesem Ort besondere Energien wirkten. Sie war recht eigentümlich, Akil hatte sie nicht ein Mal zu Gesicht bekommen.
»Hast’n neues Hemd?«, fragte Akil.
Azam hob den Stoff an. »Ja, hat mir Mutter geschenkt. Hier.« Er griff in seine...